08. April 2021
Volkspartei der Mitte – so präsentiert sich die CDU am liebsten. Routinemäßig beteuert sie eine klare Distanzierung zu rechten Kräften wie der AfD. Tatsächlich hat die CDU der AfD den Weg geebnet. Und profitiert davon.
Die Distanzierung nach rechts ist ein Lippenbekenntnis, das zeigt nicht zuletzt auch die Kandidatur von Hans-Georg Maaßen für den Bundestag.
Es darf rechts von der CDU/CSU keine demokratisch legitimierte Partei geben«, so hat es Franz Josef Strauß, Urvater und Leitfigur der CSU, gewollt. Dass mit der AfD dennoch eine solche Partei auf Bundesebene im Parlament vertreten ist, ist auch der Union selbst anzulasten.
Alexander Gauland, Jens Kestner, Tino Chrupalla, Stephan Brandner, Albrecht Glaser oder Martin Hohmann – die Liste der AfD-Funktionäre mit Unionsvergangenheit ist lang. Wie nah sich die beiden Parteien personell und ideell stehen, verrät ein Blick auf die politischen Werdegänge dieser AfD-Funktionäre. Und auch die Wählerwanderung im Wahljahr 2017 macht dies deutlich. Über eine Million vormalige CDU-Wählerinnen und -Wähler setzten damals ihr Kreuz bei der Alternative für Deutschland. Und jetzt versucht der prominente AfD-Sympathisant und frühere Chef des Verfassungsschutzes Hans-Georg Maaßen auch noch für die CDU-Thüringen in den Bundestag einzuziehen.
Trotz aller Überschneidungen bemüht sich die Bundestagsfraktion der Christdemokraten aber weiterhin, die rechte Flanke dichtzuhalten. Das gelingt ihr mehr schlecht als recht – gerade im Osten, wo die AfD die stärkste Kraft zu werden droht. Ein Dilemma: Denn die Union selbst hat der AfD über Jahrzehnte nicht nur personell, sondern auch rhetorisch den Weg geebnet. Die AfD ist ein Frankenstein-artiges Gebilde, geschaffen aus den Auswürfen der Christdemokratie.
Eine Politik der Empörung mit traditionellen rassistischen Feindbildern zu verbinden, kann eine gewinnbringende Wahlkampfstrategie sein. Diese Erkenntnis ist keineswegs neu. Schon seit Jahrzehnten gehört sie zum Repertoire der Union. Man mag entgegen, es sei dennoch der AfD anzulasten, dass rechte Ressentiments in neuer Härte im politischen Diskurs sichtbar geworden wären – dass die AfD den Diskurs »verroht« habe. Doch wer einmal in die Rhetorik der CDU der 1990er Jahre reingehört hat, wird eines Besseren belehrt.
Lange bevor Alexander Gauland und Beatrix von Storch gegen »Scheinasylanten« hetzten, nutzte die Union den Begriff in der Debatte um die Asylgesetzgebung im Jahr 1993. Schon damals unterschieden Unionspolitiker zwischen »echten und unechten Asylanten« und warnten davor, dass »Fehlasylanten« die Amtsstuben und Herzen der Bürger »verstopfen« würden. Die zentrale Forderung der Union war damals die Aussetzung der finanziellen Unterstützung für Asylsuchende. Sachwerte oder Gutscheine sollten die Zahlung von Geldbeträgen ersetzen – eine Forderung, die 22 Jahre später von Alexander Gauland wieder aufgegriffen wurde.
Der Christdemokrat Wolfgang Ehlers begründete die rassistischen Pogrome, die sich 1992 in Rostock-Lichtenhagen ereigneten, mit dem Missbrauch des Asylrechts durch die Schutzsuchenden. Der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber warnte vor der Gefahr einer »durchrassten Gesellschaft«, während sein Parteikollege Heinrich Lummer Deutschland von »Überfremdung« und »Landnahme« bedroht sah. Alfred Dregger – mittlerweile eine Kultfigur der AfD – sehnte sich nach »nationaler Rehabilitation« und forderte damit ganz offen eine Relativierung der NS-Verbrechen. Die Liste solcher Beispiele ist lang – und sie ist hässlich.
Der Blick in die Vergangenheit zeigt, dass die »Grenzen des Sagbaren« bereits verschoben wurden, lange bevor die AfD 2017 ihren Einzug ins Parlament feierte. Die Jahre des NSU-Terrors und die rechtsextremen Anschläge von Hanau, Halle, Berlin-Neukölln, Mölln, Solingen oder Rostock-Lichtenhagen bilden eine Kontinuität, die stets politisch begleitet, ja befeuert wurde.
Ganz abgesehen davon, dass das Bild eines plötzlichen Rechtsrucks in den letzten Jahren eine kollektive bundesdeutsche Verdrängung der massiven rassistischen Gewaltexzesse der 1990er bedeutet, lässt sich ein solcher Ruck auch empirisch nicht belegen. Zwar zeigen die Zahlen, dass rechtsextreme und rassistische Gewalttaten nach 2014 zugenommen haben. Doch die Empfänglichkeit für rechtsextreme Positionen innerhalb der Bevölkerung ist in den letzten zwanzig Jahren konstant geblieben. Die Wählerschaft für eine rechtsextreme Partei wie die AfD war also schon vorher vorhanden. Wie auch der Sozialwissenschaftler Floris Biskamp betont, lässt sich ein plötzlicher »Rechtsruck« seit Entstehung der AfD nicht nachweisen.
Derweil lässt sich die CDU nicht davon abhalten, weiterhin mit Ressentiments Wahlkampf zu machen. Ihre jüngste Obsession: »kriminelle Clans«. Im Jahr 2020 bekundete Friedrich Merz bei einer Pressekonferenz, die beste Antwort gegen Rechtsradikalismus in Deutschland bestehe in einer verstärkten Thematisierung der Clankriminalität und härteren Grenzkontrollen. Die Message ist eindeutig: Wer trägt die Schuld an der Radikalisierung der Rechten? Die Ausländer.
Auch auf dem letzten Parteitag der CDU ließen sowohl Armin Laschet als auch Friedrich Merz verlauten, dass kriminelle Großfamilien eine der größten Bedrohungen für die Innere Sicherheit darstellen. Zum Vergleich: die Clankriminalität macht im Bereich des organisierten Verbrechens gerade einmal 7,8 Prozent der Ermittlungsverfahren aus. Das hält die CDU allerdings nicht davon ab, »kriminelle Großfamilien« öffentlichkeitswirksam zu skandalisieren.
So inszenierte die Berliner CDU auf der migrantisch geprägten Herrmannstraße die Abschleppung eines gelben Lamborghinis, samt Fake-Einschusslöchern. Der Slogan dazu lautete: »Kriminelle Clans gehören auf Netflix, nicht auf Berlins Straßen«. Mit harter Hand und erhöhter Polizeipräsenz soll gegen eben jene Clans und »rechtsfreie Räume« vorgegangen werden. Verstärkte Polizeikontrollen vor Shisha-Bars und eine Ausweitung verdachtsunabhängiger Kontrollen sind die Folge. Gleichzeitig spielt diese Law-and-Order-Politik der rechten Erzählung vom »inneren Feind« in die Hände.
Auf Bundesebene betont die Union immer wieder, eine Zusammenarbeit mit der AfD kategorisch auszuschließen. Das Kooperationsverbot hat es sogar in die Parteistatuten geschafft. Eine »Brandmauer nach rechts« wollte man errichten. Angesichts der zahlreichen Annäherungen an die AfD ist dieses Bekenntnis jedoch alles andere als glaubwürdig. 2019 sprachen sich in Thüringen 17 Mitglieder der CDU-Landtagsfraktion für eine Zusammenarbeit mit der AfD aus. CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak bekundete daraufhin, er würde seine Parteikollegen in die Schranken weisen – zumindest verbal. »Jegliche Form der Zusammenarbeit – nicht nur Koalitionen, sondern jegliche Form, auch irgendwelche Stimmen oder wie auch immer von der AfD – ist für uns nicht akzeptabel«, so Ziemiak im November 2019. Drei Monate später wählte die Thüringer CDU im Februar 2020 bei der Landtagswahl den FDP-Abgeordneten Thomas Kemmerich, mithilfe von Stimmen der AfD, kurzzeitig zum Ministerpräsidenten. Hans-Georg Maaßen gratulierte mit den Worten: »Hauptsache die Sozialisten sind weg.« Die Brandmauer ist spätestens an dieser Stelle öffentlich gefallen – wenn es bei der CDU denn überhaupt eine solche gibt, dann steht sie links.
Dass die Thüringer CDU nach der Regierungskrise nicht mit ihrem rechtsgerichteten Kurs gebrochen hat und ihr die Nähe zur AfD am Ende alles andere als ein Dorn im Auge ist, verdeutlicht gegenwärtig auch die Personalie Maaßen, denn der ausgewiesene AfD-Sympathisant soll für die CDU-Thüringen in den Bundestag einziehen. Sollte ihm das gelingen, wäre dies ein weiteres Zugeständnis seitens der Union an die Gemeinsamkeiten der beiden Parteien.
Aber nicht nur an dem prominenten Beispiel der Kooperation in Thüringen lässt sich erkennen, dass die Ansage von CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak, die AfD sei nicht Partner, sondern Gegner seiner Partei, verpufft ist. Mit seinem Appell hatte sich Ziemiak gegen die offene Annäherung an die AfD gewandt, die zwei Unionspolitiker des Sachsen-Anhalter Landtags formuliert hatten. Ulrich Thomas und Lars-Jörn Zimmer, damals beide Vizechefs der CDU-Fraktion in Sachsen-Anhalt, hatten sich 2019 in einem Strategiepapier für eine Koalition mit der AfD ausgesprochen und offen dafür plädiert, »das Soziale mit dem Nationalen zu versöhnen«. Diesem Zwischenfall ging eine weitere Annäherung voraus. 2017 hatte die AfD im Landtag von Sachsen-Anhalt einen Antrag auf eine Enquete-Kommission zur Bekämpfung linksextremistischer Strukturen vorgelegt. Der Antrag ging durch, auch weil weite Teile der CDU dafür stimmten. Die Kommission wurde mittlerweile für verfassungswidrig erklärt und aufgelöst.
Aber auch auf kommunaler Ebene wurde mit der AfD angebandelt: Bereits 2019 kam es laut Recherchen des SWR in 19 Lokalparlamenten zu Kooperationen zwischen CDU und AfD. Ein aktuelles Beispiel findet sich im Stadtrat der sächsischen Ortschaft Plauen. Hier stimmten CDU, AfD und der rechtsextreme Dritte Weg geschlossen gegen einen Zuschuss für das örtliche Bündnis für Toleranz, Demokratie und Zivilcourage.
Wer von CDU und AfD spricht, darf von der Werteunion nicht schweigen. Die informelle Gruppierung besteht aus jenen Unionspolitikern, denen die sogenannte »Merkel-Union« seit der Migrationsdebatte von 2014/15 zu weit nach links abgedriftet ist. Ziel der Gruppe war und ist es, Druck auf die Bundespartei auszuüben, um den vermeintlichen »Linksdrall« aufzuhalten. Bei der Werteunion versucht man gar nicht erst, die Nähe zur AfD zu leugnen. Einige Mitglieder ihres Bundesvorstands, wie Alexander Mitsch, machten mit Parteispenden an die AfD auf sich aufmerksam. Andere, wie Klaus-Dieter Kurt, haben selbst eine Vergangenheit in der Partei.
Diese Beispiele zeigen, wie sehr die vermeintlich klare Abgrenzung zur AfD längst aufgeweicht und die Anschlussfähigkeit der Partei an die CDU alles andere als ausgeschlossen ist. Die CDU mag auf Bundesebene eine Distanzierung beteuern, die Tatsachen in einzelnen Landesverbänden sprechen aber eine andere Sprache.
Der Einzug der AfD in Bundestag und Landtage hatte zweierlei Folgen für die Christdemokraten. Einerseits konkurrieren die beiden Parteien der rechten Sphäre des deutschen Parteienspektrums nun offensichtlich um Wählerstimmen. Bei der Betrachtung der Wählerwanderung hin zur AfD im Zuge der Bundestagswahl 2017 zeigt sich, dass die ehemaligen Unionswählerinnen und -wähler den größten Anteil aller Zuströme anderer Parteien ausmachten. Dass es der AfD gelungen ist, dieses bestehende politische Potenzial zu mobilisieren und Wähler am rechten Rand der CDU abzugreifen, sagt wahrscheinlich mehr über die sinkenden Bindungskräfte der Union als über einen ruckartigen Schwenk nach rechts in der Bevölkerung.
Doch die Geister die sie rief, haben der Union nicht nur geschadet, sondern ihr auch eine Reihe neuer Freiheiten verschafft. So sorgt die Existenz einer Partei rechts der Union auch für einen wachsenden Handlungsspielraum bei CDU und CSU. Zum einen können die Konservativen ungestört rechte Narrative aufgreifen, ohne dabei Gefahr zu laufen, ihr Wählerklientel zu verprellen. Dank der formalen Abgrenzung zur AfD müssen die Unionspolitikerinnen und -politiker keine Angst haben, als rechte Meinungsmacher abgekanzelt zu werden. Das Trugbild der »Partei der bürgerlichen Mitte« wirkt umso überzeugender, solange sich die Union zumindest verbal von der AfD distanziert.
Der Höhenflug der AfD mag mittlerweile beendet sein und die »rechtskonservative Fassade« der Partei ist spätestens mit ihrer Überwachung durch den Verfassungsschutz endgültig gerissen. Die Wahlflaute bei den vergangenen Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz lassen sich damit allerdings nicht erklären, auch wenn die Partei die Einstufung als rechtsextremen Verdachtsfall nun darstellt, als handele es sich dabei um eine Art Schmierkampagne, die ihre bürgerlichen Wählerinnen und Wähler abschrecken würde. Die Wahlergebnisse zeigen vielmehr, dass die Partei eine Stammwählerschaft gefunden hat, die auch dann noch hinter ihr steht, wenn ihr Steckenpferd – die Migrationspolitik – kein zentrales Wahlkampfthema ist.
Auch wenn die Union der AfD den Weg bereitet hat und selbst seit Jahrzehnten Benzin ins Feuer von Rassismus und Nationalchauvinismus gießt, sollte man nicht den Fehler begehen, in der AfD nichts weiter als eine rechtsnationale CDU-Truppe zu sehen. Die Alternative für Deutschland ist eine völkische, antidemokratische und rechtsextreme Partei. Über die CDU lässt sich das nicht sagen. Doch an den Rändern reicht man sich die Hand. Hier tun sich partielle Gemeinsamkeiten auf, derer sich die Akteure beider Parteien bewusst sind – und die sie sich zunutze machen.
Im Gegensatz zum Frankensteinschen Monster stellt die AfD für die Christdemokraten keine reelle Gefahr dar. Und so geht die Geschichte für die Union wohl glimpflicher aus als für Viktor Frankenstein und seine ungeheuerliche Schöpfung. Die AfD sichert der Union immer wieder konservative Mehrheiten und bestärkt das Trugbild, die CDU sei eine solide in der politischen Mitte verankerte Partei, während sie in Wirklichkeit personell wie ideell nach rechts durchlässig ist.
Dieses Bild hält sich so hartnäckig, dass sich inzwischen die öffentliche Wahrnehmung etabliert hat, die CDU hätte unter Merkel eine vermeintlich linksliberale, sozialdemokratische Wende vollzogen. Die Gefahr, dass diese Fehleinschätzung eine tatsächliche Verschiebung nach rechts verschleiert, ist nicht zu unterschätzen – der potenzielle Einzug von einem Hardliner wie Hans-Georg Maaßen in den Bundestag könnte einem solchen Rechtskurs die Tür öffnen. Maaßens Versprechen, sich für eine »bürgerliche Politik« einzusetzen, ist dabei keine Chiffre für einen erneuerten Konservatismus, sondern ein klares Bekenntnis zu jenen Kräften innerhalb CDU, die sich öffentlich oder hinter vorgehaltener Hand auf eine Zukunft mit der AfD vorbereiten und ganz pragmatisch mit der Gründung eines rechtskonservativen Blockes liebäugeln. Die CDU ist nach rechts offen – damals wie heute – und die Worte der Distanzierung sind leere Phrasen, die das Bild der »Partei der Mitte« aufrechterhalten sollen. Zeit, damit aufzuräumen.
Astrid Zimmermann ist Managing Editor bei JACOBIN.