18. Dezember 2020
Christian Krähling war alles: ein militanter, radikaler, internationalistischer und selbstorganisierter Arbeiter. Nun ist er mit nur 43 Jahren am 10. Dezember gestorben. Der Arbeitskampf gegen Amazon verliert einen seiner leidenschaftlichsten Kämpfer.
Christian Krähling (links) beim Arbeitskampf gegen Amazon.
Googelt man »Amazon« und »Arbeitskampf«, stößt man früher oder später auf seinen Namen: beteiligt beim weltweit ersten Streik gegen das Unternehmen in Bad Hersfeld 2013, Amazon-Betriebsrat mit besten internationalen Verbindungen zu Kollegen weltweit, Vertrauensmensch bei ver.di, Kandidatur für die LINKE, Mitbegründer des selbstorganisierten Netzwerks »Amazon Workers International«. Christians wichtigstes Anliegen war zweifelsohne die Selbstorganisation der Arbeiterinnen und Arbeiter. Das zeigte sich etwa bei einer Kundgebung gegen Jeff Bezos in Berlin im April 2018, als die ver.di-Leitung die Rede der polnischen anarchosyndikalistischen Kolleginnen unterbinden wollte, Christian sie jedoch kurzerhand mit auf die Bühne nahm und seine Redezeit mit ihnen teilte. Er war omnipräsent, denn er redete mit allen, ohne je zu vergessen, wo er herkommt. Er ging mit Offenheit in jedes Gespräch. Für einige identitätspolitisch motivierte Genossinnen und Genossen wäre das ein Widerspruch gewesen, für Christian war es gesunder Pragmatismus, gelebte Dialektik für jemanden mit einem klaren Ziel vor Augen: der Kampf gegen Amazon und für eine gerechtere Welt.
Wir, die diesen Text schreiben, haben uns unter anderem mit der Beteiligung an Kampagnen wie »Make Amazon Pay« oder »Berlin vs. Amazon« einen doppelten Auftrag auf die Fahne geschrieben: Solidarität mit dem entschlossenen, richtungsweisenden Arbeitskampf in den Warenlagern des »schlimmsten Arbeitgebers der Welt« (Internationaler Gewerkschaftsbund) und die Politisierung des Prinzips Amazon, das von gesellschaftlicher Tragweite ist und uns potenziell alle betrifft. Diese zwei Säulen bedingen sich, aber manchmal war diese gegenseitige Bedingung schwer zu vermitteln – viele spezialisieren sich auf das Eine oder das Andere.
Wenn wir mit Christian zusammen sein durften, war das kein Problem, im Gegenteil: Er gab uns das Gefühl, dass wir es richtig angingen und dass wir uns gegenseitig brauchen. Bei einer Veranstaltung sagte er: »Amazon ist so ein Riese, da muss man auf mehreren Ebenen kämpfen. Wir brauchen den Streik im Betrieb und die Solidarität, und wir brauchen andere Aktionen mit anderen Schwerpunkten. Nur so können wir gewinnen«. Insbesondere der letzte Satz verdeutlicht, dass Christian fest an etwas glaubte, das viele Linke aufgegebenen haben: nämlich dass wir gewinnen können – auch gegen den vielleicht mächtigsten Gegner der Welt, dem Allesverkäufer und König der digitalen Welt.
Diese Haltung, diese Klarheit, die unerschrocken nach vorne orientiert war, zeichnete Christian für uns aus, und so wird er uns in Erinnerung bleiben. Ob beim strategischen Austausch, diskutierend bei Veranstaltungen, in Aktion auf der Straße oder beim gemeinsamen Bierchen – mit jeder Begegnung wurde uns bewusst, dass eine politische Praxis mit Genossen wie Christian nicht nur Spaß macht, sondern ein sinnvoller Weg ist, den die deutsche Linke mit ihrem nicht einfachen Verhältnis zur lokalen arbeitenden Klasse viel öfter und in viel größerem Maßstab beschreiten sollte. Er war eben nicht nur ein »Alibi-Arbeiter«, den sich eine viel zu akademisch-bürgerlich geprägte Linke wie eine Trophäe in die Vitrine stellt und bei Bedarf vorzeigt. Er war ein Genosse, der im 21. Jahrhundert unsichtbar gemachte Traditionen wie Streik, Arbeitskampf und Solidarität mit Leben füllte und ihnen ein Gesicht gab. Viele schreiben heute über die neue Klassenpolitik, Christian hat sie gelebt und den Kampf geliebt.
Christian war einer von uns. Ob in Exarchia in Athen, früh morgens am Ende einer langen Festivalnacht (wo wir niemanden mehr wach bekamen, um in die Wohnung zu kommen), beim Kennenlerntreffen mit Kolleginnen und Kollegen oder als wir alle gemeinsam gegen den Axel-Springer-Preis an Jeff Bezos demonstrierten. Der Kampf gegen Amazon und für eine gerechtere Welt drückte sich auch in diesen kleinen, scheinbar alltäglichen, »unpolitischen«, aber letztendlich besonderen Momenten aus. Das stand und steht jetzt mehr denn je fest. Denn an diesen Tagen und Abenden erhielt der gemeinsame Kampf deutliche Konturen. Verliehen durch Christian und durch unser Zusammensein. Wir alle wollten Amazon angreifen. Aber er prägte darüber hinaus etwas viel Wichtigeres: nämlich gelebte Solidarität und das Ziel, die Gesellschaft zu verändern.
Seit wir Christian begegnet sind, glauben wir, dass wir den Tag, an dem Jeff Bezos und sein Imperium in die Knie gezwungen werden, vielleicht wirklich doch noch erleben – und dass wir gewinnen. Es ist unendlich traurig, dass Christian an diesem Tag nicht unter uns sein wird. Doch Christian lebt in unseren Herzen weiter.
John Malamatinas und Hamid Mohseni leben und arbeiten in Berlin, sind in verschiedenen linken Initiativen aktiv und haben unter anderem die Kampagne »Make Amazon Pay« mitbegründet.