09. September 2022
Die Belange von Queers werden in rechten Kulturkämpfen immer wieder grotesk verzerrt. Wofür queere Menschen tatsächlich kämpfen: Schutz und Sicherheit.
Gedenkveranstaltung für Malte C., Köln, 6. September 2022.
IMAGO / NurPhotoDie vielen Übergriffe am Rande von Pride-Veranstaltungen in diesem Jahr, wie etwa in Bremen und Dresden, vor allem aber die tödliche transfeindliche Attacke auf Malte C. in Münster, haben schmerzlich gezeigt, welche Anliegen queere Menschen in Deutschland tatsächlich haben: Mitglieder unserer Communities müssen um ihre Sicherheit oder sogar ihr Leben fürchten.
Doch im Fokus der öffentlichen Debatte stehen weniger die handfesten Bedürfnisse von LSBTIQ* als die queerfeindlichen Ressentiments von Menschen wie Alice Schwarzer, Friedrich Merz oder Sahra Wagenknecht. Diese oft selbstreferenziellen Kulturkampf-Debatten gleiten immer wieder ins Groteske ab.
In der breiten Öffentlichkeit entsteht dadurch zunehmend der Eindruck, in den Auseinandersetzungen um queere Belange ginge es vor allem um persönliche Befindlichkeiten, Sprachpolitik oder – schlimmer noch – die »Frühsexualisierung« von Kindern. Manche erinnern sich vielleicht noch an die absurde Auseinandersetzung um eine Handreichung des Berliner Senats für frühkindliche Inklusionspädagogik, die von der AfD zur »Sex-Broschüre« hochgejazzt wurde. Seinerzeit konnten sich auch CDU und FDP nicht dazu durchringen, sich eindeutig gegen diese Nonsens-Debatte zu positionieren.
Dabei hätte sich nach der Einführung der »Ehe für alle« im Jahr 2017 – einem Kernanliegen der Linksliberalen – die Gelegenheit geboten, die politischen, finanziellen und ökonomischen Notwendigkeiten queerer Emanzipationspolitik anzuvisieren.
Seit der Bundestagswahl 2021 bahnt sich in Deutschland ein Ende des queerpolitischen Reformstaus an. Mit dem Ausscheiden der Union aus der Regierung eröffnen sich breitere Handlungsspielräume, die sich letztlich auch im Koalitionsvertrag der Ampel-Parteien abbilden. Die anfängliche Euphorie darüber ist jedoch zeitig der Erkenntnis gewichen, dass die selbsternannte »Fortschrittskoalition« keine großen Sprünge wagt.
Zuerst ging es um Posten. Die Regierung hatte einen Queer-Beauftragten ernannt und die Spitze der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld in einem fragwürdigen Verfahren mit einem FDP-Mann anstatt einer lesbischen Kandidatin neu besetzt. Erste Großprojekte wie das Selbstbestimmungsgesetz oder der nationale Aktionsplan gegen Queerfeindlichkeit konkretisierten sich nur allmählich.
Die Linkspartei ist dabei in einer schwierigen Situation: Einerseits muss sie signalisieren, dass sie die mühsam erkämpften Fortschritte und Meilensteine ausdrücklich begrüßt, andererseits aber aufzeigen, dass queere Emanzipation nicht durch die krampfhafte Assimilation in den bürgerlichen Status quo zu erreichen ist.
Der Entwurf für einen nationalen Aktionsplan gegen Queerfeindlichkeit ist dafür ein gutes Beispiel. Ohne den Umfang zu bewerten: In dem 15-seitigen Dokument, das bisher nur einigen ausgewählten Verbänden vorliegt, stehen reichlich Dinge, gegen die nichts einzuwenden ist. Es ist zum Beispiel erfreulich, wenn die Bundesregierung eine Studie zur sozialen Situation von LSBTIQ* in Auftrag geben will oder deren Belange in den Armutsbericht der Regierung aufgenommen werden sollen. Allerdings zeichnet sich bereits ab, wo die Grenzen dieses Aktionsplans liegen.
Es fällt auf, dass zum Beispiel keine einzige konkrete Maßnahme gegen Wohnungslosigkeit von LSBTIQ* aufgeführt ist. Die Regierung fällt damit hinter die Pläne der rot-rot-grünen Berliner Regierungskoalition zurück, die das Thema nicht nur in einer gesonderten Studie aufarbeiten, sondern auch Beratung und Unterbringung ausbauen will. Statt die Belange von queeren Wohnungslosen in einer nationalen Kraftanstrengung einzubeziehen, verbleibt die Ampel im Ungefähren.
Ähnliches zeigt sich bei der Umwandlung von Hartz IV in ein sogenanntes Bürgergeld. Diese bleibt in dem Plan völlig unerwähnt. Dabei wäre neben einer angemessenen Erhöhung der Regelsätze um weit mehr als die veranschlagten 50 Euro auch die Abschaffung der Bedarfsgemeinschaften für queere Menschen von besonderer Bedeutung. Das Konstrukt spielt etwa dann eine Rolle, wenn LSBTIQ* heiraten, queere Jugendliche frühzeitig ihr queerfeindliches Elternhaus verlassen wollen oder das Jobcenter aufgrund einer Regenbogenfahne auf dem Balkon vorschnelle Rückschlüsse über die Beziehungen zwischen Menschen in Wohngemeinschaften zieht.
Der Aktionsplan gegen Queerfeindlichkeit stößt auch dort an Grenzen, wo grundlegende Veränderungen notwendig werden, die sich nicht allein auf LSBTIQ* beschränken. Das zeigt sich beispielsweise auch im Kampf gegen die Affenpocken-Krankheit, die derzeit vor allem unter Männern grassiert, die Sex mit Männern haben. Es mangelt an Impfstoff, da ein dänisch-deutsches Unternehmen den derzeit einzig zugelassenen Impfstoff patentiert hat und die internationale Nachfrage danach enorm ist.
Das Land Berlin erhält in diesem Monat etwas über 5.000 Impfdosen. Wie wir so zügig auf die derzeit von der Deutschen Aidshilfe geforderte Mindestmenge von 1 Million Impfdosen kommen sollen, die bundesweit für den vollständigen Impfschutz von einer halben Millionen Menschen notwendig sind, bleibt das Geheimnis von Karl Lauterbach. Hier geht wertvolle Zeit verloren, in der die Gesundheit von Menschen aufs Spiel gesetzt wird.
Die Regierung versteigt sich in der Queerpolitik bewusst in punktuelle Eingriffe und kleinteilige Einzelmaßnahmen, die für sich genommen nicht falsch, aber eben auch bei weitem nicht ausreichend sind. Sie redet unentwegt von Strategie, Sensibilisierung und Förderung statt Queerpolitik als Querschnittsthema einer großangelegten sozialen und wirtschaftlichen Transformation zu begreifen, von der alle Menschen in unserer Gesellschaft profitieren würden. Das liegt nicht etwa daran, dass die Ampel nicht ambitioniert genug wäre – die Regierenden wollen diese Transformation schlichtweg nicht.
Die queerpolitische Kurzsichtigkeit der Regierung schlägt sich dann auch nicht nur im Kampf gegen prekäre Lebensbedingungen nieder, sondern auch im Kampf gegen Hasskriminalität. Nach der Gewalttat von Münster wurden LSBTIQ* wieder dazu aufgefordert, Angriffe doch bitte zur Anzeige zu bringen – diesmal von Bundesinnenministerin Nancy Faeser. Dagegen ist sicherlich nichts einzuwenden, allerdings scheint sich in der Regierung niemand ernsthaft die Frage zu stellen, warum die Anzeigebereitschaft unter LSBTIQ* nicht höher ist.
Der Grund dafür sind nicht etwa fehlende Appelle, sondern ein berechtigtes Misstrauen von Queers gegenüber Sicherheitsbehörden. Unzählige Berichte über queerfeindliche Polizeigewalt oder die Erfahrung, von der Polizei im Notfall nicht ernstgenommen oder aufgrund des eigenen Queerseins diskreditiert zu werden, sorgen dafür, dass Angriffe ungeahndet bleiben. Da ist es mit einer »Sensibilisierung« von Polizeikräften allein nicht getan.
Als queere Linke müssen wir auf institutioneller Ebene natürlich den Kampf darum führen, dass die Rechte von LSBTIQ* gestärkt werden und unsere Infrastruktur als Teil der öffentlichen Daseinsfürsorge anerkannt wird. Eine Kultur des umeinander Kümmerns und der gegenseitigen Bestärkung können wir allerdings nur als Communities schaffen. Queere Selbstorganisation – sei es in Wohnprojekten, sozialen Zentren, Opferhilfen oder Clubs, Bars und Cafés – wird weiter an Bedeutung gewinnen
Queere Communities werden künftig wieder verstärkt darüber nachdenken, wie sie sich gegenseitig schützen und verteidigen können. Mehr noch: Wir werden wieder grundsätzlicher über unser Verhältnis zu diesem Staat sprechen müssen, über staatliche Abhängigkeiten und enttäuschte – und vielleicht manchmal auch naive – Erwartungen der Vergangenheit. Wenn sich LSBTIQ* in Selbstverteidigung schulen, um Pride-Paraden zu schützen, anstatt auf die Unterstützung von Staat und Zivilgesellschaft zu hoffen, dann löst das die Widersprüche, in denen wir uns bewegen, noch lange nicht auf. Es wäre aber ein Zeichen der Selbstermächtigung.
Daniel Bache studiert an der HU Berlin und ist Bundessprecher von DIE LINKE.queer, einem Zusammenschluss queerer Menschen innerhalb und im Umfeld der Linkspartei.