25. Mai 2023
Jetzt ist es amtlich: Christian Lindner hat uns in die Rezession hineingespart. Anstatt das Wachstum anzukurbeln, drosselt der Finanzminister es noch weiter – mit fatalen Folgen für das Klima und uns alle.
Dank Lindners Sparpolitik sind die Zukunftsaussichten trübe und die Wirtschaft in der Rezession.
IMAGO / Political-MomentsDie Wirtschaft schrumpft. Im letzten Quartal 2022 ging das das Bruttoinlandsprodukt um 0,5 Prozent und nun im ersten Quartal 2023 um 0,3 Prozent zurück. Dahinter stecken laut Statistischem Bundesamt vor allem die schwächelnden Konsumausgaben des Staates mit einer Senkung um 5,4 Prozent sowie die Senkung der privaten Konsumausgaben um 1 Prozent. Wir stecken also in der Rezession. Das bedeutet: Der Gesamtwert aller produzierten Waren und Dienstleistungen nimmt ab. Die Rezession trifft vor allem die 99 Prozent – für sie ist dank Lindner Degrowth angesagt. Das 1 Prozent macht fast ungestört weiter wie gewohnt.
»Hätte man die Energiepreisbremsen früher eingeführt, hätten die Rezession und die enormen Reallohnverluste vermieden werden können.«
Woran das liegt, ist klar: Die Kostenexplosion bei Unternehmen und Menschen führt zu Preisdruck in der Wirtschaft und schwächelndem Konsum in der Bevölkerung. Dazu kommt das Spardiktat des Staates und die Zinspolitik der Zentralbank. Der Staat hat auf all diese Variablen massiven Einfluss – und bei all diesen Punkten hat die Ampel entweder zu zögerlich oder vollkommen kontraproduktiv gehandelt.
Fangen wir bei der Preisexplosion an – sie ist der Kern des Problems. Denn sie ist für die Kostenanstiege verantwortlich, die sowohl die Wirtschaft – also die Angebotsseite – als auch die Bevölkerung – also die Nachfrageseite – hart treffen. So ist der Konsumklimaindex weiterhin auf fatalen Ständen. Der Geschäftsklimaindex hatte sich zwar etwas verbessert, ist aber gerade erst wieder gesunken.
Die Konsequenzen dieses beidseitigen Kostenschocks kennen wir alle. Wenn die Menschen mehr für Energie ausgeben, können sie weniger häufig zum Friseur gehen. Und wenn die Unternehmen mehr für Energie ausgeben, müssen sie in den allermeisten Fällen die Preise anheben. Und damit breitet sich der Kostendruck von der Energie auf andere Bereiche aus. Denn auch die Energiekosten des Friseurs steigen. Der Haarschnitt wird teuer. Wenn dann noch die mangelnde Nachfrage dazu kommt, droht die Insolvenz.
Umso wichtiger ist es, bei diesen Kosten anzusetzen. Das hat die Ampel mit den Energiepreisbremsen zwar getan – aber viel zu spät. Denn sie wirkten vor allem erst nach dem Kostenschock und nicht währenddessen oder gar davor. Hätte man sie früher eingeführt, hätten die Rezession und die enormen Reallohnverluste vermieden werden können.
Doch nicht nur bei den Energiepreisen hätte die Regierung schneller und entschlossener handeln müssen. Auch die sonstigen Entlastungspakete wurden viel zu zaghaft geschnürt. Natürlich musste Energie eingespart werden, um eine Notlage zu verhindern. Doch das bedeutet nicht zwangsläufig, dass den Menschen weniger zum Leben bleiben soll. Umso wichtiger wäre es gewesen, die Energiepreispauschale zu wiederholen oder das 9-Euro-Ticket zu entfristen. Das hätte die Menschen entlastet und die Nachfrage stabilisiert.
Doch das war nach Meinung Christian Lindners finanziell nicht drin. Um keine weiteren Schulden aufzunehmen, wurde auf weitere Entlastungen 2022 verzichtet. Auch die Aussetzung der Schuldenbremse für das laufende Jahr schließt er weiterhin aus. Und so kehrte die Ampel im Jahr 2023 trotz Krieg und Energiepreisekrise – dank Schuldenbremse – zur Sparpolitik zurück, weil es im Koalitionsvertrag vor der Krise so ausgemacht wurde. Man kann kaum glauben, mit welcher politischen Ignoranz der Finanzminister die aktuellen Umstände einfach auszublenden scheint – zum Leid der Menschen, des Klimas und der Wirtschaft.
»Schon vor der Pandemie haben Wachstum und Nachfrage über das letzte Jahrzehnt hinweg aufgrund falscher Sparpolitik geschwächelt.«
Dazu kommt die Zinserhöhung der Zentralbank. Ihr Ziel ist es, die Wirtschaft zu erlahmen. Denn damit werden Kredite für alle teurer – für die Unternehmen, für die Häuslebauer, für die Studierenden. Die Folge: Die Nachfrage wird gehemmt, was wiederum eine geringere wirtschaftliche Auslastung zur Folge hat – samt schwächer steigender Löhne und höherer Arbeitslosigkeit.
Gleichzeitig schiebt Lindner die höheren Zinsen als vermeintliches Argument gegen eine Erhöhung der Staatsschulden vor. Doch das ist Unsinn. Denn die Zentralbank kann die Anleihen des Staates (worüber die Verschuldung abgewickelt wird) über einen Umweg ganz einfach kaufen. Dann zahlt der Staat der Zentralbank die Zinsen. Und was passiert mit den Gewinnen der Zentralbank? Die wiederum werden an die Staaten ausgeschüttet. Höhere Zinsen sind also vor allem ein Strohmann gegen Staatsverschuldung, ein Vorschlaghammer gegen die Nachfrage und ein Katalysator für leistungsloses Einkommen von Vermögenden.
Auf all diesen Feldern braucht es einen Kurswechsel. Denn ausbleibendes Wachstum hat eklatante Folgen für den Wohlstand. Schon vor der Pandemie haben Wachstum und Nachfrage über das letzte Jahrzehnt hinweg aufgrund falscher Sparpolitik geschwächelt. Aber natürlich braucht es auch einen Kurswechsel, in den Bereichen, in denen das Wachstum stattfindet und wer davon profitiert. Das Wachstum muss endlich den 99 Prozent zugutekommen und zwar auf ökologische Weise.
Dafür braucht es zunächst ein weiteres Entlastungspaket für 2023 – zum Beispiel eine erneute Einmalzahlung, eine Preissenkung für das 49-Euro-Ticket und eine Streichung der Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel. All das ist schnell möglich, wenn man die Schuldenbremse wieder aussetzt und einen Nachtragshaushalt auf den Weg bringt.
Um aber auch langfristig gegen die Wirtschaftsflaute vorzugehen, braucht es endlich massive staatliche Ausgaben, die die Wirtschaft ankurbeln – zum Beispiel einen ordentlichen Sozialstaat samt echter Kindergrundsicherung und eine wirkliche Energiewende samt fetter Förderung für den Heizungswechsel. Das ist gut für die Menschen, gut für die Wirtschaft und gut fürs Klima.
Für all das muss man sich von der Schuldenbremse verabschieden. Denn sie ist die Hauptursache für das Degrowth bei den 99 Prozent der Menschen. Und mit Umverteilung kann dann auch dort geschrumpft werden, wo es wichtig ist: beim obersten 1 Prozent!
Lukas Scholle ist Volkswirt, Wissenschaftlicher Mitarbeiter für Finanzpolitik im Deutschen Bundestag und Kolumnist bei JACOBIN.