11. Dezember 2023
Brasiliens linker Präsident hat darauf gebaut, dass gewisse Zugeständnisse an die Wirtschaftselite in der Agrarindustrie notwendig sind, um sein Umverteilungsprojekt durchsetzen zu können. Doch zeitgleich drängen soziale Bewegungen auf tiefergehende Reformen.
Lula spricht auf einer MST-Kundgebung, 16. April 2016.
Im September dieses Jahres verkündete Brasilien – der weltweit größte Nettoexporteur von Agrargütern – die größte Getreideernte aller Zeiten. Die Landwirte brachten 322 Millionen Tonnen Mais, Soja und Weizen ein, teilte die Agrarstatistikbehörde mit. Das sind 50,1 Millionen Tonnen mehr als im Vorjahr. In seiner gesamten Geschichte war Brasiliens riesiger Agrarsektor noch nie so produktiv wie im ersten Amtsjahr von Luiz Inácio Lula da Silva als Präsident.
Doch die Rekordernten konnten die Agrarindustrie offenbar nicht für Lula und seine sozialdemokratische Arbeiterpartei (PT) erwärmen. Vielmehr lehnt der Sektor die meisten von Lulas umweltpolitischen und sozialen Zielen – vom verstärkten Schutz des Amazonasgebiets bis hin zur Umverteilung von Land – weiterhin vehement ab. Da der Kongress von rechten Parteien dominiert wird, die eng mit der Agrarindustrie verbandelt sind, bleibt es für Lula eine der größten Herausforderungen, die Großbauern zu besänftigen und zu überzeugen, um somit seine sozialpolitischen Ziele verwirklichen zu können. Diese Politik ist ein Drahtseilakt – und die Umverteilungsagenda steht auf der Kippe.
Brasiliens Status als eines der Länder mit der höchsten Ungleichheit wird im Agrarsektor besonders deutlich: Drei Prozent der brasilianischen Bevölkerung besitzen zwei Drittel des Ackerlandes, während 50 Prozent der Höfe lediglich zwei Prozent der Fläche bestellen. Großkonzerne wie Cargill und Raízen freuen sich über Rekordernten, während die Hälfte der brasilianischen Landbevölkerung in Armut lebt. Etwa 4,8 Millionen Familien auf dem Land haben überhaupt keinen eigenen Grund und Boden. Es ist daher nicht verwunderlich, dass die Agrarindustrie sehr konservativ ist und sich selbst gegen moderate Reformen in den bestehenden Arbeits- und Umweltschutzpraktiken sträubt.
Unter Jair Bolsonaro erlebte das Agribusiness in Brasilien seine Blütezeit. Nachdem die radikale Rechte 2016 die Arbeiterpartei gestürzt hatte, kontrollierte die Agrarindustrie den Kongress, erhielt massive Subventionen, diktierte ganz unmittelbar die Landwirtschaftspolitik und unterdrückte gewaltsam jegliche Bewegung für Agrarreformen. Als die PT 2022 die Macht zurückeroberte, übernahm Lula einen Staat, in dem die Macht der Agrarkapitalisten auf neue Höhen gestiegen war.
»Die Regierung Lula versucht, mit ihrem Pochen auf Umwelt- und Sozialschutz als notwendige Voraussetzung für weiteres Wachstum und Handel, gewisse Teile des Agrarsektors für sich zu gewinnen.«
Diese Macht ist auch heute nicht gebrochen. Lula ist Präsident, doch die Lobby der Agrarindustrie kontrolliert weiterhin den Kongress. Die sogenannte Bancada Ruralista – oder »Fraktion der Landleute« – umfasst 347 der 594 Abgeordneten sowie Senatorinnen und Senatoren des Kongresses. Diese Gruppe ist die erbittertste Gegnerin Lulas. Die stimmgewaltige, von der Agrarindustrie gesteuerte Front will unbedingt wieder eine rechte Regierung einsetzen, die ihre Politik verfolgt: mehr Waffen, niedrigere Steuern für die Agrarwirtschaft sowie Einschränkungen im Arbeitsrecht, beim Umweltschutz und bei der Grenzziehung für indigene Gebiete.
Die Landwirtschaft ist die Trennlinie, auf der Lulas Präsidentschaft balanciert. Zu seiner Rechten steht die mächtige Agrar-Lobby, die sich gegen jeden tiefergehenden Arbeiter- oder Umweltschutz wehrt, wenn dieser ihre Gewinne schmälern könnte. Zu seiner Linken versuchen soziale Bewegungen wie Movimento Sem Terra (MST, Bewegung der Landarbeiter ohne Boden), die Regierung unter Druck zu setzen, damit diese die Samthandschuhe gegenüber Großgrundbesitzern endlich auszieht und Agrarreformen durchführt. In der Mitte eingekeilt, versucht Lula bisher geschickt aber unzureichend, beide Lager halbwegs bei Laune zu halten.
Dabei sind beide Seiten für Lulas sozioökonomische Vision von zentraler Bedeutung; das Agrobusiness als Grundpfeiler der brasilianischen Wirtschaft und die MST als größte soziale Bewegung Lateinamerikas sowie langjährige Verbündete der PT. Mit ihrem Balanceakt hat Lulas Regierung bislang weder die Großgrundbesitzer noch die Landlosen vollständig zufriedenstellen können, aber in beide Richtungen genug Zugeständnisse gemacht, um deren kompletten Bruch mit der PT zu verhindern. Das schwierige Manövrieren in diesem Dreikampf zwischen Regierung, Agrarindustrie und Landbevölkerung hat zu einer für alle Seiten unbefriedigenden Pattsituation geführt.
Um dieses komplexe Beziehungsgeflecht zu verstehen, müssen wir das bestehende Kräftegleichgewicht und letztlich auch das Wesen des »Lulismo« selbst verstehen.
Schon zu Beginn seines Wahlkampfes 2022 hatte Lula erkannt, wie wichtig es für ihn sein wird, die Angst der Agrarindustrie vor einer potenziell linken Regierung zu zerstreuen. Wer denke, Lula würde die Landwirtschaftspolitik »ideologisch« angehen, irre sich, versicherte er dem Sektor.
Nach seiner Ernennung traf der neue Präsident diverse personelle Entscheidungen mit wohlwollendem Blick auf die Agrarindustrie. Mit Geraldo Alckmin ernannte er einen Vizepräsidenten, der enge Beziehungen zur Branche hat; das Landwirtschaftsministerium ging an den ehemaligen Sojamagnaten Carlos Fávaro (womit sich die lange Tradition fortsetzt, dass vormalige Brancheninsider die nationale Landwirtschaftspolitik leiten). Lula hat darüber hinaus nur langsam die von Bolsonaro ernannten Beamten der staatlichen Landreformbehörde Incra ersetzt. Vor allem letzteres hatte nur wenige Monate nach seinem Amtsantritt zu ernsthaften Differenzen mit der MST geführt.
Noch größere Zugeständnisse gab es in Form von riesigen staatlichen Subventionen. Im Juni wurde der größte Finanzierungsplan für die Landwirtschaft in der Geschichte Brasiliens aufgelegt – 364 Milliarden Real (ca. 70 Milliarden Euro), womit Bolsonaros vorheriger Haushaltsplan um fast ein Drittel überboten wurde. Neben diesen Mitteln wurden erschwingliche Zinssätze und weitere finanzielle Anreize für Landwirte mit der Auflage verknüpft, umweltfreundlichere Anbaumethoden anzuwenden. Letzteres schien die Industrie nun nicht mehr allzu sehr zu stören: Für sie waren die potenziellen Gewinne schon immer wichtiger als rein ideologische Differenzen. Auch Lula bekräftigte gegenüber der Presse, die Landwirtschaft wisse, »dass sie aus wirtschaftlicher Sicht kein Problem mit uns hat«.
Hintergrund dieser Politik ist die PT-Vision einer »modernen Landwirtschaft«. Dies soll eine sauberere Version des industriellen, exportorientierten Landwirtschaftssystems sein, das das ländliche Brasilien seit Jahrzehnten prägt. Die grundlegenden Strukturen mit Großgrundbesitz und Monokulturen würden nicht verändert, aber die PT will die ökologisch und sozial schädlichsten Praktiken des Sektors verändern, um Brasilien zu einer schlanken, möglichst nachhaltigen Agrar-Supermacht zu machen. Praktiken, die noch vor Kurzem unter Bolsonaros Führung geduldet wurden – von Zwangsarbeit über massive Abholzung bis hin zu Landraub – werden nun als eine zu vermeidende Gefahr für einen stabil-nachhaltigen Agrarsektor angesehen.
Das wohl beste Beispiel für die »moderne Landwirtschaft« ist Lulas Bestreben, Brasilien zu einem führenden Exporteur von Biokraftstoffen zu machen. Die Regierung will ihre »grüne« Energieproduktion verdoppeln, vor allem in Form von Zuckerrohr-Ethanol, um an der Wall Street rund zehn Milliarden US-Dollar in Green Bonds aufzunehmen. Der neue Fokus auf nachhaltige Landwirtschaft folgt den klassischen Lehren des Lulismo: Wenn wirtschaftliches Wachstum in Grenzen gelenkt wird, gewinnen wir alle; und wenn wir nicht reformieren, wird Brasilien für ausländisches Kapital unattraktiv. »Die brasilianische Agrarwirtschaft weiß, dass sie den internationalen Markt verliert, wenn diese Agenda nicht durchgesetzt wird«, betont auch Finanzminister Fernando Haddad.
Die Regierung Lula versucht, mit ihrem Pochen auf Umwelt- und Sozialschutz als notwendige Voraussetzung für weiteres Wachstum und Handel, gewisse Teile des Agrarsektors für sich zu gewinnen. Denn das brasilianische Agrobusiness ist keine homogene Einheit. Die PT meint, eine wachsende Kluft zu erkennen zwischen den konservativen Bolsonarista-Bauern in den landwirtschaftlichen Kerngebieten Zentralbrasiliens einerseits und den reformfreudigeren Befürwortern einer »bewussten Landwirtschaft« andererseits. Letztere sollen überzeugt und auf Lulas Seite gezogen werden. Ob das Versprechen höherer Exporterträge dank verbesserter Nachhaltigkeit tatsächlich bei genug Leuten im Landwirtschaftsbereich Anklang findet, wird sich zeigen.
»Lula ist ein äußerst geschickter Politiker und hat es auf beeindruckende Weise geschafft, einen überwiegend rechtsgerichteten Agrarsektor (weitgehend) zu bändigen.«
Lulas bisherige Bemühungen um die Wiederherstellung ökologischer und indigenenbezogener Schutzmaßnahmen im Amazonasgebiet nach dem (vorläufigen) Ende von Bolsonaro deuten allerdings schon darauf hin, dass alle Fortschritte gegenüber der Agrarindustrie hart erkämpft werden müssen. Die Landwirtschaft – insbesondere die Viehzucht – ist eine der Hauptursachen für die Waldrodung im Amazonasbecken. In der Vergangenheit hatte die Bancada Ruralista diverse Gesetze durchgebracht, die die Region für Viehzucht, Bergbau und sogar Landraub öffneten. Selbst erste Erfolge für Lulas Nachhaltigkeitsagenda zeigen, wie schwierig es ist, die Agrarlobby effektiv unter Druck zu setzen. So wurden Gesetze, die die Landrechte der Indigenen einschränken, zwar letztlich vom Obersten Gerichtshof gestoppt, aber Lula selbst konnte politisch nicht verhindern, dass sie beide Häuser des Kongresses passierten.
Letztendlich ist es jedoch unwahrscheinlich, dass die Agrarindustrie einen offenen Krieg mit der Regierung riskieren wird. Schließlich brauchen die Bauernhöfe den Staat: Subventionen, Steuererleichterungen, Infrastruktur und Handelsdiplomatie sind entscheidend für das Funktionieren des Sektors. Wenn Gewinne zu holen sind, fällt es der Agrarindustrie meist nicht schwer, »ideologische Differenzen im Namen des politischen Pragmatismus zu ignorieren«, heißt es.
Für stramm konservative Landwirte geht es aktuell um Schadensbegrenzung. Das ist gut für Lula, denn Schadensbegrenzung ist nicht gleich offene Feindseligkeit. Solange die Rohstoffpreise auf dem Weltmarkt hoch bleiben, hat der Präsident gute Chancen, die destruktiven Praktiken der Agrarindustrie schrittweise zu reformieren, ohne den Sektor völlig zu verprellen. Regulierung und Reformen werden bei bestimmten Teilen der politischen Klasse wohl nie auf Gegenliebe stoßen, aber die landwirtschaftlichen Eliten könnten sie angesichts des erhofften wirtschaftlichen Aufschwungs zumindest tolerieren.
Lulas Fortschritte in Sachen Landwirtschafte hängen aber nicht nur von dieser Toleranz der Nutznießer der bestehenden Agrarregelungen ab, sondern auch von den Menschen, denen dieses System geschadet hat und die bisher immer zu den Verlierern gehörten.
Oft wird es so dargestellt, dass Lula mit seiner progressiven Regierung gegen hart verteidigte Privilegien und Interessen der Eliten – von Banken hin zu Landwirtschaftskonzernen – ankämpfen muss. Dabei hat Lula bewiesen, dass er eine Politik fahren kann, die Arbeiterinnen und Arbeiter unterstützt, ohne dass die Vormachtstellung des Kapitals dabei gefährdet würde. Indem er das Wirtschaftswachstum fördert und der Kapitalakkumulation nur wenige Beschränkungen auferlegt, besänftigt der Lulismo wichtige Branchen wie die Agrarindustrie und schafft durch dieses »Appeasement« im Gegenzug politischen Spielraum für Maßnahmen wie sozialen Wohnungsbau und Geldleistungen, die Millionen Menschen in Brasilien zugutekommen.
Die öffentlich ausgetragenen Feindseligkeiten zwischen Lula und der Agrarindustrie täuschen darüber hinweg, dass es doch einige Gemeinsamkeiten und Vereinbarungen gibt. Lula hat die grundlegenden Hierarchien des brasilianischen Agrarsektors nie ernsthaft infrage gestellt. Vielmehr hat er die bestehende Struktur gefördert und versucht, deren Gewinne wiederum zu nutzen, um das Leben der arbeitenden Klassen schrittweise zu verbessern. Die Landbesitzer haben von diesem Win-Win-Ansatz des Lulismo immer profitiert. Während Lulas erster Amtszeit stieg das BIP in der Landwirtschaft um satte 75 Prozent. Die jüngsten Zugeständnisse zeigen, dass er sich weiterhin für das Wirtschaftswachstum des Sektors einsetzen will.
Lula ist ein äußerst geschickter Politiker und hat es auf beeindruckende Weise geschafft, einen überwiegend rechtsgerichteten Agrarsektor (weitgehend) zu bändigen. So scheint es aktuell, dass weder die Regierung noch die Konzerne noch die Bancada Ruralista mit ihren weiterhin höchst konträren Ansichten zur Eskalation neigen. Bleibt eine weitere Kraft: die Proteste der MST im April dieses Jahres [siehe unten] deuten darauf hin, dass jede »Lösung« des Konflikts zwischen Lula und der Agrarindustrie, bei der die landlosen Arbeiterinnen und Arbeiter außen vor gelassen werden, letztlich auf Sand gebaut sein dürfte. Die Zähmung des mächtigen Agrar-Blocks ist für Lulas Machterhalt von entscheidender Bedeutung, doch weil dadurch der Status quo beibehalten wird, ergeben sich neue Risiken.
Die langjährige Beziehung der Landlosenbewegung mit der Arbeiterpartei bietet ersterer besondere Möglichkeiten der Einflussnahme. Die MST hat nicht die Macht, sich offen gegen die Agrarindustrie zu stellen, aber sie kann zumindest die Stabilität stören – die in den Augen der Industrie Lulas größte Legitimationsquelle ist. Lula befindet sich in einer Zwickmühle: eine zu direkte Konfrontation mit dem Agrobusiness wäre politischer Selbstmord, doch wenn er die Forderungen der MST ignoriert, könnte dies zu Landbesetzungen, Blockaden und einem negativen Medienecho führen, das sich die Regierung nicht leisten kann.
»Die MST ist der Durchführung grundlegender Landreformen nicht näher gekommen, aber sie hat Lula immerhin dazu bewegt, der Wiederansiedlung landloser Familien mehr Aufmerksamkeit zu schenken und die bestehenden Siedlungen der MST finanziell zu unterstützen.«
Bei der MST hat die Wahl Lulas Erwartungen geweckt, die die Regierung kaum erfüllen kann. Vier Monate nach Lulas Amtsantritt kritisierten die Landreformbewegungen, der Agrarfrage sei nach wie vor keine Priorität eingeräumt worden. Tatsächlich hatte die neue Regierung bis März nur wenige Nachfolger für Bolsonaros Funktionäre eingesetzt; die Besetzung wichtiger Plätze bei Behörden wie der Incra wurde durch endlose Verhandlungen blockiert. Während also mehr als zwei Drittel der Incra-Stellen immer noch von Bolsonaro-Verbündeten geleitet wurden, harrten rund 100.000 landlose Familien in provisorischen Lagern aus – auch noch Monate nach Lulas Amtsantritt.
Enttäuscht über die weiter auf sich warten lassende Landumverteilung startete die MST im April eine landesweite Kampagne mit Protesten, Straßensperren und Besetzungen, um Druck auf die Regierung auszuüben. Die Besetzungen verschreckten zahlreiche Grundbesitzer in ganz Brasilien. Doch es war vor allem die Entscheidung der MST, Land zu besetzen, das der staatlichen Forschungseinrichtung Embrapa gehört, die Lulas Regierung in eine Krise stürzte. Eine Regierung, die noch nicht einmal in der Lage sei, »Invasionen« auf ihren eigenen Grundstücken zu verhindern, sei eine inakzeptable Gefahr für die Agrarwirtschaft, warnte die Bancada Ruralista.
Um die Glaubwürdigkeit seiner Regierung wiederherzustellen, ging Lula rigoros gegen die Besetzungen vor. Er weigerte sich zu verhandeln, bis sich die MST vom Embrapa-Gelände zurückgezogen hatte. Nach einer Reihe von Dringlichkeitssitzungen des Kabinetts und angespannten Verhandlungen beendete die MST die Besetzung nach einigen Tagen. Offenbar war die Bewegung sich bewusst, dass man die engsten politischen Verbündeten in Brasilia nicht allzu sehr schwächen sollte.
Die Ereignisse im April haben alle Lager destabilisiert – und keinem einen klaren Vorteil verschafft. Die MST ist der Durchführung grundlegender Landreformen nicht näher gekommen, aber sie hat Lula immerhin dazu bewegt, der Wiederansiedlung landloser Familien mehr Aufmerksamkeit zu schenken und die bestehenden Siedlungen der MST finanziell zu unterstützen. Lula startete seinerseits eine Charmeoffensive gegenüber der Agrarindustrie. Doch selbst rekordverdächtige Agrarsubventionen haben die Branche nicht vollständig beruhigt.
Für die Bancada Ruralista lieferte das Embrapa-Debakel den nötigen Vorwand, um eine parlamentarische Untersuchungskommission (CPI) einzusetzen, mit der die MST kriminalisiert und Lula stellvertretend für sie in den Schmutz gezogen werden sollte. Da es sich um eine klar parteiische Kommission handelte – bis auf vier der 27 Mitglieder gehörten alle der Agrarlobby an – konnte die CPI den Anti-Lula-Medien auch schnell reichlich Munition liefern. Im Laufe der kommenden Monate bis Oktober verlief die Untersuchung jedoch ohne nennenswerten Erfolg: Lula konnte auf die Parteien der Mitte zählen, um die Untersuchung weitgehend zu ignorieren und auszubremsen. Die MST-Führer freuten sich ihrerseits sogar über die unerwartete mediale Aufmerksamkeit, die sie durch die CPI erlangten. Aus dieser jüngsten Episode bleibt aus Sicht der Bancada Ruralista festzuhalten: »Der Verlierer war die Agrarindustrie«, wie der Hauptberichterstatter der CPI bereits im August einräumen musste.
Tyler Antonio Lynch hält einen Master in Politikwissenschaften und International Studies von der Universität Cambridge. Auf Substack schreibt er im Blog Crooked Places.