14. April 2020
Massenbewegungen von Arbeiterinnen und Arbeitern haben im 20. Jahrhundert weite Teile der Welt verändert. Doch die Macht des Kapitals konnten sie nicht brechen. Heute braucht es einen neuen demokratischen Sozialismus.
1931: Marsch streikender Arbeiter im schwedischen Ådalen
Es gibt nur wenige Menschen, denen Jacobin mehr zu verdanken hat als Leo Panitch, Professor an der York Universität, und den Denkerinnen und Denkern um die Zeitschrift Socialist Register. Die Zeitschrift wurde 1964 gegründet, genau als die Neue Linke entstand. Ihre ersten Ausgaben enthielten berechtigte Kritik an sozialdemokratischen Parteien, die einen korporatistischen Pakt mit dem Kapital anstrebten.
Der aggressive Neoliberalismus unserer Zeit mag dazu verleiten, mit sanfterem Blick auf diese Regierungen zurückschauen. Doch Leo Panitch erinnert uns in diesem Interview daran, dass wir die Errungenschaften der Vergangenheit nur erhalten können, wenn wir über die traditionelle Sozialdemokratie hinausdenken und einen radikaleren demokratischen Sozialismus anvisieren.
Bhaskar Sunkara: Wir sprechen viel darüber, wie sozialdemokratische Parteien in den letzten Jahrzehnten nach rechts gerückt sind. Doch die Gefahren des Konservatismus und der Bürokratisierung wurden schon in den sozialistischen Bewegungen vor dem Ersten Weltkrieg diskutiert, also als sich Arbeiterparteien der Massen gründeten.
Leo Panitch: Dazu sollte man sich mit dem Buch von Robert Michels vertraut machen. Er ist einer dieser großartigen europäischen Journalisten des frühen 20. Jahrhunderts, die sowohl auf Italienisch, Französisch und Deutsch schreiben konnten. Und er war ein Student des Soziologen Max Weber. In seinem berühmten Buch zur Soziologie des Parteienwesens entwirft er das »eherne Gesetz der Oligarchie«. Er untersucht darin die Entwicklung der sozialistischen Massenparteien, die zwischen 1870 und dem Ersten Weltkrieg außerhalb des Parlaments aus Organisationen der Arbeiterklasse entstanden, und er sagt: »Man kann diese Parteien nicht mit den bürgerlichen Parteien vergleichen, die ihren Ursprung im Parlament haben und hauptsächlich darauf aus sind, die bereits bestehenden Machteliten zu stützen.«
Im Gegensatz zu den bürgerlichen Parteien bildeten sich die sozialistischen Parteien abseits von politischen Wahlen und im Zuge der wachsenden Arbeiterbewegung. Ihre demokratischen Organe waren die großen Parteitage mit Delegierten, die eine riesige Masse an Parteimitgliedern repräsentierten und keine parlamentarische Elite. Michels zog die Sozialdemokratische Partei Deutschlands als Beispiel heran und zeigte, dass sozialistische Massenparteien wie die SPD bis zum Ersten Weltkrieg sowohl aus organisatorischen als auch aus psychologischen Gründen – ich erinnere an dieser Stelle daran, dass Michels ein Zeitgenosse Freuds war – zunehmend von oligarchischen Parteiführungen dominiert wurden. Und im Großen und Ganzen lag er damit richtig. Er konnte zeigen, dass die Führung gar nicht zurück in die Fabrik wollte, und die Kontrolle über die Parteipresse und die Abläufe auf Parteitagen, insbesondere zu den Finanzen, dazu nutzten, um sich selbst zu reproduzieren.
Dies ebnete den Weg des »sozialdemokratischen Zentrismus«, der charakteristisch für die österreichische, schwedische und auch deutsche Sozialdemokratie im 20. Jahrhundert – eingenommen der erfolgreichsten Zeiten der 1950er und 1960er – geworden ist.
Deswegen glaube ich, dass diese oligarchische Tendenz, die vor dem Ersten Weltkrieg von Zeit zu Zeit noch herausgefordert wurde, nicht ausreichend angegangen wurde, und schon gar nicht in der Zeit danach. Dazu muss man sagen, dass es außer Bucharin auch niemanden in der bolschewistischen Führung gab, der sich wirklich jemals mit Michels auseinandersetzte. Als ich früher nach Kuba oder Jugoslawien eingeladen worden war um dort bei Parteitreffen zu sprechen, habe ich hauptsächlich über dieses Buch gesprochen, und ich muss schon sagen, es war interessant zu beobachten wie sich die Erkenntnis auf den Gesichtern der Zuhörer bemerkbar machte, die nie zuvor von diesem Werk gehört hatten.
Bestärkt das letztlich die anarchistische Kritik, nach der Parteien unvermeidlich einen bürokratischen Apparat herausbilden und sich von ihrer Basis lösen?
Ich denke in dieser Kritik wird etwas ausgelassen, nämlich der ideologische und politische Aspekt. Schaut man sich Marx’ Kritik des Gothaer Programms von 1875 an, dann kritisierte er schon von Anfang an, also seit der Gründung der SPD, eine gewisse Staatszentriertheit und einen Gradualismus in der Ideologie der Partei. Wir müssen uns darüber hinaus auch fragen, ob in der Logik, sich für das Wahlrecht der arbeitenden Menschen einzusetzen, nicht bereits die Tendenz steckt, Reformen auf dem Terrain des existierenden Staates durchzusetzen und die Klassenpolitik in eine moderate und reformistische Richtung zu lenken.
Marx’ Kritik des Gothaer Programm bezog sich hauptsächlich auf den Einfluss von Lasalle, der einen Reformismus von oben, also der Elite, bevorzugte.
Genau. Und Marx machte diese Kritik ohne mit der SPD zu brechen, die ja immerhin das Kommunistische Manifest als Schlüsseltext für die sozialistische Bewegung wiederbelebte nachdem es fast zwei Jahrzehnte lang ignoriert worden war. Marx’ Kritik galt einer Strömung der Sozialdemokratie, die immer intern angefochten wurde, so wie die oligarchischen Tendenzen, die Michels später identifizierte. Einige in der Führung versuchten diese Tendenzen zu bekämpfen, vor allem die »psychologische« Tendenz innerhalb der Masse, sich der Führung zu ergeben. Die Gründung von Parteischulen und die Praktiken, die dort gelehrt wurden, waren sehr darauf ausgerichtet, die kritischen Fähigkeiten unter den SPD-Mitgliedern auszubilden, darunter auch die Fähigkeit, die Parteiführung herauszufordern.
Und wenn man sich die Geschichte der Parteien ansieht, dann fanden diese Debatten nicht einfach zwischen Basis und Führung statt, sondern auch innerhalb der Parteibasis und auch innerhalb der Parteiführung selbst. Bis 1914, als der Krieg die sozialistische Bewegung auseinanderriss, waren Lenin und Luxemburg ein Teil der Sozialdemokratie, nicht außerhalb davon. Sie kämpften sehr engagiert darum, die SPD zu einer radikalen, demokratischen Organisation zu machen, die es mit dem Kapitalismus aufnehmen konnte.
Ich glaube, hier tun sich gerade zwei unterschiedliche Fragestellungen auf. Zum einen geht es hier um die institutionelle Form der Sozialdemokratie vor dem Weltkrieg. Was zum anderen auch weiterhin unbeantwortet bleibt, ist, ob es ein alternatives Regierungsprogramm gab. Denn selbst historisch links stehende Figuren wie Karl Kautsky, der später die Chance bekam, in der Kommission für Verstaatlichung in einer der ersten sozialistischen Regierungen der 20er Jahre zu arbeiten, war damit konfrontiert, dass es sehr schwierig war, ein Regierungsprogramm zu entwickeln. Die Sozialdemokratie wusste nicht so recht, was sie tun sollte, sobald sie einmal an der Macht war.
Nun, wenn man sich die Programme ansieht, die die Arbeiterparteien in den 1890ern entwickelten, dann waren diese in ihrer Ausrichtung und ihrem Anspruch nach durchaus transformativ. Sie zielten darauf ab, die Produktionsmittel in den kollektiven Besitz zu überführen. Und ich denke damit meinten sie es auch ernst. Ob diese Parteien dann auch einen Plan zur Realisierung dieses Programms hatten, ist eine andere Frage. Das mussten die Parteien im Prozess des Regierens selbst herauszufinden. Ich denke nicht, dass die Führung der sozialistischen Bewegung zu diesem Zeitpunkt naiv in Bezug auf die Notwendigkeit des Umbaus der Staatsapparate war, immerhin besetzten am Ende des 19. Jahrhunderts vor allem Aristokraten diese Stellen. Aber sie wussten sicher noch nicht, wie man diese Institutionen wirklich verändern sollte.
Und in den Zwischenkriegsjahren waren sie dazu gezwungen, in Minderheitsregierungen oder schwachen Koalitionen zu regieren.
In fast jedem Fall, ja, das stimmt.
Kommen wir gleich auf das erfolgreichste Beispiel der Nachkriegssozialdemokratie zu sprechen: den schwedischen Fall. In den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg konnten die schwedischen Sozialdemokraten die politische Demokratie für sich gewinnen und begannen, zu regieren; dann entwickelte sich ihr Modell mit dem Rehn-Meidner-Plan weiter und leitete in den 1950er und 1960er eine beeindruckende Transformation ein. Welche Struktur und Parteiform machten diesen Fortschritt möglich?
Die schwedische Arbeiterbewegung und die Sozialdemokratische Arbeiterpartei Schwedens (SAP) zeigten beispielhaft das Ausmaß des demokratischen Zentralismus in den sozialdemokratischen Parteien. In dem schwedischen Fall waren die Unternehmen bereits früh zentral organisiert, in dem sie einen starken Arbeitgeberverband gründeten und ihren gemeinsamen Aussperrungsfond koordinierten. Die Arbeiterbewegung reagierte dementsprechend und bildete schon vor dem Ersten Weltkrieg eine hochzentralisierte Struktur und eine zentrale Kontrolle über die Streikkassen.
Die schwedische Dachorganisation der Einzelgewerkschaften (LO) wurde von Arbeitgeberseite dazu gebracht, zentralisierte Strukturen für Tarifverhandlungen zu etablieren. Doch offensichtlich war es eine Kombination verschiedener Faktoren, die die Entwicklung der schwedischen Sozialdemokratie beeinflusste: Schweden ist ein spätes Industrieland, es entwickelte Industriegewerkschaften jedoch vergleichsweise früh usw.
Aufgrund seiner militanten Arbeiterbewegung war das Land vor dem Zweiten Weltkrieg auch dafür bekannt von der »schwedischen Krankheit« befallen zu sein. Der Begriff wurde benutzt, um zu beschreiben wie streikwillig die militanten Arbeiterinnen des Landes waren.
Die Bewegung war also militant, zugleich aber hoch zentralisiert, so wie die schwedische Partei auch. Sie hielten nur alle drei Jahre einen Parteitag!
Die schwedische Partei entsprach dem traditionellen Typ der Zweiten Internationale. Im Grunde ist sie damit demokratisch-zentralistisch aufgebaut – eine Struktur, die wir heute nur noch mit kommunistischen Parteien verbinden. Worin bestand die Logik des Regierungsprogramms, das eine umfassende Transformation anstrebte und doch innerhalb der Grenzen des Kapitalismus verharrte?
Das Programm beabsichtigte, eine Art Übereinkunft mit der kapitalistischen Klasse zu treffen. Sie waren der Ansicht, dass der Übergang zum Sozialismus eher gelingt, wenn man man die Zentralisierung und Konzentration des Kapitals weiter vorantreibt, da dadurch das Kapital zunehmend vergesellschaftet würde und das Kapital im Zuge dessen stärker vergesellschaftet sei. Das war der orthodoxe Glaube des Marxismus vor dem Ersten Weltkrieg und die schwedischen Sozialdemokraten hielten daran fest. Vom Kapital erhielten sie die Anerkennung einer machtvollen Arbeiterbewegung.
Der Grund für 90 Prozent Gewerkschaftsmitgliedschaft liegt darin, dass man erst durch die Gewerkschaft auch eine Arbeitslosenversicherung erhält. Und der Staat benötigt nun eine Art Tarifverhandlung, die die Arbeitslosenversicherung mit dieser Verhandlung verknüpft und nicht mit einer staatlichen Leistung.
Das ist auch heute noch so. Die Europäische Union versucht den Mindestlohn durchzusetzen, doch die nordischen Staaten – allen voran Schweden – lehnen das ab. Denn wie sie argumentieren, würde dies die Tarifverhandlungen schwächen, da Arbeiterinnen dadurch für die Aushandlung ihrer Löhne nicht mehr auf Gewerkschaften angewiesen sein würden.
Worin genau bestand dann die Übereinkunft, die die schwedischen Sozialdemokraten, basierend auf dieser einzigartigen Stärke, mit den Arbeitgebern getroffen haben?
Die Vereinbarung, die sie mit der kleinen, zentral organisierten Klasse von Unternehmern in den frühen 1950er Jahren aushandelten, war der Rehn-Meidner-Plan. Rudolf Meidner war übrigens Sozialist, Gösta Rehn hingegen war es nicht. Das Modell sollte die Ungleichheit zwischen den arbeitenden Klassen und dem Kapital durch einen Deal verringern.
Als Gegenleistung für die Zustimmung zur Lohnzurückhaltung für die bestbezahlten Arbeiterinnen bei zentralisierten Tarifverhandlungen durften schlechter bezahlte Arbeiter höhere Löhne erhalten. Aber ihre höheren Löhne bedeuten, dass Unternehmen mit geringerem Gewinn, die weniger wettbewerbsfähig sind, sich diese höheren Löhne leisten könnten und ihre Geschäftstätigkeit einstellen würden. Diese Arbeiter würden also ihre Jobs verlieren, wenn sie ihre Löhne nicht an diese weniger wettbewerbsfähigen Firmen anpassen würden. Infolgedessen würden dann Großunternehmen mit Hilfe des Staates diese Arbeiter ausbilden, damit sie in den größeren, stärker zentralisierten, wettbewerbsfähigen Exportindustrien arbeiten könnten. Damit verbunden war auch eine Veränderung der regionalen Ungleichheiten.
Es ging vor allem darum, vom Kapital die Verpflichtung zur Reinvestition der Gewinne zu sichern, die sie von hochbezahlten Arbeitnehmern erzielten, die ihre Lohnforderungen zurückhielten. Dies geschah bis etwa Ende der 1960er Jahre, als sich das Kapital zu internationalisieren begann und als diese großen schwedischen Unternehmen, zum Beispiel Electrolux, begannen, mit ihren Gewinnen im Ausland zu investieren, etwa in der italienischen Elektrogüterindustrie.
Sobald die Unternehmen also zunehmend nicht nur an Exporten aus Schweden und immer mehr an einer Internationalisierung ihrer Kapitalakkumulation interessiert waren, reagierte Meidner sehr schnell darauf. Ich weiß das, weil ich ihn in den frühen 90er Jahren ziemlich gut kennenlernen konnte, und er hat mir selbst gesagt, dass er in den späten 1960er Jahren erkannt hat: »Weißt du, wir können an dem alten Deal nicht mehr festhalten. Wir müssen jetzt anfangen, dem Kapital das Kapital wegzunehmen.« Und so entstand der berühmte Meidner-Plan: der Vorschlag, dass Lohnarbeiter Anteile an den größten Unternehmen erwerben könnten.
Man muss an dieser Stelle zu Meidners Gunsten sagen, dass dieser Plan nicht allein in den oberen Rängen entworfen wurde, sondern vom Dachverband der Gewerkschaften in Rücksprache mit den Mitgliedern verabschiedet wurde. Einmal zeigte er mir eine 16-seitige, mit einfachem Zeilenabstand geschriebene Antwort eines Stahlarbeiters auf eine seiner Umfragen im Zuge der Beratungen über den Plan mit der LO-Forschungsabteilung, der Meidner vorstand.
Interessanterweise wurde vorgeschlagen, dass nach dem Meidner-Plan von allen Unternehmen mit mehr als einhundert Beschäftigten ein Teil ihres Gewinns in eine von den Gewerkschaften kontrollierte Lohnkasse eingezahlt werden soll. Dieses Geld würde dann verwendet werden, um mehr und mehr Aktien der großen Unternehmen zu übernehmen. Und dann gab es eine Revolte, die zum Ergebnis hatte, das ein Änderungsantrag verabschiedet wurde, der festhielt, dass der Lohnfonds für alle Unternehmen mit 25 oder mehr Beschäftigten gelten sollte. Und als dieser verabschiedet war, begannen die Delegierten spontan, die Internationale zu singen. Laut Meidner war es das erste Mal seit Jahrzehnten, dass er sie auf einem LO-Gewerkschaftstag gesungen hatte. Dennoch war Meidner der Ansicht, dass diese Ausweitung des Plans ein katastrophaler Fehler war, da es kleinere Unternehmen auf dieselbe Seite wie Großunternehmen stellte.
Unternehmer organisierten daraufhin Massenproteste gegen den Meidner-Plan, die größten Proteste in der Geschichte Schwedens.
Premierminister Olof Palme, ein linker Sozialdemokrat, und allgemein die Führung der Partei waren gegen den Plan. Palme war nicht gerade enthusiastisch was die Lohnfonds anging, denn er erkannte, dass das schwedische Großkapital wohl kaum seinen eigenen Tod herbeiführen würde. Er bot Meidner und der Gewerkschaft deshalb umgehend das beste Gesundheits- und Sicherheitssystem an, damit sie den Fonds fallen lassen. In der Zwischenzeit wurde der Plan in den Kommissionen zwischen Partei und Gewerkschaft aber ohnehin sehr verwässert. Nach der endgültigen Annahme des Plans würde es 250 Jahre dauern bis 51 Prozent der großen Unternehmen Schwedens in den Händen der Arbeiterinnen und Arbeitern lägen.
Also um es zusammenzufassen: Schweden ist ein einzigartiger Fall, der hochzentralisierte Strukturen der Tarifverhandlungen herausgebildet hat. Die sozialdemokratische Partei ist sehr stark und auch in der Lage, eine Mehrheit zusammenzubringen. Das Wirtschaftsprogramm basiert auf dem Modell der zentralen Arbeitskämpfe, was Schweden wohlhabend macht und die Produktion auf kapitalintensive Technologien verlagert. In dem Sinne ist es eine unglaublich produktive Wirtschaft. Große Teile der Einnahmen werden für soziale und wirtschaftliche Garantien verwendet, der schwedische Wohlfahrtsstaat vertieft sich. In den 1960er und 70er Jahren jedoch scheint dieses Modell an gewisse Grenzen zu stoßen. Und der Meidner-Plan ist sowohl ein ideologischer Schub, um die Wirtschaft egalitärer zu machen, als auch eine praktische Antwort auf ein Dilemma.
Der Meidner-Plan ist vor allem eine praktische Antwort auf die Internationalisierung des schwedischen Kapitals. Das Kapital wird sich niemals damit begnügen, nur auf dem eigenen Terrain zu akkumulieren, obwohl es immer noch eine wettbewerbsfähige Exportwirtschaft anstrebt.
Also vergesellschaften wir die Firmen nicht nur, um demokratische Kontrolle über sie zu gelangen, sondern weil wir versuchen müssen, die Investmentfunktion stärker zu kontrollieren.
Um die Errungenschaften der Sozialdemokratie zu erhalten, muss man über die traditionelle Sozialdemokratie hinausgehen. Sozialistinnen überall in den sozialdemokratischen Parteien erkannten dies in den 1970er Jahren, während Leute wie Rehn, die das Nachkriegsmodell erdachten und eben keine Sozialisten waren, davon ausgingen, eine gelenkte Volkswirtschaft geschaffen zu haben, die für immer stabil bleibt.
Man musste im Zuge der Globalisierung des Kapitals während der 1960er Jahren und dann mit der vertieften Krise der Wohlfahrtsstaaten und einer Wirtschaft der Vollbeschäftigung erkennen, dass viele Arbeiter immer militanter wurden und den Profit drückten, während gleichzeitig gutbezahlte Arbeiter sogar in Schweden mit dem Arrangement um einen gleichberechtigten Lohn brachen.
Das schwedische Modell brach also bereits während der 1960er Jahre wegen der kämpferischen, hochbezahlten Arbeiterinnenschaft zusammen. Ich sagte ja: Meidner war Sozialist. Er war von Anfang an interessiert an kollektiven und vergesellschafteten Lösungen. Rehn dagegen gehörte zu jenen, die meinten, man hätte einen Kompromiss mit dem Kapital geschlossen und nun die beste aller Welten bereits erreicht, die überdies für immer halten würde. Diese Leute waren weniger realistisch als die Sozialisten, die längst verstanden hatten, dass die Bewegung der kapitalistischen Zentralisierung und Konzentration nicht notwendig im Sozialismus endet. Vielmehr führte sie zu den Widersprüchen, die das Nachkriegsarrangement und schlussendlich auch die Stärke und den Zusammenhalt der Arbeiterklasse unterwanderten. Es gab da also nicht nur ideologische Unterschiede zwischen Rehn und Meidner. Es war auch diese tiefere Analyse des Kapitalismus, die es Meidner ermöglichte, diesen Prozess so gut zu verstehen. Mit seiner Forderung nach Vergesellschaftung war Meidner allerdings in der Minderheit, denn die meisten Sozialdemokraten wollten dieses Risiko nicht eingehen. Sie ergaben sich weiterhin der Illusion, dass man den Korporatismus wiederherstellen konnte, selbst in Zeiten, in denen das Kapital ihm entfloh und sich auch unter der Arbeiterschaft langsam Unruhe regte.
Mit anderen Worten: Es wäre rein technisch möglich gewesen, durch Programme wie Lohnfonds und andere Maßnahmen zur Demokratisierung von Staat und Wirtschaft einen »sozialdemokratischen Weg zum Sozialismus« zu ebnen. Das Problem war wirklich politisch.
Das weiß ich nicht. Wir wissen, dass es Menschen gab, die bereit waren, einen demokratischen Weg zum Sozialismus wieder auf die Tagesordnung zu setzen. Was wir aber nicht wissen ist, ob sie dies im Rahmen sozialdemokratischer oder eurokommunistischer Parteien, innerhalb des bürgerlich-demokratischen Staates oder im Rahmen des informellen amerikanischen Imperiums, das einen sich zunehmend globalisierenden Kapitalismus ermöglichte, hätten tun können. Wir wissen nur, dass der Versuch in den 1970er Jahren unternommen und unterdrückt wurde – und er wurde größtenteils von den dominierenden Kräften in den sozialdemokratischen Parteien, einschließlich des Großteils der Gewerkschaftsführung, unterdrückt.
Dass es zu diesem Ausgang kam lag sicherlich auch daran, dass sozialdemokratische Parteien sich – im Gegensatz zur Sozialdemokratie der Vorkriegsjahre – nicht an der politischen Bildung der Mitglieder beteiligten und die Parteipresse nicht nutzten, um sozialistische Ideen und Standpunkte sowie analytische Kapazitäten zu entwickeln.
Sogar in Schweden spielte die Parteipresse keine solche Rolle mehr. Die Schweden können sehr stolz auf ihre starke Arbeiterbewegung sein, auf die beeindruckenden Elemente des Wohlfahrtsstaates, aber das heißt nicht, dass sie in irgendeiner Weise zu Sozialistinnen gemacht wurden.
Ich denke, die Frage ist letztlich, ob es neben dem Streben nach Wirtschaftsdemokratie innerhalb der Gewerkschaft auch einen Versuch gebraucht hätte, die Strukturen der Partei so zu verändern, dass sie für einfache Mitglieder zugänglicher und insgesamt demokratischer ist.
Deshalb sprach ich von dem einfachen Stahlarbeiter, der den 16-seitigen Kommentar während der Beratungen des Meidner-Plans in der Gewerkschaft verfasst hat. Das zeigte zum einen die Kapazitäten bei den Arbeitern als auch den Versuch, diese noch auszubauen.
Aber man hat daran nicht angeknüpft, vor allem in der Partei.
Wir sehen Anzeichen einer Revolte gegen die Führung sozialdemokratischer Parteien, zum Beispiel gab es das bei den Jungsozialisten in der SPD in Deutschland und einigen anderen Orten. Aber nirgendwo wurde es wirklich aufrechterhalten.
Ja, das gab es in all diesen Parteien in den 1970er Jahren. Im deutschen Fall, den du erwähnst, wurden die Jusos sehr schnell von der SPD – die nie sehr tolerant war – verbannt und viele von ihnen gründeten die Grünen, die in ihrer Anfangsphase sehr auf Demokratisierung ausgerichtet waren durch Abberufung der Abgeordneten, Rotation der gewählten Beamten, mehr Referenden usw. Im Gegensatz zum direkten Ausschluss dieser sich demokratisierenden Neuen Linken (wie man auch bei der Neuen Demokratischen Partei in Kanada in den frühen 1970er Jahren beobachten konnte), startete man innerhalb der britischen Labour-Partei, mit Tony Benn als prominentester Figur, den Versuch, eine demokratisch-sozialistische Wende zu erwirken. Diesen langwierigen Kampf hatte man dann aber schließlich in den frühen 1980er Jahren endgültig verloren.
Die Versuche der Neuen Linken, ein besseres bolschewistisches Modell zu schaffen, sind genauso gescheitert wie auch der Versuch, aus sozialdemokratischen Parteien dynamische, demokratisch-sozialistische Parteien zu machen.
Kommen wir also zu den Hoffnungsschimmern von heute, die wir beim Corbynismus sehen und bei Sanders, die einige der klassischen Forderungen der Sozialdemokratie wiederzubeleben scheinen, dies aber in einem ganz anderen Kontext tun: ohne eine kraftvolle und organisierte Arbeiterbewegung und sogar ohne das Subjekt der Arbeiterklasse, das unsere Organisierung von der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts bis in die siebziger Jahre aufrechterhielt.
Mir scheint, dass wir trotz der Niederlage von Labour immer noch eine Mehrheit bei Wahlen zusammenkriegen könnten. Aber haben wir die Kräfte, unser unmittelbares Programm umzusetzen? Und wie gehen wir damit um, dass uns das organisierte Subjekt der Arbeiterklasse, das traditionell die Basis der sozialistischen Bewegung ist, abhandengekommen ist?
Wir haben uns nun so lange außerhalb der Wahlpolitik versucht zu organisieren, um unsere Kräfte zu sammeln. Und jetzt scheint es so, als versuchten wir, den Prozess umzudrehen: Indem wir dieses Fenster bei Wahlen nutzen und hoffen, dass wir irgendwie allein durch Rhetorik und Diskurs ein Subjekt der Arbeiterklasse auferstehen lassen.
Corbyn und Sanders wurden zu einem Zeitpunkt in den 1960er und 1970er Jahren politisch sozialisiert, als es einen echten Versuch gab, die Sozialdemokratie wieder in einen demokratischen Sozialismus umzuwandeln. Und es ist sehr interessant, dass beide aus dieser Generation stammen. Sie haben es geschafft, eine neue Generation für dieses Projekt zu gewinnen. Und es war sehr aufregend zu sehen, wie eine neue Generation sich dieser Sache annimmt.
Trotz Corbyns Niederlage im vergangenen Dezember können wir uns die Wahl 2017 in Großbritannien anschauen, bei der Corbyn die Stimmen der Labour-Partei auf über 40 Prozent erhöhte. Damit erreichte er den größten Anstieg aller Parteien bei einer Wahl seit 1945, was zeigt, dass eine demokratisch-sozialistische Wahlstrategie möglich sein könnte.
Was zwischen 2017 und 2019 geschehen ist, muss erklärt werden. Es hatte zum Teil mit Corbyns Erfolg im Jahr 2017 zu tun, denn der bedeutete, dass [die ehemalige konservative Premierministerin] Theresa May nicht in der Lage war, Brexit durch das britische Parlament zu bringen, was Corbyn und die Labour-Führung ironischerweise im parlamentarischen Rahmen der bürgerlichen Demokratie gefangen hielt. Die Möglichkeiten der Labour-Spitze unter diesen Umständen weiter zu mobilisieren waren daher sehr begrenzt.
Darüber hinaus blieb die Mehrheit der parlamentarischen Labour-Partei gegenüber Corbyn als bekennendem Sozialisten feindselig und glaubte, dass er in seinem sozialistischen Engagement bestenfalls völlig naiv und romantisch sei. Sie wünschten sich einen humaneren Kapitalismus, aber sie hatten kein Interesse an einem sozialistischen Projekt.
Corbyn musste eine Partei führen, deren gewählte Führung sein politisches Projekt mehrheitlich ablehnte. Und dieser Widerspruch trat während des Brexit besonders deutlich zutage. Hätte Corbyn diese Wahl gewonnen, hätte er mit einer Mehrheit der Parlamentspartei regieren müssen, die nicht an einem sozialistischen Projekt interessiert war. Und wenn Sanders gewinnt, müsste er mit der Mehrheit der Demokraten im Kongress regieren, die ebenfalls an diesem Projekt nicht interessiert sind. Die Widersprüche, die sich daraus ergeben könnten, lassen das, was mit Syriza passiert ist, noch als milde erscheinen.
Damit wären wir wieder bei einigen der Dilemmas der Zwischenkriegszeit angelangt.
Corbyns Aufstieg war nicht wegen der Aussicht auf einen Wahlsieg so wichtig und so aufregend. Ich hätte nie erwartet, dass er die Wahl gewinnt. Ob er nun gewann oder nicht, die Hürden, denen seine Regierung sich hätte stellen müssen wären immens gewesen. Und dasselbe gilt für Sanders. Wichtig ist die neue Generation, die aufgeputscht wurde, und diese Generation ist entschlossen, im Laufe des 21. Jahrhunderts einen demokratischen Weg zur sozialistischen Transformation zu finden. Und ich denke, die Notwendigkeit dafür wird immer offensichtlicher werden, denn die Logik des Kapitalismus produziert heute die Art von ökologischer Krise, die nur durch demokratisch-sozialistische Planung gelöst werden könnte. Deshalb ist der Versuch, dies von der neuen Generation zu entdecken, unglaublich wichtig – ob sie tatsächlich entdecken wird, wie man das auch umsetzt, wird die Zeit zeigen.
Die Tatsache, dass du und ich über »die Jugend«, die »neue Generation« diskutieren, stimmt mich allerdings pessimistisch. Wir sprechen nicht in der gleichen Weise über organisierte Arbeiterinnen und Arbeiter.
Die frühen sozialistischen Massenparteien organisierten die Arbeiterbewegung, sie repräsentierten keine bereits bestehende, vorgefertigte Klasse. Diese Parteien waren entscheidende Akteure bei der Entstehung der modernen arbeitenden Klasse. Die US-Arbeiterklasse war unter anderem deshalb ideologisch und organisatorisch so unterentwickelt – und nannte sich vermutlich selbst »Mittelklasse« – weil die Arbeiter nach 1896 weitgehend aus dem politischen Prozess ausgeschlossen wurden, ohne dass eine sozialistische Massenpartei dahinterstand. Die Massenparteien, die in anderen Teilen der Welt entstanden, setzten sich hingegen dafür ein, das Klassenbewusstsein der Arbeiter zu entwickeln und zu schärfen.
Die neue Generation, die sich in der Wahlpolitik engagiert, muss nun auch für die Erneuerung der Arbeiterklasse kämpfen – und im US-amerikanischen Fall muss sie gewissermaßen erst einmal ganz neu formiert werden.
Wir sind nie darauf zurückgekommen, wie wir mit dem »eisernen Gesetz der Oligarchie« umgehen können, wir haben es einfach anerkannt.
Dass wir uns der Tendenz zur Oligarchie bewusst sind, sollte zumindest dazu führen, dass wir viel aufmerksamer darüber nachdenken, welche Organisationsformen die Herausbildung undemokratischer Praktiken verhindern.
Und wie wir Abkürzungen vermeiden, selbst wenn wir einen populären Kandidaten aus der arbeitenden Klasse haben, bei dem es bequemer ist, ihn einfach auf unbestimmte Zeit im Amt zu belassen.
Ja. Und die Versuchung wird immer groß sein. Wir brauchen uns also nicht vormachen, dass das jemals eine geregelte Sache sein wird.
Wir können den sozialdemokratischen Weg auch nicht einfach reparieren und langsam einschlagen, bis wir wieder auf eine Straßensperre stoßen und hoffen, sie dieses Mal umgehen können.
Die Krise der 1970er Jahre setzte nach Jahrzehnten stetigen sozialdemokratischen Fortschritts ein. Aber wir scheinen diese Zeit nicht zu haben, nicht nur, weil wir nicht mehr in Zeiten des wirtschaftlichen Aufschwungs der Nachkriegszeit leben, sondern weil uns die drohende Gefahr des Klimawandels bevorsteht.
Die Lehre ist also vielleicht, dass es nicht reichen wird, kurzfristig eine gerechtere Umverteilung des Reichtums und der Sozialprogramme zu fordern, sondern dass wir auf die Demokratisierung der Arbeitsplätze drängen und das Eigentum des Kapitals in Frage stellen müssen.
Ja, Du drückst es ganz richtig aus. Und zumindest bei Corbyn und Sanders gibt es Hoffnung, da sie eine neue Generation von Menschen zum Kampf ermutigen.
Ich bin nie zu optimistisch, aber ich glaube wirklich, dass diese neue Generation eine historische Verantwortung auf sich nimmt. Obwohl die Arbeiterklasse heute gespalten, unorganisiert, viel schwächer und vieles weitere mehr ist, hat die gegenwärtige Generation eine viel bessere Chance, dieses Projekt zu Ende zu führen. Das liegt daran, dass diejenigen, die für eine Wiederherstellung der in den 1950er Jahren erprobten Partnerschaft mit dem Kapital plädieren, sich offensichtlich selbst in der Krise befinden und ihre Antworten nicht mehr legitim sind.
Ich denke, die Menschen sehen zunehmend, dass der Korporatismus von gestern nicht möglich ist. Sie können aus der Krise der ökologischen Verwüstung erkennen, dass wir ohne demokratische Wirtschaftsplanung nicht in der Lage sein werden, unsere heutigen Probleme zu lösen, und dass wir eine Menge neuer Probleme haben werden. Ich denke also, dass die Chancen in gewisser Weise größer sind, vorausgesetzt, dass wir die institutionellen und organisatorischen Kapazitäten entwickeln können, um die Klasse durch den Prozess der politischen Neugestaltung neu zu formen.
Leo Panitch ist Professor für Politikwissenschaft an der York University und Ko-Herausgeber des Magazins Socialist Register. Bhaskar Sunkara ist Gründer und Herausgeber des US-amerikanischen Jacobin Magazine.