26. September 2020
Die Neuköllner Oper zeigt aktuell ein Stück über den fast vergessenen sozialistischen Sänger Dean Reed. »Iron Curtain Man« hat Empathie für den Rockstar, nimmt jedoch dessen politische Überzeugungen nicht ernst genug.
Szene aus dem Musical »Iron Curtain Man«.
Der Musiker und Schauspieler Dean Reed ist heute nahezu in Vergessenheit geraten. Bei vielen Menschen aus der ehemaligen DDR dürfte sein Name jedoch Erinnerungen an eine andere Zeit wachrufen. Der Cowboy aus Colorado kam in Lateinamerika auf politischen Umwegen zum Sozialismus – und wurde schließlich im Ostblock zum »Roten Elvis«. Die Neuköllner Oper in Berlin widmet ihm in ihrem aktuellen Stück eine letzte Show.
Um es gleich vorweg zu sagen: Das Musical von Fabian Gerhardt und Lars Werner (Text) sowie Claas Krause und Christopher Verworner (Musik) ist schon allein deswegen einen Besuch wert, weil es die alten Songs Reeds neu aufgreift, modernisiert und man daher zwei Stunden musikalisch wirklich großartig unterhalten wird. Doch im Klamauk des Musicals liegt auch eine Schwäche. In seiner humoristischen Erzählweise wird es den politischen Widersprüchen des sozialistischen Amerikaners leider nicht ganz gerecht.
Das Musical erzählt Reeds Lebensgeschichte von seiner Kindheit auf einer Hühnerfarm in einem Dorf nahe Denver bis zu seinem frühen Selbstmord 1986 in der Nähe von Berlin. Wir erleben wie er mit US-amerikanischen Werten und dem American Way of Life aufwächst: Football spielen, Pferde reiten, Patriot sein. Schon früh wird ihm der individuelle Aufstieg als Lebensziel vermittelt. Man erwartet sich viel von diesem Jungen, der als Heranwachsender mit einem Esel in den Rocky Mountains über 100 Meilen um die Wette rennt – und gewinnt. Ein oft zermürbender Erfolgsdruck wird ihn sein Leben lang begleiten.
Nach ersten Erfolgen mit der »Hillbilly Music«, die sein Studium finanziert, führt es ihn nach Hollywood. Doch da bleibt der wirklich große Erfolg aus. Reed kann sein mangelndes musikalisches Talent zwar mit gutem Aussehen ausgleichen und es gelingen ihm einige Erfolge als Schauspieler und Musiker. Doch die große Karriere als Popstar in den USA blieb ihm verwährt.
Von der Kulturindustrie ausgebeutet und künstlerisch weitgehend fremdbestimmt, wird Reed zu dieser Zeit von Hollywood schwer enttäuscht. Iron Curtain Man lenkt hier die Aufmerksamkeit auf seinen Schauspiellehrer Paton Price, der Reeds Vorstellung von der Rolle des Künstlers stark beeinflussen sollte. Der Pazifist Price bringt ihm bei, dass der Künstler seinen inneren Idealen Ausdruck verleihen muss.
Das Stück arbeitet hier einen interessanten Widerspruch heraus: Ausgerechnet in Hollywood – an einer Schauspielschule – lernt Reed »authentisch« zu sein, seine innersten Ideale selbst zu inszenieren. Doch als Sozialist wird er genau durch deren Zurschaustellung mit der politischen Macht der USA in Konflikt geraten. Der politische Kontext der McCarthy-Ära, in der Reed seine ersten künstlerischen Schritte machte, treten im Stück aber leider in den Hintergrund.
Diese Phase des Kalten Kriegs war geprägt von Berufsverboten, anti-kommunistischer Hetze und staatlicher wie gesellschaftlicher Repression. Linke und sozialistische Vorstellungen zu vertreten oder gar öffentlich zu verbreiten war gefährlich und konnte schnell das Ende der künstlerischen Laufbahn bedeuten. Dennoch gab es unter Kunstschaffenden viele klandestine Sozialistinnen und Sympathisanten der Sowjetunion. Reeds politische Haltung ist gerade unter diesem Vorzeichen spannend.
Im weiteren Verlauf begleitet die Zuschauerin Reeds Aufstieg zum lateinamerikanischen Teenageridol. 1961 gelingt ihm mit seiner Hitsingle »Our Summer Romance« der Erfolg auf dem südamerikanischen Kontinent. Auf seinem Weg zum roten Superstar verweist Iron Curtain Man auf Reeds Begegnungen mit der lateinamerikanischen und Indigenen Bevölkerung des Kontinents. Deren Leiden unter der Kolonialpolitik des Westens wird ihn später zu einem überzeugten Sozialisten machen.
Reeds politische Bewusstwerdung vollzieht sich in Abgrenzung zu seinen positiven Vorstellungen seines Heimatlandes. Denn die USA unterstützen in der Region Militärdiktaturen, politische Coups und reaktionäre Todesschwadronen, welche die Bevölkerung terrorisieren und demokratische Bestrebungen zerschlagen. Im Stück treten einzig jene Indigene auf, die noch nicht mit dieser Kolonialpolitik in Kontakt gekommen waren – nur sie sind dem US-Amerikaner Reed freundlich gesinnt. Der Kontrast zwischen dem, was die USA in seinen Augen sein könnten, und der brutalen Realität der US-Politik in Lateinamerika und anderswo führt Reed schließlich zum Sozialismus.
Er wird in Folge dieser Erfahrungen zu einem scharfen Kritiker der US-Außenpolitik. Doch in der Darstellung seiner politischen Bewusstwerdung erscheint er allzu sehr wie ein idealistischer Träumer. Sein politischer Aktivismus zu dieser Zeit erfährt hingegen keine Beachtung. Doch Reed meint es ernst: Er trifft sich mit Che Guevara, wird aus Argentinien ausgewiesen und landet kurzzeitig sogar im Gefängnis. Weltweit setzt er sich für Friedenspolitik ein und kommt so auch in Kontakt mit dem sozialistischen Ostblock.
Auf seinen ersten europäischen Auftritt 1965 auf dem Weltfriedenskongress folgt 1966 eine Konzerttour in der Sowjetunion. Dort ermöglicht ihm sein Status als »der Amerikaner« eine stabile Karriere. Erfolge feiert er weniger mit seiner eigenen Musik als mit Coverversionen erfolgreicher Songs aus dem Westen, von damaligen Größen wie Chuck Berry, den Beatles und anderen. Publikumslieblinge sind außerdem seine Interpretationen amerikanischer Klassiker wie beispielsweise »We Shall Overcome«. Iron Curtain Man bringt dem Publikum diesen von inneren Widersprüchen zerrissenen Charakter nahe: politische Ideale, Sehnsucht nach Erfolg, aber zugleich gefangen in einer Schublade. Seine Herkunft und politische Einstellung schienen sowohl sein einziger Weg zum Ruhm, als auch eine Beschränkung, die seinem Erfolg in den darauffolgenden Jahrzehnten ein Ende bereiten sollte.
Auch hier hätten seine politischen Verstrickungen eine genauere Betrachtung verdient. Der Dean Reed von Iron Curtain Man scheint die politische Realität des stalinistischen Apparats und des Kalten Kriegs schlicht nicht zu begreifen. So eröffnet das Stück mit einem Comedy Trio: der grau-graue Erich (Mielke), Erich (Honecker) und Egon (Krenz) begreifen Reed allesamt als ihre Marionette. Mit dem sozialistischen Yankee, den sie bewusst in Szene zu setzen verstehen, feiern sie einen enormen ideologischen Erfolg. Hier erscheint Reed fast Opfer, das manipuliert und benutzt wird.
Die Schonungslosigkeit des Apparats wird Reed sicherlich unterschätzt haben. Doch er war auch ein pro-sowjetischer Überzeugungstäter, der noch bis kurz vor seinem Tod den Mauerbau und den Einmarsch in Afghanistan verteidigte. Reed lebte seit seiner ersten Ehe mit Wiebke Reed 1971 in der DDR und war sich ihrer diktatorischen Auswüchse durchaus bewusst – er agierte zeitweise sogar als Stasi-Informant. Erich, Erich und Egon waren für Reed seine »Buddys aus dem Politbüro« und in diesem Sinne setzte er sich auch bereitwillig für deren politische Zwecke ein. Er akzeptierte die Repression und die zentralisierte Planwirtschaft als notwendige Übel auf dem Weg zum Sozialismus und nicht als Vorboten des Scheiterns, die sie eigentlich waren. Reeds Darstellung als Witzbold und Opfer seiner Umstände entbindet ihn jedoch von dieser Verantwortung.
Mit dem Beginn der 1980er Jahre, begann Dean Reeds Ruhm in der Sowjetunion zu verblassen. Die Hallen leerten sich, seine Platten und Filme floppten. Dies erklärt, warum er Mitte der 1980er ein Comeback in den USA versuchte. Auch wenn er seit 25 Jahren schon nicht mehr in den USA gelebt hatte, blieb er seinem Heimatland doch immer verbunden. Er hatte sich um einen Dialog zwischen diesen beiden riesigen, multiethnischen Ländern bemüht, die trotz aller politischen Verschiedenheiten doch viel gemein hatten. Doch er unterschätzte, wie sehr er sich inzwischen von den Vorstellungen seiner Landsleute entfernt hatte.
Das Scheitern seines Comebacks findet seinen Inbegriff in einem berüchtigten Interview mit 60 Minutes, einer Nachrichtensendung in den USA. Iron Curtain Man findet hier seinen tragischen Höhepunkt: Er wird als als Vaterlandsverräter betitelt und wegen seiner kommunistischen Überzeugungen verspottet. Reed versteht seine Landsleute nicht mehr – und andersherum ist es noch schlimmer. Die hasserfüllten Briefe, die er nach dem Interview aus den USA erhält, nagen an seinem Selbstbewusstsein. Für Reed ist hier Endstation. Wenige Wochen nach diesem Interview nahm sich Dean Reed das Leben. Er wurde nur 47 Jahre alt.
Iron Curtain Man stellt dar, wie einsam sich Dean Reed nach dem Scheitern seiner Rückkehr in die USA gefühlt haben muss. Er hat sich – geographisch wie politisch – weit von seiner Heimat entfernt. Doch der Fokus auf sein individuelles Scheitern übersieht, wie bemerkenswert es im Guten wie im Schlechten ist, dass sich Reed während des Kalten Krieges so deutlich auf die Seite der Sowjetunion und des Sozialismus im weiteren Sinne stellte. Es erforderte wirkliche Überzeugung für ein politisches Projekt, das nur im Rückblick zum Scheitern verurteilt war, solange es sich nicht radikal änderte.
Die Entwicklung dieses Bauernjungen aus Colorado – vom moderat erfolgreichen Musiker zum revolutionären Sozialisten und außerordentlich erfolgreichen Künstler im Ostblock – ist trotz seiner politischen Fehler bemerkenswert. Es ist gerade deshalb so bedauernswert, dass er heute beinahe vergessen ist. Umso erfreulicher ist es daher, dass die Neuköllner Oper ihm diesen mitreißenden Rückblick auf seinen Lebensweg widmet. Einen Abend lang und darüber hinaus in seine Geschichte und Widersprüche einzutauchen, hat der sozialistische Rockstar mehr als verdient.
Johannes Liess arbeitet für DIE LINKE. Berlin.