26. Mai 2021
In der Nachkriegsära mobilisierte die Kommunistische Partei Italiens noch die breite Masse. Aber mit der Kapitulation vor neoliberalen Reformen verlor die Partei ihre politische Vision – mit katastrophalen Folgen.
Von der einstigen Stärke der PCI ist heute nicht mehr viel übrig.
Im Jahr 1977 veröffentlichte Eric Hobsbawm eine Sammlung von Gesprächen mit Giorgio Napolitano, einem einflussreichen Vertreter der Miglioristi. So nannten sich die Anhänger des reformistischen Flügels der Kommunistischen Partei Italiens (PCI). Hobsbawm selbst bezeichnete sich als »ideelles Mitglied« der PCI. Mit seinem Buch wollte er den Weg zwischen Leninismus und Sozialdemokratie beschreiben, den die Partei eingeschlagen hatte. Napolitano stellte sich jedoch als der falsche Gesprächspartner für dieses Vorhaben heraus. Zwar forderte Napolitano »den Wiederaufbau und die Erneuerung« der italienischen Gesellschaft ein und beschwor das »demokratische Bekenntnis« der PCI, aber mit konkreten sozialistischen Forderungen hielt er sich zurück. Als er »die kontinuierliche, organische und ausgewogene Entwicklung der italienischen Wirtschaft« und eine »Anpassung der [italienischen] Industrie an die ausländischen Märkte« pries, unterbrach ihn Hobsbawm, um ihn wieder zum Thema zurückführen:
Hobsbawm: Das ist ja alles schön und gut ...
Napolitano: Aber was hat das mit der Entwicklung hin zum Sozialismus zu tun?
Hobsbawm: Das war genau die Frage, die ich Dir stellen wollte.
Napolitano: Die Antwort auf diese Frage ist schwieriger, als es scheint.
In Napolitanos Lavieren zeigt sich ein Widerspruch, der sich nicht nur auf die Miglioristi beschränkte. Während des Kalten Krieges übernahm die PCI die Regierungsführung, doch sie identifizierte sich stark mit den republikanischen Institutionen und klassenübergreifenden Interessenlagen. Diese Ambiguität trat auf einem Seminar des Gramsci Instituts zum Thema »Tendenzen des italienischen Kapitalismus« im Jahr 1962 besonders deutlich zutage, ebenso auch auf dem PCI-Kongress des Jahres 1966, wo der führende Migliorista Giorgio Amendola mit den Parteilinken aneinander geriet.
Trotz des »Wirtschaftswunders« der 1950er Jahre betonte Amendola die Rückständigkeit des italienischen Kapitalismus und sah die zentralen Aufgaben der PCI in der »Modernisierung«, der »demokratischen Planung« und der Umsetzung von »Strukturreformen« – mit weniger Planung als im gaullistischen Dirigismus. Der Anführer der Parteilinken, Pietro Ingrao, machte sich stattdessen für bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne stark – eine Linie, die andere führende PCI-Funktionäre partikularistisch und »ökonomistisch« nannten. Schließlich setzte sich Amendola mit seinen Ansichten durch, auch wenn nicht er selbst, sondern Enrico Berlinguer 1972 zum neuen Generalsekretär gewählt wurde.
Unter der Führung Berlinguers, die bis zu seinem Tod 1984 andauerte, wandelte sich das ökonomische Verständnis der Partei. Sie übte scharfe Kritik am Keynesianismus und sogar an der »Planwirtschaft«. Eine ähnliche Entwicklung erlebte auch die der PCI gegenüber zunehmend feindlich eingestellte Sozialistische Partei Italiens (PSI). Einst noch eine »schizophrene« Partei, wie es der ehemalige Ministerpräsident Giuliano Amato einmal ausdrückte, vertrat sie nun eindeutig sozialdemokratische Positionen.
Obwohl Italien in den 1970er Jahren die militanteste Bewegung der Arbeitenden in Europa beheimatete, veränderten sich die Parteikulturen der PSI und der PCI so tiefgreifend, dass beide Parteien die »partikulare« Interessenvertretung der Fabrikarbeiterschaft komplett aufgaben. Es wäre übertrieben, die Regierungszeit von PSI Ministerpräsident Bettino Craxi als Startschuss in den italienischen Neoliberalismus zu bezeichnen. Denn ein entsprechendes allgemeines Konzept zur Liberalisierung der Wirtschaft gab es nicht, auch aufgrund der Beschränkungen der damals beginnenden Privatisierungen. Doch die dem Ölschock von 1973 folgende Krise des Keynesianismus verschob die Prioritäten der Arbeiterparteien deutlich und legte so den Grundstein für die Transformation hin zur neoliberalisierten »linken Mitte« in den frühen 1990er Jahren.
Seit dem Siebten Weltkongresse der Komintern 1935 und der antifaschistischen Allianz während des Zweiten Weltkriegs schlug die PCI verschiedene Varianten der »Volksfront« vor, die über das reine Klasseninteresse der Arbeitenden hinausreichten. Nach dem Scheitern der Biennio rosso von 1919–1920, den zwei roten Jahren mit Land- und Fabrikbesetzungen, erkannte Antonio Gramsci, dass die Arbeiterklasse, die nur eine Minderheit darstellte, notwendigerweise auch die breite Masse gewinnen müsse, anstatt lediglich in der Industrie ihre Macht zu beweisen. Da das Fabrikproletariat in dieser frühen Periode des kommunistischen Aufbaus zahlenmäßig unbedeutend war, mussten alle Arten von Handwerkern, Einzelhändlern, Gelegenheitsarbeitern und Arbeitslosen sowie Landarbeiter und Bauern in diese eng definierte Klasse der Arbeitenden integriert werden.
Unter der Führung Palmiro Togliattis wurden in dieser Bündnissuche auch bürgerliche Parteien auf antifaschistischer Basis in Betracht gezogen. Die Partei richtete sich schließlich sogar an die »katholischen Massen«. Nach dem Ende des italienischen Faschismus sollte die arbeitende Klasse, mithilfe einer Reihe von demokratischen Reformen, eine zentrale Stellung im gesellschaftlichen Leben einnehmen. Die Mobilisierung weiterer Gesellschaftsschichten sollte folgen und letztendlich im Kampf für den Sozialismus münden.
Diese politische Strategie, die Resistenza, erreichte ihren Höhepunkt in der Zeit des Widerstands zwischen 1943–1945. Sie stieß aber in der Ära des Kalten Krieges auf Hindernisse, als die Kommunisten (und zu einem gewissen Grad auch die Sozialisten in den 1950er Jahren) als verflucht galten. Durch eine demonstrative Loyalität gegenüber den republikanischen Institutionen versuchten sie diese Verfluchung zu brechen. Die Konsequenz dieser Strategie war der »Historische Kompromiss« der Jahre 1976–1979 unter der Führung Berlinguers: Die PCI unterstützte fortan die Kabinette der Christdemokratie (DC) von außen. Und obwohl die PCI zu dieser Zeit ihre besten Wahlergebnisse erreichte – 1976 gewann sie 34 Prozent der Stimmen bei den Parlamentswahlen und stand kurz davor, die lange dominierende DC zu überflügeln – wusste Berlinguer, dass eine stabile, linke Regierungskoalition unrealistisch war. Italiens Zugehörigkeit zur NATO erforderte anscheinend ein eher vermittelndes Vorgehen.
Berlinguer war der Auffassung, die PCI müsse ihre Loyalität gegenüber den demokratischen Institutionen unter Beweis stellen und ihre Bereitschaft zeigen, sich in den Dienst des übergeordneten nationalen Interesses zu stellen. Nur so verdiene sie sich das Recht auf die Regierungsübernahme.
Nach den Wahlen von 1976 tolerierte die PCI die dritte Regierung des Christdemokraten Giulio Andreotti. Die Enthaltung der PCI sollte als »non sfiducia« (»nicht Misstrauen«) in die Geschichte eingehen. Dieser Kompromiss, der der PCI keine Ministerposten einbrachte, war vor allem dem christdemokratischen Parteivorsitzenden Aldo Moro zu verdanken. Schon in den 1960er Jahren hatte er die PSI in die erste »Mitte-links«-Regierungen gelockt und nun setzte er sich für eine Annäherung zwischen DC und PCI ein. Doch Moros Ermordung durch Terroristen der Roten Brigaden im Mai 1978 sollte dieses Vorhaben weit zurückwerfen.
Das Bündnis zwischen DC und PCI war augenscheinlich ein widernatürliches, aber auch abgesehen davon war diese Phase der »Nationalen Solidarität« für die PCI von großen wirtschaftspolitischen Herausforderungen geprägt. Trotz all ihrer berühmten Theoriegiganten verfügte die PCI über keinerlei Regierungserfahrung auf nationaler Ebene. In der Partei gab es entsprechend wenige Ökonominnen und Ökonomen. Dennoch war die Partei gezwungen, die Krisenmaßnahmen des DC-Vorsitzenden Giulio Andreotti mitzutragen, um die eigene Basis mitzuziehen.
Bezeichnend war diesbezüglich das Paket der Sparmaßnahmen, das Andreotti im Oktober 1976 ankündigte, drei Monate nachdem ihm die Strategie der »non sfiducia« die Rückkehr an die Macht ermöglicht hatte. Neben drastischen Erhöhungen der Treibstoffpreise beabsichtigte Andreotti ein zweijähriges Einfrieren der gleitenden Lohnskala, die eine Anpassung der Löhne an die Inflation vorsah. Betriebsmobilisierungen hatten während des vorangegangenen Jahrzehnts starke Lohnerhöhungen durchgesetzt – und so erreicht, dass die Profite des Wirtschaftsbooms der Nachkriegszeit, der gerade zu Ende ging, gerechter verteilt wurden.
Doch nun versuchte die Andreotti-Regierung angesichts einer 17-prozentigen Inflation eine strengere Lohndisziplin durchzusetzen. Aufgrund ihres 12 Millionen starken Wähleranteils, als auch hinsichtlich der massiven Hegemonie unter der organisierten Arbeiterschaft, war nun die PCI in der Pflicht, diese Wendung zu vollführen. Tatsächlich stammt die bekannteste Verteidigung dieser neuen Linie von Luciano Lama, seinerseits ein altgedienter PCI-Kämpfer und Vorsitzender der Gewerkschaft CGIL (Allgemeiner italienischer Gewerkschaftsbund).
In einem Interview mit Eugenio Scalfari, dem Chefredakteur der Zeitschrift La Repubblica, erklärte Lama, er vertrete nicht nur ein Partikularinteresse. Im Gegenteil: »Wollen wir das Ziel, die Arbeitslosigkeit zu senken, konsequent verfolgen, muss die Verbesserung der Lebensbedingungen der erwerbstätigen Arbeiter klar an zweiter Stelle stehen.« Konkret führte er aus: »Die Lohnpolitik der nächsten Jahren muss sich sehr zurückhalten, alle geforderten Verbesserungen müssen zeitlich aufgeschoben werden.« In Frage gestellt wurde auch die »cassa integrazione«, eine Lohnausgleichskasse, aus der freigestellte Arbeitskräfte Lohnzahlungen erhielten: »Wir können die Firmen nicht länger verpflichten, etliche Arbeiter über ihre Produktionskapazitäten hinaus zu beschäftigen, oder weiterhin verlangen, dass die Lohnausgleichskasse eine permanente Unterstützung für überzählige Arbeiter ermöglicht.« Mit einer Policy, die später als »svolta dell’EUR« (Hinwendung zum Euro) bekannt wurde, machte Lama deutlich, dass die CGIL im Kampf gegen die Inflation »Opfer« bringen müsse.
Im Jahr 1977 ließ sich Berlinguer erstmals dazu hinreißen, die Austeritätspolitik als »Werkzeug zur Umgestaltung Italiens« zu bezeichnen. Damit wandte er sich gegen eine konsumistische Fortschrittsvision und behauptete gleichzeitig, kurzfristige Opfer dienten letztendlich dem Wohl der gesamten Gesellschaft. Berlinguers Äußerungen wiesen damals noch nicht auf einen dauerhaften Sparkurs hin, wie ihn Italien in den 2010er Jahren erleben sollte. Eigentlich versuchte er damit die PCI als verantwortungsvolle Regierungsalternative zu präsentieren und sie gleichzeitig als Gegenentwurf zu den korrupten Regierungsparteien zu etablieren.
Dieser Paradigmenwechsel resultierte nicht einfach aus dem »Historischen Kompromiss« mit der DC, sondern stand sinnbildlich für Berlinguers Linie, die er auch nach der Rückkehr in die Opposition 1979 weiterverfolgte. Statt die akute Wirtschaftskrise als Auswirkung des Kapitalismus aufzufassen, oder Mobilisierungen zu unterstützen, um die Arbeitenden vor ihren Auswirkungen zu schützen, verfolgte die PCI nun eine Bewältigungsstrategie.
Die PCI-Führung hatte sich bereits 1945 von der Idee einer Revolution à la 1917 verabschiedet: Vom stalinistischen Pietro Secchia bis hin zu den Miglioristi oder protestorientierten Figuren wie Pietro Ingrao, forderte die Führungsriege der PCI das Bündnis einer breiten Volksfront, die Verteidigung der republikanischen Institutionen und den Kompromiss mit dem katholischen Italien. Auf die Frage, wie dadurch der Sozialismus erreicht werden sollte, hatten alle ihre eigene Antwort parat. Berlinguer verschob jede Bemühung einer Transformation der Gesellschaft in die unabsehbare Zukunft.
Durch diese Haltung konnte sich die PCI den Ideen des MIT-Ökonomen Franco Modigliani annähern, einem postkeynesianischen Denker, der sich an der Theorie des Grenznutzens orientierte. Im Jahr 1976 wurde Modigliani auf einer Konferenz des PCI-nahen Centro Studi sulle Politiche Economiche gefeiert. Die Partei-Ökonomen akzeptierten dort selbst die ausgesprochen neoliberale Doktrin der NAIRU (Inflationsstabile Arbeitslosenquote). Der Weg der PCI spiegelte sich auch in Lamas Einschätzungen über die konkurrierenden Interessen von Beschäftigten und Arbeitslosen wieder: Er konstatierte, dass Lohnerhöhungen – und nicht etwa äußere Einflüsse – die Inflation antrieben.
Nach Auffassung des Historikers Guido Liguori wuchs an diesem Punkt die Kluft zwischen den ursprünglichen Grundüberzeugungen der PCI und den Werten, die sie aus anderen politischen Kulturen importierte. Doch auch bei der PSI zeigten sich ähnliche Entwicklungen. Nachdem sich die Partei aller marxistischen Überreste entledigt hatte, konnte Bettino Craxi 1983 der erste sozialistische Ministerpräsident Italiens werden: in einer Fünf-Parteien-Koalition, die sich hauptsächlich auf Abgeordnete der DC stützte.
In der Ära der »Nationalen Solidarität« hatte die CGIL bereits eine Pausierung ihrer Lohnforderungen geschluckt. Im Jahr 1984 erließ Craxi ein Gesetz, das die Senkung des Index der gleitenden Lohnskala um drei Punkte vorsah. Zustimmung erhielt er von Seiten der Gewerkschaftsverbände CISL und UIL, die am 14. Februar das »Valentinstagsabkommen« unterzeichneten – nicht aber von der CGIL. Berlinguer widersetzte sich dem Abkommen und selbst nach seinem Tod am 11. Juni versuchte die PCI weiterhin, ein aufhebendes Referendum zu erzwingen. Obwohl nicht nur PCI-Anhänger für die Aufhebung des Gesetzes waren, verloren sie die Abstimmung mit 46 zu 54 Prozent gegen die geeinte Front aus PSI, DC und den kleineren liberalen und zentristischen Parteien.
Die Idee, dass sich die Opfer von heute morgen auszahlen würden, war hier entscheidend: Craxis Inflationsbekämpfung tarnte sich als Krisenbewältigungsmaßnahme. Weniger Beachtung fanden dagegen die strukturellen Veränderungen dieser Jahre, die sowohl die Errungenschaften der Arbeiterbewegung der 1960er und 70er Jahre zunichte machten, als auch Rechtsrahmen festschrieben, die schwerwiegende Folgen für sämtliche politische Entscheidungen haben sollten.
Hier entpuppte sich Italiens Beitritt zum Europäischen Währungssystem (EWS) im Jahr 1978 als ausschlaggebend. Die PCI hatte sich seit Beginn des Kalten Krieges gegen den europäischen Integrationsprozess gestellt, und vor den zu erwartenden negativen Auswirkungen auf die Arbeitenden in den Ländern mit schwächeren Währungen gewarnt. Doch im Laufe der 1980er Jahre setzte das EWS (später die EWWU) den Rahmen aller wirtschaftspolitischen Diskussionen in Italien. Ein Prozess, der durch die Unabhängigkeit der italienischen Zentralbank, der Banca d’Italia, 1981 formalisiert wurde. Im Unterschied zu einer gewählten Regierung, die ihre Geldpolitik auch durch häufige Abwertungen festlegen konnte, musste Rom seine Lohnpolitik und die Staatsverschuldung mit Bezug auf eine Geldmenge festlegen, deren unmittelbarster Einflussfaktor der Zinssatz der Deutschen Bundesbank war.
Ab 1980 schnellte die Staatsverschuldung in die Höhe. Das lag nicht so sehr an verschwenderischen Regierungsausgaben oder Lohnerhöhungen, sondern war den Auswirkungen des Ölschocks anzulasten, genau genommen der Lähmung der Institutionen, die auf die »Loslösung« von der Zentralbank folgte. Mit der Kopplung der Lira an die Deutsche Mark stieg die öffentliche Verschuldung von 57 Prozent des BIP im Jahr 1980 auf über 100 Prozent im Jahr 1992.
Als der PSI-Funktionär Giuliano Amato 1992 Premierminister wurde und sich mit dem unhaltbaren Druck auf die Lira konfrontiert sah, kündigte er ein Haushaltsprogramm mit dem vielsagenden Titel »Blut-und-Tränen«-Haushalt an und setzte gleichzeitig der Lohnindexierung ein Ende. 93 Billionen Lire (50 Milliarden Euro) sollten aus dem öffentlichen Haushalt gekürzt werden. Im Namen der Nothilfe wurde dieses Sparprogramm sowohl von der Führung der CGIL als auch von der postkommunistischen PDS (Demokratische Partei der Linken) mitgetragen, die dies in Kauf nahmen, um Italien im EWS zu halten. Als schließlich der ehemalige Chef der italienischen Zentralbank, Carlo Azeglio Ciampi, das Amt des Ministerpräsidenten übernahm, bot die PDS ihre Unterstützung an.
Die Krise der PSI spitzte sich zu. Als das Parlament gegen die Verfolgung des wegen Korruption beschuldigten PSI-Ministerpräsident Bettino Craxi stimmte, zog die PDS ihren Finanzminister zurück. Craxi floh schließlich nach Tunesien, entzog sich der drohenden Gerichtsverhandlung und trieb seine Partei in den vollständigen Untergang. Die Veränderungen, die während seiner Amtszeit vollzogen wurden, wirken bis heute nach. Das zeigt sich besonders im Kontext eines allgemeinen Wandels innerhalb der gesamten Linken, der bereits Mitte der 1970er Jahre seinen Anfang nahm. Ob in der Führung der Gewerkschaften oder durch ihre Beteiligung an der Regierung, in dieser Zeit begannen die beiden großen Parteien der italienischen Arbeiterinnenbewegung als Sachverwalter eines »Kampfes gegen die Inflation« aufzutreten. Dafür gaben sie nicht nur ihre früheren Visionen von sozialer Transformation auf. Auch die Vertretung der Interessen der arbeitenden Klasse trat in den Hintergrund.
Im Laufe der 1990er Jahre setzten sich die Mitte-links-Kräfte das Ziel, Italien 1999 »pünktlich« in die Eurozone zu führen. Die ehemaligen PCIler hatten sich vollends von ihrer kommunistischen Vergangenheit losgelöst. Als sich schließlich die PCI in die PDS verwandelte, kam es zu Spaltungen. Es entstand die Partei der Kommunistischen Wiedergründung (PRC), und auch in der CGIL gab es scharfe Auseinandersetzungen, die den Generalsekretär Bruno Trentin zum Rücktritt zwangen. Er hatte damals die Abschaffung der Lohnskala unterstützt. Trotz einiger rebellischer Momente gegen einzelne Maßnahmen, die den italienischen Neoliberalismus vorantrieben, entstand keine landesweite politische Kraft, welche die Rolle der einstigen PCI einnehmen konnte.
Im Land der ehemals größten kommunistischen Partei Europas existiert heute nur noch eine neoliberalisierte linke Mitte und ein unbedeutendes und träges linkes Milieu. Diese Entwicklung wirft die Frage nach den »nicht beschrittenen Pfaden« auf. Um diese zu beantworten, muss man die personellen Veränderungen an der PCI-Spitze betrachten – insbesondere das Ableben der Generation der Resistenza, zu der auch noch Berlinguer gehörte, und ihre Ersetzung durch Akteure wie Massimo D’Alema, Walter Veltroni und Pier Luigi Bersani.
Bersani sprach in Bezug auf die Kontinuität der ehemaligen kommunistischen Führung von »la Ditta« (»der Firma«), und zweifellos erklären die subjektiven Personalentscheidungen einen Teil ihres politischen Niedergangs. Doch eine ehrliche Abrechnung mit der Schwäche der Linken muss auch die umfassenden kulturellen Versäumnisse innerhalb der PCI (und mehr noch in der PSI) ins Auge fassen. Die Erzählung vom Verrat durch die Führungsriege kann das Verhalten einer politischen Kraft, die angeblich den Massen eine eigene Führungsrolle zuweist, nicht befriedigend erklären.
Grant Amyot bot 1981 mit seiner Studie über die PCI, The Italian Communist Party, Einblicke in den linken Parteiflügel. Seine Analyse offenbarte nicht nur den Fehlschlag des »Historischen Kompromisses«, sondern auch eine tiefere Krise des Volksfrontmodells. Ausgehend von dieser Erkenntnis lässt sich konstatieren, dass die Schwäche der Linken nicht dem angeblichen »Verschwinden« der Arbeiterklasse – im nach wie vor zweitgrößten Industriestaat des Kontinents – geschuldet ist, sondern der Tatsache, dass die zeitgenössischen Inseln industrieller Massenorganisation nicht mehr ausreichen, um breitere »Volksschichten« politisch zu binden.
Einst symbolisierten die rund 60.000 Fiat-Arbeitenden im Werk Turin-Mirafiori in den 1970er Jahren die Arbeitskraft der industriellen Moderne, den Muskel der antifaschistischen Revolte sowie den sichtbaren Ausdruck der Macht der Massen. Dasselbe lässt sich über die 1,6 Millionen, meist schlecht bezahlten, Tourismusangestellten im Italien des Jahres 2020 nicht sagen, da sich ihnen kaum eine »kohärente« Rolle oder eine machtvolle kollektive Identität zuschreiben lässt. Die PCI vertrat zwar schon immer weitere Kreise als nur die Industriearbeiterschaft. Seit dem Verlust der eigenen Identität und des Parteizusammenhalts konnte sie die unterschiedlichsten Segmente der arbeitenden Klasse – Arbeitslose, prekär Beschäftige, Kleingewerbetreibende – aber nicht mehr unter einem Banner vereinen und einen gemeinsamen Forderungskatalog formulieren.
Mit Blick auf die Geschichte der italienischen Linken drängt sich die Frage auf, welche Rolle der Staat und die politischen Institutionen spielen, um eine Agenda im Sinne der Arbeiterschaft aufzustellen. PCI und PSI offenbarten hier eine entscheidende Schwäche. Wenn es darum ging, durchsetzbare Reformen auf staatlicher Ebene einzubringen, war nur noch wenig vom sozialistischen oder gar kommunistischen Geist zu spüren. Gerade die Reaktion der PCI auf die Stagflation der 1970er Jahre macht dies deutlich.
Die Problematik verschärft sich zusätzlich durch die Aushöhlung nationalstaatlicher Souveränität im Zuge der letzten Jahrzehnte. Seit 1989 tendierten selbst rhetorisch radikalere Kräfte als die neoliberalisierte linke Mitte dazu, nur »Gegenwehr« gegen missliebige Reformen zu leisten, anstatt ein konstruktives Programm zu erarbeiten, welches Druck auf Regierung und Staat ausüben könnte. Und schlussendlich führte die Auflösung der alten Parteien der arbeitenden Klasse nicht dazu, dass diese durch eine überlegene Alternative ersetzt wurden oder dass sich die Massen nun frei von bürokratischen Parteihierarchien organisierten. Was folgte war vielmehr ein allgemeiner Abzug vom politischen Terrain.
Der folgende Artikel ist ein Auszug aus dem Buch »Market Economy, Market Society: Interviews and Essays on the Decline of European Social Democracy«, herausgegeben von Maya Aderath.
David Broder ist Europa-Redakteur der US-Ausgabe von JACOBIN. Er ist Historiker und forscht zur Geschichte des französischen und italienischen Kommunismus.
David Broder ist Europa-Redakteur von JACOBIN und Autor von Mussolini’s Grandchildren: Fascism in Contemporary Italy (Pluto Press, 2023).