05. September 2025
Auch mit dem neuen Wehrdienst wird Deutschland die NATO-Ziele voraussichtlich nicht erreichen. Langfristig wird die Wehrpflicht also zurückkommen.
Soldaten des Fallschirmjägerregimentes 26 der Bundeswehr in Zweibrücken an dessen »Tag der offenen Tür«, 30. August 2025.
Anfang 2026 kommt er: der neue Wehrdienst. Das Bundeskabinett hat in der vergangenen Woche über das sogenannte Wehrdienst-Modernisierungsgesetz abgestimmt. Zwar stellte sich CDU-Außenminister Johann Wadephul kurzzeitig gegen das neue Wehrdienstmodell von SPD-Verteidigungsminister Boris Pistorius, da es ihm nicht weit genug ging, doch am Ende konnte sich das Kabinett einigen. Auf ihrer Webseite schreibt die Bundesregierung: »Der neue Wehrdienst soll zunächst freiwillig sein.« Es ist dieses eine Wort, das verrät, worauf sich junge Männer in naher Zukunft einstellen müssen: »zunächst«.
Seit Jahren diskutieren deutsche Politiker über eine Wiedereinführung der Wehrpflicht. Die damalige Wehrbeauftragte der Bundesregierung, Eva Högl, schlug bereits im Jahr 2020 eine Wiedereinführung der Wehrpflicht vor. Seit Beginn des Ukraine-Kriegs im Jahr 2022 werden die Stimmen derer, die sich die Wehrpflicht zurückwünschen, immer lauter. Bereits kurz nach Ausbruch des Krieges sprach sich beispielsweise der damalige thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow dafür aus. Rund drei Jahre später tauchte das Modell des neuen Wehrdiensts im schwarz-roten Koalitionsvertrag auf.
Der entsprechende Gesetzesentwurf ist eine Kompromisslösung, die sich am sogenannten »Schwedischen Modell« orientiert. In Schweden wurde bereits im Jahr 2017 ein Wehrdienst eingeführt, bei dem alle 18-jährigen Männer und Frauen eines Jahrgangs einen Online-Fragebogen ausfüllen müssen. Dabei geht es um ihre Bereitschaft und ihre Fähigkeiten für einen möglichen Wehrdienst. Ausgesuchte Personen müssen auf Basis ihrer Antworten zu einer Musterung.
»Das 5-Prozent-Ziel der NATO ist ein Konjunkturprogramm für die US-amerikanische Wirtschaft: 60 Prozent aller europäischen Waffenimporte innerhalb der letzten fünf Jahre stammen aus den USA.«
In Deutschland ist der Wehrdienst seit 2011 freiwillig. Damals hielt man eine allgemeine Wehrpflicht auch aufgrund der geopolitischen Situation für obsolet und setzte sie auf unbestimmte Zeit aus. Zu verdanken hatten das die jungen deutschen Männer dem damaligen CSU-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg.
Rechtlich wird diese Aussetzung zwar auch noch im kommenden Jahr bestehen, doch künftig sind junge Männer auch hierzulande dazu verpflichtet, einen Fragebogen zur persönlichen Wehrbereitschaft auszufüllen. Wer den Fragebogen nicht ausfüllt, muss mit einem Bußgeld rechnen. Für Frauen bleibt das Ganze freiwillig – um auch sie zu verpflichten, müsste die Regierung das Grundgesetz ändern. Weil AfD und Linke dem aber nicht zustimmen werden, dürfte die Koalition dafür keine Zweidrittelmehrheit finden.
Die Bundesregierung will junge Männer deshalb zunächst mit lukrativen Angeboten in den Wehrdienst locken. Dass die neuen Rekruten nun zu sogenannten »Soldaten auf Zeit« werden, führe »zu besoldungs- und versorgungsrechtlichen Verbesserungen«, schreibt das Verteidigungsministerium. Mindestens sechs Monate sollen sich die Freiwilligen für den Dienst verpflichten. Monatsweise kann der Dienst dann bis zu 23 Monaten verlängert werden. Auch Verpflichtungen bis zu 25 Jahren sind mit dem neuen Modell möglich. Sollte die Bundeswehr mit dem neuen Wehrdienst die Zielvorgaben aber nicht erreichen, will die Bundesregierung über eine Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht nachdenken.
Bis zuletzt hatte der neue Wehrdienst für Streit innerhalb der schwarz-roten Koalition gesorgt. Verteidigungsminister Boris Pistorius wies immer wieder darauf hin, dass die Bundeswehr für eine sofortige Wiedereinführung der Wehrpflicht nicht gewappnet sei. Konkret fehlt der Bundeswehr schlicht der Platz in den Kasernen, um die vielen neuen Soldaten unterzubekommen, die das Vaterland oder die NATO-Ostflanke verteidigen sollen. Auch die entsprechenden Ausbilder, die die Zehntausenden Rekruten betreuen könnten, gibt es bislang nicht.
Außenminister Johann Wadephul legte gegen Pistorius’ Gesetzesentwurf darum einen sogenannten »Ministervorbehalt« ein, eine Art Veto, das er später wieder zurückzog. Die CDU will klare Zielvorgaben pro Jahr festlegen, mit denen Deutschland den NATO-Zielen gerecht werden kann. Aktuell befinden sich rund 180.000 aktive Soldaten bei der Bundeswehr. Zuletzt lag das Ziel von Verteidigungsminister Pistorius bei 203.000 aktiven Soldaten in den Streitkräften. Aufgrund neuer NATO-Ziele soll die Zahl auf rund 260.000 Soldaten anwachsen. Zusätzlich soll die Zahl der Reservisten verdoppelt werden – von 100.000 auf rund 200.000.
Beim NATO-Gipfel in Den Haag im Juni legten die Staats- und Regierungsspitzen der 32 Mitgliedsstaaten neue Ziele für das Militärbündnis fest. Demnach sollen ab 2035 fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts der jeweiligen Mitgliedstaaten in Verteidigung und Sicherheit fließen. Diese Kriegswirtschaft hat die NATO unter anderem aufgrund von Sicherheitsbedrohungen durch Russland beschlossen. In jedem Fall ist das 5-Prozent-Ziel aber ein Konjunkturprogramm für die US-amerikanische Wirtschaft: 60 Prozent aller europäischen Waffenimporte innerhalb der letzten fünf Jahre stammen aus den USA. Präsident Donald Trump, der ganz besonders auf das Fünf-Prozent-Ziel drängte, dürfte sich daher über dieses Aufrüstungsprogramm freuen.
»Weil sich die Bundesregierung den neuen NATO-Zielen verpflichtet hat, ist die Rückkehr der Wehrpflicht unvermeidbar.«
Trotz ihres Ziels, deutlich mehr junge Männer für den Dienst an der Waffe zu gewinnen, hält die Bundesregierung vorerst an der freiwilligen Lösung fest. Dieser Spagat wird jedoch auf Dauer nicht zu schaffen sein. Schon jetzt zeigt sich, wie extrem die angestrebten NATO-Vorgaben und die in Deutschland erwarteten Zahlen beim neuen Wehrdienst auseinandergehen, noch bevor er überhaupt eingeführt ist. Lediglich 5000 neue Soldaten wird das Verteidigungsministerium laut eigenen Angaben durch das neue Modell im nächsten Jahr aufnehmen. Um das Ziel von 260.000 Soldaten zu Beginn der 2030er-Jahre zu erfüllen, sind jedoch wesentlich mehr Verpflichtungen erforderlich. In diesem Tempo sind die NATO-Ziele jedenfalls nicht zu erreichen.
Der neue Wehrdienst ist für die Union daher eine unbefriedigende Lösung. Zahlreiche Stimmen in der Partei machen deutlich, dass Deutschland dringend zur Wehrpflicht zurückkehren müsse. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder beispielsweise erklärte jüngst im ARD-Sommerinterview: »So ein Pflichtelement ist wichtig, um Landes- und NATO-Grenze auf Dauer wirksam zu verteidigen, als größtes, wirtschaftlich stärkstes Land, das auf Dauer auch die stärkste Armee haben soll.«
Die Stammtischparolen eines Markus Söder sind wohl leider näher an der realpolitischen Wirklichkeit, als es die SPD bislang zugeben will. Wer die angestrebten Truppenziele für notwendig hält und sie nicht als Ausdruck einer gefährlichen Aufrüstungsspirale betrachtet, der wird nicht darum herumkommen, junge Menschen zum Wehrdienst zu verpflichten.
Wir sollten also ehrlich mit uns sein: Weil sich die Bundesregierung den neuen NATO-Zielen verpflichtet hat, ist die Rückkehr der Wehrpflicht unvermeidbar. Langfristig will Deutschland 460.000 Soldaten einschließlich der Reserve verfügbar machen. Mit netten Anreizen und Freiwilligkeit wird sich ein solches immenses Aufrüstungsprogramm nicht umsetzen lassen. Wer hunderttausende junge Soldaten will, der muss zur Wehrpflicht greifen – alles andere ist Augenwischerei.
Kevin Gensheimer ist Journalist aus Berlin.