07. März 2022
Özlem Demirel gehört zu den wenigen EU-Abgeordneten, die letzte Woche gegen die Resolution des Europäischen Parlaments zum Krieg in der Ukraine stimmten. Wie eine sozialistische Alternative zur Aufrüstung aussieht, erklärt sie im JACOBIN-Interview.
Özlem Demirel ist seit 2019 für die Linkspartei im Europaparlament.
Seitdem die russischen Streitkräfte am 24. Februar die Grenze der Ukraine überschritten und einen offenen Invasionskrieg starteten, überschlagen sich die Ereignisse. Jeden Tag erreichen uns widersprüchliche, oft schwer zu verifizierende Meldungen über russische Angriffe und die erfolgreiche Abwehr der ukrainischen Streitkräfte. Bilder von Zerstörung und Tod fluten die Nachrichten. Täglich verkünden Großkonzerne lautstark ihren Abzug aus dem russischen Markt. Neue Sanktionen des Westens treiben den Rubel in den Ruin – mit verheerenden Folgen für die russische Bevölkerung. Gleichzeitig fließt weiterhin russisches Gas – die wirtschaftliche Lebensader des Putin-Regimes – in Richtung Westen.
Die politische Linke ist dabei in einer schwachen Position. Ein Krieg, den nur die wenigsten haben kommen sehen, und der von einem Staat geführt wird, der sich der transatlantischen Einflusssphäre entzieht, scheint viele überrumpelt zu haben. Aus manchen Ecken werden Rufe laut, die »westliche Linke« müsse ihre dogmatische friedenspolitische Einstellung überdenken und ihre Haltung zur NATO neu definieren – anders könne man einen Kriegstreiber wie Putin nicht stoppen.
Als sich LINKE-Mitglieder des europäischen Parlaments letzte Woche zu einer Parlamentsresolution gegen den Krieg verhalten mussten, stand genau diese Frage zur Debatte. Während sich eine Mehrheit enthielt, votierten zwei dagegen. Eine davon war Özlem Demirel. Was sie zu dieser Entscheidung antrieb, welche Konsequenzen sie aus diesem Krieg zieht und was er für die deutsche und die europäische Linke bedeutet, erklärt sie im Gespräch mit JACOBIN-Redakteur Loren Balhorn.
Özlem, Du warst eine von ganz wenigen linken Abgeordneten im Europaparlament, die gegen die Resolution zum Ukraine-Krieg gestimmt haben. Eine Mehrheit stimmte dafür, einige enthielten sich. Machen Deine Parlamentskollegen damit einen politischen Fehler?
Zunächst zur Klarstellung: Den einleitenden Passagen, in denen der russische Angriffskrieg verurteilt wird, habe ich in der Einzelabstimmung explizit zugestimmt. Ich will es deutlich sagen: Es gibt keine Legitimation und keine annehmbare Begründung für diesen Angriffskrieg Russlands, in dem »Brudervölker« wie Ukrainer und Russen gegeneinander ins Schlachtfeld geschickt werden.
Aber ja, in der Gänze habe ich die Resolution abgelehnt und das war richtig, denn das Leid in der Ukraine wird aktuell missbraucht, um die EU zu einer schlagkräftigen Militärunion auszubauen. Die Zustimmung oder Enthaltung eines Teils meiner Kolleginnen und Kollegen hat mit der Stimmung in ihren Heimatländern zu tun. Auch sie lehnen diese Militärunion ab und verurteilen wie ich den Angriffskrieg Russlands. Aber der Druck in den Mitgliedstaaten wird so krass missbraucht, dass Stimmen, die auch die Haltung unserer Regierungen kritisieren und die sich gegen eine Kriegsunion stellen, derzeit als »Putinversteher« stigmatisiert werden. Währenddessen heizt die Politik der EU den Krieg in der Ukraine weiter an.
Auch wenn heute nicht damals ist und uns akut noch kein Weltkrieg droht, denke ich in letzter Zeit oft über unsere Geschichte nach. Ich denke an die Zeit und den immensen Druck vor dem ersten Weltkrieg, als Karl Liebknecht und die SPD noch den ersten Kriegskrediten zugestimmt haben. Bei der zweiten Abstimmung wagte Liebknecht sich dann und stimmte – zunächst ganz allein – gegen weitere Kriegskredite. Heute wissen wir: Er hatte recht. Politische Handlungen dürfen nicht allein aus dem Reflex des Augenblicks erfolgen, sie müssen das, was auf uns zukommt, immer mit in den Blick nehmen.
Ich war nie eine »Putinversteherin« und habe den russischen Imperialismus auch bei vorherigen Kriegen immer deutlich kritisiert – anders als vielleicht manche andere. Aber ich verschließe auch nicht meine Augen vor dem Imperialismus der Regierungen in meiner Heimat oder der gesamten EU. Ich stehe an der Seite der Völker für Frieden und soziale Sicherheit, gegen Kriege und Eskalationen in dem Kampf um Einflusssphären.
Womit begründest Du Deine Nein-Stimme?
»Dieser Krieg ist eine Zäsur« – diese Aussage hört man gerade überall. Und ja, dieser Krieg ist eine Zäsur, aber nicht, weil es der erste Krieg in Europa seit 1945 wäre, wie Bundeskanzler Scholz und die hiesigen Medien behaupten. Das ist schlicht gelogen. Am vergangenen Sonntag verkündete die Ampelkoalition im Bundestag, dass sie für die Bundeswehr einen Schattenhaushalt über 100 Milliarden Euro einrichten und im Grundgesetz verankern möchte. Zusätzlich will sie mindestens 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (also mindestens rund 80 Milliarden Euro) für die Auf- und Ausrüstung der Bundeswehr ausgeben und damit das 2-Prozent-Ziel der NATO erreichen. Deutschland hätte damit den drittgrößten Militärhaushalt weltweit. Und genau das ist die befürchtete Zäsur.
Die Folge dieser Politik wird sein, dass Eskalation und Krieg als Mittel der Politik für die Zukunft unserer Kinder in Europa zur Normalität werden. Dafür sollen die arbeitenden Menschen zahlen, indem sie noch mehr arbeiten, mehr Überstunden leisten, mehr produzieren. Gleichzeitig wird der Gürtel bei sozialen Ausgaben enger geschnallt werden. Das hat uns Finanzminister Lindner schon in einem Fernsehinterview verraten. Auch die Umwelt wird dafür zahlen.
Und auf EU-Ebene ist es genauso. Auch in der Resolution wird deutlich, wohin die Reise gehen soll: Die EU soll in Zukunft nicht nur als Wirtschaftsmacht, sondern auch als Militärmacht ihre Interessen in aller Welt durchsetzen. Diese Interessen entsprechen aber nicht den Interessen der Bürgerinnen und Bürger in unseren Ländern. Die Aufrüstung ist nicht im Sinne unserer Freiheit. Es geht um den freien Zugang zu Absatzmärkten und Ressourcen. Bei Krieg und Aufrüstung geht es immer um Kapitalinteressen und Einflusssphären.
Viele Beobachter, darunter ich und einige andere JACOBIN-Autoren, haben die Wahrscheinlichkeit eines Krieges in der Ukraine unterschätzt. Auch Du hattest diesen Krieg eine Woche vor dem russischen Angriff noch als »unwahrscheinlich« bezeichnet. Wie erklärst Du das? Ziehst Du bestimmte Schlüsse daraus?
Ich habe niemals explizit gesagt oder geschrieben, es würde nicht zu einem Krieg kommen. Ich habe allerdings in einem Beitrag im Freitag Zweifel daran geäußert, dass eine direkte Konfrontation zwischen der NATO und Russland bevorsteht, und gleichzeitig geschrieben, dass in dem Machtpoker, der dem Krieg vorausging, deeskaliert werden muss.
Ich habe allerdings eine Woche vor Ausbruch der Kampfhandlungen auf einer Friedenskundgebung in Düsseldorf von »ominösen CIA Aussagen« gesprochen, die den russischen Aussagen, dass man keinen Krieg wolle, gegenüberstehen. Und ich habe gesagt, dass wir – die Menschen in Europa – gegen den Krieg sind, egal wer ihn vom Zaun bricht, und dass wir stattdessen endlich ernsthafte Verhandlungen für einen dauerhaften Frieden – eine Sicherheitsarchitektur – in Europa fordern. Ausschlaggebend war für mich die Aussage von Präsident Selenskyj, der beschwichtigt und gefragt hatte, warum hier jetzt ein Krieg herbeigeredet werde. Wenn die CIA Beweise dafür habe, dann solle sie diese doch bitte offenlegen. Rückblickend verstehe ich Selenskyjs Aussage aber eher so, dass auch er eigentlich einen Krieg vermeiden wollte und die USA aufgefordert hat, diesen abzuwehren. Das geschah aber nicht.
Ich gestehe also, dass ich nicht so schnell mit einem Krieg gerechnet habe. Ich hätte für möglich gehalten, dass die russische Armee an die Grenze des Donbass vorrückt. Einen Marsch auf Kiew hatte ich nicht kommen sehen, denn der Regime-Wechsel, der damit bezweckt wird, kann nicht auf Dauer funktionieren. Das haben doch die verschiedenen Regime-Change-Versuche der NATO bisher allzu deutlich gezeigt.
Große Teile des liberalen Establishments, aber auch einige aus den Reihen der Linken, sprechen sich für eine Neubewertung der NATO aus – der jetzige Krieg würde beweisen, dass diese Allianz doch nicht überfällig ist. Was entgegnest Du solchen Argumenten? Schließlich hätte Putin die Ukraine nie überfallen, wäre das Land NATO-Mitglied gewesen, oder?
Derart hypothetische Fragen helfen uns akut nicht weiter. Dann könnte man nämlich auch mit einigem Recht fragen, ob die Ukraine heute überhaupt ein Konfliktgebiet wäre, wenn es keine NATO-Osterweiterungen gegeben hätte. Ich meine, ich muss hier wahrscheinlich nicht erklären, dass die NATO auch für Kriege und eine brutale Regime-Change-Politik stand und immer noch steht. Die NATO ist keine Wertegemeinschaft, sondern ein offensives Militärbündnis.
Um es einmal klar zu sagen: Ich bin keine Pazifistin und lehne das Recht auf Selbstverteidigung natürlich nicht ab. Ich bin Antimilitarisitin und als solche möchte ich die Frage stellen: Wem nützt eine militarisierte Politik und wem schadet sie?
Natürlich ist es ein Problem, wenn sich nun angesichts des russischen Angriffskriegs das Märchen verbreitet, die NATO wäre ein Bündnis für Freiheit und Demokratie. Dahinter steckt ein simples Denkmuster: Wenn Russland »das Böse« ist, dann müssen USA und NATO »das Gute« sein. So ist es aber leider nicht. Einige Linke haben früher den gleichen Fehler gemacht, nur umgekehrt: Als die NATO Kriege in Libyen, Jugoslawien etc. angezettelt hat – auch im Konflikt um die Einflusssphäre Russlands –, da war Russlands Imperialismus auch nicht automatisch besser. Wir sehen, dass die innerimperialistischen Widersprüche sich immer deutlicher zeigen. Wir sehen, dass die Bereitschaft, Einflusssphären im Dienste von Kapitalinteressen auch militärisch zu erobern oder zu verteidigen, weiter wächst.
Fakt ist, dass die Implosion der Sowjetunion vor allem von den USA als Chance gesehen wurde, an die Reichtümer Russlands zu gelangen. Putin und sein engster Kreis sind aus diesem Versuch während der Ära Jelzin zunächst als jene Kräfte hervorgegangen, die einer Plünderung Russlands Grenzen setzen wollten. Bis zu einem Punkt haben sie das auch geschafft und damit auch schon die Konfrontation bewirkt, die sich bis heute immer weiter zuspitzt. Fakt ist aber auch, dass sich der erwirtschaftete Mehrwert des Landes in den Händen weniger Oligarchen konzentriert und der Mehrheit der Bevölkerung nur Krümel zustehen.
Ja, Putin ist ein Autokrat, der für die enthemmte Politik der russischen Oligarchie steht. Aber dieser Konflikt ist im Kern keiner zwischen Autoritarismus und Demokratie, sondern ein knallharter Machtkampf zwischen dem russischen Kapital auf der einen und dem westlichen Kapital auf der anderen Seite – und dieser Konflikt wird auf dem Rücken der ukrainischen Bevölkerung ausgetragen. Und was macht die NATO, deren Mitglieder in der jüngeren Vergangenheit etliche Angriffskriege geführt haben (Jugoslawien, Libyen, Afghanistan), da besser?
Egal welchen Krieg ich analysiere, ich stoße immer auf Kapitalinteressen, die verteidigt oder ausgebaut werden sollen – trotz der Besonderheiten jedes einzelnen Konflikts. Leidtragende sind immer die Bevölkerungen. Das ist doch das entscheidende. Unsere Zukunft wird kriegerischer – nicht für unsere Sicherheit oder Freiheit, sondern für die Sicherheit und Freiheit großer Konzerne.
Wir sind uns vermutlich einig, dass mit einer weiteren Aufrüstung in der Ukraine die Gefahr einer Eskalation – und damit auch einer nuklearen Konfrontation – wächst. Gleichzeitig kann man die Menschen in der Ukraine aber auch nicht ihrem Schicksal überlassen. Was für Optionen siehst Du in der jetzigen Situation? Sollte man zumindest defensive Waffen liefern?
Nein, eben nicht. Das ist doch gerade das Perfide. Die USA, Deutschland, die NATO, alle sagen: Wir werden uns an dem Krieg nicht beteiligen. Und gleichzeitig heizt man den Krieg weiter an, unter anderem mit Waffenlieferungen.
Verstehe mich nicht falsch, jedes besetzte Land hat das Recht auf Selbstverteidigung gegen den Besatzer. Ich stehe übrigens auch uneingeschränkt hinter dem Selbstbestimmungsrecht. Aber diese bisher angekündigten Waffen werden das Kräfteverhältnis in diesem asymmetrischen Krieg nicht verschieben. Also muss man die Frage stellen, was ist das Ziel dahinter? Auf diese Frage bekomme ich übrigens keine Antwort von der Kommission.
Dahinter steckt die Überlegung, den Blutzoll für Russlands Angriffskrieg hochzutreiben, um seine Machtansprüche zu bändigen und eigene zu verteidigen. Vielleicht glaubt man damit sogar, das aktuelle »Putin-Russland« bezwingen und zu einem »Jelzin-Russland« zurückkehren zu können. Und dieser Machtkampf wird jetzt auf dem Rücken der ukrainischen Bevölkerung ausgefochten. Das ist zynisch.
Ja, die Ukraine fordert selber Waffen, aber die Ukraine forderte auch politische Initiativen für einen Waffenstillstand. Und was hat man unternommen? Die EU hat bisher keinen Sonderbeauftragten benannt und keine Strategie für einen Waffenstillstand vorgestellt. Erst nachdem der Aufruf der Ukraine an China ging, in diesem Konflikt zu vermitteln, redet man nun davon, die diplomatischen Türen nicht ganz zu verschließen. Die erste Kriegswoche wurde hier in Deutschland und in der EU stattdessen dafür genutzt, massive eigene Aufrüstungsprogramme für kommende Auseinandersetzungen durchzupeitschen. Das Projekt für eine Militärunion, das schon länger in den Schubladen der EU Kommission lag, findet jetzt plötzlich eine willkommene Begründung.
DIE LINKE fordert seit ihrer Gründung ein kollektives europäisches Sicherheitssystem unter Beteiligung Russlands. Ist das noch realistisch?
Um nochmal zu verdeutlichen, was ich mit der Zäsur meine, die wir gerade erleben: Putin erklärte in einer Rede seine Ambition und machte deutlich, dass die Militärmacht Russland sich nun dringend industriell weiterentwickeln müsse. Und die Industriemacht Deutschland sagt, dass sie sich dringend militärisch weiterentwickeln müsse.
Wir müssen in dieser Situation zweierlei tun: Erstens müssen wir analytisch klarstellen, welche Verantwortung der Kapitalismus in seiner imperialistischen Form für Konflikte und Kriege trägt, und wir müssen dieses System selbst in Frage stellen. Zweitens müssen wir bis auf weiteres auch innerhalb dieses Systems mit allen Mitteln dafür kämpfen, dass imperialistische Machtkämpfe nicht zu einem Krieg der Völker in Europa werden. Wir müssen deshalb immer wieder den Druck erhöhen, damit politische Lösungen gefunden werden und nicht militärische. Das gilt aktuell auch für den Krieg in der Ukraine.
Eine politische Lösung braucht es auch, um eine europäische Sicherheitsarchitektur aufzubauen, in der sich alle Beteiligten wiederfinden können. Rüstungskontrolle und Abrüstungsbestrebungen müssen hierbei im Fokus stehen. Doch damit es dazu kommt, braucht es eine starke Friedensbewegung, die sich dem Kriegsgeheul und den Kriegslügen in West und Ost widersetzt.
Am 3. März hat die Ko-Vorsitzende der LINKEN, Susanne Hennig-Wellsow, einen Artikel veröffentlicht unter dem Titel »Wir müssen reden«. Darin heißt es unter anderem, dass DIE LINKE ihre »Vorstellungen von ›Defensivpotenzialen‹ schärfen« müsse. Angesichts des russischen Überfalls müsse man sich fragen, ob die Auflösung der NATO wirklich noch ein programmatisches Ziel sein könne. Steht eine neue sicherheitspolitische Debatte in der Partei an?
Ja, ich gehöre zum linken Flügel meiner Partei und ich glaube, dass wir jetzt keine Scheingefechte führen sollten. Ich bin aus den oben genannten Gründen gegen die NATO. Die NATO ist eben kein harmloser Kaninchenzüchterverein. Und gleichzeitig wird sich die NATO auch nicht auflösen, nur weil DIE LINKE das fordert.
Mein Eindruck ist vielmehr, dass die NATO und der Zuspruch zur NATO in diesem Angriffskrieg Russlands leider stärker geworden sind. Aber was ist jetzt die dringende Frage für uns als Linke? Was müssen wir diskutieren und welche Themen müssen wir in den Vordergrund stellen?
Hunderttausende Menschen in Deutschland haben in den letzten Tagen gegen den Angriff auf die Ukraine demonstriert. Diese Menschen stellen durchaus ambivalente Forderungen auf. Was sie aber eint, ist, dass sie keinen Krieg wollen, und sie haben verstanden, dass hinter Russlands Krieg imperiale Interessen stehen. Doch gilt das nicht für jeden Krieg? Dienen Aufrüstung und Militarisierung nicht der Vorbereitung kommender imperialistischer Kriege?
Und in diesem Krieg gibt es übrigens eine zweite Ebene, die weniger mit der Ukraine selber zu tun hat als mit dem Machtkampf der EU und USA auf der einen Seite und Russland auf der anderen Seite. Trotz Repressionen trauen sich in Russland Menschen gegen den Imperialismus ihrer Oligarchen zu protestieren. Warum schaffen wir es nicht, den Imperialismus hier in Frage zu stellen? Um Menschenleben zu retten, müssen wir – ohne Wenn und Aber – unsere Regierungen dazu drängen, den Krieg nicht weiter anzuheizen. Stattdessen braucht es seriöse diplomatische Bemühungen für einen unverzüglichen Waffenstillstand und vollständigen Rückzug aller russischen Truppen. Ja, die LINKE muss sich weiterentwickeln, aber analytisch klar.
Die politische Linke in Europa ist zurzeit kaum in der Lage, großen Einfluss auf die europäische Politik, geschweige denn ihre Außenpolitik auszuüben. In vielen Ländern, nicht zuletzt in Deutschland, befindet sie sich eher in der Defensive. Kann dieser Krieg und die damit verbundene Aufrüstung, so zynisch das klingen mag, ein Möglichkeitsfenster für linke Politik bieten?
Ja und nein. Unter dem Vorwand von Sicherheit und Frieden wird gerade ja genau das Gegenteil propagiert und ich glaube, dass das leider auch mehrheitsfähig wird. Es wird also nicht leichter für uns.
Und gleichzeitig ist es aber auch immer schon so gewesen, dass die Empörung gegen den Krieg wächst, je länger ein Krieg andauert und je sichtbarer seine Brutalität wird. Das kann auch neue Mehrheitsverhältnisse schaffen. Dafür müssen wir diesen Krieg jetzt mit einer klaren Analyse standhaft in Frage stellen. Das wird hart für uns, aber es ist richtig. Vielleicht sollten wir alle noch mal nachlesen, was Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht und Clara Zetkin damals, zu Beginn des ersten Weltkriegs, gesagt und geschrieben haben.
Fakt ist: Man führt keinen Krieg für den Frieden. Es gibt nur einen gerechten Krieg und das ist der Krieg gegen den Krieg!
Özlem Demirel ist Abgeordnete der Fraktion Die Linke im Europäischen Parlament.