17. Mai 2021
Am 17. Mai 1946 wurde in der sowjetischen Besatzungszone die DEFA gegründet. JACOBIN hat mit dem Filmpublizisten Klaus-Dieter Felsmann über die Freiheiten, Widersprüche und das künstlerische Erbe des DEFA-Films gesprochen.
Hans Hardt-Hardtloff und Renate Blume in »Der geteilte Himmel« (Konrad Wolf, 1964)
Heute wäre die Deutsche Film AG, besser bekannt als DEFA, 75 Jahre alt geworden. Die erste große deutsche Gesellschaft zur Herstellung von Filmen nach dem Zweiten Weltkrieg besaß in der Form eines volkseigenen Betriebes ein Monopol auf die Kinoproduktionen in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und später der Deutschen Demokratischen Republik (DDR). Ihr Anspruch war, mit der Filmkunst nicht nur auf soziale Missstände aufmerksam zu machen, sondern aktiv an deren Veränderung mitzuwirken. Zeit ihres Bestehens gerieten diese Ansprüche jedoch immer wieder in Konflikt mit den Forderungen von staatlichen Behörden und Partei.
JACOBIN sprach zum Anlass mit dem Filmpublizisten Klaus-Dieter Felsmann über die politischen Widersprüche der DEFA, den künstlerischen Wert ihrer Filme und was sie uns über die DDR und ihre Gesellschaft erzählen. Klaus-Dieter Felsmann ist Autor zahlreicher Beiträge über die DEFA, wie auch des Buches Inszenierte Realität. DEFA-Spielfilme als Quelle zeitgeschichtlicher Deutung.
Am 15. Mai ist das 75. Jubiläum der DEFA. Was ist die DEFA und warum sollte man sich an sie erinnern?
Eine Voraussetzung, um sich produktiv mit der DEFA auseinanderzusetzen, ist, dass man aus den Denkmustern des Kalten Krieges aussteigt. »Der Kalte Krieg war geprägt von Propaganda und Lüge. Keiner hatte recht, keiner ging als Sieger aus dieser Konfrontation hervor, in der jeder nur seine Wahrheit kannte«, so schrieb der einstige Berlinale-Chef Moritz de Hadeln 1991 angesichts einer Retrospektive zum Thema. Bleibt man in diesen Denkstrukturen, läuft man immer Gefahr, eine Seite nur schlechtzureden.
Ein entsprechender Ruf hing auch der DEFA an. Als nach 1990 das westliche Narrativ dominierte, weil die andere Seite nichts mehr zu sagen hatte, änderte sich das vielfach nicht. Ich erlebe auch heute immer wieder, dass die DEFA pauschal als eine Propagandaeinrichtung der SED betrachtet wird, obwohl sie das nur bedingt war.
Mit der Gründung der DEFA im Jahr 1946 gab es erstmals wieder ein Filmstudio in Deutschland. Man machte wieder Filme, die etwas mit diesem Land zu tun hatten. Deutschland hatte nicht nur die Schuld des Krieges auf sich geladen, es war auch zerstört. Die Leute mussten wieder eine Orientierung finden und dabei half ihnen die DEFA.
Der Film spielte in der sozialistischen oder auch kommunistischen Kulturpolitik immer eine große Rolle. Das war schon in der Sowjetunion so. Man glaubte, dass man die Menschen über Kultur und insbesondere über den Film erreichen kann. Die Hoffnung war, sie dadurch zu etwas Höherem führen zu können. Daher war man bereit, nicht nur ein Filmunternehmen zu gründen, sondern es auch finanziell gut auszustatten. Gleichzeitig war da die allwissende und allmächtige Partei.
Die gesamte DEFA Geschichte ist von dem Widerspruch geprägt, dass Filmemacher einerseits daran glaubten, sich mit der Kraft des Films in die Gesellschaft einmischen zu können, und sie andererseits immer von der Linie der Partei abhängig waren. Aufgrund ihres filmischen Angebots war die DEFA unabhängig davon enorm wichtig. Die DEFA-Filme erhoben den Anspruch, in die Realität hineinzuwirken, indem sie diese aufzugreifen versuchte.
Wer durfte bei der DEFA mitarbeiten und wie wirkten sich die Vorgaben der Partei auf die Arbeit der Künstlerinnen und Künstler aus? War die DEFA eine »kommunistische Filmfabrik«?
Als »kommunistische Filmfabrik« würde ich sie nicht bezeichnen. Wie gesagt, als schlichtes Propaganda-Institut kann die DEFA im Rückblick nicht wahrgenommen werden.
Nach 1945 war bei der Gründung der DEFA klar: Wir wollen ein demokratisches und antifaschistisches Deutschland. Mitmachen konnte damals jeder, der sich diesem Ziel verschrieben hatte. Es kamen eine ganze Menge Leute zur DEFA, auch aus dem alten UFA Umfeld. Darunter waren viele Kameramänner, Komponisten, Szenenbildner sowie Regisseure, die in der UFA-Zeit nicht zentral in die Propagandafilme involviert waren. Das war ein recht bürgerlich geprägtes Milieu.
So drehte jemand wie Wolfgang Schleif 1953 sogar einen propagandistischen Kinderfilm mit dem Titel Störenfriede. Schleif hat nach 1953 aufgrund der damaligen Parteipolitik mit der DEFA gebrochen und ging in den Westen und hat Heimatfilme in der Bundesrepublik der 1950er Jahre gedreht. Eine ganze Reihe von Regisseuren haben so einen Wandel vollzogen.
Welchem Wandel war die DEFA nachfolgend unterworfen?
Es gab zwei Strömungen, die die DEFA nach 1945 geprägt haben. Die eine wollte in der Nachkriegszeit über nationalsozialistische Strukturen aufklären oder den Leuten in unterhaltsamer Weise einen gewissen Optimismus vermitteln. Ein Beispiel dafür ist Kurt Maetzigs Rat der Götter.
Die andere für die Zeit charakteristische Gruppe war die sogenannte »Flakhelfer-Generation«. Diese jüngere Generation hatte nach dem Krieg die Chance, in neu gegründeten Institutionen wie der DEFA eine Karriere zu starten. Dazu zählt beispielsweise der Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase. Er hatte Anfang der 1950er Jahre bei der DEFA angefangen und kam aus dem Arbeitermilieu. Der erste Film in dem er entscheidend mitgewirkt hatte, war Alarm im Zirkus mit Gerhard Klein in der Regie.
Mit ihnen kam es in der DEFA zum Umbruch. Zunächst spielte der Antifaschismus und zugleich auch das Bürgerliche eine große Rolle. Nach Gründung der beiden deutschen Staaten wurden unter dem Einfluss der stalinistischen Kulturpolitik bei der DEFA Propagandafilme produziert – die allerdings niemand sehen wollte. Diese neue Generation wollte anders über die Welt erzählen. Daraus entstanden unter anderem die Berlin-Filme, die sich am italienischen Neorealismus orientierten. Das waren Filme, die teils mit dokumentarischen Mitteln in der geteilten Stadt Berlin gedreht wurden. Das sind heute einzigartige Dokumente, die Einblicke in das Milieu der Stadt geben, in der die Grenzen noch offen waren.
Dann wurde die Filmhochschule in Babelsberg gegründet und neue Filmkünstler in limitierter Zahl ausgebildet. Deren Werdegänge waren strikt durchgeplant. Man studierte Regie, machte danach die Regieassistenz bei der DEFA und bekam dann den Regievertrag. Das ging im Prinzip über drei Generationen gut.
Die vierte Generation saß Ende der 1980er Jahre da und hatte mit Anfang 40 kaum eigene Filme machen können. Sie schrieben daher kurz vor der Wende 1989 ein Manifest, mit dem sie ihre Unzufriedenheit zum Ausdruck brachten. Wie in der DDR insgesamt, waren inzwischen die Aufstiegswege verstopft und die Ressourcen begrenzt. Das erschwerte die Arbeit der jüngeren Generation ungemein. Schließlich waren jene, die in den 1950ern oder 1960ern bei der DEFA angefangen hatten, im Jahr 1989 noch keine Rentner.
Mit der Entwicklung der DDR hat sich auch die Parteilinie immer wieder verändert. Wie hat sich das auf die DEFA ausgewirkt und was war aus Sicht der Partei die Aufgabe der DEFA?
Aus der Sicht der Partei war die Aufgabe der DEFA natürlich, das Volk mit Filmen zu beglücken – oder zu traktieren –, die den sozialistischen Aufbau mit Freude voranbringen.
Anfang der 1950er wurden plötzlich Propagandafilme verlangt, wie etwa Der Auftrag Höglers von Gustav von Wangenheim (1950). Er spielte im Stahlwerk Maxhütte bei Saalfeld. Im Film agitierten sich die Leute gegenseitig, ob der Osten oder der Westen besser sei – und natürlich sollte es im Osten besser sein.
Ein weiteres Beispiel ist der Film Thomas Müntzer von Martin Hellberg. Er zeigt wie der Bauernführer Thomas Müntzer 1525 in den Bauernkriegen bei Frankenhausen geschlagen wird. Ein paar von seinen Gefolgsleuten überleben die Schlacht und gehen nach Schwaben, um sich neuen Bauerngruppen anzuschließen. In der letzten Szene marschieren sie – für die Handlungszeit völlig unpassend – mit Deutschlandfahnen und werben im Grunde symbolisch für ein einiges sozialistisches Deutschland. Als man den Film in den 1960ern erneut rausbrachte und es plötzlich nicht mehr en vogue war, die deutsche Einheit anzustreben, schnitt man diese letzte Szene einfach raus.
Auch die neue Generation um Gerhard Klein, Wolfgang Kohlhaase, Heiner Carow sowie Konrad Wolf, die sich an internationalen Filmtrends aus Italien und Frankreich orientierten und realistisch über den Alltag erzählen wollten, erlebte diese politische Einflussnahme. Bei einer Filmkonferenz 1958 wurde gesagt, dieses neorealistische Kino verfälsche das Bild und sei nicht optimistisch genug für das Ziel der Partei. Es sollten wieder Propagandafilme gemacht werden. Und so kam es dann auch. Beim Publikum waren diese Filme zwar nicht beliebt, aber die Partei hatte wieder streng reglementiert.
Auch der Mauerbau 1961 hatten Folgen. Viele Menschen in der DDR – auch Künstler – waren der Meinung, dass sich damit der Westen aus der DDR raushalten würde und so auch die dadurch geschaffenen wirtschaftlichen Probleme ein Ende finden würden. Zwar flüchteten Menschen für eine andere Perspektive in den Westen, aber in der DDR machte sich zugleich ein gewisser Optimismus breit. Man hoffte, jetzt ungestört eine neue Gesellschaft aufbauen zu können. Dadurch wurde auch die Politik wieder lockerer.
Wie zeigte sich das an den Filmen aus dieser Zeit?
Es wurden plötzlich Impulse und Drehbücher freigegeben, die vorher nicht freigegeben worden waren, so zum Beispiel Der geteilte Himmel (1963) von Konrad Wolf. Er erzählt die Geschichte eines Liebespaares, das sich entscheiden muss, ob sie im Westen oder im Osten leben wollen. Der Film arbeitet mit für die DEFA völlig neuen künstlerischen, expressionistischen Mitteln.
Dann folgte 1965 das berüchtigte Kahlschlag-Plenum. Dort wollte man sich über die desolate ökonomische Situation unterhalten. Man brauchte aber irgendeinen Sündenbock und dafür wurde die Kunst auserkoren. Nicht nur der Film, auch die Musik und die Literatur waren davon betroffen.
Bis dahin entstanden sehr interessante und neuartige Filme, die sich mit der Gesellschaft der DDR auseinandersetzten und von denen ein ganzer Jahrgang dann in Folge des Plenums verboten wurden. Dies war in vielerlei Hinsicht tragisch. Keiner dieser Filme zweifelt am Sozialismus. Sie alle wollten nur einen besseren, anderen Sozialismus.
Herrmann Zschoches Film Karla mit Jutta Hoffmann in der Hauptrolle wurde beispielsweise verboten. Es geht um eine Lehrerin, die sich eine andere Form der Schule ersehnt. Sie will die jungen Leute mit einbeziehen statt von oben herab zu agieren – aber sie scheitert daran. Wenn der Film heute gezeigt wird, erkennen viele Jugendliche interessanterweise sich selbst und die Widersprüche ihres eigenen Schulsystems darin wieder.
Wie wirkten sich diese Verbote auf die Filmkultur aus?
Die Verbote dieser Filme waren nicht nur für die Beteiligten tragisch, sondern auch für die ästhetische Entwicklung. Es waren moderne Filme von jungen Leuten, die eine neue Art des Films in Deutschland anstrebten.
Danach herrschte eine gewisse Erstarrung und Verunsicherung. Man wusste nicht, wie man mit der Gesellschaft umgehen sollte. Erst Ende der 1960er versuchte man sich wieder mit ihr zu beschäftigen. Allerdings traute man sich weniger. Zuvor wurden auch Entscheidungsträger der Partei in Frage gestellt, nun versuchte man eher die Themen auf unmittelbarer, menschlicher Ebene zu diskutieren.
Mit der Ausbürgerung von Biermann 1976 wurden die Zügel der Partei wieder angezogen. Man konnte die Dinge nicht mehr so erzählen, wie man es wollte. Doch auch das hielt nicht lange an. Mit Solo Sunny von Konrad Wolf, Märkische Forschungen von Roland Gräf sowie Eine sonderbare Liebe und Die Beunruhigung von Lothar Warneke folgte eine Reihe von Filmen, die unmittelbar und realistisch in den Alltag eingriffen.
1989 war die Partei hilflos geworden. Jetzt wurden gesellschaftliche Verhältnisse ironisch kommentiert, man griff Umweltthemen auf und Peter Kahane reflektierte mit Die Architekten den Stillstand. Doch das hatte nur noch wenig Wirkung, weil das Gesellschaftsmodell inzwischen total gescheitert war.
In der frühen Sowjetunion wurden teils sehr avantgardistische Produktionen gefördert. Kam es bei der DEFA zu ähnlichen ästhetischen Experimenten und konnten sie veröffentlicht werden?
Interessant ist hier Iris Gusner. Sie hat in Moskau am Filminstitut studiert und drehte 1971 nach ihrer Rückkehr Die Taube auf dem Dach. Der Film hatte eine gewisse avantgardistische Ästhetik. Er schaffte es allerdings nie in die Kinos und erntete heftige Kritik.
Man sagte, Gusner sei nicht in der Lage, einen ordentlichen Film zu machen und warf ihr vor, »linksradikal« zu sein. Dabei hatte sie einfach nur einen offeneren Blick auf die DDR, weil sie in Moskau studiert hatte. In dieser Zeit hat sie dort unter Chruschtschow erlebt, dass es auch für Künstler ein bisschen mehr Freiheit gab. Sie kam mit einem Blick von außen und sah Vieles genauer.
Dieser Film war konträr zur allgemeinen DEFA-Ästhetik. Diese avantgardistischen Arbeiten aus der Sowjetunion, welche die Erzählkonventionen aufbrachen, waren für die DEFA letztendlich nicht stilprägend. Es dominierte eher ein konventionelles Erzählkino. Gebrochen wurde dies in den frühen Jahren durch Einflüsse des italienischen Neorealismus, später durch andere dokumentarische Formen oder durch phantastische Elemente.
Welche Freiheiten hatte das DEFA-Kino? Filme wie Die Legende von Paul und Paula zeigen durchaus, dass die Vorstellung von einer totalitären Kulturproduktion in der DDR nicht wirklich treffend ist.
Das ist ein Film, der die Leute angesprochen hat, weil er mit Wärme vom alltäglichen Leben der Menschen erzählt. Nach 1990 war man der Meinung, dass solche Arbeiten für die DEFA eine Ausnahme waren. In dem Film ist tatsächlich sehr viel Universelles, allgemein Menschliches enthalten.
Anderen Filmen wollte man das zunächst nicht unmittelbar zubilligen. Bei denen geht es zwar auch oft um solche großen Themen, doch sie sind stärker in die damalige konkrete gesellschaftliche Realität eingebunden – in die Arbeitswelt beispielsweise, was inzwischen mehr und mehr als Stärke der DEFA-Filme gesehen wird. So spielt Erwin Geschonneck in Bankett für Achilles von Roland Gräf einen Arbeiter im Chemie-Kombinat in Bitterfeld. Er bilanziert angesichts der bevorstehenden Rente sein Leben und er macht sich Gedanken um die durch die Industrie geschändete Umwelt. Um die Bedeutung dieses Films tatsächlich würdigen zu können, kommt man nicht umhin, sich mit dem Gesellschaftsmodell der DDR tiefer auseinanderzusetzen. Dafür brauchte es wohl einen gewissen Abstand.
Paul und Paula bietet uns zwar auch Einblicke in die damalige Zeit, gleichzeitig ist er aber eben auch einfach ein schöner Liebesfilm.
Wie hat die Bevölkerung der DDR die Filme aufgenommen? Welche Filme waren besonders beliebt und warum?
Auch in der DDR gab es das Phänomen, dass mit Aufkommen des Fernsehens die Zuschauerzahlen im Kino zurückgegangen sind. In den 1940er oder 50er Jahren strömten noch 6 Millionen ins Kino, um Die Mörder sind unter uns zu sehen. Anfang der 1970er Jahre sahen sich nur noch 1,8 Millionen Die Legende von Paul und Paula im Kino an.
Interessant ist ein Film wie Reife Kirschen (1972) von Horst Seemann, der bei Partei und Publikum gleichermaßen beliebt war. Er erzählt ganz konventionell von einem Bauarbeiter, der an einem neuen Bauprogramm beteiligt ist. Dieser Film fand die Zustimmung von Partei und Staat, weil er das damals verkündete Wohnungsbauprogramm illustrierte. Zugleich haben über 1 Million Menschen den Film gesehen, denn sie fanden in ihm etwas aus ihrem Leben wieder: die Plattenbauten. Heute wird oft abschätzig über Plattenbauten gesprochen, aber für viele Menschen waren sie ein Segen. Sie konnten aus ihren Bruchbuden ohne Bad ausziehen und hatten plötzlich eine warme Wohnung mit Warmwasser.
Solo Sunny von Konrad Wolf kam beim Publikum besonders gut an. Er sprach Menschen aus dem Herzen, weil er viel über die DDR aussagte. Danach hat Wolf Der nackte Mann auf dem Sportplatz gedreht. Der Film behandelt das Verhältnis zwischen Künstler und Volk: Der Künstler möchte seine Idee verarbeiten – und die Leute können damit nichts anfangen. Deshalb stieß der Film dann auch auf geringes Interesse, obwohl er sehr gut ist.
Grundsätzlich wollten die Leute etwas im Film sehen, womit sie sich auseinandersetzen konnten. Was man nicht wollte, war plumpe Agitation. Wenn die Filme nur belehrten oder dröge waren, haben sie keine Rolle gespielt.
Bis heute gibt es unter Ossis eine gewisse Faszination für die indigene Bevölkerung der USA. Die »Indianerfilme«, wie sie damals genannt wurden, gehörten zu den beliebtesten in der DDR. Wie haben die DEFA-Filme die Vorstellungen der Menschen geprägt?
Der Filmkritiker Denis Newiak hat dazu einen wunderbaren Satz geschrieben: »Gojko Mitic als Arbeiterführer der Pampa«. Das steckt natürlich auch in diesen Filmen. Die »Indianerfilme« haben die Leute auf der anderen Seite angesprochen, weil es Abenteuergeschichten sind und weil sie mit Gojko Mitic wieder einen Star hatten, obwohl man bei der DEFA eigentlich keine Stars aufbauen wollte.
Wirklich wertvoll, das wird erst heute richtig deutlich, ist die bewusste Absetzung von den Karl-May- und Cowboy-Filmen im Westen. Man wollte der Kultur der indigenen Völker gerecht werden, ebenso wie dem Leid, das sie durch die Kolonialisierung erfahren mussten, und wie sie sich gegen die Eroberung zur Wehr setzen mussten. Im Vergleich zu der bis vor Kurzem üblichen Darstellung der Weißen als Heldenfiguren, die den »Ureinwohnern« die Kultur bringen, waren die »Indianerfilme« der DEFA sehr fortschrittlich.
Die Zuschauerzahlen zeigen, wie hoch das Interesse an diesen Filmen war: 2 bis 3 Millionen waren in den 1970er Jahren sehr viel.
Die SED und die Bürokratie verstanden die Kunstproduktion vor allem als einen »Hammer«, der die Wirklichkeit gestaltet. Aber auch in Ihren eigenen Büchern haben Sie geschrieben, dass die DEFA-Filme ein »Spiegel« der Gesellschaft sind, aus der sie entstammen. Was spiegelten sie wider?
Ideen wie Opposition, politischer Widerstand, Wehrdienstverweigerung oder ähnliche Themen wird man in den Filmen nicht finden. Über diese Wirklichkeit haben sich die DEFA-Filme höchstens indirekt geäußert. Dazu muss man jedoch auch sagen, dass zur Opposition tatsächlich nur eine kleine Gruppe von Menschen gehörte, nicht die Mehrheit der Gesellschaft.
Man wollte über die Gesellschaft erzählen. Die Leute sollten sagen können: »Ja, so könnte es tatsächlich gewesen sein«, das galt selbst für Komödien. Man hat sich viel Zeit gelassen, damit das Publikum seine Welt erzählerisch wiedererkennt.
Wenn in Bankett für Achilles das Chemiewerk in Bitterfeld gezeigt wird, dann sieht man da kein schönes Werk, sondern ein dreckiges: Die Leitungen waren kaputt, es dampfte und überall musste etwas repariert werden. Egal ob in Hoyerswerda oder in Sondershausen – im Film fanden sie Vergleichbares zur eigenen Lebenswelt.
Das ist ein bisschen der Unterschied zu heute, wo Filme eher Individuelles wie Paarbeziehungen oder Krankheit thematisieren. Bei den DEFA-Filmen stand der Mensch in seinem gesellschaftlichen Kontext im Mittelpunkt.
Das DEFA-Kino war nie ein profitables Kino. Das heutige Kino soll trotz Filmförderung ein kommerzielles Kino sein. Hatte es eine befreiende Wirkung, dass man sich nicht Marktbedingungen oder auch Publikumswünschen anpassen musste?
Die wenigsten Filme sind auch heutzutage tatsächlich profitabel. Natürlich gibt es Ausnahmen wie Fak Ju Göhte oder die Til-Schweiger-Filme. Aber die meisten Filme gibt es nur, weil es eine Filmförderung gibt. Ein Regisseur muss hierzulande mindestens drei Förderanstalten und möglichst noch eine Fernsehauswertung zusammenkriegen und sich dann oft noch selbst ausbeuten, sonst kriegt er den Film überhaupt nicht produziert.
Natürlich möchte die Filmindustrie gerne Rendite einstreichen. Das ist aber meist nur bei den großen Firmen wirklich möglich. Bei der Filmförderung geht es teilweise auch eher darum, Arbeitsplätze in dem jeweiligen Bundesland zu schaffen.
Die DEFA war zwar nicht gewinnorientiert, aber sie war schon budgetiert. Der Produktionsleiter hat auf die Kosten geguckt. Heiner Carows große Leidensgeschichte ist, dass er immer Simplicissimus nach Franz Fühmann verfilmen wollte. Er hat ewig daran gesessen, doch das Projekt wurde immer aus Kostengründen abgelehnt. Es gab eine finanzielle Grenze.
Andererseits hat der Jahresplan schon für eine gewisse Sicherheit gesorgt. Die Leute waren angestellt und sie hatten Zeit. Es gab Regisseure, die haben alle zwei Jahre einen Film gedreht, manche nur alle fünf, denn die DEFA war mit ungefähr 20 Filmen pro Jahr ein recht kleines Studio. Die ganze Kostümabteilung, die Handwerker für die Plastiken und so weiter hatten trotzdem alle eine feste Anstellung. Sie saßen in ihren Werkstätten und konnten sich für ihre Arbeit Zeit nehmen.
Die Kostümbildner und die Szenenbildner haben damals gesagt »Es gab ja nichts, aber wir haben alles besorgt«, und sie sind heute sehr stolz darauf. Sie sind oft zu den kleinen Stofffabriken in Thüringen oder dem Erzgebirge gefahren und haben sich aus den Restekisten das Notwendige zusammengesucht und -gebastelt. Das ist heute gar nicht mehr denkbar.
Auch die Entwicklungszeiten in der Dramaturgie und oder die Anzahl der Drehtage sind geradezu luxuriös gewesen. Aber an genau diesen Dingen ist der Staat letztendlich zugrunde gegangen, weil er das Geld dafür eigentlich gar nicht hatte. Am Ende hat sich herausgestellt, dass die Kassen leer waren, aber man trotzdem große Ansprüche stellte.
Sie haben jetzt schon sehr viele DEFA-Filme erwähnt. Was sind in Ihren Augen die drei besten Filme, die man unbedingt gesehen haben sollte?
Ich werde mich jetzt etwas herauswinden, denn über ein Themenfeld haben wir überhaupt noch nicht gesprochen: die Kinderfilme. Ich werde ihnen beispielhaft drei Filme nennen. Einer davon ist von Helmut Dziuba und heißt Sabine Kleist, 7 Jahre… . Dieser Film ist für mich von herausragender Bedeutung. Ebenso auch Gritta von Rattenzuhausbeiuns von Jürgen Brauer, der sehr zeitbezogen eine Geschichte von Bettina von Arnim inszeniert; abschließend noch Philipp, der Kleine von Herrmann Zschoche.
Interessant ist hierbei, dass es in der Bundesrepublik bis zum Ende der 1970er Jahre keine Kinderfilmproduktion mehr gab. In den 1950er Jahren gab es noch die Erich Kästner Geschichten, aber dann nichts mehr. Als Leute aus dem Milieu um das Kinderkino München eine moderne Pädagogik forderten, gehörte für sie auch eine ordentliche Kinderfilmproduktion dazu.
Sie haben sich in ihren Anfangszeiten stark am DEFA-Kinderfilm orientiert und ihn als Vorbild gesehen. Die nichtgewerbliche Filmszene der Bundesrepublik hatte viele DEFA-Filme in ihren Beständen. Denn auch wenn da mal Pioniere mit dem Halstuch rumliefen, war ihr Grundgestus immer, die Kinder zu bestärken. Genau das hat die neue Pädagogik dieser Zeit in der Bundesrepublik befördern wollen.