19. August 2024
Der Kampf gegen den Klimawandel erfordert einen radikalen Wandel. Doch die Idee des Postwachstums koppelt die Vision einer sozialistischen Zukunft an eine Reduzierung der Wirtschaftsleistung. Das ist der falsche Weg.
Die massiven Investitionen in die Infrastrukturen unserer Energieversorgung werden durch das Profitmotiv des Kapitalismus blockiert.
Die ökologische Perspektive des Degrowth gewinnt an Zugkraft: Vor einigen Monaten fand im EU-Parlament die mehrtägige Konferenz Beyond Growth statt, auf der viele Redner zu Wort kamen, die diese Sicht vertreten. Der liberale Umweltschützer Bill McKibben schrieb im New Yorker einen wohlwollenden Rückblick auf das Event.
Sogar in der sozialistischen Linken ist Degrowth auf dem Vormarsch. Vor zwei Jahren veröffentlichte die Rosa-Luxemburg-Stiftung in New York City einen Artikel mit dem Titel Degrowth and Revolutionary Organizing. Das Buch The Future Is Degrowth wurde in der Zeitschrift Socialist Forum der Democratic Socialists of America positiv besprochen. In Japan hat der Ökomarxist Kohei Saito 500.000 Exemplare seines Werks verkauft, in dem er für einen Degrowth-Kommunismus plädiert (der Band mit dem voraussichtlichen Titel Slow Down: The Degrowth Manifesto soll Anfang kommenden Jahres in englischer Übersetzung erscheinen).
Darüber hinaus hat sich auch eine der ältesten Zeitschriften der sozialistischen Linken, die Monthly Review (in ihrer ersten Ausgabe von 1949 erschien Why Socialism? von Albert Einstein), offenbar dem Degrowth verschrieben. Die neueste Ausgabe trägt den Titel Planned Degrowth: Ecosocialism and Sustainable Human Development und lässt einige der prominentesten Degrowth-Befürworter zu Wort kommen, darunter Jason Hickel und Matthias Schmelzer.
Die Ausgabe enthält außerdem eine lange Einführung des Ökomarxisten John Bellamy Foster. Wie für einen Foster-Essay üblich, bietet er viele Denkanstöße, denen man durchaus zustimmen kann. Letztlich knüpft aber auch er, wie ein großer Teil der Degrowth-Bewegung, seine Vision einer sozialistischen Zukunft unnötigerweise an ein Programm zur Reduzierung der Wirtschaftsleistung.
Einigen Aspekten von Fosters Vorstellungen lässt sich zustimmen: Erstens wollen wir zu einer Wirtschaft übergehen, die sowohl die ökologische Nachhaltigkeit als auch die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse in den Vordergrund stellt. Wir wollen eine Wirtschaft, die für »Gebrauchswerte« produziert – im Gegensatz zum Kapitalismus, der sich auf Profit und Tauschwert konzentriert.
»Es ist absolut klar, dass der Klimawandel eine massive Entwicklung der Produktivkräfte erfordert – Produktivkräfte, in die das Kapital nur ungern investiert. «
Degrowth-Befürworter und Foster haben in der Tat Recht, wenn sie die Fixierung unserer Gesellschaften auf das Bruttoinlandsprodukt (BIP) als Indikator für wirtschaftliche Leistungsfähigkeit kritisieren und ablehnen. Denn das BIP ist letztlich auf den Tauschwert fixiert. Dabei ist es irrelevant, ob die produzierten Güter eigentlich dem Wohl von Mensch und Umwelt dienen.
Zweitens: Die Lösung der Umweltkrise erfordert eine Abkehr von der Anarchie des Marktes im Kapitalismus und stattdessen eine Hinwendung zum Plan. Die meisten unserer ökologischen Probleme wurzeln in Infrastrukturinvestitionen – Wohnraum, Verkehr, Stromnetz –, die der Markt offensichtlich nur sehr schlecht und unzureichend bereitstellen kann. Eine Umstrukturierung solcher Systeme macht Planung unbedingt erforderlich.
Bei der Frage der Produktivkräfte weicht Foster dann aber von einer standardmarxistischen Position ab. Traditionell argumentierten Marxistinnen, dass die Verhältnisse des Privateigentums sowie das Profitmotiv die volle Entwicklung der Produktivkräfte hemmen oder »fesseln«. Nur ein Übergang zum Sozialismus kann daher die volle Entfaltung der Produktivkräfte ermöglichen. Foster meint hingegen, dies mag zwar im 19. Jahrhundert richtig gewesen sein, diese Aussage müssten wir aber angesichts der ökologischen Krise des 21. Jahrhunderts neu bewerten: »[D]er Kontext, in dem [Marx und Engels] schrieben, war ein anderer als die heutige ›vollständig globale Wirtschaft‹. Vielmehr handelte es sich um ein noch frühes Stadium der Industrialisierung. In der industriellen Entwicklung von Beginn des 18. Jahrhunderts bis zum ersten ›Tag der Erde‹ 1970 hat sich das weltweite industrielle Produktionspotenzial um das 1.730-fache vergrößert, was aus einer Perspektive aus dem 19. Jahrhundert als ›nahezu unbegrenztes Wachstum‹ erschienen wäre. Heute stellt sich aber vor allem die Frage nach dem ökologischen ›Overshoot‹.«
Foster beruft sich dann auf Engels: »Das Ziel des Sozialismus ist nicht die Ausweitung der Produktion selbst, sondern die ›vollkommene freie Entwicklung‹ des Menschen.« Das ist richtig: Das Ziel ist nicht unbedingt die Steigerung der Produktion, sondern die Schaffung der maximal besten Bedingungen für die menschliche Freiheit. Doch auch der Umkehrschluss ist richtig: Für das Erreichen des Ziels ist es nicht zwingend notwendig, die Gesamtproduktion zu verringern.
»Der Sozialismus fordert somit völlige Flexibilität in Bezug auf das, was an- oder abgebaut werden muss, aber kein explizites Beharren auf einer Gesamtreduzierung der Produktion.«
Fast alle Degrowth-Vorschläge enthalten aber die Forderung nach einer solchen »aggregierten« Reduzierung des »Energieverbrauchs« oder des »Materialdurchsatzes«. So heißt es beispielsweise in The Future Is Degrowth: »Degrowth kann definiert werden als der demokratische Übergang zu einer Gesellschaft, die [...] auf einem viel geringeren Durchsatz von Energie und Ressourcen beruht.«
Was Engels in den zitierten Passagen aus dem Anti-Dühring tatsächlich fordert, ist aber, dass die Gesellschaft die volle soziale Kontrolle (sprich: Planung) über das gesellschaftliche Verhältnis zur Natur übernimmt – im Gegensatz zum Kapitalismus, der diese Kontrolle an anarchische Märkte abtritt. Der Sozialismus fordert somit völlige Flexibilität in Bezug auf das, was an- oder abgebaut werden muss, aber kein explizites Beharren auf einer Gesamtreduzierung der Produktion.
Darüber hinaus passt die Klimakrise eigentlich ganz gut zur Marx’schen »Fesselthese«. Es ist absolut klar, dass eine Lösung gegen den Klimawandel eine massive Entwicklung der Produktivkräfte erfordert – Produktivkräfte, in die das Kapital nur ungern investiert. So legen Berechnungen der Princeton University nahe, dass für das Ziel von null Emissionen bis 2050 unter anderem 80 bis 120 Millionen Wärmepumpen, eine bis zu fünffache Steigerung der Stromtransportkapazitäten, 250 große Atomreaktoren (oder 3.800 kleine) sowie die Entwicklung einer gänzlich neuen Industrie – der sogenannten CO2-Abscheidung und -Speicherung (CCS) – erforderlich sind. Sozialistinnen und Sozialisten argumentieren, dass es angesichts dieser Herausforderungen einer massiven gesamtgesellschaftlichen Anstrengung in Form von öffentlichen Investitionen und Planung bedarf. Mit anderen Worten: Wir brauchen völlig andere gesellschaftliche Produktionsverhältnisse, um die Produktivkräfte, die für die Lösung dieser historischen Krise notwendig sind, voll zu entwickeln.
Wenn wir über die ökologische Krise hinausblicken, steht im Mittelpunkt des sozialistischen Projekts darüber hinaus das Ziel, das Klassensystem selbst sowie die weit verbreitete Armut abzuschaffen, unter der die Menschen auf dem ganzen Planeten leiden (selbst in vermeintlich »reichen Ländern« wie den Vereinigten Staaten). Man stelle sich nur vor, was nötig wäre, um den gesamten Planeten mit sozialem Wohnungsbau, öffentlichem Nahverkehr, zuverlässiger Elektrizitätsver- sowie moderner Abwasserentsorgung auszustatten. Man stelle sich weiter vor, wie das erreicht und gleichzeitig der Verbrauch an materiellen Ressourcen gesenkt werden kann. Das klingt nach einer, gelinde gesagt, recht schwierigen Aufgabe.
Insgesamt wäre es bedauerlich, eine sozialistische Bewegung aufzubauen, die in der Lage ist, die Produktionsmittel zu übernehmen, nur um dann die weitere Entwicklung der Produktivkräfte zu unterbinden. Sozialismus muss das Gegenteil von Stillstand sein. Was ist mit Fusionsenergie? Ein Heilmittel gegen Krebs? Wir haben als Spezies noch so viel zu erreichen, wovon uns der Kapitalismus bisher möglicherweise abhält.
Degrowth-Vertreter argumentieren natürlich, die Gesamtproduktion müsse reduziert werden, weil es sonst zu einer »Überschreitung planetarer Grenzen« kommen wird (nicht nur mit Blick auf den Klimawandel, sondern auch in anderen Bereichen wie Artenvielfalt und Süßwasserressourcen). Foster schreibt zum Beispiel: »Die Wissenschaft hat zweifelsfrei festgestellt, dass es für die heutige ›globale Wirtschaft‹ notwendig ist, innerhalb eines für die Erdsysteme angemessenen Gesamtbudgets beim physischen Durchsatz zu arbeiten.« Seltsamerweise wird diese pauschale Behauptung durch ein Zitat aus einem fast zwanzig Jahre alten Paper eines Befürworters von Migrations- und Bevölkerungskontrolle, Herman Daly, untermauert.
»Selbst wenn wir davon ausgehen, dass planetare Grenzen wissenschaftlich belegbar sind und existieren, ist keineswegs klar, dass die Antwort auf viele dieser Grenzen in einer Verringerung des Wachstums besteht.«
Doch schon bald nachdem dieses Konzept fixer planetarer Grenzen vorgeschlagen worden war, wurde es von Forschenden diverser Fachrichtungen heftig debattiert und kritisiert. Selbst wenn wir davon ausgehen, dass derartige Grenzen tatsächlich wissenschaftlich belegbar sind und existieren, ist keineswegs klar, dass die Antwort auf viele dieser Grenzen in einer Verringerung des Wachstums besteht. Wie bereits gesagt würden Lösungsansätze für den Klimawandel zumindest zu Beginn eine massive Ausweitung der Investitionen in Produktion und Infrastruktur erfordern.
Eine der Grenzen – die schwindende Ozonschicht in der Stratosphäre – wurde im Grunde genommen bereits durch eine einfache technische Umstellung im Rahmen des Montreal-Protokolls 1987 angegangen. Insgesamt ist die Bewältigung der einzelnen Grenzen komplex und erfordert vielmehr spezifisch-kontextbezogene qualitative Veränderungen in bestimmten Produktionssektoren als ein abstraktes generelles Degrowth.
Degrowth-Befürworter wehren sich gegen den Vorwurf, sie würden eine Art Öko-Austerität fordern, wenn sie wie Foster für die Dekommodifizierung der menschlichen Grundbedürfnisse eintreten. Eine solche Dekommodifizierung sollte tatsächlich die Kernforderung eines jeden Sozialisten sein. Durch sie würde die Unsicherheit aufgrund der Marktabhängigkeit im Kapitalismus gemildert.
In Fosters Essay wird jedoch deutlich, dass Degrowth eine Art Austerität in ihrer ursprünglichen Bedeutung ist: eine Verpflichtung zur Haushaltsbeschränkung und zu »Sparsamkeit«. Nun ist Degrowth kein explizites Plädoyer für die Kürzung der tatsächlichen Staatshaushalte, aber Begriffe wie Budget, Berechnung und Einschränkung durchdringen den Diskurs.
Foster bezeichnet Degrowth als »Netto-Null-Kapitalbildung«, verweist auf ein sogenanntes »Erdsystembudget« und behauptet, dass »in einigen Bereichen der Wirtschaft ein anhaltendes Wachstum stattfinden würde, das durch Kürzungen an anderer Stelle ermöglicht wird«. Während Regierungen ihre Staatshaushalte in Geldwerten ausdrücken müssen, bauen Degrowther auf ebenfalls abstrakte quantitative Konzepte wie den »Materialdurchsatz«.
Dieses Konzept ist jedoch (wie auch das BIP) kein brauchbarer Indikator für ökologischen Fortschritt. Wie Kenta Tsuda es formulierte, lassen sich mit derart groben Maßstäben »die unterschiedlichen ökologischen Schäden von Materialien eben nicht ermitteln«. Es sei nun einmal etwas anderes, ob man es »mit einem mit Quecksilber verseuchten Kohle-Aschehaufen oder einer gleich großen Masse an Lebensmittelabfällen auf dem Kompost« zu tun habe.
»Wer wird in einem kapitalistischen System, das ohnehin von Entbehrungen geprägt ist, ein Programm unterstützen, das Reduzierungen in den Mittelpunkt stellt?«
Im Großen und Ganzen würde ein quantitatives Streben nach »Netto-Null-Kapitalbildung« in der gesamten Gesellschaft zu einer Austeritätsmentalität führen, bei der alle Steigerungen durch Kürzungen anderswo ausgeglichen werden müssen. Zunächst ließe sich eine rein strategische Kritik an Degrowth üben: Wer wird in einem kapitalistischen System, das ohnehin von Entbehrungen geprägt ist, ein Programm unterstützen, das Reduzierungen in den Mittelpunkt stellt? Das andere Problem ist jedoch, dass damit zukünftigen politischen Programmen de facto Einschränkungen auferlegt werden. Das Ziel des Sozialismus ist es hingegen, das menschliche Potenzial aus den Fesseln des Kapitalismus und den Zwängen des Marktes zu befreien.
Wenn wir uns der Produktionsmittel bemächtigen, besteht natürlich ebenfalls die Möglichkeit, dass die Wissenschaft zur kollektiven Entscheidung kommt, dass es tatsächlich notwendig ist, in irgendeiner Weise zu »degrowen«. Aber warum sollten wir dieses Schrumpfen bereits im Vorfeld zu einer Grundvoraussetzung für unsere politischen Programme machen und eine solche demokratische Entscheidung von vornherein ausschließen?
Fosters Essay enthält noch viele andere merkwürdige Behauptungen – darunter den Vorschlag, dass »Arbeit selbst fossile Energie ersetzen könnte«, was uns freilich zu einer für die Menschen arbeitsintensiveren Wirtschaft verdammen würde. In seinem Kern ist Fosters Degrowth-Sozialismus aber lediglich ein weiterer Versuch, eine Umweltideologie der Post-1960er Jahre in ein marxistisches Gewand zu kleiden.
Zum Schluss seines Artikels zitiert Foster die Forderung des politischen Ökonomen Paul Baran nach einem Sozialismus als »geplanter wirtschaftlicher Überschuss«, nur um dann zu betonen, dass ökologische Notwendigkeiten eine »Reduzierung des wirtschaftlichen Überschusses« erzwingen dürften. Dabei erscheint das Konzept von Baran wirklich sinnvoll. Der Sozialismus wird einen Überschuss benötigen: Die Frage ist nur, was wir damit machen.
In jedem Fall ist die gezielte Planung des erarbeiteten Überschusses unter Berücksichtigung ökologischer Ziele etwas, worin der Kapitalismus offensichtlich besonders schlecht ist. Der Sozialismus kann dies besser.