28. Februar 2022
Die Bundesregierung rüstet mit einem Sondervermögen von 100 Milliarden Euro die Bundeswehr auf und will künftig 2 Prozent des BIP fürs Militär ausgeben. Das ist der falsche Weg.
In seiner Regierungserklärung sprach Olaf Scholz von einer "Zeitenwende" und kündigte Waffenlieferungen an die Ukraine an, Berlin, 27.02.2022.
Etwa 500.000 Menschen protestierten laut Veranstaltern in Berlin am Sonntagmittag gegen den Angriffskrieg auf die Ukraine. Zu sehen sind blau-gelbe Fähnchen, Friedenstauben, Hitler-Putin-Vergleiche. Es ist eine der größten Demonstrationen seit dem Irakkrieg 2003. Das Zeichen gegen den Krieg ist eindeutig, doch die Demonstration ist gesellschaftlich wie auch politisch so heterogen wie selten und diffus bis widersprüchlich: Nicht wenige fordern mehr Waffenlieferungen ins Krisengebiet – und die Bundesregierung liefert.
Wenige hundert Meter von der Demonstration entfernt findet im Parlament eine Sondersitzung zum Krieg in der Ukraine statt. Zuvor wurde bekannt, dass Deutschland 1.000 Panzerabwehrwaffen und 500 Stinger-Raketen in die Ukraine liefern wird. Das ist ein historischer Bruch in der deutschen Außenpolitik, die sich mit solchen Lieferungen bisher immer zurückhielt (im Kampf gegen den IS belieferte Deutschland YPG-Truppen etwa nicht).
Im Bundestag kündigt Kanzler Scholz an, ein Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro für die Ausstattung der Bundeswehr bereitzustellen. Diese Investitionen sollen sogar durch eine Änderung des Grundgesetzes abgesichert werden. Auch die Forderung der NATO, 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Militärausgaben aufzuwenden, soll in Zukunft erfüllt werden. Damit hatte Deutschland bisher trotz deftiger Erhöhungen der letzten Jahre noch gehadert. Mit über 50 Milliarden Euro rangiert Deutschland auf Platz 7 der Länder mit den weltweit höchsten Militärausgaben. Binnen weniger Tage ändert Deutschland damit die Ausrichtung seiner Außen- und Sicherheitspolitik.
Auch darüber hinaus werden gerade in unglaublicher Geschwindigkeit sämtliche heiligen Kühe der deutschen Politik geschlachtet: das Abdrehen von Nordstream 2, eine mögliche Verlängerung der Atomkraft, Waffenlieferungen und das unglaublich eilige Aufrüsten. Vieles, worum energie- und sicherheitspolitisch jahrzehntelang gerungen wurde, steht auf dem Prüfstand oder wird kurzerhand verworfen. Welche Folgen diese Neuausrichtung in der Eskalation des Krieges und vor dem Hintergrund der Androhung des Einsatzes nuklearer Waffen nach sich ziehen wird, ist noch nicht abzusehen. Momentan erreichen uns stündlich neue Meldungen, die noch bis vor kurzem ausgeschlossen schienen.
Die Bundesregierung – und mit ihr der größte Gewinner dieses Krieges, die Rüstungsindustrie – nutzt diese Dynamik, um milliardenschwere Investitionen in die Bundeswehr zu pumpen, die keiner Ukrainerin und keinem Ukrainer derzeit helfen werden. Im Gegenteil: es wird nun mehr Waffen für künftige Kriege geben, die an anderen Orten und zu anderen Zwecken ausgefochten werden. Es ist verlogen, hier zu schnellem Handeln aufzurufen, wenn man nur kurz zuvor noch tagelang effektive Finanz- und Wirtschaftssanktionen – insbesondere im Energiesektor – gegen Russland verzögert oder sogar verhindert hat. Statt hier zielsicher gegen das Vermögen von Oligarchen und den militärischen Komplex vorzugehen, blockierte die Bundesregierung internationale Vorhaben unter dem Vorwand der Energiesicherheit.
Das 100-Milliarden-Euro-Paket zeigt außerdem, dass Deutschland zu jedem Zeitpunkt fähig gewesen wäre, frühzeitig in erneuerbare Energien zu investieren und sich von Russland energiepolitisch unabhängig zu machen. Sowohl in der Pandemie wie auch in der Klimakrise werden die notwendigen Investitionen zum Schutz von Menschen und Natur nicht ermöglicht. Während eines Krieges aber werden innerhalb von Tagen Summen in den menschen- und klimafeindlichsten Bereich gesteckt, den man sich vorstellen kann. Wenn die Bundesregierung gleichzeitig an der Schuldenbremse festhält und die Militärausgaben steigert, bedeutet das Austerität in anderen Bereichen. Statt eines sozial-ökologischen Keynesianismus erleben wir einen militärischen – genau das ist der falsche Weg.
Kriege werden immer von den Herrschenden angezettelt. Darunter leiden die Menschen in den Kriegsgebieten und diejenigen, die von Sanktionen und Engpässen betroffen sind, diejenigen die flüchten müssen oder unter Repressionen gegen den Krieg demonstrieren. Es sind diese Menschen, an deren Seite Sozialistinnen und Sozialisten stehen. Die Tradition des Internationalismus verpflichtet sich den Menschen, die unter dem Krieg leiden, und nicht der Militarisierung von Staaten. Daran darf es trotz des mutigen Verteidigungskampfes der Ukrainerinnen und Ukrainer keinen Zweifel geben.
Die Linke in Deutschland muss aus den Schrecken der letzten Tage nun dringend einige Erkenntnisse ziehen. Sie war selbst unvorbereitet und hatte Putins Kriegsbestrebungen unterschätzt. Sie erlebt nun eine ungeahnt große Mobilisierung gegen den Krieg, die allerdings in Teilen selbst Aufrüstung fordert und bei der die gesellschaftliche Linke keine relevante Stimme ist. Und sie steht einer Bundesregierung gegenüber, die sich der Aufrüstung verschrieben hat und in deren Koalition die Grünen ihre Friedensvergangenheit längst über Bord geworfen haben. Angesichts dessen ist es umso wichtiger, den moralisch-menschlichen Reflex der Demonstrationen in eine politische Lösung jenseits einer kriegerischen Eskalation umzulenken. Gegen die wachsende Militarisierung infolge dieses Krieges wird es die Linke schwer haben. Doch eine friedenspolitische Bewegung ist gerade jetzt notwendiger denn je.
Ines Schwerdtner ist Host des JACOBIN-Podcasts Hyperpolitik und war von 2020-2023 Editor-in-Chief von JACOBIN.