03. Januar 2023
Kaufhäuser wie Galeria Kaufhof oder Karstadt waren einst Mittelpunkte städtischen Lebens. Nun stehen sie vor der Insolvenz. Für die Beschäftigten der Ruin, für René Benko ein Reibach.
Konzernchefs wie Benko interessieren sich weniger für die Warenhauskette als vielmehr für die Top-Lage ihrer Immobilien.
IMAGO / Emmanuele ContiniAutomatiktüren öffnen sich, heiße Luft strömt einem aus dem Foyer entgegen. Musik und eine Vielzahl von Gerüchen umgeben einen, Licht reflektiert in tausend Spiegeln. Kaufhäuser sind nicht nur die Gesichter der deutschen Innenstädte, sondern für viele auch ihr Arbeitsplatz. Doch diese einstigen Wahrzeichen des deutschen Wirtschaftswunders sind dem Verfall geweiht.
Émile Zolas Ende des 19. Jahrhunderts erschienener Roman Das Paradies der Damen erzählt die Geschichte der jungen Französin Denise, die aus der Provinz nach Paris zieht und in einem großen Kaufhaus eine Anstellung als Verkäuferin findet. Zola beschreibt das Kaufhaus als Ort der Gegensätze: der Prunk im Verkaufsraum, die ärmlichen Kammern der Angestellten, drinnen die Hoffnung auf ein gutes Leben für Denise, draußen der spärlich besuchte Stoffhandel ihres Onkels.
Bis ins 21. Jahrhundert blieb das Kaufhaus eine beliebte Kulisse für Literatur und Film. Die US-Komödie Der Kaufhauscop zeigt einen Ladendetektiv im Weihnachtsschlussverkauf, die Serie How I Met Your Mother besingt die Konsumtempel im Song »Let’s go to the Mall« und der Weihnachtsfilm Tatsächlich Liebe beginnt mit einer imposanten Kamerafahrt durch das geschmückte Whiteleys Shopping Center im Londoner Westen.
Das Whiteleys Shopping Center wurde 2018 geschlossen und umgebaut. Heute beherbergt der prunkvolle Bau Luxuswohnungen und ein »Six Senses Hotel«, eine Art »Social Club« mit Wellnessbereich.
Auch in Deutschland galten Kaufhäuser lange als Mittelpunkt vieler Städte. Die Filialen von Galeria Karstadt Kaufhof, mittlerweile schlicht Galeria, erinnern daran. Kaum eine Unternehmensgeschichte steht so emblematisch für das Wirtschaftswunder der Nachkriegszeit. In vielen insbesondere westdeutschen Stadtzentren sind die Immobilien des Unternehmens deswegen bis in die 2000er Jahre hinein wichtige städtebauliche Fixpunkte gewesen, die Zehntausende Angestellte beschäftigten. Viele von ihnen haben seit der Jahrtausendwende ihre Arbeit verloren. Die Ära der klassischen Kaufhäuser sei vorüber, meinen viele.
Je kleiner die Stadt, desto deutlicher fallen die Kaufhäuser ins Auge. In Witten oder Hagen blicken nahezu fensterlose, kantige Riesen auf die ansonsten gedrungenen Innenstadtmeilen. In Halle an der Saale steht einer am Marktplatz. Die Filiale in Witten ist dauerhaft geschlossen. Halle wird ebenfalls dicht machen, wenn sich kein neuer Käufer findet. Nur Hagen könnte durchkommen.
Galeria steht vor der Zahlungsunfähigkeit, zum dritten Mal innerhalb von vier Jahren. Rund ein Drittel aller Filialen wird schließen, verkünden die Zeitungen. Bestätigen kann Verdi-Verhandlungsleiter Marcel Schäuble, der unter anderem für die Beschäftigten von Galeria verantwortlich ist, diese Zahl nicht. Man müsse das Ergebnis des Prüfungsverfahrens abwarten. Aber auch er sagt: »Die Angst ist natürlich groß, denn auch bei den Häusern, die weiterbetrieben werden, soll Personal abgebaut werden«.
Die meisten der etwa 17.000 derzeitigen Mitarbeitenden von Galeria kämpfen nun um ihre Zukunft – und das seit mehr als zehn Jahren. Wer ist für ihre Misere verantwortlich?
Die Produktions- und Konsumverhältnisse haben sich in den letzten Jahrzehnten stark gewandelt. Click-and-Buy-Konzepte bringen fast alles innerhalb kürzester Zeit zur Haustür. Der Online- und Versandhandel hat den stationären abgelöst. Das belegen auch die Zahlen. Laut dem Statistischen Bundesamt sank der Umsatz der Kaufhäuser bis 2015 stetig und stagniert nunmehr auf niedrigem Niveau, während der Onlinehandel insbesondere im Bekleidungsbereich unaufhaltsam wächst. Gleichzeitig sanken die Reallöhne im Laufe der 2000er Jahre. Der Gang ins Kaufhaus wurde zum Luxus und schließlich Opfer des Verzichts.
Auf dem Höhepunkt ihres Booms in den 1960er Jahren erreichten die deutschen Kaufhäuser noch Marktanteile im Einzelhandel von bis zu 15 Prozent, seit den 80er Jahren sind diese stetig gefallen und nun auf ein Rekordtief von gerade einmal 1,7 Prozent gesunken. Der Todeskampf der Kaufhauskette lässt sich jedoch nicht allein über veränderte Konsum- und Produktionsverhältnisse erklären. Auch das Management hat versagt. Einige wenige haben den Konzern so sehr ausgepresst, bis nichts mehr übrig blieb. Und nun sind sie kurz davor, ihn fallenzulassen. Mitsamt seinen Beschäftigten.
»Die normale Karstadt-Biografie ist lang. Viele arbeiten seit zwanzig, dreißig Jahren im Unternehmen«
Der Journalist Henryk Hielscher datiert den Beginn der Management-Misere auf den 30. April 1999. In der Wirtschaftswoche schreibt er, dies sei der »Auftakt zu einem in der deutschen Handelshistorie beispiellosen Drama um Managementversagen, strategische Fehler und Interessenkonflikte« gewesen. Karstadt-Eigentümer Walter Deuss verkündete damals die Fusion mit Quelle. Der so entstandene gigantische Konzern Karstadt Quelle beschäftigte laut Geschäftsbericht am Tag der Jahrtausendwende 113.490 Mitarbeitende.
Schnell zeichnete sich ab, dass die Chefetage in wichtigen Richtungsfragen gespalten war: Onlinehandel oder stationär, Auslandsexpansion oder lokaler Fokus, Einheitshäuser oder unabhängige Tochterfirmen. Das Management war gelähmt. Der Aktienkurs brach ein, bis es nicht mehr weiterging. Der neue Chef, Wolfgang Urban, sollte den Konzern aus der Krise führen. Er tat, was ein Manager tut, wenn er seine Aktionäre besänftigen muss: Er strich Stellen, gliederte die Kaufhausimmobilien aus und setzte auf internationale Kooperationspartner wie Starbucks. Das war genau der falsche Weg, meint Gewerkschafter Marcel Schäuble. Damals wie heute hätte man sich auf die lokalen Bedürfnisse der Kundinnen und Kunden konzentrieren und den Beschäftigten zuhören müssen, sagt er.
Gemeinsam mit Leo Herl, dem Ehemann der Milliardärin und Quelle-Erbin Madeleine Schickedanz, und zwei Privatbankiers tüftelte Urban an dem groß angelegten Verkauf von Unternehmensimmobilien. Damit, da waren sie sich sicher, ließe sich eine Menge Geld verdienen. Fünf Karstadtimmobilien wurden daraufhin an den Fonds der beiden beteiligten Privatbankiers verkauft, um sofort zu überhöhten Mietpreisen an Karstadt vermietet zu werden. An dem Deal gab es viel Kritik, da Urban selbst kurz zuvor Anteile des Fonds gekauft hatte. Für die fünf betroffenen Filialen verdoppelte sich die Miete nahezu, was diese vor große Finanzierungsprobleme stellte. Der Spiegel veröffentlichte später Recherchen, nach denen Urban und Co. vorhatten, sämtliche Immobilien von Karstadt Quelle zu verscherbeln. Auch Urban gelang es nicht, den Konzern wieder auf Erfolgsspur zu bringen.
Seine Zeit endete, Thomas Middelhoff sollte von nun an die Geschicke des Unternehmens leiten. Auch er besaß bereits Anteile an dem Fonds, der die fünf Karstadt Immobilien gekauft hatte und für Wuchermieten rückvermietete. Middelhoff setzte den Immobilienverkauf fort, auch die Investmentbank Goldman Sachs bediente sich. An sämtlichen verkauften Standorten stiegen die Mieten, Tausende Beschäftigte verloren in den Folgejahren ihre Jobs, Standorte schlossen und schließlich beantragte der Konzern 2009 das erste Mal Staatshilfen. Ein Insolvenzverfahren folgte und die Fusion aus Karstadt und Quelle wurde wieder aufgelöst.
Doch die Geschichte wiederholt sich.
2014 übernahm René Benko das Ruder. Das Vermögen des »Kaufhauskönigs« rangiert irgendwo um die 5 Milliarden Euro. Sein Geschäft sind Luxusimmobilien in Premium Lage. Das KaDeWe in Berlin, das Oberpollinger in München und auch der im Bau befindliche Hamburger Elbtower sowie unzählige weitere Immobilien gehören ihm. Benko hat seinen Fußabdruck in zahlreichen deutschen Innenstädten hinterlassen. Derzeit läuft gegen den Österreicher ein Korruptionsverfahren. Briefkastenfirmen, Bestechung und ein undurchsichtiges Firmennetzwerk brachten ihn ins Fadenkreuz der Ermittler. 2018 fusionierte er seine Neueinkäufe Karstadt und Galeria Kaufhof. Die verbliebenen deutschen Traditionskaufhäuser sind seither unter einem Dach. Statt der dringend notwendigen Sanierung begann das nächste Kapitel der Krisensaga.
Denn die Beschäftigten und das Überleben der Kaufhauskette interessieren den Immobilienmogul kaum, befürchteten Gewerkschafter, Beschäftigte und Handelsexperten schon vor der Übernahme. Nachdem über Jahre eine Reihe von Krisenmanagern halbgare Versuche unternommen hatten, die Kaufhausketten zu retten und sich dabei selbst an den Immobilien bereicherten, führt mit Benko nun ein Mann den Konzern, dessen gesamte Karriere darauf baut, Kaufhausgebäude zu versilbern. Das hat eine neue Qualität.
Aus einem internen Papier der Signa GmbH, das der Bild vorliegt, geht hervor, dass auch er Galeria-Immobilien veräußerte und dabei in Kauf genommen habe, dass die neuen Eigentümer die Miete um bis zu 30 Prozent erhöhen. Für die ohnehin schon angeschlagenen Filialen ist diese Mietbelastung nicht zu stemmen – und die Zukunft zahlloser Beschäftigter ist ungewiss.
Im Gegensatz zu den Mitarbeitenden gehört die Signa in dieser Geschichte zu den wenigen Gewinnern. Zwei Mal hat Galeria seit der Übernahme bereits erfolgreich Staatshilfen beantragt, insgesamt 680 Millionen Euro. Über eine dritte Charge wurde laut Business Insider im Oktober 2022 verhandelt, weil Galeria zum wiederholten Mal die Insolvenz droht. Diesmal sollten 238 Millionen Euro fließen. Dabei hat die Signa GmbH im Jahr 2021 einen Überschuss von 570 Millionen Euro erwirtschaftet. Wenn die Staatshilfen für den Konzern versiegen, dürfte Benko das Unternehmen fallen lassen.
Um die Rettung von Arbeitsplätzen ging es nie. Die Tarifbindung wurde seit der Signa Übernahme aufgekündigt, Gehälter wurden gekürzt und schlechtere Arbeitsverträge für neue Mitarbeitende aufgesetzt. Um das Unternehmen zu retten, verzichteten die Beschäftigten bis zuletzt sogar freiwillig auf Löhne und Zusatzleistungen. Auf eigene Faust gründeten sie einen Expertenkreis, um ihr Wissen aus der Praxis mit der Geschäftsführung zu teilen. Über 6.000 Beschäftigte diskutierten darüber, was in ihren Kaufhäusern funktioniert und was nicht. Eine Rückmeldung vom Management gab es nie. Stattdessen wurde selbst der Sanierungstarifvertrag gekündigt und die niedrigen Löhne eingefroren. Den »Gipfel sozialer Verantwortungslosigkeit« nannte dies Stefanie Nutzenberger aus dem Verdi Bundesvorstand im Manager Magazin.
Zwar haben die Gewerkschaft und die Galeria-Beschäftigten zwei Tage vor Heiligabend erstritten, dass das Insolvenzgeld wieder auf das Niveau der Flächentarifverträge angehoben wird und Rückzahlungen ausgehandelt, aber die Zeiten vom Kaufhaus als »Hort tariflicher Löhne«, wie es die Hans-Böckler-Stiftung nennt, sind vorbei. Der letzte Hoffnungsschimmer war für viele der Galeria-Beschäftigten das Kaufinteresse von Büro.de. Der Schreibwarenhändler hatte angekündigt, rund 47 Filialen zu übernehmen. Das Angebot hat Büro.de wieder zurückgezogen. Der Weg der Beschäftigten, deren Filialen geschlossen werden, führt erfahrungsgemäß in eine Transfergesellschaft und anschließend einen anderen Job im Einzelhandel oder in die Arbeitslosigkeit. »Ein Schlag ins Gesicht«, nennt der Gewerkschafter Marcel Schäuble das. »Die normale Karstadt-Biografie ist lang. Viele arbeiten seit zwanzig, dreißig Jahren im Unternehmen«, sagt er.
Doch für Benko und seine Vorgänger liegt der eigentliche Wert der größten Warenhauskette Deutschlands schon lange nicht mehr im Unternehmen selbst, sondern in der Top-Lage ihrer Immobilien. »Wenn man sich die Unternehmensführung anschaut, eröffnet das Raum für die Spekulation, ob es nicht doch in erster Linie um die Immobilien geht«, sagt auch Marcel Schäuble.
Für den Besitzer einer Kaufhaus-Immobilie in Top-Lage lohnen sich Büros, Hotels oder Luxuswohnungen auf diesen »Filetgrundstücken« oft sogar mehr als das aus der Zeit gefallene Konzept des Kaufhauses. Urban, Middelhoff und ihre Kollegen aus der privaten Finanzwirtschaft hatten dies bereits Anfang der 2000er Jahre begriffen. Auch Benko und seine Signa GmbH, eigentlich ein Unternehmen aus der Immobilienbranche, haben aus diesem Grund zugeschlagen.
Eine Handvoll Kapitalisten weidet den größten Einzelhandelskonzern Deutschlands seit Jahrzehnten auf Kosten seiner Beschäftigten aus. Hätten Letztere ein Mitspracherecht, würden in den Innenstädten auch heute noch Kaufhäuser stehen, in denen die Menschen gern ihre Zeit verbringen. Die Bestrebungen der 6.000 Karstadtmitarbeitenden zeigen: Der Wille und das Know-how sind da. Doch schon bald wird es zu spät sein. Am 1. Februar 2023 entscheidet sich, ob die drohende Insolvenz abgewendet werden kann oder nicht. Geht der Konzern tatsächlich bankrott, werden sich die Türen vieler Filialen für immer schließen. Und in ein paar Jahren stehen dort, wo sie seit Jahren gearbeitet haben, Luxuswohnungen und ein »Six Senses Hotel«.