08. Oktober 2021
Ein bahnbrechender Bericht enthüllt, wie weit die CIA in ihrem Krieg gegen den Journalisten zu gehen bereit war.
Gründer von WikiLeaks, Julian Assange, in der ecuadorianischen Botschaft, 2014.
Diesen Monat werden britische Staatsanwälte im Namen der US-Regierung vor einem High Court für die Aufhebung der richterlichen Entscheidung plädieren, die die Auslieferung des australischen Journalisten Julian Assange blockiert. Es handelt sich dabei um den jüngsten Angriff der USA auf den WikiLeaks-Gründer. Während sich der High Court auf die Anhörung vorbereitet, die darüber entscheidet, ob Assange in den USA vor Gericht gestellt werden kann, haben neueste Nachforschungen ein umfassenderes und düstereres Bild der extralegalen Kampagne der US-Regierung gegen Assange ergeben.
Eine bahnbrechende Untersuchung von Yahoo News, die auf Interviews mit mehr als dreißig ehemaligen US-Beamten basiert, vermittelt die bisher eindringlichste Vorstellung vom Krieg der CIA gegen WikiLeaks. Und sie ist wirklich erschreckend: Die von der CIA unter Mike Pompeo erwogenen Taktiken waren so extrem, dass sogar Mitglieder des Nationalen Sicherheitsrats sowie die Anwälte des Weißen Hauses alarmiert waren (dabei sind sie sicherlich nicht zu den Unterstützern von Assange zu zählen). Diese in Betracht gezogenen Pläne beinhalteten nämlich die Entführung und Ermordung des Journalisten.
Einige waren so besorgt über diese Vorschläge der CIA, dass sie die Aufsichtsausschüsse des Kongresses auf sie aufmerksam machten. Laut Michael Isikoff, einem der drei Reporter, die an der Story von Yahoo News mitgearbeitet haben, war die Frage nach der Entführung von Assange »eine der umstrittensten Debatten in Geheimdienstkreisen während der Trump-Präsidentschaft und fanden dabei vollständig im Verdeckten statt. Die Öffentlichkeit hatte keine Ahnung, was da vor sich ging.« Pompeo hat auf die Vorwürfe reagiert, indem er öffentlich anmahnte, dass diejenigen, die mit Yahoo gesprochen haben, für die Offenlegung von CIA-Aktivitäten strafrechtlich verfolgt werden sollten. Dennoch räumte er ein, dass »Teile der Geschichte wahr sind«.
Assange steht im Fadenkreuz der US-Regierung, seit er (von Chelsea Manning an WikiLeaks übermittelte) Telegramme aus den US-Kriegseinsätzen im Irak und in Afghanistan veröffentlichte. Im Jahr 2011 berief das US-Justizministerium eine Grand Jury ein, um eine Anklage gegen Assange in Betracht zu ziehen.
Die Obama-Regierung führte zwar einen beispiellosen Feldzug gegen die Quellen von Journalistinnen und Whistleblowern, entschied sich jedoch dagegen, direkt gegen Journalisten wie Assange vorzugehen. Sie befürchtete, damit einen Präzedenzfall zu schaffen, der künftig für die Strafverfolgung großer Zeitungen wie der New York Times in Anspruch genommen werden könnte. Hier zog die Regierung, die sich ansonsten große Eingriffe in die Pressefreiheit leistete, eine rote Linie. Unter Obama stoppte das Weiße Haus nicht nur jegliche strafrechtliche Verfolgung von Assange – es schränkte auch die Möglichkeiten von Geheimdiensten wie der CIA ein, gegen WikiLeaks vorzugehen. Ihr Argument war, dass die Plattform denselben Schutz verdiene, die auch Nachrichtenorganisationen zuteil wird.
In Geheimdienstkreisen brodelte es derweil. Wie schon zuvor, als der Guardian und die Washington Post in Anschluss an die Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowden über die illegale Überwachungspraxis der NSA berichtet hatten, wollten die Geheimdienste Blut sehen. Die CIA setzte sich bei der Obama-Regierung dafür ein, bestimmte Personen, die bisher als Journalisten galten, in »Informationsvermittler« umzudefinieren, um so umfassendere Ermittlungen und Strafverfolgungen zu ermöglichen.
Die CIA wollte nicht nur Assange und WikiLeaks zu »Informationsvermittlern« erklären, sondern auch Glenn Greenwald und Laura Poitras, die die Snowden-Enthüllungen publik gemacht hatten. Die Obama-Regierung wies diese skandalösen Forderungen zurück, genehmigte aber eine verstärkte nachrichtendienstliche Informationsbeschaffung bezüglich WikiLeaks. Es waren fortan keine Haftbefehle, Vorladungen oder National Security Letters mehr erforderlich, um Nachforschungen über WikiLeaks anstellen zu können. Die CIA verfügte nun über ein »WikiLeaks-Team«.
Die WikiLeaks-Enthüllungen über Hillary Clinton während des Wahlkampfs von 2016 brachten viele Parteigänger der Demokraten in Rage. Auf der anderen Seite erntete WikiLeaks Lob vonseiten Donald Trumps. Nichtsdestotrotz war es die Trump-Regierung, die den juristischen und extralegalen Krieg gegen WikiLeaks dramatisch verschärfen sollte.
Trump gab schon früh den Takt an, der während seiner Präsidentschaft herrschen sollte. Er ernannte Jeff Sessions zum Generalstaatsanwalt – einen langjährigen Verfechter stärkerer Überwachung und Feind des ersten Verfassungszusatzes, der die Pressefreiheit garantiert. In seiner neuen Funktion machte Sessions die Verfolgung von Leaks zu einer der obersten Prioritäten der Staatsanwaltschaft. Als Chef der CIA setzte Trump Pompeo ein, der Snowden wiederholt öffentlich angegriffen und einmal sogar seine Hinrichtung gefordert hatte.
Sessions nahm die strafrechtlichen Ermittlungen gegen Assange wieder auf und setzte die Staatsanwaltschaft unter Druck, wegen der Enthüllungen von 2010 und 2011 Anklage gegen Assange zu erheben. Im April 2017 gab Sessions öffentlich bekannt, dass die Strafverfolgung gegen den Journalisten höchste Priorität habe. Angesprochen auf die Folgen eines solchen Schrittes für Zeitungen wie die New York Times reagierte er unbeeindruckt.
Nur eine Woche vor Sessions’ besorgniserregender Ankündigung erklärte Pompeo in einer öffentlichen Ansprache, es handle sich bei WikiLeaks um einen feindlichen nichtstaatlichen Geheimdienst. Zunächst hielten viele diese Aussage für nichts als heiße Luft. Aber es sollte sich herausstellen, dass es sich dabei lediglich um einen Baustein von Pompeos erschreckender Rechtsauffassung handelte.
Etwa einen Monat zuvor hatte WikiLeaks im Rahmen des größten Datenleaks in der Geschichte der CIA eine Reihe von Dokumenten veröffentlicht, in denen die Hackertechniken der CIA detailliert beschrieben werden. Diese Veröffentlichung unter dem Titel »Vault 7« erzürnte Pompeo und die CIA. Wie die Story von Yahoo News schmerzlich deutlich macht, war Pompeo geradezu von Assange und WikiLeaks besessen. Es scheint, als wäre ihm kein Plan zu verwegen gewesen.
Um zu verdeckten Operationen übergehen zu können, muss die CIA erst die Genehmigung des Präsidenten einholen. Zudem müssen ausgewählte Mitglieder des Kongresses benachrichtigt werden. Wenn es die CIA jedoch mit feindlichen Spionageagenturen zu tun hat, gelten ihre Maßnahmen als »offensive Spionageabwehr«, und es sind keine solchen Rücksprachen erforderlich.
Die CIA versuchte erst, WikiLeaks mit dem russischen Geheimdienst in Verbindung zu bringen, scheiterte jedoch bei diesem Vorhaben. In dem Bestreben, sich jeglicher Aufsicht zu entziehen, erklärte die CIA WikiLeaks daraufhin zu einem nichtstaatlichen Nachrichtendienst und konnte so ohne Genehmigung des Präsidenten oder Benachrichtigung des Kongresses agieren. (Der 2018 vom Kongress verabschiedete Intelligence Authorization Act erklärte, dass »WikiLeaks und die Führung von WikiLeaks einem nichtstaatlichen feindlichen Nachrichtendienst ähneln, der häufig von staatlichen Akteuren unterstützt wird, und von den USA als ein solcher Dienst behandelt werden sollten«. Dies wirft ernste Fragen darüber auf, wie viel der Kongress wusste. Dergleichen Formulierungen finden sich in späteren Gesetzestexten nicht wieder.)
An diesem Punkt nahm die Obsession der CIA mit WikiLeaks eine düstere Wendung. Führungskräfte innerhalb der Agentur forderten Vorschläge an, wie Attentate auf Assange und andere WikiLeaks-Mitglieder, die mit Vault 7 zu tun hatten, verübt werden könnten. Diese Pläne wurden später verworfen und scheinen nie über interne CIA-Diskussionen hinausgelangt zu sein. Nichtsdestotrotz ist die Tatsache, dass Führungskräfte des Geheimdienstes die Ausarbeitung eines Mordkomplotts verlangten, gelinde gesagt alarmierend. Die Attentatspläne mögen nicht weit gekommen sein – der Plan, Assange zu entführen, schaffte es jedoch bis ins Weiße Haus. Er verwirrte das Rechtsteam des Nationalen Sicherheitsrats, die feststellten, dass Assange nicht einmal eines Verbrechens angeklagt worden war und dass außerdem unklar war, unter welcher Autorität die CIA Assange dingfest machen könnte oder wo sie ihn festhalten würde. Ein nicht namentlich genannter Beamter, der an den Sitzungen des Nationalen Sicherheitsrats teilnahm, äußerte gegenüber Yahoo News die Frage: »Werden wir zu Black Sites zurückkehren?« (Black Sites waren inoffizielle Geheimgefängnisse, die außerhalb des Staatsgebiets der USA betrieben wurden.)
Im Jahr 2017 erreichten die Planungen eine neue Eskalationsstufe. Die CIA war überzeugt, dass Russland versuchen würde, Assange aus der ecuadorianischen Botschaft in London zu »exfiltrieren« und ihn zu sich zu holen. Sie ließ ihrer Fantasie freien Lauf: Sie nahm an, die ecuadorianische Botschaft würde Assange freilassen und russische Agenten würden – höchstwahrscheinlich in einem Diplomatenwagen – auf ihn warten, um ihn zum Flughafen und außer Landes zu bringen. Ein Vorschlag bestand darin, dass CIA-Agenten ein Auto in ein anderes Fahrzeug rammen sollten, um so einen Stau zu verursachen und das russische Diplomatenfahrzeug mit Assange aufhalten zu können. Letztendlich wurde jedoch beschlossen, dass eine solche Aktion vielleicht für Afghanistan, nicht aber für die Straßen von London geeignet sei.
Während das gezielte Verursachen einer Karambolage der CIA dann doch zu viel des Guten war, bereitete sie sich ernsthaft auf ein Feuergefecht vor. Aus Sorge, wie eine Schießerei zwischen US-amerikanischen und russischen Agenten mitten in London in der Öffentlichkeit ankommen würde, bat man britische Geheimagenten, das Schießen zu übernehmen. Und diese willigten ein. (Auf ein russisches Diplomatenfahrzeug zu schießen, käme übrigens einer Kriegshandlung gleich.)
Wenn die russischen Agenten dem Kugelhagel entkommen wären und es mit Assange zum Flughafen und auf die Rollbahn geschafft hätten, dann hätte die CIA die Reifen des Flugzeugs zerschossen, um es am Start zu hindern. Sollte das Flugzeug dennoch abheben, war die CIA bereit, die Länder der EU anzuweisen, der Maschine den Einflug in ihren Luftraum zu verweigern – ein schmutziger Trick, den die USA schon einmal angewandt hatten, als sie glaubten, der bolivianische Präsident Evo Morales würde heimlich Edward Snowden an Bord seines Präsidentenflugzeugs befördern.
Stella Morris, die Lebensgefährtin von Assange, bestreitet, dass Russland Assange exfiltrieren wollte. Wie Isikoff in einem Interview betonte, hielt die CIA dies jedoch für absolut realistisch und nahm ihre Pläne todernst. So ernst, dass sogar Trump informiert wurde – und zwar von denjenigen, die befürchteten, dass es zu einem hässlichen internationalen Zwischenfall kommen würde.
Die Befürchtung der CIA, dass Assange fliehen würde, rührte zum Teil daher, dass WikiLeaks nur einige der in ihrem Besitz befindlichen Vault-7-Dokumente freigegeben hatte. Die Behörde war besorgt, dass Assange mit Geheimnissen im Gepäck nach Russland fliehen könnte. Die Beamten, die mit Yahoo sprachen, machten jedoch deutlich, dass eine ebenso große oder sogar noch größere Sorge der geopolitische oder propagandistische Sieg war, den Wladimir Putin vermeintlich verbuchen könnte, wenn Russland nicht nur Snowden, sondern auch Assange beherbergen würde. Dies scheint die eigentliche Motivation für diesen zutiefst irrationalen Plan gewesen zu sein.
Attentatspläne wie aus dem Kalten Krieg, Entführungen und Überstellungen wie aus dem »Krieg gegen den Terror«, ein kriegerischer Akt gegen eine andere Regierung – und das alles mit dem einem Ziel vor Augen: sicherzustellen, dass Assange niemals aus den Fängen des US-Imperiums entkommt.
Diese jüngsten Enthüllungen mögen besonders schockierend sein, aber sie reihen sich ein in eine immer länger werdende Liste von Skandalen. Neben dem Rechtsteam des Nationalen Sicherheitsrats hat die CIA auch Sessions und das Justizministerium verärgert. Allerdings wiederum nur aus unlauteren Gründen: Das Justizministerium war nämlich der Meinung, Assange sei ihr Revier und die Aktionen der CIA gefährdeten eine potenzielle Strafverfolgung. (Es ist möglich, dass die Entführungspläne der CIA das Justizministerium unter Druck gesetzt haben könnten, die Anklageerhebung zu beschleunigen.) Auch schon bevor Sessions sein Amt antrat, wetteiferten das FBI und die CIA um die Zuständigkeit für Assange. Das FBI hatte seit den Obama-Jahren darauf gedrängt, dass Assange angeklagt wird.
Doch auch das FBI hat in dieser Angelegenheit bereits Dreck am stecken. Im Juni enthüllte die isländische Zeitung Stundin, dass ein FBI-Informant (der seinerseits für Sexualverbrechen verurteilt worden war) zugab, dass seine Anschuldigungen in der US-Anklage gegen Assange erfunden waren. Und Anfang dieses Jahres deckte Declassified UK die Existenz der Operation Pelican auf – einer Verschwörung des britischen Außenministeriums, um Assange aus der ecuadorianischen Botschaft herauszuholen.
All dies geschieht zu einer Zeit, da der Oberste Gerichtshof Spaniens gegen die spanische Sicherheitsfirma UC Global ermittelt. Diese wurde beauftragt, für die Sicherheit der ecuadorianischen Botschaft in London zu sorgen, soll aber mit der CIA zusammengearbeitet haben, um Assange, seine Anwälte und ihn besuchende Journalisten zu bespitzeln. Tatsächlich war es ein ehemaliger Mitarbeiter von UC Global, der als erster angab, dass die CIA über die Ermordung von Assange nachgedacht habe.
Die Verbrechen der CIA müssen im Kontext dieses umfassenderen Krieges gegen Assange verstanden werden. Aber es besteht noch ein weiterer wichtiger Zusammenhang: Nach den Enthüllungen über den Einsatz von Folter durch die CIA im Rahmen des »Krieges gegen den Terror« gab es Forderungen nach strafrechtlicher Verfolgung. Doch Obama entschied sich, nach vorne zu schauen, und nicht zurück.
Für diejenigen, die den Kriegsverbrechen der CIA nachgingen, galt das hingegen nicht. Auf Drängen der CIA ließ die Obama-Regierung zu, dass die American Civil Liberties Union strafrechtlich verfolgt wurde, nachdem ihre Anwälte, die Klienten in Guantanamo vertraten, die CIA-Folterer erfolgreich identifizieren konnten. Während die ehrwürdige Bürgerrechtsorganisation vom Vorwurf des Fehlverhaltens freigesprochen wurde, wurde John Kiriakou, der die Folterungen aufgedeckt hatte, strafrechtlich verfolgt. Das hatte die CIA bereits bei der Bush-Regierung beantragt, damals war dieses Vorgehen aber abgelehnt worden.
Die Entscheidung, CIA-Kriegsverbrecher vom Haken zu lassen, während Whistleblower, Journalisten und andere Personen, die an der Aufdeckung von US-Kriegsverbrechen beteiligt waren, als Feinde auf einer Stufe mit Spionen und Terroristen behandelt werden, bleibt nicht folgenlos. Eine dieser Folgen ist eine völlig gesetzlose CIA, die Pläne schmiedet, einen Journalisten zu entführen oder umzubringen.
Chip Gibbons ist der politische Direktor der Organisation Defending Rights & Dissent. Er war Host des Podcasts »Still Spying«, der die Geschichte der politischen Überwachung durch das FBI untersuchte. Derzeit arbeitet er an einem Buch über die Geschichte des FBI, in dem er die Beziehung zwischen innenpolitischer Überwachung und der Entstehung des nationalen Sicherheitsstaates der USA untersucht.
Chip Gibbons ist der politische Direktor von Defending Rights & Dissent. Er war Moderator des Podcasts »Still Spying«, der die Geschichte der politischen Überwachung durch das FBI untersuchte. Derzeit arbeitet er an einem Buch über die Geschichte des FBI.