13. Januar 2022
Baden-Württembergs Finanzminister Danyal Bayaz huldigt der Schuldenbremse und rät seiner Partei, keine Vermögensteuer mehr zu fordern. Ist das noch grün oder schon gelb?
Danyal Bayaz im Wirecard-Untersuchungsausschuss, 2021.
Baden-Württembergs Finanzminister Danyal Bayaz war einmal Unternehmensberater und zog 2017 für die Grünen in den Bundestag ein. 2020 hat er sich als Aufklärer im Untersuchungsausschuss zum Wirecard-Skandal einen Namen gemacht, im Mai 2021 wurde er Finanzminister in der schwarz-grünen Koalition in Baden-Württemberg. Eine steile finanzpolitische Karriere.
Jüngst zeigte er in einem Interview im Handelsblatt jedoch, dass sein ökonomisches Verständnis gelb gefärbt ist. Darin lobt er Christian Lindner, huldigt der Schuldenbremse und plädiert dafür, dass die Grünen keine Vermögensteuer mehr fordern sollten – mit fadenscheinigen Argumenten. Man könnte fast den Eindruck bekommen, an Bayaz sei ein talentierter FDPler verloren gegangen.
Gleich zu Beginn des Interviews lobt er den Koalitionsvertrag für eine »gute Mischung aus Solidität und dem Fokus auf Investitionen«. Diese Worte sind eigentlich inhaltsleer, doch sie offenbaren Bayaz’ Denkweise. Für Investitionen Schulden zu machen, ist demnach das Gegenteil von »Solidität«. In begrenztem Maße seien Schulden vertretbar, aber nur wenn die Fiskalpolitik ansonsten »solide« agiere. Und damit meint er nicht, dass die Politik Vollbeschäftigung oder eine brummende Wirtschaft sichert, sondern dass sie rote Zahlen im Staatshaushalt vermeidet. So viel investieren wie nötig, so wenig Schulden machen wie möglich – das scheint die Auffassung zu sein.
Die zitierten Floskeln könnten auch von Lindner oder Olaf Scholz stammen – denn alle drei bedienen sich derselben neoliberalen Narrative. Sie hängen den gleichen wirtschaftsliberalen Märchen an, wenn es um Staatsfinanzen geht. Denn der Widerspruch zwischen Schulden für Investitionen und einem »soliden« Staatshaushalt ist in Wirklichkeit keiner. Das ist eine Lüge, die so oft wiederholt wurde, dass sie als wahr gilt.
Das Gegenteil trifft zu: Es ist unsolide, wenn Investitionen ausbleiben, die Wirtschaft und die Produktivität lahmen, wenn Menschen arbeitslos bleiben und wir weniger Wohlstand erzeugen, als wir eigentlich könnten. Deutschland hat einen milliardenschweren Investitionsstau. Um diesen Stau zu lösen, müsste sich der Finanzminister einer progressiven Partei wie den Grünen von solchen Narrativen lösen. Man dürfte ihn eben nicht mit Lindner oder Scholz verwechseln können. Diese scheinen nun aber ein finanzpolitisches Zentrum zu bilden, an dem man nur schwer vorbeikommt.
Auf die Frage, was die Schuldenbremse noch wert ist, wo sie doch an vielen Stellen umgangen werden soll, antwortet Bayaz: »Die Schuldenbremse ist eine wichtige Errungenschaft, und sie gilt weiterhin.« Dieser Satz hätte sogar von Wolfgang Schäuble sein können. Und er ist entlarvend. Denn man kann nicht zugleich den Investitionsstau beklagen und die Schuldenbremse bejubeln.
Im Interview sagt Bayaz immer wieder Dinge wie »Unsere Spielräume haben ja Grenzen« oder »Der Staat kann nicht alles lösen«, um die Werbetrommel für Superabschreibungen zu rühren. Der Staat müsse das »private Kapital mobilisieren«. Es ist zwar richtig, dass die privaten Unternehmen in der Höhe deutlich mehr investieren als der Staat und dass diese Investitionen für eine ökologische Wende auch grüner werden müssen. Bayaz’ Formulierung suggeriert aber etwas anderes: eine fehlende Handlungsfähigkeit des Staates.
Die Corona-Krise hat jedoch das Gegenteil gezeigt. Fiskalpolitisch könnte die Krise sogar eine Blaupause dafür sein, dass ein aktiver Staat, der viel Geld clever ausgibt, auch die ökologische Wende beschleunigen könnte. Wenn der Staat die Richtung vorgibt – mit einer Mischung aus öffentlicher Investitionsoffensive und neuen, grüneren Spielregeln für die Wirtschaft –, folgt das »private Kapital« auf dem Fuße. Dieses wird dann »mobilisiert«, weil seine Eigentümer auf den neuen grünen Märkten die Profite einstreichen wollen, die es dort nun zu machen gibt. Marktwirtschaft eben. So scheint Bayaz das aber gerade nicht zu meinen.
Bayaz rät im weiteren Verlauf: »In Zukunft könnten wir noch auf die ein oder andere ideologische Auseinandersetzung verzichten.« Er meint damit die Vermögensteuer, von der er nie ein Fan gewesen sei.
Dass die Vermögensteuer, die SPD, Grüne und Linke in ihre Wahlprogramme schrieben, nur in einer Mitte-Links-Regierung eine Chance gehabt hätte, war von vornherein klar. Mit der FDP ist sie nicht zu machen. Bayaz saß bei den Koalitionsverhandlungen für die Grünen im Bereich Haushalt und Finanzen mit am Tisch. Ein Segen für die FDP. Interessant ist aber, dass er die Vermögensteuer – die bis heute im Grundgesetz steht und nur nicht mehr erhoben wird – als ideologisch brandmarkt. Ideologisch sind eben immer die anderen.
Gegen die Vermögensteuer führt er an:
»Es gibt das Problem der Substanzbesteuerung. Zugespitzt formuliert: Wenn ich das Vermögen jedes Jahr mit zwei Prozent besteuere, dann ist es ohne Wertzuwachs nach 50 Jahren weg. Zudem ist es eine sehr aufwendige Steuer: Wenn meine Finanzbeamten jährlich rausmüssen, um Vermögensgegenstände in privaten Haushalten und in den Betrieben zu erfassen und zu bewerten, ist das viel Aufwand, der vergleichsweise wenig Einnahmen bringt.«
Das Argument der Substanzbesteuerung ist jedoch manipulativ. Erstens, weil die Mathematik von Bayaz falsch ist: Nach 50 Jahren ist das Vermögen bei 2 Prozent Vermögensteuer nicht weg – auch nicht bei der dubiosen Annahme »ohne Wertzuwachs«. Nach 50 Jahren wären noch ganze 36,4 Prozent des Vermögens übrig, da sich jedes Jahr der Ausgangswert ändert, von dem 2 Prozent besteuert werden soll.
Die Annahme, es gäbe keinen Wertzuwachs, ist zweitens völliger Unsinn. Die Vermögenden erzielen mit Mieten, Zinsen, Dividenden, steigenden Unternehmens- und Aktienbewertungen jedes Jahr fette Renditen und Wertzuwächse. Und die sind deutlich größer als 2 Prozent. Nicht umsonst geht die Schere beim Vermögen immer weiter auseinander. Wenn der Wertzuwachs und die Ausschüttungen größer sind als die Steuerbelastung, wird die Substanz nicht kleiner, sondern sogar größer. Dieser Zuwachs würde durch eine Vermögensteuer lediglich begrenzt. Für eine wirkliche Substanzbesteuerung des reichsten Prozents der Gesellschaft müsste man schon eine deutlich höhere Vermögensteuer ansetzen.
Drittens sehen die gängigen Vorschläge für eine Vermögensteuer einen progressiven Steuertarif mit hohen Freibeträgen vor – insbesondere für Betriebsvermögen. Heißt: Vermögende würden unter noch so hohen Vermögensteuersätzen nicht arm werden. Und das Vermögen wäre auch nicht weg, es wäre nur anders verteilt. Bayaz baut liberale Strohmänner auf. Ziel einer Vermögensteuer wäre die milliardenschwere BMW-Großerbin Susanne Klatten und nicht Oma mit ihrem Häuschen oder der Handwerker mit seinem Kleinbetrieb.
Zu guter Letzt reicht auch das Argument nicht aus, die Vermögensteuer wäre so aufwendig zu erheben. Mit millionenschweren Freibeträgen konzentriert sich die Steuer auf einen kleinen, leicht zu überblickenden Bevölkerungsteil. Aktien-, Immobilien- und Betriebsvermögen lassen sich relativ problemlos ermitteln. Teilweise wird das sowieso schon getan. Für sonstiges Vermögen wie Hausrat oder Schmuck sollte es hohe Freigrenzen geben. Das macht den Braten ohnehin nicht fett. So ließe sich der Aufwand minimieren und gleichzeitig extremer Reichtum einschränken.
Als Alternative zur Vermögensteuer schlägt Bayaz eine Reform der Erbschaftsteuer vor: »Da ist eine gut ausgestaltete Erbschaftsteuer die deutlich bessere Alternative: ein niedriger Satz, wenig Ausnahmen und eine Stundungsregelung für Unternehmen. Aber in dieser Legislaturperiode wird das wohl nichts.«
Bayaz macht sich damit einen schlanken Fuß. Um die extrem ungleiche Vermögensverteilung zu korrigieren und obszönen Reichtum zu begrenzen, reicht es nicht, in jeder Generation einmal das Erbe zu besteuern. Die Einnahmen aus der Erbschaftsteuer liegen derzeit bei zwischen 5 und 10 Milliarden Euro pro Jahr. Mit der Vermögensverteilung macht das nicht viel.
Die Einnahmen durch die Erbschaftssteuer sind deshalb so gering, weil durch die Erbschaft- und Schenkungsteuerreform 2009 so weitgehende Verschonungsregelungen für Betriebsvermögen eingeführt wurden, dass dieses, wenn es vererbt oder verschenkt wird, häufig gar nicht mehr besteuert wird. Erben von ein paar hunderttausend Euro zahlen oft mehr Steuern als Milliardärserben. Außerdem gab es schon vor der Reform großzügige Stundungsmöglichkeiten. Die Gefahr vor einer übermäßigen Steuerbelastung der Betriebe ist die leichtentzündliche Nebelkerze, die jeder Wirtschaftsliberale dann entflammt, wenn es um den Geldbeutel der Superreichen geht.
Weil das selbst in Bayaz’ Augen ungerecht ist, schlägt er eine geringere Erbschaftssteuer mit weniger Privilegien für Betriebsvermögen vor. Das Problem: Er fordert einen einheitlichen Steuersatz. Das wäre fatal. Heute ist der Erbschaftsteuertarif progressiv. Heißt: Wer mehr erbt, zahlt höhere Steuersätze. Das ist nur gerecht. Ein einheitlicher Satz, wie auch Liberale von der FDP ihn fordern, wäre das Gegenteil von Steuergerechtigkeit: eine Steuersenkung für Milliardäre durch die Hintertür. Mit so einer Erbschaftsteuer ließe sich die Vermögensverteilung nicht korrigieren. Erst recht nicht, wenn es nicht gleichzeitig auch eine Vermögensteuer gibt, die jedes Jahr die Vermögenszuwächse der Superreichen bremst. Bayaz’ Alternative ist also keine. Zumindest nicht, wenn man obszönen Reichtum einschränken will.
Auch dort, wo es um die Entlastung kleiner und mittlerer Einkommen geht, wird es bei Bayaz ideologisch. Er sagt: »Aus meiner Sicht wäre es höchste Zeit für eine Entlastung kleiner und mittlerer Einkommen. Aber das geht nur mit einer Gegenfinanzierung, einer moderaten Anhebung des Spitzensteuersatzes.«
Wer sagt, man brauche eine Gegenfinanzierung, dem kann nicht viel an kleinen Einkommen liegen oder der hat das ganze makroökonomisch nicht durchdacht. Wenn kleine Einkommen netto größer gemacht werden, werden sie mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit gleich wieder ausgegeben, kurbeln die Wirtschaft an und kommen in Form von zusätzlicher Einkommensteuer, Umsatzsteuer oder Sozialversicherungsbeiträgen wieder zu einem großen Teil zurück an den Staat.
Selbst wenn das die Staatsbilanz nicht wieder ausgleicht, sollte es einem Finanzminister doch ein Anliegen sein, dafür ein kleines Defizit im Staatshaushalt in Kauf zu nehmen. Bei anderen Ausgaben, zum Beispiel bei der Rüstung, wird von Wirtschaftsliberalen selten nach der »Gegenfinanzierung« gefragt. Bei Steuerentlastungen für kleine Einkommen oder der Anhebung von Hartz-IV-Sätzen komischerweise immer. Bayaz bedient dieses bekannte Muster ganz bewusst.
Insgesamt stellt er den Staat als finanziell handlungsunfähig und von privatem Kapital abhängig dar – und noch dazu Geld als eine knappe Ressource. Das ist genau der magische Dreiklang des Neoliberalismus, der zu Deregulierung, Privatisierung und Austerität geführt hat. Nicht, dass Bayaz das explizit fordert oder beabsichtigt, doch seine Argumentation führt zu Ende gedacht genau in diese Richtung. Eine Investitionsoffensive, ein Green New Deal, eine Vollbeschäftigungspolitik, eine große Finanzspritze für unterfinanzierte Kommunen – all das wird mit einem grünen Finanzminister Bayaz nicht zu machen sein. Oder besser gesagt: Mit Bayaz ökonomischer Argumentation. Dieses wirtschaftsliberale Paradigma ist immer noch dominant – bis in die politische Linke hinein.
Man kann nur hoffen, dass die Finanzpolitik der Grünen nicht von Wirtschaftsliberalen wie Bayaz in die Hand genommen wird.Robert Habeck zum Beispiel hat im Wahlkampf das Gegenteil gezeigt. Seine Argumentation ließ sich klar von der eines Christian Lindner oder Friedrich Merz unterscheiden. Bei Bayaz wäre das nicht so gewesen. Klar ist: Die politische Linke muss sich von wirtschaftsliberalen Erzählungen emanzipieren, wenn sie ihre Ziele erreichen will. Das Beispiel von Bayaz zeigt, in welche Richtung es nicht gehen darf.
Eine kürzere Version dieses Artikels erschien zuerst im »Geld für die Welt«-Newsletter.
Maurice Höfgen ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter für Finanzpolitik im Bundestag und Autor des Buches »Mythos Geldknappheit«. Zudem betreibt er den YouTube-Kanal »Geld für die Welt«.