30. März 2023
Was den Wohlstand in Deutschland tatsächlich bedroht: Der Staat schreckt davor zurück, im Sinne der Mehrheit in die Wirtschaft einzugreifen.
»Ein klein gehaltener Staat wirkt langfristig wohlstandsvernichtend.«
Illustration: Julius KlausSeitdem Russland in die Ukraine einmarschiert ist, die Energieversorgung strauchelt und die Biden-Regierung mit dem Inflation Reduction Act (IRA) eine mindestens 369 Milliarden schwere industrie- und klimapolitische Initiative auf den Weg gebracht hat, warnen Stimmen aus dem gesamten politischen Spektrum vor einer Deindustrialisierung Deutschlands.
Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder beschwor vor kurzem einen schleichenden Wohlstandsverlust durch Deindustrialisierung, um Stimmung für Unternehmens- und Erbschaftssteuersenkungen, Abbau staatlicher Regulierung und inländische Energieerzeugung durch Kernkraft und Fracking zu machen. Auch der AfD-Politiker Tino Chrupalla instrumentalisiert die Angst vor einer Deindustrialisierung, um den Ruf nach fiskalkonservativer Politik zu untermauern. Die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht kritisiert die Gaspreisbremse der Ampelkoalition als unzureichend, da sie eine drohende Deindustrialisierung nicht verhindern könne. Selbst die DGB-Chefin Yasmin Fahimi begründet ihre Forderung nach Lohnzurückhaltung mit einer angeblich drohenden Deindustrialisierung, jetzt sei nicht die Zeit für »kapitalismuskritische Grundsatzdebatten«.
Gleichzeitig herrscht über alle ideologischen Gräben hinweg überraschende Einigkeit darüber, dass dem Staat eine entscheidende Rolle dabei zukommt, der Industrieabwanderung entgegenzutreten. Tatsächlich fordern sogar konservative Ökonomen wie Lars Feld staatliche Eingriffe beim Klimaschutz, um die Rahmenbedingungen für private Investitionen in erneuerbare Energien zu verbessern. Vor der Drohkulisse der Deindustrialisierung ist aktive Industriepolitik wieder in aller Munde. Doch nicht jeder meint damit dasselbe.
Du hast ein Abo, aber hast dich noch nicht registriert oder dein Passwort vergessen?
Klicke hier!
Maxine Fowé ist Politökonomin und arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin für Wirtschaftspolitik im Berliner Abgeordnetenhaus.
Christina Liang Xu ist Physikerin, Mathematikerin und Ökonomin und forscht zur Transformation des Energiesystems.