13. Dezember 2021
Elke Kahr ist Kommunistin und neue Bürgermeisterin der zweitgrößten Stadt Österreichs.
»Je dunkler die Nacht, desto heller die Sterne« – diese Wendung aus Dostojewskis Schuld und Sühne wird schon seit Generationen von Sozialistinnen und Sozialisten gebraucht, um unsere kleinen Erfolge in sonst düsteren Zeiten poetisch einzurahmen. Seit dem 26. September gibt es einen neuen Anlass, sie zu verwenden: Während in Deutschland die Linkspartei eine beinahe vernichtende Niederlage erlitt, konnte die Kommunistische Partei Österreichs (KPÖ) bei den Gemeinderatswahlen in Graz stärkste Kraft werden. Das bekannteste Gesicht der Partei, Elke Kahr, ist nun Bürgermeisterin der zweitgrößten Stadt Österreichs und führt eine Koalition mit Grünen und SPÖ.
Kahrs Wahlsieg kommt nicht aus dem Nichts, sondern baut auf über drei Jahrzehnten mühsamer Basisarbeit auf. Durch eine Mischung aus effektiver Kampagnenpolitik rund um soziale Fragen und aktiver Hilfestellung für die Menschen vor Ort konnte die KPÖ Graz das Vertrauen zehntausender Wählerinnen und Wähler gewinnen und ihre Konkurrenz entschieden in die Schranken weisen. Doch wie geht es weiter? Was kann eine kommunistische Bürgermeisterin in einer kapitalistischen Gesellschaft erreichen?
Du bist jetzt neu gewählt als Bürgermeisterin von Graz, aber Du machst ja schon seit Jahrzehnten kommunistische Kommunalpolitik. Hast Du damit gerechnet, dass Du einmal Oberhaupt Deiner Stadt werden würdest? War das ein Ziel von Dir?
Nein, natürlich nicht. Ich bin 1983 der KPÖ beigetreten, weil ich eine politische Heimat und Gemeinschaft gesucht habe, in der ich das finde, was ich mir von einer sozial gerechten und gleichberechtigten Gesellschaft wünsche. In all den Jahrzehnten und in all meinen verschiedenen Aufgaben – erst als Angestellte bei der KPÖ, dann als Gemeinderätin und als Obfrau der Grazer Partei – war mein einziger Antrieb, den Menschen zu dienen. Ich wollte mithelfen und alles dafür tun, dass wir mit der Partei und gemeinsam mit den Menschen die Anliegen voranbringen, die für ihr Leben wichtig sind.
Titel und Positionen – das suche ich nicht. Und ich bin durch die Wahl zur Bürgermeisterin auch kein anderer Mensch geworden. Ich vertrete weiter die gleichen Inhalte, nur habe ich jetzt in dieser Funktion auch die Gesamtaufgaben für die Stadt Graz, für die ganzen Abteilungen der Stadtregierung und für den öffentlichen Dienst mitzuverantworten. Und da werde ich jetzt versuchen, den Zielen der Koalition, aber natürlich auch meinem eigenen Anspruch als Mensch gerecht zu werden.
Kurt Hohensinner, der ÖVP-Parteiobmann in Graz, hat gesagt, dass die Stadtregierung unter Deiner Führung nicht mehr Miteinander, sondern mehr Gegeneinander bringen wird: Autos gegen Fußgängerinnen, Unternehmer gegen Arbeiterinnen und Angestellte, Mieterinnen gegen Eigentümer. Hat er damit in gewisser Weise Recht? Wirst Du versuchen, die gesellschaftlichen Konflikte in Deine Regierungsarbeit hineinzutragen?
Mein Politikverständnis ist ein ganz anderes. Unser Ziel ist es immer, die Menschen zusammenzuführen, den Zusammenhalt in einer Stadt oder in einer Gesellschaft zu stärken – nicht die Jungen gegen die Älteren, nicht Inländer gegen Ausländer auszuspielen, nicht Frauen gegen Männer. In unserem Programm von 2012 haben wir das so formuliert: Wir alle sind Graz, und wir müssen schauen, dass wir jedem Menschen, der hier wohnt und arbeitet, ein gutes Leben ermöglichen – mit den Instrumenten, die uns auf der kommunalpolitischen Ebene zur Verfügung stehen. Wir können auf kommunaler Ebene natürlich nicht den Neoliberalismus aus den Angeln heben. Aber wir können alles dafür tun, dass die Menschen nicht noch mehr belastet werden. Und wir können dafür arbeiten, dass sie die Bedingungen für ein gerechteres Leben vorfinden.
Und dass die KPÖ vor allem auf der Seite dieser Menschen steht und nicht auf der Seite von Großgrundbesitzern und großen Konzernen, das liegt in der Natur der Sache. Meine Partei kommt aus der Tradition der Arbeiterinnenbewegung, der Frauenbewegung, der Friedens- und der Umweltbewegung. Da ist viel Großartiges geleistet worden. Und daran knüpfen wir mit unserer Arbeit an. Den Spekulanten, den werden wir nicht extra fördern. Uns liegen die Interessen der Mieterinnen und Mieter am Herzen. Und natürlich auch die der Klein- und Mittelbetriebe. Wir haben auch Großbetriebe, die wichtige Arbeitgeber sind. Da müssen wir schauen, dass der Standort hier in Graz gut erhalten bleibt und das Ziel verfolgt wird, klimafreundlich zu wirtschaften. Vor allem müssen wir aber dafür sorgen, dass die Beschäftigten gute Arbeitsbedingungen vorfinden und bei uns immer Tür und Tor für sie geöffnet sind.
Was werden Deine Prioritäten sein?
Die große Klammer der Koalition ist, dass Graz sozialer, demokratischer und klimafreundlicher werden soll. Konkret heruntergebrochen auf die Ressorts, für die ich zuständig bin als Bürgermeisterin – das Wohnungsamt und das Sozialamt – heißt das, in den kommenden Jahren den Ausbau der kommunalen Wohnungen weiter zu forcieren. Wir werden schauen, dass wir den Kautionsfonds ausweiten, dass die Vergabe der Gemeindewohnungen wieder allen offen steht und dass wir auch die Sozialleistungen ausweiten, die den Menschen zustehen.
Wir haben lange dafür gekämpft, dass es in Graz eine Sozialcard gibt für Menschen mit geringem Einkommen. Mit der bekommen sie eine Jahreskarte für den öffentlichen Verkehr für nur 50 Euro. Da wollen wir den Bezieherkreis ausweiten, auch auf berufstätige Menschen, sodass möglichst viele diese Hilfestellung erhalten. Außerdem wollen wir die Kindergärtentarife senken in allen unseren Einrichtungen. Und wenn neue Kindergärten gebaut werden, dann sollen sie nicht privat sein, sondern bei der Stadt bleiben.
Und wir wollen zum neuen Jahr einen Gebührenstopp einführen für die Betriebskosten von Kanalisation und Müllabfuhr. Die werden jedes Jahr automatisch teurer für die Leute. Das soll fürs kommende Jahr ausgesetzt werden.
Kann man das alles bei einem ausgeglichenen Haushalt machen, oder bist Du auch bereit, neue Schulden aufzunehmen?
Da müssen wir erstmal einen Kassensturz machen. Jeder, der ein bisschen was von Buchhaltung versteht, wird wissen, dass man zuerst einmal schauen muss, was der Rechnungsabschluss sagt. Da hat es jetzt einen Voranschlag gegeben; im März wissen wir dann genau, wie wir budgetmäßig dastehen.
In jedem Fall sind Investitionen notwendig. Wir müssen den öffentlichen Verkehr weiter ausbauen und auch der Ausbau der Schulen muss vorangehen. Und wenn die vorhandenen Mittel des Investitionsfonds nicht ausreichen, dann müssen wir uns anschauen, ob wie da oder dort auch einen Kredit aufnehmen, um das zu bewerkstelligen.
Die wichtigste Frage ist: Wofür wird Geld ausgegeben? Uns geht es nicht um irgendwelche Prestigeprojekte, sondern um Infrastruktur für die Bevölkerung. Die brauchen wir auch deshalb, weil sie Arbeitsplätze schafft.
Österreich hat ja nicht nur eine kommunistische Partei, sondern auch eine sehr alte, stolze und vergleichsweise linke sozialdemokratische Partei. Was hat Dich damals dazu bewegt, nicht in die SPÖ, sondern in die KPÖ einzutreten?
Das war die Authentizität der Menschen dieser Partei – der Antifaschismus, der Internationalismus und einfach die Uneigennützigkeit der handelnden Personen. Die Traditionen liegen in ihren Wurzeln nah an denen der Sozialdemokratie, aber bei der KPÖ habe ich gesehen, dass Wort und Tat übereinstimmen. Dass man niemanden zurücklässt und alle im Leben die gleichen Chancen haben sollen – das wurde in der KPÖ einfach gelebt.
Ich hatte natürlich auch viel gelesen und mir Gedanken gemacht. Das große Fernziel hat mich auch immer angesprochen. Aber vor allem war es die Uneigennützigkeit im Hier und Jetzt: dass es nicht darum geht, sich politisch zu engagieren, um Karriere zu machen und dann alle Vorsätze über Bord zu werfen. Das ist ja einer der Gründe, warum die Sozialdemokratie viel Terrain verloren hat.
Was allen Menschen gehört, muss man schützen – also das öffentliche Eigentum. Aber die Sozialdemokratie hat Gemeindewohnungen verkauft und zugelassen, dass Aufgaben der öffentlichen Hand von Privaten übernommen werden. Ich finde, dass alles, was jeder braucht – Wohnraum, Bildung, Gesundheitswesen, alle Bereiche der Daseinsvorsorge und Energie zum Beispiel auch – in der öffentlichen Hand liegen muss. Und das Aufgeben dieses Terrains hat die Arbeiterschaft und die Arbeiterinnenbewegung geschwächt.
Vor welchen Herausforderungen stand die KPÖ, als Du in den 1980er Jahren in der Partei aktiv geworden bist?
Damals hatte die KPÖ sehr mit dem Antikommunismus zu kämpfen. Wir sind sehr stark ausgegrenzt worden und es gab viele Vorurteile. Das größte Problem war aber, dass die Partei nicht in der Bevölkerung verankert war. Inhaltlich war ihr nichts vorzuwerfen, sie trat damals schon für die gleichen Ziele ein wie heute. Wir hatten aber noch nicht verstanden, dass wir die Menschen nicht nur auf eine bessere Welt vertrösten dürfen.
Wir dachten, wir müssten den Leuten die ganze Welt erklären. Es ist natürlich wichtig, Zusammenhänge zu erkennen: Warum gibt es so viele Konflikte auf der Welt? Wie entstehen Kriege? Aber vor allem muss man dort, wo man lebt und arbeitet, eine nützliche Partei für die Menschen sein. Man muss sich die Kompetenzen aneignen und den Leuten bei den kleinen, alltäglichen Problemen zur Seite stehen.
Das haben wir über viele Jahre Zug um Zug aufgebaut, beginnend mit dem Mieternotruf, aber dann auch in allen anderen Fragen. Und davon darf man sich auch nicht ablösen, wenn man in ein politisches Amt kommt und als Politiker ein Gehalt bezieht. Deshalb streichen wir bei der KPÖ unsere Gehälter nicht einfach ein, sondern geben einen Großteil davon weiter an Menschen in Notlagen.
Du wirst als Bürgermeisterin einen Großteil Deines Gehalts spenden?
Das habe ich immer getan, seit ich ein Gehalt als Politikerin beziehe. Das sind seit 2005 über 6.000 Euro im Monat. Davon habe ich immer 1.950 Euro behalten und den Rest an Menschen weitergegeben, die es schwer haben. Wenn man in ein politisches Amt kommt, in dem man auf einmal wesentlich mehr verdient, kann man leicht das Gefühl dafür verlieren, wie es Leuten geht, die weniger Einkommen haben.
Es gibt viele Menschen, die nicht wissen, wie sie ihre Rechnungen zahlen sollen, Leute, die durch gesundheitliche Einbrüche viel verloren haben, oder Migrantinnen, die sich die Deutschkurse nicht leisten können. Da sind auch viele Sozialarbeiter in der Stadt froh, dass sie auf mich zurückgreifen können.
Man muss sich das so vorstellen: Wenn eine Pensionistin kommt, die kein Geld hat für ein Hörgerät, dann überweise ich ihr zum Beispiel 300 Euro für die Zuzahlung. Oder wenn einer Frau der Strom abgeschaltet wurde, dann rufe ich beim Energieversorgungsunternehmen an und sage: Bitte schalten sie der Dame den Strom wieder ein, ich überweise ihr soundsoviel Geld aufs Energiekonto – und dann wird das gemacht. Das erledigt nicht irgendwer anderes für mich, das mache ich selbst. Auf diese Weise konnte ich schon fast 900.000 Euro weitergeben. Und das wird jetzt jeden Monat noch mehr werden, weil ich ja als Bürgermeisterin nochmal wesentlich mehr verdiene.
Lässt sich diese kommunale Praxis, den Menschen vor Ort direkt zu helfen, auch in eine nationale Strategie übersetzen?
Selbstverständlich. Wie wir mit den Menschen umgehen und sie wertschätzen, hat auch über Graz hinaus Anerkennung gefunden bei Leuten, die sagen: Das sind Politikerinnen, die sich nicht als etwas Besseres fühlen, sondern die für die Menschen da sind und uneigennützig agieren. Auch als kommunistischer Landtagsabgeordneter oder auf Bundesebene muss man, um bei dem Beispiel zu bleiben, sein Gehalt begrenzen, damit man sich nicht abhebt von der Bevölkerung. Und auch da muss man immer ansprechbar bleiben für die Leute und beweisen, dass man persönlich da ist, um ihnen zu helfen.
Am gleichen Tag, an dem Ihr die Wahl gewonnen habt, erlebte die Linkspartei in Deutschland eine herbe Niederlage. Auch anderswo in Europa und der Welt sieht es gerade nicht gut aus für die Linke. Seht Ihr Euch als KPÖ Graz jetzt in einer besonderen Pflicht, eine Art Vorbild zu sein?
Wir freuen uns jedes Mal, wenn irgendwo auf der Welt eine linke, fortschrittliche oder kommunistische Partei einen Erfolg hat. Aber wir maßen uns nicht an, zu urteilen, wenn es schlecht läuft. Ich kann die Situation nur da gut beurteilen, wo ich lebe und wo ich wirke. Da kenne ich die Mentalitäten und weiß, warum die Leute so oder so denken.
Zusammenarbeit wird es aber natürlich immer geben. Wir lernen auch viel von anderen. Zum Beispiel der Mieternotruf – das war keine Idee von uns, das haben wir uns damals von der französischen KP abgeschaut. Und die Sozialcard ist etwas, das man sich einmal in Berlin hat einfallen lassen.
Es geht also nicht um Besserwisserei, sondern darum, voneinander zu lernen, in dem gemeinsamen Anspruch, den jede linke oder fortschrittliche Partei haben sollte: Dass man die arbeitenden Menschen ins Zentrum stellt, dass man den Leuten mit Freundlichkeit und Empathie begegnet, dass man sie nicht auseinanderdividiert, sondern zusammenführt, dass man Frieden und Entwicklung im Land bewahrt und fördert. Und dass man keine Politik von oben herab betreibt – das ist ganz zentral. Man muss immer nah dran sein an den Menschen. Daher ist die Kommunalpolitik so wichtig. Ich denke, am besten lassen sich Veränderungen von unten herbeiführen.
Wir haben unsere Politik über Jahrzehnte entwickelt. Das ist nichts, was man von heute auf morgen macht. Aber wir haben auch kein Patentrezept. Wir haben jetzt wieder eine neue Aufgabe und müssen schauen, dass wir sie gut bewältigen. Wir sind in dieser Rolle auch nur auf Zeit und in fünf Jahren werden wir sehen, ob wir erreichen konnten, was wir uns vorgenommen haben, und ob die Menschen das honorieren.
Gegenwärtig haben viele Demokratien mit sinkender Wahlbeteiligung zu kämpfen. Auch bei Eurer Wahl lag sie ziemlich niedrig, bei etwa 50 Prozent. Was heißt das für linke Strategie? Müssen wir diejenigen sein, die versuchen, die Organe der bürgerlichen Demokratie zu erneuern und wieder mehr Menschen in den demokratischen Prozess einzubeziehen?
Absolut! Das ist immer ein erklärtes Ziel von uns gewesen. Und in Graz haben wir als KPÖ dazu beigetragen, dass es zumindest nicht noch schlimmer wird – auch bei dieser Wahl. Nämlich war der Anteil derer, die zum ersten Mal wieder zur Wahl gegangen sind, bei uns sehr groß. Und das liegt daran, dass sie in uns eine Alternative und eine glaubwürdige Vertretung gesehen haben.
Uns ist es sehr wichtig, Bürgerbeteiligung und Mitbestimmung zu stärken. Und das leben wir auch in der neuen Koalition vor. Ich kann doch nicht nur an uns denken, es haben ja auch Menschen die anderen Parteien gewählt. Daher werden jetzt erstmals in allen demokratischen Strukturen, im Gemeinderat, in allen Aufsichtsräten und Ausschüssen auch alle Parteien mit Sitz und Stimme vertreten sein. Das hat es vorher nicht gegeben.
Und auch die Möglichkeiten außerparlamentarischer Demokratie gehören nicht zurückgeschraubt, sondern müssen ausgeweitet werden. Bei wichtigen Entscheidungen haben wir auch in der Vergangenheit immer das Bündnis mit der Bevölkerung gesucht. Wenn die Stadt dabei war, sich finanziell in irgendein Projekt hineinzustürzen, das gar keinen Mehrwert hat für die Bevölkerung, dann sind wir immer für Volksabstimmungen und Volksbefragungen eingetreten. So konnten wir viele Fehlentwicklungen abwenden.
Du wurdest in den letzten Wochen wieder heftig angegangen in der Presse wegen Deiner angeblichen Sympathie für den jugoslawischen Kommunisten Josip Broz Tito. Wie sollen Linke heute mit dem Erbe des Realsozialismus und des Marxismus umgehen? Wie können wir ein konstruktives, aber undogmatisches Verhältnis dazu entwickeln?
In Graz haben wir nie ein dogmatisches Verhältnis dazu gehabt. Wir sind Kommunisten. Wir haben unsere Weltanschauung. Wir sind auch Marxisten. Und dazu stehen ich und meine Mitstreiterinnen. Bei der konstituierenden Gemeinderatssitzung meinte ein FPÖler: »Ja, die Frau Kahr ist ja sehr freundlich, eine empathische Frau – aber wenn man ein bisschen kratzt, dann sieht man den Kommunismus.« Das ist Unsinn, denn ich bin ja ganz offen Kommunistin.
Aber natürlich sind in der Geschichte der kommunistischen Bewegung auch Verbrechen passiert, und die gehören klar benannt. Da sollte man keine Hemmungen haben. Stalin ist ja nicht nur jemand, der viele Menschenleben auf dem Gewissen hat, darunter waren auch viele großartige Kommunisten. Wir haben uns als KPÖ bewusst nicht umbenannt, denn alles andere wäre Etikettenschwindel gewesen. Aber es ist wichtig, nicht zu beschönigen, woran es nichts zu beschönigen gibt.
Du würdest also sagen, der Marxismus hat für die politische Arbeit nach wie vor einen hohen Gebrauchswert.
Ja selbstverständlich, mehr denn je! Das leugnen ja zum Teil auch bürgerliche Ökonomen nicht.
Aber der Marxismus ist keine Monstranz, die man vor sich her trägt, sondern ein Instrument, das einem hilft, die Welt zu verstehen. Die Frage des Eigentums ist von größter Bedeutung: Es ist nicht egal, wem Grund und Boden gehört – der Allgemeinheit oder privaten Eigentümern. Das sehen wir gerade in der investorengetriebenen Bauwut, die viele Städte in Europa erleben. Wenn ich möchte, dass die Menschen Infrastruktur vorfinden, die ihnen nützt, dann muss ich schauen, dass so viel Grund und Boden wie möglich in der öffentlichen Hand bleibt und wir ihn zum Teil auch zurückgewinnen. Sonst kann ich eine solche Infrastruktur nicht herstellen oder muss sie teuer von Privaten kaufen.