16. September 2021
Arbeitskampf bei Vivantes und an der Charité: In Berlin streiken Pflegerinnen, Hebammen, Krankenschwestern und Putzkräfte. JACOBIN hat mit drei von ihnen über die Gründe und die Aussichten des Streiks gesprochen.
Die streikenden Pflegekräfte ziehen vor das Rote Rathaus in Berlin, 9. September 2021.
Unter den Plastikpavillons vor dem Klinikum Neukölln drängen sich an die fünfzig Menschen in gelben und orangen Westen. Die Stimmung ist gut. Es wird gelacht, getratscht und Tee getrunken – und das, obwohl der Regen in Strömen auf die Dächer des provisorischen Streikpostens prasselt. Seit knapp einer Woche versammeln sich die Pflegerinnen, Hebammen, das Reinigungspersonal und all die anderen dort vor der Klinik, um unter dem Banner der Berliner Krankenhausbewegung von Ver.di zu streiken. Und zwar unbefristet. Wann sich etwas bewegt, ist unklar – aber in einem sind sich alle einig: So wie bisher geht es nicht weiter.
Am 12. Mai dieses Jahres wurde eine Petition mit 8.397 Unterschriften von Beschäftigten bei Vivantes, der Charité und den Vivantes Töchtern an den Berliner Senat überreicht. Es folgte ein 100-Tage-Ultimatum. Mit dem Streik fordern die Beschäftigten nun einen gemeinsamen Tarifvertrag zur Entlastung. Vorausgegangen war ein Streit mit Vivantes über die Notdienstvereinbarungen.
Um zu erfahren, welche Geschichten, Beweggründe und Hoffnungen die Menschen haben, die Tag für Tag die Streikposten besetzen, haben wir mit Ramona, Bece und Heike gesprochen. Alle drei arbeiten am Klinikum Neukölln: als Hebamme, Reinigungskraft und Pflegerin. Und alle drei haben derzeit ihre Arbeit niedergelegt.
Ramona, Kinderkrankenschwester und Hebamme
Wie bist Du zu Deinem Job als Hebamme gekommen?
Also ich bin eigentlich Kinderkrankenschwester, habe das über zehn Jahre gemacht. Meine letzte Arbeitsstelle war auf einer Wochenbettstation. Und dann habe ich für mich beschlossen: Geburtshilfe ist es. Aber das reichte mir nicht, deshalb habe ich mit Mitte dreißig nochmal die Ausbildung zur Hebamme gemacht und bin hier in Neukölln hängengeblieben. Gerade hier leben viele Frauen, die unbedingt unsere Hilfe brauchen, die oft benachteiligt sind. Und ich wollte einfach da sein.
Wie hat sich Dein Arbeitspensum in den letzten Jahren verändert?
Als ich 2014 mit der Ausbildung fertig war, hatten wir ungefähr 3.000 Geburten in Neukölln und haben das pro Dienst ungefähr mit sieben, acht Hebammen gestemmt. 2014 gab es also noch 35 angestellte Hebammen, jetzt sind wir nur noch 19! Dadurch entstehen Schichten, bei denen nur drei oder zwei Kolleginnen, manchmal sogar nur noch eine da ist. Und das ist das Problem – aber nicht nur in Neukölln. Die komplette Geburtshilfe in Berlin und in Deutschland geht den Bach runter. Ich kann von uns berichten, dass wir drei bis vier Geburten, manchmal auch fünf in einem Dienst betreuen. Und dann könnt Ihr Euch vorstellen, wie viel Zeit da pro Frau bleibt.
Wie kam es bei Euch zu der Entscheidung zu streiken?
Den Gedanken gibt es ja schon ganz lange. Seit 2017 sprechen wir vom Kreißsaal sehr viel mit der Geschäftsleitung und versuchen immer wieder, die prekären Zustände darzulegen und uns irgendwie Hilfe zu holen. Wir werden nicht gehört. Wie gesagt, fast die Hälfte des Teams ist quasi aus der Klinik raus, wie überall in der Geburtshilfe in Deutschland. Jetzt war es so, dass unser Team kurz vorm Kollaps stand.
Mit der Berliner Krankenhausbewegung habe ich das erste Mal das Gefühl, dass wir viele sind, weil wir uns mit der Charité zusammengetan haben und das ganze Vivantes mitzieht. Ich habe zum ersten Mal das Gefühl: Wir können gehört werden, einfach weil wir so viele sind und auch so wahnsinnig viele Unterstützer haben. Und ich hoffe auf die Berlinerinnen und Berliner.
Natürlich spielt auch der Zeitpunkt eine Rolle: Wir sind kurz vor den Wahlen. Das muss man auch ganz klar mal so sagen. Niemand wird sich hinstellen und sagen: »Die Geburtshilfe ist jetzt nicht so wichtig«. Also das hoffe ich zumindest. Auch wenn wir von alten Männern regiert werden, sind das ja Väter und auch die haben Töchter.
Der Streik geht ja nun schon ein paar Tage. Wie fühlt Ihr Euch damit?
Wir sind unendlich erschöpft. Streiken ist anstrengender als Arbeiten, wobei das bei uns jetzt nicht so den Unterschied macht. Aber es muss unheimlich viel Energie aufgebracht werden. Wir sitzen 18 Stunden am Tag in irgendwelchen Gremien, haben Vorbesprechung, machen in Workshops Vernetzungsarbeit. Aber es hat auch etwas Gutes.
Egal wie die Sache ausgeht, muss jeder und jede für sich eine Entscheidung treffen. Das Positive ist aber die Vernetzung. Die gibt mir auch unheimlich viel Kraft und das Wissen, dass man halt nicht allein ist.
Wie schätzt Du die Lage in den nächsten Wochen ein und was erhoffst Du Dir?
Der Traum ist realistisch. Ich denke, auch die Geschäftsleitung wird irgendwann einknicken müssen, weil es wie immer um Gelder geht. Also wie überall in Deutschland. Ich glaube, sie werden noch mal mit nicht ganz koscheren Mitteln arbeiten, wie sie es die letzten Wochen schon getan haben. Ich denke, es wird zu einem Schlichtungsverfahren kommen, bei dem ich hoffe, dass da jemand im Gremium sitzt, der uns zugetan ist. Und ansonsten: Der große Traum ist eine Eins-zu-eins-Betreuung in der Geburtshilfe, damit ich Zeit für die Frauen habe.
Bece, Reinigungskraft
Wie bist Du zu Deinem Beruf gekommen?
Na ja, ich habe Arbeit gesucht und keine gefunden. Ich bin eigentlich Köchin. Aber als Köchin habe ich keinen Job gefunden. Ich habe vorher auch in einer Fleischfabrik gearbeitet. Dann wurde ich arbeitslos und mein Kollege hat gesagt, er wurde im Urban-Krankenhaus angestellt. Dort wurde mir gesagt, ich sollte zum Neuköllner Krankenhaus gehen. Ich habe mit dem Chef geredet und habe 2009 dort angefangen.
Das ist schon zwölf Jahre her. Wie hat sich Deine Arbeit verändert?
Ich habe viel zu viel Arbeit. Damals habe ich fünf Stunden am Tag gearbeitet, seit drei Jahren habe ich meine Stunden auf 7,5 erhöht. Wir arbeiten aber nicht nur auf einer Station, sondern müssen die Stationen wechseln, um unsere Stunden aufzufüllen. Es gibt nicht diese eine Stelle, ich muss überall arbeiten, drei Stunden hier, drei Stunden da, spontan alles aufschreiben und die Stunden füllen. Das müssen wir dann alles aufschreiben. Das Ausfüllen dauert länger als die Arbeit auf einer Station.
Was war der Moment, wo Du gesagt hast: »Ok, ich bin bei diesem Streik dabei«?
Na, sonst kriegen wir weniger Geld. Wir machen schwere körperliche Arbeit, aber kriegen so wenig Geld. Wir arbeiten zwölf Tage und dann haben wir zwei Tage frei. Manche Leute brauchen Geld und arbeiten zwanzig Tage, ohne frei zu machen. Warum? Die Leute haben kein Geld. Darum haben wir gesagt, wir müssen in den Tarifvertrag reinkommen und nicht so viel arbeiten. Wir wollen gleiche Arbeit für gleiches Geld, nicht viel Arbeit für weniger Geld. Darum machen wir jetzt diesen Streik. Aber gut, wir haben schon fünf Tage hintereinander Streik gemacht, aber bis jetzt haben wir noch nichts bekommen.
Wie fühlst Dich jetzt nach den Tagen?
So lala. Viele gehen wieder zur Arbeit. Warum? Ich frage mich: warum? Aber ich denke sie brauchen Geld. Man kann die Leute nicht zwingen. Manche Leute haben einen kranken Mann oder eine kranke Frau zuhause, und die müssen arbeiten. Wenn ein Streik so zwei bis drei Wochen dauert, gehen die Leute eben irgendwann wieder auf die Arbeit.
Was wünschst Du Dir mit Blick auf die nächste Woche und die Wahl?
Meine Hoffnung war so groß. Aber heute ist sie ein bisschen kleiner. Frau Schmidt, die Geschäftsführerin von Vivantes, kommt überhaupt nicht an den Tisch. Sie sagt gar nichts. Und die Politikerinnen und Politiker kommen her, wollen mit uns reden und reden und reden und am Ende kommt nix dabei raus. Ich bin ja auch deutsche Bürgerin und heute kam DIE LINKE zu uns und ich habe gesagt, wenn wir nicht in den Tarif reinkommen, dann gebe ich Euch meine Stimme nicht, dann mache ich sie ungültig. Ja, das ist wahr. Wenn diese Wahl vorbei ist, könnten wir wieder vergessen werden. Wir haben so eine große Hoffnung gehabt, aber jetzt nicht mehr. Bis November haben wir vielleicht noch, ich weiß es auch nicht.
Heike, Pflegerin
Wie bist Du Pflegerin geworden?
Eigentlich habe ich die Ausbildung zur Kinderkrankenschwester gemacht. In den 1980er Jahren habe ich dann lange in der Kinderpsychiatrie gearbeitet, auch in der Hauskrankenpflege ganz lange – bis zum Burnout, weil es ja schon damals den Personalmangel gab. Dann habe ich versucht, wieder reinzukommen und habe in dieser Klinik hier für Altersmedizin angefangen.
Du warst also in den Jahren in sehr verschiedenen Bereichen tätig. Wie hat sich die Arbeit insgesamt verändert?
Also am Anfang meiner Karriere konnte man wirklich gut arbeiten. Ok, damals waren wir bei Kindern, aber wir haben einen super Personalschlüssel gehabt. Ich kann mich bei der Hauskrankenpflege dann noch an extrem volle Frühstücksdienstzimmer erinnern, wo wir wirklich kaum Platz hatten. Diese Zeit war schon sehr extrem: Arbeiten bis zum Umfallen, Doppelschichten, keine freien Tage. Teilweise haben wir wirklich 28 Tage am Stück durchgearbeitet.
In der Leasingfirma war es dann eigentlich gut, weil man sich die Dienste selber aussuchen konnte. Man muss dazu sagen, die Bezahlung war damals noch nicht so toll. Jetzt bin ich im achten Jahr hier bei Vivantes. Der Anfang ging auch noch, aber man kann wirklich dabei zugucken: Es geht nicht von Jahr zu Jahr, sondern wirklich von Monat zu Monat immer weiter bergab.
Wir haben Dienste, wo wir unseren Forderungen nach mit vier Examinierten und jeweils noch drei Pflegehelfern arbeiten müssten, um die Arbeit wirklich menschenwürdig verrichten zu können. Teilweise bin ich die einzige Fachkraft auf einer Station mit dreißig Patienten und habe – mit etwas Glück – noch einen Pflegehelfer. Und das ist keine Arbeit, das ist eigentlich Arbeit wie Massentierhaltung.
Deshalb bist Du bei dem Streik jetzt dabei?
Eigentlich von Anfang an. Ich habe mir die Ideen angehört, die die Berliner Krankenhausbewegung hatte, und sie von Anfang an unterstützt. Die Pflege hat sich jahrelang immer so ein bisschen selbst behindert: Jeder ist erschöpft und stöhnt und sagt: »Ja okay, bei Euch geht ja noch, bei uns ist es am schlimmsten«. Aber dieses Zusammenschließen, das hat gefehlt. Und ich hätte vor einem halben Jahr noch nicht gedacht, dass wir 2.000 Menschen bei einer Demo auf die Straße kriegen. Es ist Wahnsinn.
Ihr streikt jetzt schon seit ein paar Tagen. Wie ist Deine Stimmung?
Die Stimmung ist immer noch kraftvoll. Je mehr merkwürdige Meldungen vom Konzern über die Presse rausgehen, umso wütender wird man. Und Wut ist ein guter Antrieb. Umso mehr hat man das Gefühl, jetzt doch was verändern zu können, wenn man durchhält. Und es werden auch immer mehr von Tag zu Tag.
Wie ist Dein Ausblick auf die kommenden Wochen?
Also meine Hoffnung liegt nicht mehr bei der Geschäftsführung. Ich bin auch Mitglied der Tarifkommission für die Verhandlungen und wenn man sich mal so ein bisschen in den Verhandlungspartner versetzt, dann weiß man, dass die letztendlich pleite sind oder kurz davor. Die haben kein Geld. Meine Hoffnung ist einfach, dass wir genug Druck auf die Politik ausüben, damit das jetzt weitergeht. Ich meine, es sind immerhin landeseigenen Kliniken.