02. Mai 2024
Die Militarisierung der deutschen Zivilgesellschaft schreitet voran. Jetzt wollen die Ampel-Parteien und die Union das Bildungssystem für die Bundeswehr öffnen. Stattdessen braucht es ein ziviles Leitbild für Bildung und Wissenschaft.
Ein Soldat der Bundeswehr spricht zu einer Schulklasse.
Weltweit nehmen kriegerische Auseinandersetzungen zu – in der letzten Dekade um zwei Drittel. Der russische Angriff auf die Ukraine hat zudem den Krieg auf den europäischen Kontinent zurückgeholt.
Insbesondere Deutschlands Regierung kennt auf die neue Lage vornehmlich eine Antwort: einen bislang ungekannten Anstieg der Rüstungsexporte, die massive Aufrüstung der Bundeswehr sowie die schleichende Militarisierung von zivilen Bereichen der Gesellschaft.
Waren der stetig wachsende Verteidigungshaushalt und das im Eilverfahren beschlossene und grundgesetzlich verankerte 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen für die Bundeswehr die unmittelbaren Antworten auf die am 27. Februar 2022 vom Bundeskanzler ausgerufene »Zeitenwende«, folgen nun politische Initiativen und Debatten, die die gesamte Gesellschaft ins Visier der Kriegstüchtigkeit nehmen.
So wurde die Diskussion um die Wiedereinführung der Wehrpflicht wiederbelebt und Karl Lauterbach machte einen Vorstoß, das Gesundheitssystem auf den Kriegsfall vorzubereiten. Nun wird auch die Bildung zum Gegenstand der Militarisierungsfantasien von Ampel-Parteien und Konservativen.
Die teilweise noch existente Selbstverpflichtung von Hochschulen und wissenschaftlichen Einrichtungen, ausschließlich für zivile Zwecke zu forschen – die sogenannte Zivilklausel – wurde bereits im März dieses Jahres von Robert Habeck infrage gestellt.
Nun setzte Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger noch eins obendrauf, indem sie die Vorbereitung auf den Kriegsfall als neues Lehr-Credo an Schulen ausrief: Bundeswehr rein in die Schulen, so ihr Motto, ein »unverkrampftes Verhältnis zur Bundeswehr« solle entwickelt werden. Der Lehrerverband und die Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages Eva Högl sekundierten artig und stimmten ein in die Angstmache bei Schülerinnen und Schülern, Eltern und Lehrenden.
Die Union will sogar verpflichtende Besuche von Jugendoffizieren ab der neunten Klassenstufe einführen. In Bayern möchte Ministerpräsident Markus Söder mit einem Gesetzentwurf zur Förderung der Bundeswehr den »ungehinderten Zugang der Bundeswehr zu Forschung und Entwicklung an Hochschulen sicherstellen und ihr den Zutritt zu Schulen erleichtern« sowie Zivilklauseln an Hochschulen verbieten.
Diese Vorstöße wirken in Zeiten des Bildungsnotstandes, der chronischen Unterfinanzierung des Bildungssystems, maroder Hörsäle, einsturzgefährdeter Sporthallen, des dramatischen Lehrkräftemangels und tausenden jungen Menschen ohne Schul- oder Berufsabschluss bizarr und wie eine einzige Themaverfehlung. Abgestritten wird in diesem Zusammenhang bislang immer, die Verantwortlichen würden auf diesem Wege auch das Nachwuchsproblem der Bundeswehr lösen wollen. Mantraartig wird wiederholt, Jugendoffiziere der Bundeswehr seien nur in den Schulen, um über sicherheitspolitische Themen zu informieren.
»Gerade in Zeiten wie diesen muss über zivile Maßnahmen und Konzepte als Alternative zu militärischen Lösungen informiert werden.«
Doch im Hintergrund schwelt die Debatte, wie die Bundeswehr von derzeit 182.000 Soldatinnen und Soldaten bis 2031 einen Zuwachs auf über 200.000 erreichen kann. Mitte letzten Jahres kündigte Verteidigungsminister Boris Pistorius eine neue Anwerbekampagne für die Bundeswehr an: die Taskforce Personal. In diesem Rahmen verbuchte er den Erfolg der angeblich so neutralen Jugendoffiziere für die Personalgewinnung: Alleine im Jahr 2023 waren 85 Jugendoffiziere auf rund 6.000 Veranstaltungen präsent und verzeichneten etwa 150.000 Kontakte an verschiedenen Bildungseinrichtungen bundesweit.«
Die Anzahl Minderjähriger, die von der Bundeswehr rekrutiert werden, schnellte im Jahr 2023 auf Rekordhöhe: 10,6 Prozent aller neu eingestellten Soldatinnen und Soldaten im letzten Jahr waren bei Dienstantritt erst siebzehn Jahre alt – trotz vielfacher Kritik von Menschenrechtsorganisationen.
Verfassungsrechtlich betrachtet darf die Bundeswehr natürlich Informationsveranstaltungen dieser Art an Schulen abhalten. Unrechtmäßig werden sie aber dann, wenn nicht auf eine Ausgewogenheit und Pluralität der Sichtweisen geachtet wird oder die Schüler- und Schülerinnenschaft politisch in eine bestimmte Richtung beeinflusst wird.
Formal unterliegen auch die ausgebildeten Jugendoffiziere dem Kontroversitätsgebot und dem Überwältigungsverbot, also den Prinzipien des Beutelsbacher Konsenses für den schulischen Raum und den Politikunterricht, die den Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit zur freien Meinungsbildung sichern sollen. Da sie beauftragt sind, im Sinne der Bundeswehr zu werben und unter soldatischem Befehl stehen, können sie das schwerlich leisten.
Pluralität und Kontroversität sind auch dann nicht gegeben, wenn auf den Social-Media-Kanälen, in Jugendmagazinen, auf Messen oder eben in Vorträgen in den Klassenzimmern mit Abenteuerfeeling und Funfaktor, kostenfreiem Studium, attraktiven Ausbildungsplätzen und guter Bezahlung für eine Karriere bei der Bundeswehr geworben wird.
Mit bislang neun Bildungs- beziehungsweise Kultusministerien der Länder hat die Bundeswehr sogenannte Kooperationsvereinbarungen abgeschlossen, die den Jugendoffizieren den Zugang zum Unterricht sichern. Dabei wird unter den Teppich gekehrt, dass Soldatin oder Soldat eben kein Beruf wie jeder andere und die Bundeswehr auch kein Unternehmen wie jedes andere ist. Junge Menschen werden schließlich ausgebildet, »das ›Kriegshandwerk‹ zu lernen und andere Menschen in Einsätzen zu verletzen oder zu töten«, wie das Bündnis Schule ohne Militär es ausdrückt.
Anstatt die Schultore noch weiter für das Militär zu öffnen, müssen die Bildungs- und Kultusministerien in den Ländern Schritte einleiten, um die Neutralität und Ausgewogenheit bei Informationsveranstaltungen der Streitkräfte an Schulen zu gewährleisten. Schülerinnen und Schüler sollten im gleichen Maße für militärkritische Positionen sensibilisiert werden. Gerade in Zeiten wie diesen muss auch über zivile Maßnahmen und Konzepte als Alternative zu militärischen Lösungen informiert werden. Die Bildungseinrichtungen müssen aktive Schritte in Sachen Friedenserziehung, Demokratiebildung und ziviler Sicherheit unternehmen.
Bei der Vermittlung sicherheits- und verteidigungspolitischer Themen im Unterricht geht es nicht nur um politische oder rechtliche Fragen, sondern auch um ethische, religiöse und weltanschauliche Beurteilungen. Es braucht daher dringend ein ziviles Leitbild für die Bildungseinrichtungen.
»Jahrelang führen wir Eltern einen Kampf, dass unsere Kinder keine Killerspiele, keine Gewaltvideos sehen und spielen. Ich finde, die Werbung der Bundeswehr in Schulen greift in unser Erziehungsrecht ein« – diese Worte einer Mutter aus dem Jahr 2010 haben leider nichts an Aktualität verloren. Wollten wir nicht eigentlich unseren Kindern vermitteln, dass Gewalt keine Lösung ist? Konflikten vermeintlich mit militärischer Gewalt zu lösen, widerspricht diesem Erziehungsgrundsatz.
Natürlich mögen sicherheitspolitische Fragestellungen, Katastrophenschutzübungen oder Erste-Hilfe-Kurse auch an Schulen sinnvoll sein. Aber all das können zivile Organisationen wie das Technische Hilfswerk, die Feuerwehr und auch speziell dafür ausgebildete Lehrkräfte leisten. Klassenzimmer und Schulhöfe müssen zivile Orte bleiben – Politische Bildung ist nicht Aufgabe des Militärs.
Nicole Gohlke ist Mitglied des Bundestages für die Partei Die Linke.