26. September 2021
Mit Christian Lindner und der FDP in der Regierung drohen Kürzungen ohne Ende. Das schadet allen, sogar ihrer eigenen Klientel.
Christian Lindner strebt das Amt des Finanzministers an - vor allem für sich selbst.
Von der Politik der FDP profitiert das oberste 1 Prozent der Gesellschaft am stärksten – das haben die Berechnungen etablierter Wirtschaftsforschungsinstitute wie dem Leibnitz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung belegt. Warum die FDP im Verhältnis zur Fraktionsstärke die höchsten Großspenden erhält, erklärt sich da von selbst. Was sind schon 50.000 oder 100.000 Euro Spende, wenn man über Millionen und Milliarden verfügt, die Hälfte des Betrags steuerlich absetzen kann und der Steuerbescheid die nächsten Jahre in der Folge sogar noch deutlich günstiger ausfallen könnte?
In den Medien wird die FDP in der Regel als Partei mit Wirtschaftsexpertise dargestellt. Verdient hat sie dieses Image nicht. Das zeigt allein schon die Tatsache, dass sich viele Unternehmen durch die FDP ausgebremst fühlen – denn klimapolitisch macht ihnen die Partei keinerlei Angebote. Auch inhaltlich ist die Politik für das oberste 1 Prozent von Widersprüchen durchzogen. Dass diese im Diskurs kaum kenntlich werden, ist auch der medialen Berichterstattung anzulasten, die über Jahrzehnte hinweg die neoliberalen Thesen der FDP unkritisch nachgeplappert hat.
Um die eigene Klientel möglichst zielsicher anzusprechen, betont Lindner bei jeder sich bietenden Gelegenheit, der Solidaritätszuschlag sei verfassungswidrig. Zur Erinnerung: Nach der Teil-Abschaffung des Solis für die unteren 90 Prozent gilt er seit 2021 nur noch teilweise für Einkommen ab 74.000 Euro und vollständig ab 110.000 Euro im Jahr. Von seiner vollständigen Abschaffung hätten also nur die obersten 10 Prozent etwas. Lindners Forderung bedeutet also nichts anderes als eine Senkung des Spitzensteuersatzes durch die Hintertür – Millionärinnen und Milliardäre würden davon am meisten profitieren.
In der Frage von Enteignungen und Vergesellschaftungen ist Lindner kein Verfechter der Verfassung. Vergesellschaftungen lehnt er als »uralte und auch schon gescheiterte sozialistische Experimente« strikt ab. Tatsächlich bildeten in der Nachkriegszeit Vergesellschaftungen in einzelnen Industriebranchen die Grundlage für die soziale Marktwirtschaft. Enteignungen sind ihm generell zuwider – dass die meisten von der CDU (etwa für Autobahnen) und nicht von der Linkspartei durchgeführt wurden, scheint er dabei auszublenden.
Wer wie die FDP noch heute an die Entfesselung der Märkte glaubt, ist gedanklich in den 1980ern stehen geblieben. Lindner fordert neben der Soli-Abschaffung auch die Senkung der Unternehmenssteuer. Ihm zufolge würde das dadurch ermöglichte Wirtschaftswachstum trotz Steuersatzsenkungen zu sprudelnden Steuereinnahmen führen, sich also quasi selbst finanzieren. Ähnlich absurd argumentiert er, wenn er die Einhaltung der Schuldenbremse fordert und gleichzeitig Steuererleichterungen in Höhe von 88 Milliarden Euro vornehmen möchte. Für den Fall, dass die Wirtschaft keinen solchen Aufschwung erlebt, wie Lindner ihn sich erhofft, droht dann der Kürzungshammer – denn anders ließen sich die Steuerausfälle nicht kompensieren. Davon wären insbesondere die sozialen Sicherungssysteme betroffen – dabei sind gerade diese in Zeiten des Abschwungs besonders essenziell, da sie stabilisierend auf die Wirtschaft wirken.
Bei der Schuldenbremse schadet die FDP sogar ihrer eigenen Klientel. Da die Wirtschaftsleistung seit Jahren unter ihrem Potenzial verharrt, sind auch die Gewinne der Unternehmen nicht so hoch, wie sie sein könnten. Mittlerweile hat sich sowohl in der ökonomischen Debatte als auch in den Parteien (selbst in Teilen der CDU/CSU) die Einsicht durchgesetzt, dass eine Aufweichung der Schuldenbremse oder zumindest das Unterlassen einer voreiligen Rückkehr sinnvoll sein könnte.
Lindner plädiert dennoch unnachgiebig für die Schuldenbremse. Ob er an diesem Dogma auch dann noch festhalten wird, wenn es sich klientelpolitisch nicht mehr rechnet, wird sich zeigen. Auch dass sein Image als Zukunftsmacher und Wirtschaftsexperte nur heiße Luft ist, könnte sich schneller unter Beweis stellen als ihm und den Liberalen lieb ist. Zuletzt hatte Robert Habeck in der Sendung von Anne Will den von sich selbst überzeugten Lindner argumentativ in Sachen Finanz- und Steuerpolitik ausgedribbelt. Das Finanzministerium in der Hand der FDP in einer Ampelkoalition – es wäre eine intellektuelle, eine politische, vor allem aber eine ökonomische Katastrophe.
Ines Schwerdtner ist seit Oktober 2024 Bundesvorsitzende der Linkspartei. Von 2020 bis 2023 war sie Editor-in-Chief von JACOBIN und Host des Podcasts »Hyperpolitik«. Zusammen mit Lukas Scholle gab sie 2023 im Brumaire Verlag den Sammelband »Genug! Warum wir einen politischen Kurswechsel brauchen« heraus.
Lukas Scholle ist Ökonom und Kolumnist bei JACOBIN.