16. Januar 2021
Beim Parteitag der CDU hat sich Armin Laschet in der Stichwahl knapp gegen Friedrich Merz durchgesetzt. Damit ist der Weg für einen Übergang zu Schwarz-Grün frei geworden, die Zerreißprobe der Konservativen bleibt aber bestehen.
Knapper Ausgang bei der Wahl um den Parteivorsitz.
Der Knoten bei den Christdemokraten ist nach zehn Monaten nun endlich geplatzt: Die Merkel-Nachfolge ist durch den Sieg von Armin Laschet zum Parteivorsitzenden nun jedenfalls geschmeidiger geregelt, als es in der vergangenen Zeit den Anschein hatte. Zu knapp war das Rennen gewesen und die Spannungen vor dem digitalen Parteitag zu groß.
Erst in der Stichwahl konnte sich der Ministerpräsident Nordrhein-Westfalens gegen Friedrich Merz mit 521 zu 466 Stimmen durchsetzen. Vorangegangen war in der regulären Abstimmung ein Unterschied von nur fünf Stimmen. Für die Tragweite der Entscheidung – immerhin handelt es sich um die stärkste Partei in der Bundesrepublik, die seit 16 Jahren die Kanzlerin stellt – ist das denkbar knapp. Und es ist ein Ausdruck der Unentschiedenheit: Einerseits will man offenbar Merkels Nachfolge möglichst diskret organisieren, andererseits wünscht man sich Aufbruch.
Laschet ist dieser Spagat nun vorläufig gelungen. In seiner Rede betonte er mehrfach die »Mitte«, die es zu halten gelte. Auf keinen Fall sollten sich bei uns Szenen wie im Kapitol in Washington abspielen (die Reichstagsflaggen schwenkenden Querdenker vorm Bundestag hatte er dabei offensichtlich im Hinterkopf). Gegen den Populismus, so Laschet, helfe nur Vertrauen und Zusammenhalt – ganz so als müsste er sich und den Delegierten bescheinigen, dass nur eine geeinte Union regieren könne.
Als integrativer Charakter wird Laschet dabei in den nächsten Monaten vor allem eines tun: einer schwarz-grünen Koalition mit Führungsanspruch der CDU den Weg bereiten. Und er wird Markus Söders Kurs aufs Kanzleramt vorbereiten. Denn allen Fehlern während der Pandemie zum Trotz, hält sich der bei politischen und wirtschaftlichen Eliten wie auch bei der Bevölkerung beliebte Bayer als aussichtsreichster Kandidat für die Kanzlerschaft. Er verspricht, sowohl das Klima als »Jahrhundertfrage« anzugehen, als auch, wenn notwendig, den harten Macher zu geben. Bilder von Treffen mit ihm und Angela Merkel inszenierten ihn bereits als den Monarchen, den Staatsmann. Sein Vorbild: Kanzlerkandidat und harter, konservativer Hund Franz Josef Strauß.
Söder agierte bis heute klug und zurückhaltend, zeigte seinen Ehrgeiz nur verhalten. Doch es wird nicht mehr lang dauern, bis die CDU/CSU sich für einen Kanzlerkandidaten entscheiden muss, dafür ist die Bundestagswahl im September bereits zu nah. Der Bayer profitiert von der Schwäche der anderen und von der eigenen Wandlungsfähigkeit. Mittlerweile ist vorstellbar, dass er einen grün-bürgerlichen Block anführt. Die CDU wäre nicht die ausgesprochene Machtpartei, die sie heute ist, wenn sie sich nicht für den aussichtsreichen Kandidaten entscheiden würde. Armin Laschet ist dafür ein dankbarer, ja gemütlicher Diener der Partei. Er wird dafür sorgen, dass auch der eher soziale Arbeitnehmer-Flügel und die starke NRW-CDU den Kurs mittragen. Und auch der dritte Kandidat Norbert Röttgen bekräftigte bereits kurz nach der Niederlage, im Team mitzuarbeiten. Der Regierungsblock hat sich also formiert.
Die Schar der Unzufriedenen versammelte sich indes hinter dem ehemaligen Blackrock-Vorstand Merz, darunter Teile der Jungen Union, der unternehmernahen Mittelstandsunion und der Ost-Verbände. Nicht ganz zu Unrecht wetterte Merz vor Wochen noch gegen das »Partei-Establishment«, das den digitalen Parteitag beschloss, und damit seine Chancen verkleinerte. Denn Merz setzte auf jene stimmungsvolle Dynamik, die sich nicht vorm Laptop, sondern eher in einer Halle Bahn bricht, und die die Choreographen des Parteitages nicht unter Kontrolle würden kriegen können.
Genau dieses Establishment hat ihn nun ins Aus manövriert. Doch die Rechnung könnte nach hinten losgehen, da die Stiche gegen Merz zu offensichtlich waren. So wurde etwa der Team-Kandidat und Gesundheitsminister Jens Spahn »zufällig« in der Fragerunde ausgelost, und nutzte die Zeit für ein Plädoyer für sich selbst und Armin Laschet. Das quittierte der Parteitag zugleich mit dem schlechtesten Ergebnis für Jens Spahn bei der Wahl zum Parteivizevorsitzenden. Eine klare Bestätigung des Duos Laschet/Spahn sieht anders aus.
Eine weitere Fake-Frage war eine kritische Wortmeldung zu Merz’ Nähe zur Werte-Union, einer rechtslastigen und nicht-offiziellen Gruppierung, die der Tea-Party nicht ganz unähnlich ist. Merz, der auch antrat, die Stimmen der rechten AfD wieder zurückzuholen, tut sich mit einer Abgrenzung nach rechts natürlich schwer.
Während Trump diese Dynamik bei den Republikanern für sich zu nutzen wusste, wirkt Merz wie gefangen zwischen seiner marktliberalen Logik, dem Hardlinertum und seinem Beharren auf Anstand. Ihm fehlt schlicht das Irre, um die Krisendynamik der Konservativen so zu entfesseln, wie das Trump oder Boris Johnson tun konnten. Außerdem ist der Machtkern der CDU dafür offenbar noch zu stabil. Merz jedenfalls kündigte kurz nach seiner Niederlage an, Wirtschaftsminister werden zu wollen. Weg ist er damit also nicht.
Das knappe Rennen zwischen Laschet und Merz ist also kein Grund zum Aufatmen. Die Zerrissenheit der Partei zwischen bürgerlich-konservativem »Weiter so« und den Anforderungen eines Aufbruchs werden bleiben. Auch die Fliehkräfte in das bürgerliche-grüne und das rechte Lager könnten die Partei weiter auseinanderziehen. Nur ein starkes Ergebnis für Markus Söder könnte das in den letzten Jahren entstandene Machtvakuum füllen. Seit Angela Merkel 2018 ihren Rückzug nach der nächsten Wahl bekannt gegeben hat, befindet sich die Partei in diesem Zustand der Unentschlossenheit. In den nächsten Monaten wird es daher entscheidend sein, inwiefern es dem neuen Vorsitzenden und Söder gelingt, die auseinander driftenden Gruppen zu integrieren.
Außerdem hängt ihr Glück nicht zuletzt auch an den Grünen und ihrem Ergebnis. Denn auch sie formulieren einen Führungsanspruch und geben sich noch zurückhaltend. Eines nämlich wurde auf dem Parteitag deutlich: Ein großes Gespenst geht um bei der CDU, das Gespenst einer Mitte-links-Regierung. Es scheint die Christdemokraten so sehr zu fürchten, dass sie es in fast allen Reden mit dem Rechtsterror in diesem Land gleichsetzen. Friedrich Merz ließ sich sogar zu der Argumentation hinreißen, dass jede Stimme für die AfD eine halbe Stimme für Rot-Rot-Grün sei. Die Rhetorik ist gefährlich, sie zeigt aber auch, dass ein schwarz-grünes Bündnis noch nicht in trockenen Tüchern ist. An diesem Wochenende ist es trotz der irren Gespenstergeschichten und der peinlichen Inszenierung jedoch noch einmal sehr viel wahrscheinlicher geworden.
Ines Schwerdtner ist seit Oktober 2024 Bundesvorsitzende der Linkspartei. Von 2020 bis 2023 war sie Editor-in-Chief von JACOBIN und Host des Podcasts »Hyperpolitik«. Zusammen mit Lukas Scholle gab sie 2023 im Brumaire Verlag den Sammelband »Genug! Warum wir einen politischen Kurswechsel brauchen« heraus.