17. Februar 2023
Steuern runter für Reiche, Steuern rauf für Arme – und wer braucht schon Kindergrundsicherung, denkt sich Christian Lindner.
Christian Lindner tut das, was er immer tut: Klassenkampf von oben.
IMAGO / SEPA.MediaDie FDP ist nach wie vor ein neoliberaler Haufen, der sich vor allem um die oberen paar Prozent sorgt. Die restliche Bevölkerung ist dieser Partei fast völlig egal, das zeigen jüngste Äußerungen des Finanzministers Christian Lindner über die Eckpunkte des Bundeshaushalts. Dazu kommt eine in Briefform ausgetragene Auseinandersetzung mit Wirtschaftsminister Robert Habeck. In beiden Fällen lässt Lindner tief blicken in das kalte Herz der FDP.
Lindner blockiert weiterhin Steuererhöhungen und neue Schulden – soweit nichts Neues. Diese Themen sind für die FDP tabu, wie der Parteivorsitzende zu betonen nicht müde wird. Was für die FDP hingegen nicht tabu ist: die Mehrwertsteuer zu erhöhen und zugleich die Körperschaftssteuer zu senken, was eine Umverteilung von unten nach oben bedeutet.
Die Forderungen werden als Antwort auf den US-amerikanischen Inflation Reduction Act vorgebracht, der massive Investitionen vorsieht. Eigentlich läge es nahe, dem zu begegnen, indem man in Deutschland ebenfalls eine öffentliche Investitionsoffensive angeht. Lindner lehnt dies aber strikt ab. Er will an der Schuldenbremse festhalten und setzt stattdessen auf eine Angebotspolitik durch Steuersenkungen. Die Erhöhung der Mehrwertsteuer und die Senkung der Körperschaftsteuer sind die perfekten Zutaten für eine weitere neoliberale Wende.
Lindners Sparpolitik erhält im Endeffekt Kinderarmut. Familienministerin Lisa Paus von den Grünen fordert 11 Milliarden Euro jährlich aus dem Bundeshaushalt für die Kindergrundsicherung. 11 Milliarden Euro dafür, Kinder vor Armut zu schützen. Denn in Deutschland lebt statistisch jedes fünfte Kind in Armut. Zur Erinnerung: Deutschland ist die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt.
Als Argument schiebt Lindner die im Koalitionsvertrag festgelegte Schuldenbremse vor. Diese ließe sich natürlich leicht umgehen, wie das Sondervermögen für die Bundeswehr gezeigt hat. Aber für arme Kinder möchte die FDP keine Ausnahme machen. Damit zeigt diese Partei, was sie priorisiert und was nicht: Die Beseitigung von Kinderarmut ist jedenfalls keine Priorität, obwohl auch die Grundsicherung im Koalitionsvertrag festgeschrieben ist.
Um die finanziellen Spielräume des Staates auszuweiten, gibt es vor allem zwei große Stellschrauben. Das sind zum einen die Schulden und zum anderen die Steuern. Mit beiden Variablen können bis zu dreistellige Milliardensummen mobilisiert werden. In Zeiten hoher Preissteigerungen ist es nicht ratsam, diesen Spielraum komplett auszureizen. Zuzugestehen, dass überhaupt welcher vorhanden ist, wäre aber die Grundlage, um zukunftsgerichtete Politik machen zu können. Denn sonst wird jeder Fortschritt wie die Kindergrundsicherung im Keim erstickt.
Um ansatzweisen Fortschritt zu ermöglichen, hat Robert Habeck also einen Brief an Christian Lindner geschrieben. Darin zeigt er sich mit den Budgets der grün geführten Ministerien unzufrieden und fordert: »Wir schlagen vor, darüber zu beraten, wie wir Einnahmen verbessern, den Abbau umweltschädlicher Subventionen vorantreiben sowie Programme identifizieren können, die durch Ordnungsrecht ersetzt werden können.«
In der öffentlichen Debatte wird Habecks Aussage darauf reduziert, dass er die Einnahmen steigern will. Dafür gäbe es eine ganze Reihe von Möglichkeiten: allen voran eine ambitionierte Übergewinnsteuer, eine harte Vermögensabgabe, eine neue Besteuerung von Kapitalerträgen und eine progressive Einkommensteuer. Das wären sinnvolle Maßnahmen, die riesige finanzielle Spielräume ergeben würden. Doch sie sind Wunschdenken, denn auch Habeck möchte keine echte Umverteilung.
Er ist dafür verantwortlich, dass Dutzende Milliarden Euro von Stromübergewinnen nicht abgeschöpft werden. Außerdem hat sich Habeck im letzten Wahlkampf gegen eine Vermögensabgabe positioniert. Doch es wäre auch eine linksliberal abgeschwächte Umstrukturierung möglich. Nämlich könnte man Lücken bei der Erbschaftsteuer schließen, einen »Energiesoli« einführen (wie es auch die Wirtschaftsweisen gefordert haben) oder klimaschädliche Subventionen streichen. Das würde schon ausreichen, um Kinder konsequent vor Armut zu schützen. All das scheint mit der FDP aber unmachbar.
Es ist das Eine, Steuersenkungen für Reiche zu fordern. Aber gleichzeitig Steuererhöhungen für Arme zu fordern, ist schon ein starkes Stück. Man muss sich auf der Zunge zergehen lassen, was die FDP in ihrem neuen Papier vorschlägt: »höhere indirekte Steuern, weniger Ausnahmen vom normalen Mehrwertsteuersatz und einen Abbau fragwürdiger Steuerermäßigungen«. Bedeutet übersetzt: Gewisse Produkte sollen teurer werden.
Das trifft in den meisten Fällen vor allem die Ärmsten, denn sie zahlen gemessen an ihrem Einkommen vor allem Mehrwertsteuer. Die Reichsten zahlen dagegen im Verhältnis kaum Mehrwertsteuer. Wenn jetzt indirekte Steuern wie die Mehrwertsteuer erhöht werden, gehen die Preise noch weiter hoch. Und das in Zeiten, in denen viele Menschen sowieso schon schwer über die Runden kommen. Das ist nichts weniger als Klassenkampf von oben.
Vor allem die Forderung nach weniger Ausnahmen vom normalen Mehrwertsteuersatz hat es in sich. Damit könnten Ausnahmen für Hotelübernachtungen gemeint sein, die die FDP selbst »im Gegenzug« für Parteispenden für Hotelkette Mövenpick durchgesetzt hat. Es könnte aber auch Lebensmittel treffen. Letzteres wäre fatal, da gerade der tägliche Bedarf ein riesiger Kostenblock für die Menschen ist, bei dem sie derzeit unter einer ermäßigten Mehrwertsteuer entlastet werden. Dass die FDP genau darauf abzielt, ist ihr zuzutrauen. Immerhin forderte kürzlich auch Lindners neoliberaler Chefökonom Lars Feld, die Mehrwertsteuer auf Lebensmittel zu erhöhen. Richtig wäre es im Gegenteil, sie abzuschaffen.
Die aus der Mehrwertsteuererhöhung resultierenden Steuermehreinnahmen möchten die Liberalen nutzen, um den Mittelstandsbauch abzubauen, indem sie den Anstieg des Einkommensteuersatzes etwas abflachen. Das ist an sich keine schlechte Idee, aber um den finanziellen Spielraum dafür zu erlangen, könnte man auch einfach den Reichensteuersatz minimal anheben. Dann würden die Ärmsten nicht noch mehr zahlen. Aber so möchte es die FDP nicht.
Die FDP will seit jeher die Körperschaftsteuer senken – also jene Steuer, die Körperschaften wie GmbHs oder Aktiengesellschaften auf ihre Gewinne bezahlen. Unternehmensgewinne machen in jedem Fall die Besitzenden reicher. Denn entweder werden sie reinvestiert, woraus zukünftiger Gewinn resultiert, oder es werden an der Börse Anteile zurückgekauft, wodurch die restlichen Anteile wertvoller werden, oder die Gewinne werden direkt an die Eigentümer ausgeschüttet. Egal was passiert, die Reichen profitieren.
Die Körperschaftsteuer zu senken, führt also unmittelbar dazu, dass die Reichen reicher werden. Ironischerweise legt die FDP keinen Plan vor, wie diese Steuersenkung gegenfinanziert werden soll. Dabei würde ein solcher Schritt ziemlich schnell ins Geld gehen.
Die der Politik der FDP zugrundeliegende Theorie, Unternehmensteuersenkungen würden das Wachstum ungemein ankurbeln, ist mittlerweile empirisch widerlegt. 2021 hat das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung eine Meta-Studie aus 42 Primärstudien vorgelegt, die zum Urteil kam, dass solche Steuersenkungen nicht signifikant zum Wachstum beitragen. Im Gegenteil ist es schlecht für die Wirtschaft, wenn der Staat im Gegenzug anderswo seine Ausgaben kürzt.
Ob nun Sozial-, Klima- oder Steuerpolitik – überall steht die FDP auf der Bremse und es gibt kein Weiterkommen. Dass sich daran etwas ändern wird, ist äußerst unwahrscheinlich. Zumal jetzt, da die FDP aus dem Berliner Abgeordnetenhaus geflogen ist und in Bundesumfragen mit rund 6 Prozent auch nicht gerade gut dasteht. Vor diesem Hintergrund wird sie wohl kaum mit einem ihrer zentralen Wahlversprechen bei Steuern oder Schulden brechen. Das zeigt einmal mehr: Die Ampel ist ein Zweckbündnis, unter dem echter Fortschritt unmöglich ist und die Reichen ungestört noch reicher werden.
Lukas Scholle ist Volkswirt, Wissenschaftlicher Mitarbeiter für Finanzpolitik im Deutschen Bundestag und Kolumnist bei JACOBIN.