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04. Dezember 2025

Die dekadenten Konservativen sind zurück

Pornostar-Affären und offene Homosexualität: Einige einflussreiche Rechte passen kaum ins konservative Bild. Doch wie einst die dekadenten Dichter wollen auch sie die Vergangenheit wiederbeleben – nur mit technologischen statt künstlerischen Mitteln.

Der Investor Peter Thiel steckt
unter anderem hinter dem
Überwachungs-Tech-Konzern
Palantir und hält nebenbei
Vorträge über den Antichrist.

Der Investor Peter Thiel steckt unter anderem hinter dem Überwachungs-Tech-Konzern Palantir und hält nebenbei Vorträge über den Antichrist.

Collage: Johanna Goldmann (Material: Midjourney)

Als Beobachter konservativer Politik hat man es heute wahrlich schwer. Einst war es ein Leichtes, einen Konservativen zu erkennen. Er verteidigte Tradition, bewährte Praktiken und Institutionen, Familienwerte und althergebrachte Moralvorstellungen. Diese Haltung war oft scheinheilig – und stand darüber hinaus im Widerspruch zur von diesen Menschen ebenfalls propagierten freien Marktwirtschaft –, aber zumindest war es eine irgendwie ehrliche Scheinheiligkeit: Das Laster ging stets einher mit Tugend; Konservative verheimlichten ihre Verfehlungen, leugneten sie – oder zeigten Reue und baten um Vergebung. Familienskandale, sexuelle »Fehltritte« und unkonventionelle Lebensstile gab es zuhauf, sie wurden aber verschwiegen oder übertüncht. Nach außen sollten Bescheidenheit und Konventionalität verkörpert werden.

Heute erscheint eine solche Vision des Konservatismus aus der Zeit gefallen und fast schon absurd. Früher galt bei den amerikanischen Republikanern: Wer geschieden ist, kann nicht für die US-Präsidentschaft kandidieren. Nun ist mit Donald Trump ein Mann wiederholt ins Amt gewählt worden, der zweimal geschieden ist und dessen Affären mit Playboy-Models und Pornostars jahrelang in der Boulevardpresse breitgetreten wurden. Sein ehemaliger Unterstützer und Chefprovokateur Elon Musk hat eine Vergangenheit, die selbst die seines Ex-Chefs verblassen lässt: drei Ehen mit zwei Frauen und mindestens vierzehn Kinder mit mindestens drei Frauen. Musks früherer Geschäftspartner und einstiger Mentor von Vizepräsident J. D. Vance, Peter Thiel, lässt sich ebenfalls nicht leicht in eine Schublade stecken. Mit seiner Haltung entspricht er dem Bild eines »libertären Konservativen«, doch Thiels offen gelebte Homosexualität hätte bis vor gar nicht allzu langer Zeit noch viele erklärte Konservative schockiert (und dürfte dies in traditionelleren Kreisen der Bewegung auch heute noch tun).

»Familienskandale, sexuelle ›Fehltritte‹ und unkonventionelle Lebensstile gab es unter Konservativen auch früher zuhauf, sie wurden aber verschwiegen oder übertüncht. Nach außen sollten Bescheidenheit und Konventionalität verkörpert werden.«

Es gibt zahlreiche weitere Beispiele für derartige Lebensstile, die einst als antikonservativ gegolten hätten. Es geht hier allerdings nicht darum, das Privatleben von Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens nach »Verstößen« gegen einen nostalgischen Konservatismus zu durchforsten. Vielmehr stellt sich die Frage, mit welcher Spielart von Konservatismus wir es heute zu tun haben. Diese Personen als »nicht wirklich konservativ« abzutun, funktioniert eindeutig nicht: Sie unterstützen offensichtlich konservative Ziele und spielen eine gewichtige Rolle in der konservativen Politik. Andererseits scheinen ihr Geschmack und ihr Lebensstil kaum zu traditionell konservativen Standards zu passen. Sie wirken, mangels eines besseren Wortes, dekadent. Diese Ähnlichkeit betonen inzwischen einige Beobachter, die Parallelen zwischen unserer Zeit und dem sogenannten Vergoldeten Zeitalter à la The Great Gatsby sehen – nur dass der Schauplatz heute Mar-a-Lago statt West Egg auf Long Island ist.

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Michael C. Williams lehrt Politikwissenschaften an der Universität Ottawa und ist Research Fellow an der Queen Mary University of London. Sein jüngstes Buch trägt den Titel World of the Right: Radical Conservatism and Global Order.