18. Juli 2024
Das Verbot des Compact-Magazins wurde in vielen Kreisen als Sieg der Demokratie gefeiert. In Wirklichkeit reiht sich das Verbot in eine Kette von Vorstößen ein, die nicht die Demokratie schützen, sondern dem Autoritarismus den Boden bereiten.
Das Vorgehen von Nancy Faeser erlaubt es, dass sich Rechtsextreme als Opfer eines vermeintlich übermächtigen staatlich getragenen Antifaschismus inszenieren können.
Benedikt Kaiser, »Vordenker der Neuen Rechten« und »Rechtsintellektueller«, gibt sich anlässlich des Verbots des Magazins Compact als bürgerrechtsfreundlicher Anhänger Voltaires und fragt auf X, ob ein künftiger AfD-Innenminister in diesem Sinne nicht auch die taz oder die Jungle World verbieten könne, weil sie Linksextremisten und Antideutschen eine Plattform böte. »Eine kluge linke Positionierung würde daher ab sofort das hohe Gut der Pressefreiheit offensiv verteidigen, auch wenn es Andersdenkende trifft, die man selbst ideologisch und/oder habituell als abscheulich empfindet«, fährt er fort.
Man kann diesen Ratschlag aufgrund von Kaisers eigener Betroffenheit (er veröffentlichte selbst im nun verbotenen Magazin) als unehrlich erachten, aber nur weil der Falsche etwas sagt, kann es dennoch richtig sein. Sollten Linke das Verbot des rechtsradikalen Compact-Magazins begrüßen? Diese Reaktion war in den letzten Tagen durchaus verbreitet. Das Petitionsnetzwerk Campact freute sich etwa über diesen »großen Sieg für unsere Demokratie« und auch taz-Autor Nicholas Potter lobte die notwendige »rechtsstaatliche Härte«, und kritisierte lediglich, dass viel zu selten und häufig viel zu spät mit derartiger Härte durchgegriffen werde.
Viele verwiesen auf das Verbot von linksunten.indymedia als Präzedenzfall. Als diese Plattform kurz nach den teilweise gewalttätigen Protesten gegen den G20-Gipfel 2017 ebenfalls durch ein Vereinsverbot abgeschaltet wurde, hagelte es Kritik an dieser Maßnahme. Die Plattform sei als Presseerzeugnis durch Artikel 5 Absatz 1 des Grundgesetzes besonders geschützt, hier könne man nicht einfach so tun, als seien die Herausgeber ein krimineller Verein wie das lokale Bandidos-Chapter – so argumentierten Linke, Bürgerrechtlerinnen und sogar einige Journalisten, die kaum im Verdacht standen, Sympathien für die linke Plattform zu hegen. Aus formalen Gründen kam es damals zu keiner gerichtlichen Klärung, aber das Bundesverwaltungsgericht stellte immerhin fest, dass ein Verbot nicht auf Meinungsäußerungen und Pressetätigkeiten gestützt werden dürfe, die den Schutz der Meinungs- und Pressefreiheit genießen.
»In den 1970er und 80er Jahren wurde Tausenden Personen der Eintritt in den öffentlichen Dienst verwehrt, mit der Begründung, sie stünden angeblich nicht auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung.«
Doch anders als beim Verbot von linksunten.indymedia (oder dem Verbot der Neonazi-Plattform Altermedia im Jahr zuvor) stützt sich die Verbotsbegründung im Fall von Compact nicht auch darauf, dass die »Vereinstätigkeit« den Strafgesetzen zuwiderlaufen würde, sondern nur darauf, dass sich die Publikation »gegen die verfassungsmäßige Ordnung« richtet. Bisher gab es offenbar keinen Straftatverdacht aufgrund von Veröffentlichungen von Compact. Auch Ordnungswidrigkeiten wegen Verstößen gegen das brandenburgische Pressegesetz sind nicht bekannt, nur zivilgerichtliche Klagen – letzteres ist aber eine presserechtliche Normalität.
Die Macher von Altermedia wurden zu Haftstrafen wegen Volksverhetzung, Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, Aufrufen zu Straftaten und Bildung einer kriminellen Vereinigung verurteilt. Das Strafverfahren gegen die unbekannten Betreiber von linksunten.indymedia wurden eingestellt, weil diese nicht identifiziert werden konnten – die gute Verschlüsselung, gegen die nicht einmal BKA und Verfassungsschutz etwas ausrichten konnten, dürfte dabei ein ausschlagender Faktor gewesen sein. Aber Compact agiert offen, Herausgeber und Redakteure sind bekannt, und selbst dem Bundesinnenministerium scheinen keine einschlägigen Straftatbestände einzufallen. Allein der schwammige Begriff der »verfassungsmäßigen Ordnung« muss für eine Verbotsbegründung herhalten.
Unter »verfassungsmäßiger Ordnung« ist laut Bundesverfassungsgericht die »freiheitlich-demokratische Grundordnung« zu verstehen. Spätestens hier müssten Linke mit minimalem Geschichtsbewusstsein ins Grübeln kommen. In den 1970er und 80er Jahren wurde Tausenden Personen der Eintritt in den öffentlichen Dienst verwehrt, mit der Begründung, sie stünden angeblich nicht auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. In vielen Fällen kam das einem Berufsverbot gleich. Getroffen hat es fast ausschließlich Linke. Die Annahme, dass jetzt unter der SPD-Innenministerin Faeser quasi eine späte Korrektur dieses Kurses vorgenommen werde und man Rechtsradikale als wahre Feinde der Demokratie erkannt habe, ist zu bezweifeln. Denn das Compact-Verbot reiht sich ein in verschiedene Maßnahmen, die als »Stärkung der Demokratie« vermarktet werden, häufig aber das Gegenteil bewirken.
»Hier entfaltet sich ein zunehmend autoritärer Liberalismus, dem zur Verteidigung der liberalen Demokratie nur Verbote einfallen, die eben diese Demokratie schwächen.«
Das Disziplinarrecht für Bundesbeamte wurde ebenfalls durch Faeser verschärft, um »Verfassungsfeinde deutlich schneller als bisher aus dem öffentlichen Dienst zu entfernen«. Der Begriff des »Rechtsstaats«, der ursprünglich im Gegensatz zum Polizeistaat für die Gewährleistung des Schutzes vor der Staatsgewalt stand, wurde früher vor allem von Konservativen zur Legitimation einer Law-and-Order-Politik umgedeutet. Heute verknüpfen auch Politikerinnen wie die Grünen-Fraktionsvorsitzende Britta Haßelmann »Rechtsstaat« ganz selbstverständlich mit Härte und Abschiebungen. Und wer die Verbote von pro-palästinensischen Demos oder dem sogenannten Palästina-Kongress verfolgt hat, dürfte ahnen, dass sich hier ein zunehmend autoritärer Liberalismus entfaltet, dem zur Verteidigung der liberalen Demokratie anscheinend nur Verbote einfallen, die eben diese Demokratie schwächen.
In welche Richtung dieser angebliche Demokratieschutz geht, verdeutlicht ein Prozess, der heute am Verwaltungsgericht Berlin stattfindet. Die Tageszeitung Junge Welt klagt dort dagegen, dass sie in den jährlichen Berichten des Verfassungsschutzes aufgeführt wird, der Faesers Bundesinnenministerium unterstellt ist. Diesem gilt die Junge Welt als linksextremes Medium (genau wie er auch Compact seit Jahren als rechtsextremes Medium eingestuft und die Razzien vom Dienstag mitvorbereitet hat), aber nicht nur – sie sei nämlich mehr als ein Medium, wirke als politischer Faktor und schaffe Reichweite durch Aktivitäten wie zum Beispiel die Durchführung der alljährlichen Rosa-Luxemburg-Konferenz. Einzelne Redaktionsmitglieder und einige der Stamm- und Gastautorinnen und -autoren seien dem linksextremistischen Spektrum zuzurechnen. Wer die Pressemitteilung zum Compact-Verbot liest, wird hier einige Parallelen finden.
Noch handelt es sich »nur« um eine Nennung im Verfassungsschutzbericht. Aber ist es so unrealistisch, dass irgendwann auch beim Chefredakteur der Jungen Welt die Polizei klingelt, Haus und Redaktion durchsucht, Datenträger, Dokumente, Geld und Handys beschlagnahmt und die Website abgeschaltet wird? Benedikt Kaisers Überlegung, ein AfD-Innenminister könne mit der gleichen Argumentation in Zukunft auch linke Zeitungen verbieten, darf man als Drohung interpretieren. Eine Blaupause für solche Verbote sollten wir daher nicht bejubeln. Denn das »harte Durchgreifen des Rechtsstaates« könnte sich früher oder später gegen uns selbst richten.
André Paschke ist Jurist. Er promoviert zur Zeit zu einem völkerstrafrechtlichen Thema.