13. September 2021
1997 stieß die PDS mit einem Point-and-Click-Adventure in den vorpolitischen Weltraum vor. Dann verschwand sie spurlos.
»Das ist natürlich Propaganda.«
Im Jahr 1997 litt die Partei des Demokratischen Sozialismus, kurz PDS, nach sieben Jahren im parlamentarischen Wettbewerb noch immer an ihrem Image als politische Heimat der Ewiggestrigen. Im Bundestag war sie nur dank ihrer Direktmandate vertreten, die Fünfprozenthürde hingegen konnte sie bisher nicht überspringen. Für die anstehende Bundestagswahl hatte sich das Wahlkampfteam nun aber etwas Besonderes einfallen lassen: Warum nicht ein Computerspiel mit ihrer weit über Parteigrenzen beliebten Galionsfigur, Gregor Gysi? In Captain Gysi und das Raumschiff Bonn schlüpft dieser in einen blauen Spandex-Einteiler und stellt sich der schläfrigen Führungsriege der Bundesrepublik entgegen.
Damals waren in Deutschland Millionen arbeitslos, Kürzungen im Sozialbereich verschärften die Ungleichheit, der Klimawandel drängte auf rasche Antworten und die Wiedervereinigung hatte eine bewusste Zerschlagung industrieller Strukturen in Teilen Ostdeutschlands zur Folge. Getragen hatte das eine Koalition aus Union und FDP, die die Bundesrepublik seit fünfzehn Jahren regierte. Genauso lange war Helmut Kohl schon Commander des Kanzleramtes. Für die Bundestagswahl von 1998 setzte die Union erneut auf seine Anziehungskraft und hoffte, dass der bloße Machterhalt ausreichen würde, um die Herausforderungen der Zukunft zu meistern.
Die Gemeinsamkeiten mit der heutigen CDU liegen auf der Hand, verkauft sich Armin Laschet als Kanzlerkandidat der Union doch als Politiker, der das mit dem Klimawandel und den sozialen Spannungen schon irgendwie geregelt bekommen wird – über das Wie kann man sich ja nach der Wahl noch unterhalten. Die konservativ-liberale Politik des Problemverschleppens, mit der man in Deutschland bis heute Millionen zur Wahlurne bewegt, überlässt jedoch der Opposition großen Spielraum, einen Aufbruch zu markieren.
So positionierte sich die SPD Ende der 1990er Jahre mit ihrem Kanzlerkandidaten Gerhard Schröder als die neue Mitte, als eine frischere CDU, die mit neoliberalem Anstrich ins neue Jahrtausend ging. »Wir sind bereit« lautete einer ihrer Wahlkampfslogans. Links von ihr gab sich die SED einen neuen Namen und versuchte als PDS einen demokratischen Neustart.
In der personellen Aufstellung der Partei spiegelte sich das jedoch nicht wider. Viele ehemalige SEDler bestimmten ihre Reihen. Neue, junge Kräfte kamen in den Folgejahren kaum hinzu. 2007 würden 70 Prozent der Mitglieder das Rentenalter erreicht haben. Außerdem konnten sie sich mindestens bis zur Fusion mit der SPD-Abspaltung WASG zur heutigen Linkspartei im gleichen Jahr nie glaubhaft vom langen Schatten der SED-Nachfolge lösen. Auf die Sparpolitik der regierenden Parteien antwortete die PDS der 1990er häufig nur mit populistischen Parolen. Während sie damit im Osten eine Weile punkten konnte, war die einstige Staatspartei bundesweit eine krasse Außenseiterin.
»Es wurde ja immer schlimmer. Die SED-PDS ging von 16,4 Prozent bei der Volkskammerwahl der DDR bis auf 2,4 Prozent bei der Bundestagswahl 1990 runter. Wir hatten überhaupt keine Chance, wieder hochzukommen«, erinnert sich der damalige Wahlkampfleiter André Brie. Sein Team und er entschieden sich deshalb für einen ganz auf Opposition ausgerichteten Wahlkampf. Gysi zeigte in Wahlwerbespots den anderen Parteien den Stinkefinger und sagte in die Kamera: »Ich finde, sie haben uns verdient.«
1994 ging die PDS mit einer Coverversion von König von Deutschland in den Wahlkampf – der vier Jahre zuvor in die Partei eingetretene Rio Reiser hatte die Nutzung genehmigt. 1997 protestierte Gysi gegen den geplanten Abriss des Berliner Palastes der Republik. Er stieg mithilfe einer Hebebühne auf das Dach des Gebäudes und entrollte ein Transparent. Die Feuerwehr musste ihn herunterholen. »Wir wollten die Leute überraschen, kreativ sein, mutig sein. Einfach was Neues machen«, sagt Brie.
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