31. Juli 2024
Das Compact-Verbot ist kein Angriff auf die Pressefreiheit. Denn Compact ist kein Magazin, sondern ein politischer Akteur. Eine Replik.
Ist unter Rechtsextremen gut vernetzt: Jürgen Elsässer, Chefredakteur von Compact.
Das kürzlich erfolgte Verbot des rechtsextremen Compact Magazins wurde nicht nur begrüßt, sondern unter anderem auch von linker Seite als Ausdruck einer autoritären Entwicklung und als staatliche Repression gegen die Pressefreiheit kritisiert. Das Unternehmen hat inzwischen bereits eine Klage gegen das Verbot beim Bundesverwaltungsgericht eingereicht und inszeniert sich als Presseorgan, das von der Regierung einer Zensur unterworfen wurde, weil es politisch unliebsame Positionen veröffentlicht. Eben dieses Narrativ ist vor allem ein taktisches Ablenkungsmanöver.
Ein Verbot auf Grundlage des Vereinsrechts gegen ein Medienunternehmen, dem keine unmittelbar strafbaren Inhalte angelastet werden, erweckt aus guten Gründen Misstrauen. Schließlich wirft es die Frage auf, ob hier nicht durch die Hintertür ein Verbot umgesetzt werden soll, dem die medienrechtliche Grundlage fehlt. Allerdings richtet sich das aktuelle Verbot nicht gegen Compact als Pressorgan, sondern gegen Compact als politischen Akteur. So heißt es in der Verbotsbegründung, dass Compact als »politischer Agitator mit verfassungsfeindlicher Grundhaltung« auftritt und »taktische Bündnisse« eingeht, um die im Magazin propagierte Agenda zu verfolgen.
Zur Praxis dieses Akteurs gehören neben der Veröffentlichung rechtsextremer Inhalte auch Kampagnen, Aktionen und Veranstaltungen, mit denen Compact immer wieder in die öffentliche Debatte eingreift. In diesem Rahmen wird nicht nur rassistische und antisemitische Hetze verbreitet, sondern auch die Mobilisierung und Einbindung neuer Unterstützerinnen und Unterstützer vorangetrieben.
Wie eng die inhaltlichen sowie personellen Verflechtungen zwischen Compact und der AfD sind, bezeugt die Kampagne »Blaue Welle«. Mit dieser Veranstaltungsreihe, die aus formalen Gründen nicht als Wahlkampfveranstaltung bezeichnet werden durfte, wollte Compact vor den Landtagswahlen im Osten für die AfD werben. Im Shop von Compact wurden unter anderem »Höcke-Taler« vertrieben – Silbermedaillen mit dem Konterfei des thüringischen AfD-Spitzenkandidaten Björn Höcke, die als stabile Wertanlage und patriotisches Bekenntnis beworben werden – und im Magazin Stellenausschreibungen von AfD-Landtagsfraktionen veröffentlicht. Das Compact-Verbot trifft daher auch die AfD: In Brandenburg befürchtet die Partei massive finanzielle Einbußen im sechsstelligen Bereich. Mehr als ein Dutzend mit Compact-geplante Veranstaltungen, die im Rahmen des Landtagswahlkampfs geplant waren, können nun so nicht mehr stattfinden.
»Die Verbots-Debatte wird von Rechten bewusst auf die Frage der Presse- und Meinungsfreiheit verengt, um vom Organisationscharakter von Compact abzulenken.«
Compact hat unter anderem auch Verbindungen zu den Neonazis der »Identitären Bewegung« (IB). Paul Klemm, TV-Chef von Compact und ehemaliger IB-Aktivist besuchte immer wieder Veranstaltungen der Identitären, während er für das Magazin arbeitete. Und unter den Gründern des IB-nahen Kampagnennetzwerks »Ein Prozent« war neben dem neu-rechten Ideologen Götz Kubitschek, dem Pressesprecher der Deutschen Burschenschaft Philip Stein und dem AfD-Politiker Hans-Thomas Tillschneider auch Compact-Chefredakteur Jürgen Elsässer. Der wiederum trat regelmäßig bei den Pegida- und Legida-Aufmärschen auf. Im Gegenzug verschenkte Pegida 2015 spendenfinanzierte Abonnements von Elsässers Zeitschrift. Die Art von politischer Vernetzungsarbeit, die Elsässer betreibt, brachte er vor wenigen Jahren so auf den Punkt: »Alle zusammen in großer Einheit: Pegida, IB, AfD, Ein Prozent, Compact! Fünf Finger, alle kann man einzeln brechen, aber alle zusammen sind eine Faust!«
Rechte Fürsprecher von Compact versuchen das Verbot nun als einen Angriff auf die Pressefreiheit zu deuten, indem sie die organisatorische und vernetzende Rolle des Magazins unterschlagen. Moritz Schwarz, Redakteur der rechten Wochenzeitung Junge Freiheit behauptete, das Verbot sei der »schwerste Angriff auf die Pressefreiheit seit der Spiegel-Affäre 1962«, und redet damit die Bedeutung, die Compact für die gesamte rechtsextreme Szene und einige ihrer Akteure hatte, klein. Das Verbot des Magazins wird dadurch zum Willkürakt der »woke-grünlinke[n] Vormacht im Politik- und Medienbetrieb«, so der Politikwissenschaftler Werner Patzelt in der Jungen Freiheit. Compact wiederum kann sich so als verfolgtes Presseorgan inszenieren, das mutig gegen ein diktatorisches und ungerechtes »Regime« aufbegehrt.
»Verhandelt wird hier nicht die Pressefreiheit, sondern der Anspruch, unter Berufung auf diese Freiheit gegen die Rechte vieler Menschen vorzugehen.«
Die Verbots-Debatte wird von Rechten also bewusst auf die Frage der Presse- und Meinungsfreiheit verengt, um vom Organisationscharakter von Compact abzulenken. Verhandelt wird hier nicht die Pressefreiheit, sondern der Anspruch, unter Berufung auf diese Freiheit gegen die Rechte vieler Menschen vorzugehen – zum Beispiel das Recht, nicht verächtlich gemacht zu werden, das Recht, nicht ausgegrenzt zu werden oder das Recht, nicht verletzt zu werden. Denn das ist das Kerngeschäft von Compact: Rassismus, Antisemitismus, Queerfeindlichkeit und Hetze gegen Andersdenkende.
Die rechte Lüge, das Compact-Verbot sei ein Fall von autoritärer Cancel Culture, muss also entlarvt werden. Denn gewinnen kann die Rechte immer dann, wenn sie erfolgreich die Behauptung in die Welt gesetzt hat, irgendetwas sei Umerziehung, Zensur oder eben ein Angriff auf die Meinungsfreiheit. Die entsprechenden von rechts geforderten Gegenmaßnahmen – ideologisch beeinflusste Lehrpläne, ein Verbot geschlechtergerechter Sprache oder die Bekämpfung antifaschistischer Organisationen – erscheinen dann als Akte der Freiheit und nicht als das, was sie sind: Umerziehung, Zensur und ein Angriff auf die Meinungsfreiheit.
Der Kampf gegen die extreme Rechte wird sicherlich nicht über Verbote aus dem Innenministerium ausgefochten. Das bedeutet jedoch nicht, dass sie überflüssig sind. Zunächst hat so ein Verbot einen ganz praktischen, unmittelbaren Nutzen: Die Regale von Bahnhofskiosken, Zeitungsläden und Supermärkten sind nun um eine rechte Publikation ärmer, Compact erreicht nun nicht mehr mehrere Hunderttausend Menschen mit rassistischen und antisemitischen Texten, Videos und Bildern, die AfD verliert eine wichtige Unterstützerin und der rechtsextremen Szene bricht ein wichtiges Scharnier weg. Mit dem eingezogenen Vermögen wird nun weder rechte Propaganda hergestellt und verbreitet noch werden Leute dafür bezahlt, rechte Kampagnen durchzuführen und die Szene zu vernetzen.
»Eine weitere Radikalisierung der Anhängerschaft von Compact ist auch kaum zu erwarten, wie ein Blick auf andere Organisationsverbote der extremen Rechten offenbart.«
Die Gefahr, dass Compact ihre bisherige Tätigkeit illegal fortsetzen würde, ist als gering einzuschätzen. Selbst wenn es den Verantwortlichen gelingen würde, das verfügte Verbot der Gründung von Ersatzorganisationen zu umgehen, oder auf Online-Publikationen, die dem Zugriff deutscher Behörden entzogen sind, auszuweichen, würden sie dennoch einen Großteil der Reichweite einbüßen.
Eine weitere Radikalisierung der Anhängerschaft von Compact ist auch kaum zu erwarten, wie ein Blick auf andere Organisationsverbote der extremen Rechten offenbart. So führte weder das Verbot der neonazistischen Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei 1995 zu einer terroristischen Eskalation noch ging der Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds ein Verbot des »Thüringer Heimatschutzes« voraus. Und selbst bei den terroristischen Aktionen aus den Reihen und dem Umfeld der kurz zuvor verbotenen Wehrsportgruppe Hoffmann im Jahr 1980 bleibt die Frage, ob im Hinblick auf die Anschläge das Verbot entscheidender war oder der Umstand, dass die Organisation über Jahre verharmlost wurde und ungestört Aufbau betreiben konnte. Mit Blick auf das Compact-Verbot könnte man fragen, ob die von den Verbotskritikern befürchtete Eskalation bei den von rechtem Terror Bedrohten nicht schon längst zur Realität gehört und ob die Arbeit von Compact zu diesem Umstand nicht eher beigetragen hat als das nun erfolgte Verbot.
Natürlich ist es richtig, dass Verbote allein die faschistische Gefahr mittelfristig nicht bannen werden, weil sie die gesellschaftlichen Ursachen nicht berühren. Und fraglos ergibt sich daraus die Notwendigkeit eines Antifaschismus, der auf den Zusammenhang zwischen Kapitalismus und einer Ideologie, die sich dem Primat des Stärkeren verschrieben hat, abzielt. Aber richtig bleibt auch, was Bertolt Brecht in seinen Aufsätzen über den Faschismus schrieb: »Schlimmer als die Illusion, ohne die Entfernung der Ursachen des unnötigen Elends könnten seine Folgen entfernt werden, ist nämlich die Illusion, die Ursachen könnten bekämpft werden, ohne die Folgen und getrennt von ihnen und unter Verzicht auf die schwächsten und allerschwächsten Mittel.«
Sebastian Wehrhahn ist Referent der Linken im Bundestag für Antifaschismus/Rechtsextremismus. Er studierte Philosophie, Geschichte und Soziologie und schreibt unter anderem zu Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus.