23. August 2024
FDP und CDU fordern Nullrunden und Kürzungen beim Bürgergeld, weil es in diesem Jahr deutlich stärker gestiegen sei als die Inflation. Was sie unterschlagen: In den drei Jahren zuvor wurde das Bürgergeld real entwertet.
CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann forderte jüngst, mehr als 100.000 Menschen das Bürgergeld komplett zu streichen.
Das Bürgergeld ist noch immer der Streitpunkt schlechthin. Zu hoch, zu wenig Sanktionen, keine Arbeitsanreize – die Kritik kommt von allen Seiten. Die CDU verspricht, das Bürgergeld nach der Wahl wieder abzuschaffen. Wohlgemerkt: Obwohl sie der Einführung zugestimmt hatten. Generalsekretär Linnemann will sogar die Sanktionen so drastisch verschärfen, dass Totalverweigerer der komplette Regelsatz samt Heiz- und Wohnkosten gestrichen wird.
Die FDP wiederum fordert eine Nullrunde für die anstehende Regelsatzerhöhung. FDP-Fraktionschef Dürr geht sogar noch weiter und fordert eine Kürzung um 14 bis 20 Euro. Er sagte gegenüber der Bild: »Mein Vorschlag wäre eine Anpassung nach unten, weil bei der letzten Berechnung die Inflation höher eingeschätzt wurde, als sie sich tatsächlich entwickelt hat. Das würde sowohl die Steuerzahler um bis zu 850 Millionen Euro entlasten als auch die Arbeitsanreize erhöhen.«
Nur dieses Jahr ist der Bürgergeldsatz ausnahmsweise mal stärker gestiegen als die Inflation. Aber das relativiert sich sofort, wenn man auf die letzten Krisenjahre guckt. Denn in den drei Jahren vorher ist die Inflation in jedem Jahr größer gewesen als die Anpassung des Bürgergelds. Das bedeutet, dass das Bürgergeld in den drei Jahren vorher real entwertet wurde. Die Kaufkraft des Existenzminimums wurde entwertet. Und das kann man auch in Zahlen ausdrücken, wenn man sich nämlich anschaut: Wie hoch waren die Preissteigerungen, wie hoch waren die Anstiege beim Bürgergeld, und was macht das aufs ganze Jahr gerechnet eigentlich aus?
»Dass insgesamt noch immer ein Kaufkraftminus beim Existenzminimum in Höhe von 867 Euro übrig bleibt, scheint weder FDP noch CDU zu stören.«
Es stellt sich heraus: Im Jahr 2021 lag der Kaufkraftverlust des Existenzminimums bei 160 Euro, im Jahr 2022 waren es sogar 445 Euro. Das war das Jahr, wohlgemerkt, in dem die Inflationsrate bei 10 Prozent lag, aber der Hartz-IV-Satz (das Bürgergeld war da noch nicht eingeführt) nur um magere drei Euro von 446 auf 449 Euro nach oben angepasst wurde. Und im Jahr 2023 lag das Minus bei 407 Euro. Macht zusammengerechnet einen Kaufkraftverlust des Existenzminimums von 1.012 Euro.
Was stimmt: Geht man fürs Jahr 2024 von einer bürgergeldspezifischen Inflationsrate von 2,8 Prozent aus, ergibt sich daraus ein Kaufkraftplus von 145 Euro. Über dieses Kaufkraftplus regen sich alle auf und genau das will Christian Dürr mit »14 bis 20 Euro im Monat« wieder wegkürzen. Dass aber über die vier Krisenjahre insgesamt noch immer ein Kaufkraftminus beim Existenzminimum in Höhe von 867 Euro übrig bleibt, liest man nirgends und scheint auch weder FDP noch CDU zu stören.
Auf Basis dieser Zahl würde sich eine Nullrunde nämlich verbieten, und eine Kürzung erst recht. Das wäre übrigens auch ökonomischer Unsinn. Denn die 850 Millionen Euro, die Dürr mit der Kürzung einsparen will, machen sich sofort eins zu eins in der Nachfrage in der Wirtschaft bemerkbar. Das würde die lahme Konjunktur noch weiter ausbremsen.
Maurice Höfgen ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter für Finanzpolitik im Bundestag und Autor des Buches »Mythos Geldknappheit«. Zudem betreibt er den YouTube-Kanal »Geld für die Welt«.