15. Oktober 2024
Die Ampel wollte Langzeitarbeitslose, die eine Beschäftigung aufnehmen, mit einer 1.000-Euro-Prämie belohnen. Doch nun torpediert auch die SPD diesen Vorstoß. Daran zeigt sich, wie verlogen die Bürgergeldreform von Anfang an war, meint Ole Nymoen.
Auch sie sehen die Prämie kritisch: SPD-Parteivorsitzender Klingbeil, Bundeskanzler Scholz und Fraktionsvorsitzender Mützenich.
Die Anschubfinanzierung für Langzeitarbeitslose, spöttisch auch »Arsch-hoch-Prämie« genannt, spaltet die Ampel. 1.000 Euro sollten Empfängerinnen und Empfänger des Bürgergeldes einmalig erhalten, die wieder langfristig in den Arbeitsmarkt integriert werden können. Vor allem Robert Habeck pochte darauf. Aber nun torpedieren auch die Sozialdemokraten diesen Plan – und demonstrieren wieder einmal, wie verlogen die Bürgergeldreform von Anfang an war.
Als das Bürgergeld Anfang 2023 eingeführt wurde, feierte man es in der SPD wie eine Jahrhundertreform: Endlich sprach niemand mehr von Hartz IV, dem größten sozialen Kahlschlag der Geschichte der Bundesrepublik. Diese Reform hatte in den 2000er Jahren viele SPD-Wählerinnen und -Wähler von der Partei entfremdet, da unter dem Motto »Fördern und Fordern« unzählige Menschen in die Armut getrieben worden waren. Dieses Motto war von Anfang an nur da, um die Öffentlichkeit zu blenden. Es ging nicht wirklich darum, Menschen zu fördern und ihnen dann im Gegenzug etwas abzuverlangen – sondern darum, sie in »einen der besten Niedriglohnsektoren« Europas (Gerhard Schröder) zu integrieren. So wurde das Lohnniveau gedrückt und die deutsche Wirtschaft »wettbewerbsfähig« gemacht.
Die Bürgergeldreform war dann auch von Anfang an mehr Schein als Sein: Denn die Sozialleistung war de facto genauso hoch wie zuvor, nur dass sie einen anderen Namen bekam. Die Bürgergeld-»Erhöhung«, die von Liberalen und Konservativen angeprangert wurde, war in Wahrheit nur ein verspäteter Inflationsausgleich, real war das Bürgergeld genauso hoch wie zuvor Hartz IV. Nur kleine technische Änderungen wurden vorgenommen, etwa die Erhöhung des Schonvermögens. Das hat die deutsche Presse nicht daran gehindert, permanent zu behaupten, Empfängerinnen und Empfänger des Bürgergeldes würden es sich auf Kosten der Allgemeinheit blendend gehen lassen und in Saus und Braus leben. Vor allem ärgerten sich deutsche Bürgerliche darüber, dass es so wenige Sanktionen für Bürgergeld-Empfänger gebe, die keine »zumutbare« Arbeit aufnehmen wollten.
»Das Bundesverfassungsgericht hatte noch unter der letzten Großen Koalition dafür gesorgt, dass 100-Prozent-Sanktionen ausgeschlossen wurden. Trotzdem hat die Ampel sie wieder eingeführt.«
Das lag aber gar nicht bloß an der Ampel, sondern daran, dass das Bundesverfassungsgericht noch unter der letzten Großen Koalition dafür gesorgt hatte, dass 100-Prozent-Sanktionen weitgehend ausgeschlossen wurden. Trotzdem hat die Ampel sie infolge der grotesken Berichterstattung über angebliche Sozialschmarotzer wieder eingeführt. Ob das vor dem Verfassungsgericht Bestand hat, ist mehr als fragwürdig, was die Ampel aber nicht daran hindert, immer neue Bestrafungsmechanismen einzuführen. Von langen Pendelzeiten für einen Niedriglohnjob bis hin zum Umzug wird den Empfängerinnen und Empfängern von Bürgergeld nun allerlei zugemutet – und wer nicht mitmacht, der wird hart sanktioniert.
Da war die sogenannte Anschubfinanzierung mal eine Ausnahme: Es wurde nicht nur gefordert, sondern auch gefördert. 1.000 Euro extra für eine Arbeitsaufnahme, das sollte ein Anreiz sein. Und es kam, wie es kommen musste: Sofort empörten sich bürgerliche Gerechtigkeitsfanatiker: Hier würden Menschen einfach 1.000 Euro mitnehmen, ohne etwas dafür getan zu haben. Dabei handelte es sich oftmals um dieselben Politikerinnen und Ökonomen, die tagtäglich für Steuersenkungen für Reiche und Unternehmen plädieren – ganz ohne, dass diese dafür irgendetwas getan hätten.
Wie dem auch sei: Diese seltene Maßnahme zugunsten von armen Menschen wird nun selbst in der Ampel von fast allen Beteiligten in der Luft zerrissen. Hieran können wir schön die Wahrheit über die Bürgergeld-Reform ablesen: Aus Zuckerbrot und Peitsche wurde Peitsche ohne Zuckerbrot.
Ole Nymoen betreibt den Wirtschaftspodcast Wohlstand für Alle und ist Kolumnist bei JACOBIN.