16. Juli 2024
Die Ampel plant härtere Sanktionen beim Bürgergeld und gleichzeitig eine Erhöhung des Rüstungsetats. Daran zeigt sich: Die breite Bevölkerung soll ökonomisch entmachtet werden, damit sie soziale Einschnitte williger akzeptiert.
Scholz, Habeck und Lindner stellen die Wachstumsinitiative und den Haushalt 2025 vor, Berlin, 05. Juli 2024.
Erklärtes Ziel der neuen Wachstumsinitiative der Ampel ist es unter anderem, mehr Menschen in Arbeit zu bringen. Mit weiteren Verschärfungen der Sanktionen beim Bürgergeld soll das erreicht werden. Schon jetzt ist absehbar, dass dieser Plan nicht aufgehen wird. In der Wachstumsinitiative, einem Papier aus dem FDP-geführten Finanzministerium, auf das sich Scholz, Habeck und Lindner geeinigt haben, ist nachzulesen, dass man eine Reihe von Maßnahmen umsetzen will, die die kosmetischen Verbesserungen wieder torpedieren werden, die mit dem Rebranding von Hartz IV erreicht wurden.
Künftig seien Pendelzeiten von bis zu drei Stunden hinzunehmen. Wer sich weigert, wird mit Kürzungen der Bezüge von 30 Prozent über einen Zeitraum von drei Monaten bestraft. An dieser Stelle muss gesagt werden, dass Bürgergeldbeziehern, die einen »zumutbaren« Job ablehnen, schon jetzt eine zweimonatige Totalsanktionierung droht. Eine Kürzung der Bezüge soll es auch für diejenigen geben, die bei der Schwarzarbeit erwischt werden. Dabei ist die Ahndung von Schwarzarbeit schon längst gängige Praxis: Wer Bürgergeld bezieht und einer illegalen Beschäftigung nachgeht, kann des Sozialbetrugs bezichtigt werden und muss Freiheits- oder Geldstrafen befürchten. Außerdem sollen Empfängerinnen von Bürgergeld einmal monatlich bei den Behörden vorstellig werden. Das ist nicht nur Schikane, sondern angesichts der Tatsache, dass die Jobcenter schon jetzt immer wieder vermelden, ihre Belastungsgrenzen seien ausgereizt, auch völlig unrealistisch.
»Die Ampel tut der CDU einen großen Gefallen. Denn sie verwirklicht, was die Christdemokraten schon lange fordern: die Rückkehr zu Hartz IV.«
Ebenso soll die Karenzzeit für Schonvermögen von zwölf auf sechs Monate halbiert werden. Wer also Rücklagen für Krisenzeiten aufbauen konnte, soll diese nun aufbrauchen müssen. Sonst bestehe die Gefahr, dass das Bürgergeld missbraucht werde, um das »Vermögen einzelner abzusichern«. Diese Forderung ist auch deshalb absurd, weil 40 Prozent der deutschen Bevölkerung überhaupt kein nennenswertes Vermögen haben, das sie ausgeben könnten. Das wiederum liegt nicht zuletzt auch daran, dass es kaum ein Land gibt, in dem Einkommen so hoch und Vermögen so niedrig besteuert werden wie in Deutschland. Es ist schon eigenartig, die »Absicherung« von Vermögen ausgerechnet beim Bürgergeld zu beklagen, wenn man als Regierung gleichzeitig alles dafür tut, um die Vermögen der Reichsten unter den Reichen tatsächlich vor staatlichem Zugriff zu schützen. Denn die FDP versperrt sich nach wie vor vehement gegen die Einführung einer Vermögensteuer, obwohl die Vermögenskonzentration unter den Superreichen inzwischen neue groteske Rekorde erreicht hat.
Die geplanten Verschärfungen beim Bürgergeld werden nicht nur die intendierte Wirkung verfehlen, sie gießen vor allem Öl ins Feuer einer ohnehin schon vergifteten Debatte. Denn zwischen den Zeilen vermittelt man der Bevölkerung folgende Botschaft: Bürgergeldbezieher sind eine Belastung für die gesamte Gesellschaft, weil sie aus Faulheit und Dreistigkeit nicht arbeiten gehen und wenn sie es doch tun, dann illegal. Hier wird mehr Stimmung gemacht als Realität abgebildet. DIW-Präsident Marcel Fratzscher hat darauf hingewiesen, dass unter den 5,5 Millionen Empfängerinnen von Bürgergeld fast 2 Millionen Kinder sind. Ein weiterer erheblicher Anteil sind Aufstocker, also Menschen, deren Lohn nicht zum Leben reicht. Andere sind alleinerziehend oder pflegen Angehörige. Nur ein Bruchteil der Menschen, die Bürgergeld beziehen, könnten arbeiten gehen – und den meisten von ihnen fehlt ein Berufsabschluss. Was sie brauchen, sind Löhne, von denen sie leben können, und eine Qualifizierung, die ihnen eine Perspektive gibt. Was sie nicht brauchen, sind Gängelei und Sanktionierung.
Vor allen Dingen tut die Ampel gerade der CDU einen großen Gefallen. Denn die Regierung verwirklicht, was die Christdemokraten schon lange fordern: die Abschaffung des Bürgergelds – in anderen Worten die Rückkehr zu Hartz IV. Die Union macht seit Monaten keinen Hehl daraus, genau das umsetzen zu wollen, wenn sie in einer zukünftigen Regierung beteiligt ist. Thorsten Frei, der parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag, betont, dass die Ampel lediglich bereits bekannte Forderungen der CDU aufgreift. Die Union möchte selbstredend nur noch drakonischere Auflagen verhängen: Die Karenzzeit beim Schonvermögen will sie komplett abschaffen und Menschen noch rigoroser in Arbeit zwingen – denn ausnahmslos jeder Job sei zumutbar, so Frei.
»Wenn man Mittel aus den sozialen Sicherungssystemen abzieht, macht man die Menschen schutzloser gegenüber der Macht von Arbeitnehmern und Konzernen. Genau dazu ist Austerität da. Und genau das erleben wir.«
Der Armutsforscher Christoph Butterwegge hält die Sozialpolitik der Ampel für derart rückschrittlich, dass er eine »sozialpolitische Zeitenwende« heraufziehen sieht. »Was die Ampel macht, sie kratzt Millionen zusammen, wo es den Menschen wehtut, und da, wo die Milliarden sind, greift sie nicht zu«, so Butterwegge. Am Ende würde man vor allen Dingen gegen Geflüchtete und Menschen, die Bürgergeld beziehen, agitieren – also gegen diejenigen in unserer Gesellschaft, die am wenigsten haben.
Ob die Wachstumsinitiative der Ampel dazu imstande sein wird, wirtschaftliches Wachstum wirksam anzukurbeln, ist zumindest fraglich. Außer Frage steht, dass sie effektiv darin sein wird, mehr Menschen in Armut zu halten. Das ist kein Nebeneffekt, sondern durchaus intendiert. Die Wirtschaftshistorikerin Clara E. Mattei hat in ihrer Analyse der Ursprünge der Austerität bereits darauf hingewiesen, dass es in der Austerität um etwas Grundsätzlicheres geht als das Ankurbeln wirtschaftlichen Wachstums, nämlich um die ökonomische Entmachtung der Bevölkerung und die Zementierung der Eigentumsverhältnisse.
Denn wenn der Staat in großem Stil interveniert – etwa indem er über Nacht 100 Milliarden für die Hochrüstung der Bundeswehr aus dem Ärmel schüttelt –, dann ist damit zu rechnen, dass die Frage der Zuweisung von Ressourcen wieder politisiert wird. Denn könnten nicht auch Ressourcen für die Verbesserung der Lebensbedingungen der breiten Mehrheit mobilisiert werden, wenn Geld für die Rüstung da ist? Um jegliches Potenzial einer solchen Politisierung im Keim zu ersticken, muss der ökonomische Zwang auf die breite Bevölkerung intensiviert werden. Und das geschieht, wenn man Mittel aus den sozialen Sicherungssystemen abzieht und die Menschen gegenüber der Macht von Arbeitnehmern und Konzernen schutzloser macht. Genau dazu ist Austerität da. Und genau das erleben wir.
Wir können also erahnen, an was für einem politischen Projekt hier gezimmert wird. Als die Bundeswehrmilliarden beschlossen wurden, wurde bereits davor gewarnt, dass Sparmaßnahmen vorprogrammiert sind, die die Schwächsten am härtesten treffen werden. Nun ist es genauso gekommen. Während die unsoziale Politik der Ampel die Ungleichheit grassieren lässt, wird an einer weiteren Militarisierung gearbeitet und die Gesellschaft bellizistisch darauf eingestimmt.
»Es drängt sich der Eindruck auf, dass die Bevölkerung auf einen neuen Kriegskurs getrimmt werden soll, damit sie die bereits erfolgten sozialen Einschnitte bereitwilliger akzeptiert.«
Denn Einsparungen beim Rüstungsetat sind nicht vorgesehen. SPD-Verteidigungsminister Pistorius kritisiert derweil, der Etat sei nicht hoch genug, und Anton Hofreiter, Co-Vorsitzender der Grünenfraktion im Bundestag, pflichtet ihm bei. Der Wehretat sei zu knapp bemessen, weshalb die Schuldenbremse drohe, zu einem »Sicherheitsproblem« zu werden. Er hat Recht, wenn er sagt, dass wir als Gesellschaft in der Zukunft enormen Sicherheitsrisiken ausgesetzt sind. Klimawandel, Ungleichheit und Ressourcenknappheit sind Risikofaktoren, die nicht nur unmittelbar unsere Sicherheit bedrohen, sondern die gleichzeitig auch internationale Konflikte anheizen. Indem man mehr staatliche Gelder in eine unfassbar klimaschädliche Industrie pumpt – Rheinmetall verzeichnet Rekordumsätze von historischem Ausmaß –, wird man diese Sicherheitsrisiken nicht in den Griff bekommen. Aber man signalisiert, wie man sich diesen Konflikten zu stellen gedenkt: militärisch.
Genau darauf wird die Bevölkerung eingeschworen. Nachdem der Gesundheitssektor heruntergewirtschaftet wurde, möchte Karl Lauterbach jetzt die Krankenhäuser kriegstüchtig machen. Nachdem die Schulen marode gespart wurden, öffnet man dort nun der Bundeswehr die Türen. Und mit dem Beschluss eines jährlichen nationalen Veteranentags hat man der Kriegstüchtigkeit auch noch eine als Gedenktag getarnte Reklame geliefert.
Es drängt sich der Eindruck auf, dass die Bevölkerung auf einen neuen Kriegskurs getrimmt werden soll, damit sie die bereits erfolgten sozialen Einschnitte und jene, die noch folgen werden, da immer mehr Milliarden ins Militär gebuttert werden, bereitwilliger akzeptiert. Dieselben Leute, die gerne erzählen, dass man im Sinne der Generationengerechtigkeit keine Schulden machen dürfe – Schulden, die notwendig wären, um eben jener Generation, in deren Interesse man zu sprechen vorgibt, überhaupt eine lebenswerte Zukunft zu ermöglichen –, sind nun diejenigen, die genau diese Generation an die Front schicken wollen, wenn sie offen über eine Wiedereinführung der Wehrpflicht spekulieren.
Das Bürgergeld und die Kindergrundsicherung sollten Prestigeprojekt der Ampel werden: SPD und Grüne, die damals gemeinsam die Agenda-Politik verbrochen haben, wollten sich geläutert von diesem Kurs lösen. Welches politische Erbe die Ampel, die Fortschritt versprach, hinterlassen wird, lässt sich heute schon erkennen: Austerität in der Sozialpolitik, Repression in der Migrationspolitik, Militarisierung in der Außenpolitik. Dieser Kurs zeigt, wie sehr die rechte Opposition die politische Richtung vorgibt. Um ihre Politik umgesetzt zu bekommen, musste sie nicht einmal an die Macht kommen.
Astrid Zimmermann ist Managing Editor bei JACOBIN.