25. April 2020
Das Coronavirus stürzt die Weltwirtschaft in eine bisher nie dagewesene Rezession. Wir müssen die Schuldknechtschaft der Länder des globalen Südens aufheben und brauchen einen globalen Green New Deal, von dem Arbeiterinnen und Arbeiter auf der ganzen Welt profitieren.
Straßenmarkt in Daressalam, Tansania.
Das Coronavirus treibt die Welt in eine weitere globale Rezession. Unternehmen machen dicht, Arbeiterinnen und Arbeiter betreiben Selbstisolation und die Räder der globalen Wirtschaft kommen zum Stillstand.
Die Regierungen des globalen Nordens schnüren bis zu Billionensummen umfassende Rettungs- und Wirtschaftspakete, um die globale Katastrophe zu bekämpfen. Doch was ist mit den ärmeren Ländern, die sich solche massiven Rettungspakete nicht leisten können?
Viele Länder des globalen Nordens, die über eine hohe Kreditwürdigkeit und Wirtschaftskraft verfügen, können sich zu fast Nullprozent-Zins Geld leihen und riesige Summen in ihre Wirtschaft pumpen. Doch vielen Nationen des globalen Südens stehen große strukturelle Hürden im Weg, um in ähnlicher Weise reagieren zu können. Oftmals sind sie hochverschuldet, zahlen hohe Zinsen und sind gefangen in Strukturanpassungsprogrammen. Dies verhindert, dass sie ähnliche Haushaltsprogramme beschließen können.
Wenn wir verhindern wollen, dass die COVID-19 Pandemie die globale Ungleichheit vertieft und ärmeren Ländern noch mehr schadet, müssen wir die neokolonialen Ketten angreifen, die diese Länder fesseln und den Weg für einen globalen Green New Deal freimachen.
Es ist wichtig, die kolonialen und postkolonialen Zwänge zu verstehen, denen die Länder des globalen Südens ausgesetzt sind. Erst dann können wir die Herausforderungen nachvollziehen, die sich ihnen stellen, während sie mit COVID-19 und dessen Auswirkungen kämpfen.
Mit dem Ende des Kolonialismus ist es dem globalen Süden zwar gelungen, politische Unabhängigkeit zu erlangen, doch noch immer übt der Westen über seine früheren Kolonien Kontrolle aus. Dabei regieren die westlichen Länder andere Nationen nicht selbst. Sie nutzen, so nannte es der frühere ghanaische Präsident Kwame Nkrumah, »neokoloniale Dominanz«, um ihre Ziele mit politischen und wirtschaftlichen Mitteln durchzusetzen.
Die Zahlen belegen Nkrumahs Behauptung: 1960 versprach die Erklärung der Vereinten Nationen über die Gewährung der Unabhängigkeit an koloniale Länder und Völker das Recht auf nationale Selbstbestimmung und verlangte, dass der Kolonialismus zu einem schnellen und bedingungslosen Ende kommen müsse. Doch seitdem ist der durchschnittliche Nord-Süd Abstand in den Pro-Kopf Einkommen gewachsen, nicht geschrümpft. Die globale Ungleichheit ist inzwischen so groß, dass der globale Gini-Koeffizent, mit dem die weltweite Ungleichheit gemessen wird, auf dem Level von Südafrika ist – eine der ungleichsten Gesellschaften auf diesem Planeten.
Einer der Gründe für die wachsende Kluft zwischen armen und reichen Ländern ist die schuldenbasierte Abhängigkeit des globalen Südens vom globalen Norden. Im Kampf gegen die Armut zwang der Mangel an Ressourcen zur Kapitalbeschaffung die Entwicklungsländer, Geld zu außerordentlich hohen Zinssätzen zu leihen – oftmals von denselben Ländern, die sie ursprünglich kolonisiert hatten.
Misheck Mutize von der Universität Kapstadt weist auf diesen Umstand hin:
»Afrikanische Regierungen zahlen Zinssätze von 5 bis 16 Prozent auf Staatsanleihen mit zehnjähriger Laufzeit. In Europa und Nordamerika erhält man Nullprozent - und sogar Negativzinssätze. […] Im Durchschnitt sind Zinsrückzahlungen die höchsten und am schnellsten wachsenden Kostenfaktoren der Fiskalhaushalte Subsahara-Afrikas.«
Hinzu kommt, dass Schulden typischerweise mit neoliberalen Strukturanpassungsprogrammen (SAPs) einhergehen. Seit den 1970er und 80er Jahren zwingen die Weltbank und der Internationale Währungsfonds Länder dazu, eine ganze Reihe rückschrittlicher Maßnahmen zu ergreifen – Deregulierung, Privatisierung, Kürzungen – bevor sie bereit sind, ihre Geldbeutel zu öffnen.
Im Angesicht der Coronavirus-Pandemie sind die Länder des globalen Südens in einer dreifachen Zwickmühle: Das Geld für Rettungs- und Wirtschaftsprogramme wird viele zur weiteren Verschuldung zwingen. Um Kredite zu erwerben, könnten sie genötigt werden, weitere »Strukturanpassungsprogramme« durchzusetzen. Und genau diese Maßnahmen werden den ohnehin heruntergekommenen öffentlichen Sektor weiter aushöhlen, sodass die Länder einer Pandemie wenig entgegenzusetzen haben.
Während das Coronavirus sich auf der ganzen Welt verbreitet, reißt es allerorts Wirtschaftssysteme mit in den Abgrund. Auf diese »beispiellose Rezession« muss mit einer beispiellosen Mobilisierung geantwortet werden. Es gibt ein politisches Programm, das dieser Aufgabe tatsächlich gewachsen sein könnte: ein globaler Green New Deal (GGND).
Dem Chef der Internationalen Arbeitsorganisation (International Labor Organisation) der UN zufolge könnte COVID-19 allein in den nächsten drei Monaten 195 Millionen neue Arbeitslose schaffen. Forscherinnen und Forscher der Stanford Universität haben berechnet, dass ein GGND, der die Welt zu 100 Prozent mit erneuerbaren Energien versorgt, für 28,6 Millionen neue Arbeitsplätze sorgen könnte – und das nur im Energiesektor.
»Wenn der globale Süden von einem Green New Deal profitieren soll, muss er von seinen neokolonialen Fesseln befreit werden.«
Der Weltklimarat (Zwischenstaatlicher Ausschuss für Klimaänderungen, IPCC) hat darauf hingewiesen, dass das Ziel, die globale Erwärmung auf 1,5° Celsius zu beschränken, eine Transformation von im Grunde genommen allen gesellschaftlichen Bereichen erfordere. Ein GGND könnte 170 Millionen zusätzliche Jobs schaffen – und damit die vorausgesagten Jobverluste von COVID-19 fast komplett ausgleichen.
Doch wenn der globale Süden von einem Green New Deal profitieren soll, muss er von seinen neokolonialen Fesseln befreit werden, die ihn zurückhalten. Auch wenn die möglichen Vorteile eines GGND riesig sind, stellt ein Bericht der Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (United Nations Conference on Trade and Development, UNCTAD) fest, dass die dafür notwendigen Investitionen ebenfalls enorm sind. Mukhisa Kituyi, Generalsekretär der UNCTAD, erklärte diesbezüglich: »Die Zahlen zur Finanzierung sind beängstigend, sie reichen von ›Milliarden bis Billionen‹, und allein in den Entwicklungsländern sind zusätzliche Ausgaben von 2,5 Billionen Dollar pro Jahr erforderlich.«
UNCTAD erklärt, dass Entwicklungsländer zu großen Teilen nicht dazu in der Lage sein werden, in einen nationalen GND zu investieren, weil sie verschuldet sind, kein Kapital aufbringen können und keinen Zugang zu Niedrigzins-Krediten haben. Damit alle Länder die notwendigen Investitionen vornehmen können, um ihre Wirtschaft schadstofffrei umzugestalten, empfiehlt die Organisation, die Regeln der internationalen Handels- und Währungssysteme zu überarbeiten. Besonders zentral in den Empfehlungen des Berichts werden aufgeführt: SAPs nachbessern, Schulden erlassen und Schuldstrukturen überarbeiten, damit Entwicklungsländer einen GGND mitfinanzieren können. Im Grunde genommen empfiehlt UNCTAD, eben jene neokolonialen Strukturen aufzuheben, die den globalen Süden fesseln.
Zusätzlich argumentiert der Bericht der UNCTAD: »Was wir jetzt benötigen, ist ein koordinierter Investitionsschub noch nie dagewesenen Ausmaßes auf globaler Ebene.« Dies würde bedeuten, dass der globale Norden für die notwendigen Investitionen mitzahlen muss, um so die gewaltige ökologische und koloniale Schuld gegenüber dem globalen Süden auszugleichen. Der Vorschlag von Yanis Varoufakis und David Adler, eine internationale Organisation für Notfall-Umweltkooperationen zu gründen, wäre ein Weg, genau dies zu tun. Eine solche Organisation könnte jedes Jahr acht Billionen Dollar aufbringen. Sie könnte einen GGND finanzieren und Ländern dabei helfen, die Auswirkungen des Klimawandels ihren Bedürfnissen entsprechend anzugehen. Und genau das brauchen wir im Angesicht dieser internationalen Krise.
Die Klimakrise verschlimmert sich weiter und eine noch nie dagewesene Pandemie reißt uns in eine globale Rezession. Wir müssen die Ketten des Neokolonialismus durchbrechen, die den globalen Süden bis heute fesseln, und müssen es allen Ländern ermöglichen, in eine nachhaltige Wirtschaft überzugehen. Das ist nötig, wenn wir in einer gesunden, sozialen und ökologisch gerechten Welt leben wollen.
Alex Lenferna arbeitet als Südafrika-Campaigner für 350.org.