01. Juli 2024
Union und FDP übernehmen gerade die AfD-Forderung, ukrainischen Geflüchteten das Bürgergeld zu streichen. Das sei im Interesse des »deutschen Steuerzahlers«. Tatsächlich nützt das nur den Unternehmen.
Wer keinen Job hat, soll zurückgeschickt werden, fordert CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt, Berlin, 06. Juni 2024.
IMAGO / dts NachrichtenagenturIn der Politik wird gerade parteiübergreifend die Anschuldigung erhoben, das Bürgergeld halte ukrainische Geflüchtete vom Arbeiten ab. Die Forderung, ihnen die Grundsicherung zu streichen, ist, wie man vermuten mag, auf dem Mist der AfD gewachsen. Die hetzt schon lange gegen die »Vollversorgung« von vermeintlich faulen ukrainischen Kriegsflüchtlingen. AfD-Chef Tino Chrupalla hat bereits letztes Jahr moniert, dass die Kosten für das Bürgergeld explodieren würden. Das sei den »deutschen Steuerzahlern« nicht länger zuzumuten, weshalb die AfD den ukrainischen Geflüchteten das Bürgergeld verwehren will.
»Hier wird von rechts gefordert: Wer nicht in den Schützengraben will, soll gefälligst in Deutschland Klos schrubben.«
Nun sind auch die Unionsparteien auf den Zug aufgesprungen. Vergangene Woche schlug der Vorsitzende der CSU im Bundestag Alexander Dobrindt vor, arbeitsunwillige ukrainische Kriegsflüchtlinge zurück in ihre Heimat zu schicken. Dieser Vorstoß hat zwar auch in den Reihen der Union für Querelen gesorgt, doch Dobrindt ist mit dieser Forderung nicht alleine. Die Junge Union hat vergangenen Mittwoch noch eins draufgesetzt und gefordert, wehrpflichtigen ukrainischen Männern das Schutzrecht komplett zu entziehen. In der Konsequenz würden sie keinerlei staatliche Unterstützung erhalten. Und auch Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen (CDU) behauptete zuvor, die Bürgergeldzahlungen seien falsch und man dürfe »Fahnenflüchtige« in Deutschland nicht länger »alimentieren«. Stübgen verweist in diesem Zusammenhang auf die niedrige Beschäftigungsrate ukrainischer Geflüchteter, was ihn zu der Behauptung verleitet, das Bürgergeld sei ein »Bremsschuh« bei der Arbeitsaufnahme.
Beim BSW argumentiert man ganz ähnlich. Parteichefin Sahra Wagenknecht befindet es als skandalös, dass deutsche Unternehmen händeringend Arbeitskräfte suchen, während nur 21 Prozent aller ukrainischen Geflüchteten in Arbeit sind. Und die Liberalen sind sich offensichtlich nicht zu schade, der Opposition von rechts den Gefallen zu tun, ihre Forderung direkt in die Regierung zu tragen: Auch Bijan Djir-Sarai möchte künftigen ukrainischen Geflüchteten kein Bürgergeld mehr zahlen. Es sei nicht länger akzeptabel, mit dem Geld der Steuerzahler Arbeitslosigkeit zu finanzieren, so der FDP-Generalsekretär.
Dass diese Ausfälle unmenschlich sind, ist unbenommen. Was jedoch aus dem Blickfeld gerät, ist, wie unverfroren hier im Interesse des deutschen Unternehmertums nach ganz unten getreten wird. Denn die Unionsparteien, BSW, FDP und AfD sind sich nicht nur in der rassistischen Stimmungsmache einig, sondern auch in ihrer Parteinahme für deutsche Kapitalinteressen.
Wenn gefordert wird, man müsse »Arbeitsanreize« schaffen, damit ukrainische Geflüchtete nicht länger »unsere« Sozialkassen plündern, dann wird nur dem Anschein nach im Interesse der breiten Gesellschaft argumentiert. Im Klartext wird hier gefordert: Diese Menschen sollen so weit verelenden, dass sie sich widerstandslos in den deutschen Niedriglohnsektor drängen lassen. Wenn mehr ukrainische Kriegsflüchtlinge aus Angst, dass man ihnen die Grundsicherung streicht, bereit sind, jeden noch so miserablen Drecksjob anzunehmen, dann bringt das der breiten Bevölkerung erst einmal gar nichts – der Kapitalseite aber umso mehr. Schließlich ist man dort laufend auf der Suche nach Menschen, die man in den untersten Lohngruppen verschleißen kann.
Es geht also darum, ukrainische Geflüchtete ins Niedriglohnsegment zu treiben, und ein Blick in Länder mit hoher Arbeitsintegration zeigt, dass sie auch genau dort landen: »In keinem europäischen Land ist es bisher gelungen, die gute Ausbildung der Ukrainer*innen in größerem Maße fruchtbar zu machen. Sie arbeiten überwiegend in eher gering bezahlten Berufen, in Hotels und Gaststätten, bei einfachen Dienstleistungen, in der Landwirtschaft, bei Zeitarbeitsfirmen«, so der Soziologe Dietrich Tränhardt. Es ist im Übrigen auch längst widerlegt, dass die im europäischen Vergleich höheren Sozialleistungen, die ukrainische Geflüchtete in Deutschland beziehen, eine Art Magnetwirkung hätten. Denn in Relation zur Bevölkerung nehmen Länder wie die Tschechische Republik, Estland, Lettland, Litauen und Bulgarien – alles Staaten, die direkt an die Ukraine angrenzen – mehr ukrainische Geflüchtete auf als Deutschland. Die Sozialleistungen und das Lohnniveau in diesen Ländern sind deutlich geringer. Das zeigt einmal mehr, dass das Argument der Pull-Faktoren keiner seriösen Analyse standhält.
Woher der Wind tatsächlich weht, offenbart ein Blick auf die Arbeitslosenzahlen. Mit 5,8 Prozent ist die Quote in Deutschland vergleichsweise niedrig. Weniger Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt ist selbstredend erst einmal vorteilhaft für die Verhandlungsposition all jener, die Arbeit suchen. Damit diese keine zu hohen Ansprüche stellen und etwa angemessene Bedingungen und Löhne einfordern, müssen die Daumenschrauben angezogen werden. Und genau das hat man auch getan. Zunächst wurden die Sanktionen beim Bürgergeld verschärft – so kann das Jobcenter etwa seit März dieses Jahres das Bürgergeld komplett verwehren, wenn sich Menschen weigern, einen »zumutbaren« Job anzunehmen. Und nun sind ukrainische Kriegsflüchtlinge an der Reihe, die sich im untersten Lohnsegment abplacken sollen.
Inzwischen hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass die unzureichende Kinderbetreuung ein wesentlich entscheidenderer Faktor ist als vermeintliche Arbeitsscheu. 65 Prozent der ukrainischen Geflüchteten sind Frauen, viele davon alleinerziehend, andere wiederum kümmern sich um pflegebedürftige Angehörige. Ihnen fehlt ein Betreuungsangebot für ihre Kinder, was die Arbeitsaufnahme logischerweise erschwert. Wenn man dann noch diejenigen berücksichtigt, die sich noch im Spracherwerb befinden, und die erst einmal so gut Deutsch lernen wollen, dass sie eine ihrer Qualifikation entsprechende Anstellung finden können und nicht Spargel stechen müssen, bleiben nicht mehr viele übrig, die arbeiten können und es nicht tun.
»Man versucht nun Menschen, die vor einem Krieg fliehen, die Arbeit aufzuzwingen, die hierzulande keiner machen will.«
Aber um die Frage, wie Menschen eine Arbeit finden, die ihren Fähigkeiten entspricht, geht es der AfD und denjenigen Parteien, die sich von ihr hertreiben lassen, nicht. FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai sagte ganz unverhohlen, dass sich der Arbeitskräftemangel hierzulande besonders »auf dem Bau, in der Pflege und in der Gastronomie« manifestiert. In sämtlichen von ihm genannten Branchen grassieren Niedriglöhne, zudem sind die Arbeitsbedingungen oft miserabel. Gerade deswegen fehlen dort so viele Fachkräfte. Statt sich Gedanken darüber zu machen, wie man diese Jobs so gestalten könnte, dass sie den Beschäftigten wieder eine attraktive Perspektive bieten, versucht man nun Menschen, die vor einem Krieg fliehen, die Arbeit aufzuzwingen, die hierzulande keiner machen will. Was damit verfolgt wird, ist eine Verelendungsstrategie.
In Deutschland ist es bereits jetzt so, dass unter den ukrainischen Geflüchteten, die einen Job gefunden haben, jeder zweite weit unter seinem Qualifikationsniveau arbeitet und ein unterdurchschnittliches Gehalt bezieht. Nun wird seitens der Politik der Versuch unternommen, noch mehr von ihnen in perspektivlose Jobs im Niedriglohnsegment zu pressen.
Es ist vorprogrammiert, dass diese Politik, die eine ökonomische Ausgrenzung der Geflüchteten aktiv forciert, die rassistische Stimmung im Land verstärken wird. Das Ressentiment, wonach bestimmte Bevölkerungsgruppen qua ihrer kulturellen oder ethnischen Disposition nicht imstande seien, eine hochqualifizierte Arbeit zu übernehmen, erscheint durchaus plausibel, wenn man auf politischer Ebene dafür sorgt, dass Geflüchtete vor allem geringqualifizierte Jobs ausüben. Man verstärkt dadurch eine ökonomische Ausgrenzung, für die man die Betroffenen anschließend selbst verantwortlich macht.
Man muss noch einmal ausbuchstabieren, was hier von rechts gefordert wird: Wer nicht in den Schützengraben will, soll gefälligst in Deutschland Klos schrubben. Derweil wird der breiten Bevölkerung inzwischen vermehrt eine »Solidaritätsermüdung« attestiert. Treffender wäre es wohl, hier von Austeritätsermüdung zu sprechen: Wenn alles um einen herum auseinanderfällt, und sich die Regierung mit ihrem Festhalten an der Schuldenbremse selbst handlungsunfähig macht, braucht man sich nicht zu wundern, dass der National- und Sozialchauvinismus von Union, BSW, FDP und AfD auf fruchtbaren Boden fällt. Das Gerede von den Milliardensummen, die das Bürgergeld für Geflüchtete verschlingt, ist eine Nebelkerze. Die Kosten fallen im Grunde kaum ins Gewicht. Und die knappe Haushaltslage, die in diesem Zusammenhang immer wieder zitiert wird, ist nicht zuletzt auch ein künstlich geschaffenes Problem.
Die ukrainischen Geflüchteten sind keine Sozialtouristen, auch wenn Friedrich Merz oder Sahra Wagenknecht das gerne erzählen, sondern Opfer eines Krieges. Von einer »Bevorteilung« ukrainischer Geflüchteter zu sprechen, ist im Übrigen auch zumindest missverständlich. Es stimmt zwar, dass sie sich nicht auf Asyl bewerben müssen und direkt als schutzberechtigt gelten. Doch diese Vereinbarung wurde auch deshalb getroffen, weil man die Kommunen finanziell entlasten wollte. Die Kosten für die Grundsicherung trägt nämlich der Bund. Hinzu kommt, dass die zuständigen Ämter und Behörden ohnehin schon extrem überfordert sind, und unter dem plötzlichen Anstieg der Asylanträge nach Ausbruch des Krieges kollabiert wären. Eben diese Anträge wären ohnehin alle genehmigt worden, schließlich fliehen die Menschen vor einem Krieg. Der subsidiäre Schutzstatus, unter dem die ukrainischen Kriegsflüchtlinge derzeit stehen, hat den gesamten Prozess lediglich verkürzt.
Genau diesen Schutzstatus will die CDU ihnen jetzt streitig machen. Denn trotz der pflichtschuldig formulierten Kritik an Dobrindt und Co. ist sich die Unionsfraktion im Bundestag nicht zu schade, aktuell prüfen zu lassen, ob man ukrainischen Geflüchteten den Anspruch auf Grundsicherung streichen und ihnen einen neuen Status zwischen Asylbewerbern und Bürgergeldempfängerinnen zuweisen könnte. Klingt bürokratisch, bedeutet am Ende aber vor allem eins: eine Verringerung des Regelsatzes.
Die Art von Arbeitszwang und Sanktionierung, die derzeit in der Debatte um das Bürgergeld wieder auflebt, war charakteristisch für die Agenda-Jahre. Diese Politik hat dazu geführt, dass heute fast jeder Fünfte im Niedriglohnsektor arbeitet. Und wer dort einmal gelandet ist, bleibt in der Regel auch dort. Die Idee, dass diese Jobs ein Sprungbrett in eine bessere Zukunft bieten würden, ist eine realitätsferne Illusion. Denn gerade in diesen Beschäftigungsfeldern ist die Lohnmobilität besonders starr. Die Menschen stecken in der Niedriglohnfalle fest.
Es bringt nichts, Menschen um jeden Preis in Arbeit zu bringen, wenn man ihnen gleichzeitig die Perspektive nimmt. Wer in dieser Art der Arbeitsmarktregulierung allen Ernstes noch immer ein Erfolgsmodell vermutet, hat den Schuss nicht gehört. Parteien wie die FDP, die gerne deklarieren, Arbeit müsse sich wieder lohnen, sorgen selbst dafür, genau das zu verhindern. Die parteiübergreifende Kritik am Bürgergeld für Ukrainerinnen und Ukrainer zeigt vor allem eins: Man zieht gemeinsam an einem Strang, wenn es darum geht, Stimmung gegen Kriegsflüchtlinge zu machen. Und man betreibt eine Politik, die sich am meisten um das deutsche Unternehmertum und dessen Interessen sorgt, und eben nicht um die Belange der breiten Bevölkerung.
Astrid Zimmermann ist Managing Editor bei JACOBIN.