07. April 2023
Die Tagesschau will das Wort »Mutter« nicht streichen – aber der Vorfall zeigt, warum Sprachpolitik nicht funktioniert.
Es geht auch anders: Um Sorgearbeit gerechter zu verteilen, werden in Spanien beide Elternteile bei vollem Lohnausgleich 6 Wochen nach der Geburt von der Arbeit freigestellt.
IMAGO / Westend61Lisa Paus’ »Familienstartzeitgesetz« ist eigentlich kaum der Rede Wert. Der Gesetzesentwurf sieht vor, dass der Partner oder die Partnerin der Mutter künftig für zehn Arbeitstage nach der Geburt eines Kindes freigestellt werden soll. Während für Mütter bislang sechs Wochen vor dem Entbindungstermin und acht Wochen danach ein Beschäftigungsverbot gilt, gibt es für (verheiratete) Väter bislang nur ein Recht auf Sonderurlaub. Weil der Umfang des Sonderurlaubs jedoch nicht festgelegt ist, wird er in der Praxis oft nur für den Tag der Geburt gewährt. Aufkommen müssen für die neuen arbeitsfreien Tage – so der Plan – nicht einmal die Arbeitgeber. Stattdessen sollen sie über die Krankenkassen finanziert werden.
Soweit handelt es sich um ein typisches Ampel-Projekt: ein bisschen Modernisierung, die längst überfällig ist und bei der niemandem etwas weggenommen wird. Nur dank eines kurzen Online-Artikels hat es das Thema auf die Titelseite der BILD geschafft.
Bei der »Tagesschau« sprachen zwei Journalistinnen – anders als im Gesetzesentwurf – nicht mehr von »Müttern«, sondern von »gebärenden« oder »entbindenden Personen«. Auf Nachfrage der BILD hieß es, die Formulierung sei gewählt worden, »um niemanden zu diskriminieren«. Dabei geht es mutmaßlich nicht nur um die verhältnismäßig kleine Gruppe von Transmännern, die ein Kind zur Welt bringen. Es geht auch um lesbische Paare, bei denen beide Partnerinnen Mütter sind, aber nur eine das Kind austrägt.
Die Nutzung von diskriminierungsfreier Sprache beim Öffentlich-Rechtlichen vereint dabei in perfekter Harmonie die beiden Themen, die in letzter Zeit im Zentrum des konservativen Kulturkampfes stehen: Wokeness und der gebührenfinanzierte Rundfunk. Und so dauerte es nicht lang, bis Markus Söder – der sich schonmal für die anstehende bayerische Landtagswahl aufwärmt – auf Twitter schrieb: »Der Woke-Wahn muss von der ARD korrigiert werden. Für so einen Unsinn braucht es keine Zwangsgebühren.« Die NZZ verwechselte gleich Begriff und Bezeichnetes und titelte: »ARD will Mütter ausradieren«. Die Kampagne war erfolgreich. Kurz nach Veröffentlichung wurde nicht nur das Wort »Mutter« wieder genutzt, auch aus den »Arbeitgebenden« wurden wieder »Arbeitgeber«.
Skandalös ist nicht, dass die Online-Redaktion der »Tagesschau« mit ihrem Versuch, diskriminierungsfreie Sprache zu nutzen, die Mutterschaft als »urwüchsige Kraft der Natur« leugnet, wie es Kristina Schröder – ehemalige Familienministerin, jetzt Jeanne d’Arc der Anti-Woke-Bewegung – in einer BILD-Titelgeschichte schreibt. Der Skandal ist vielmehr, dass Journalistinnen und Journalisten es nicht als ihre Aufgabe ansehen, die politischen Hintergründe eines solchen Gesetzesentwurfs in den Blick zu nehmen und stattdessen über Sprache Politik machen wollen. Insofern ist der Vorgang ein perfektes Beispiel für das, was Anton Jäger als »Hyperpolitik« bezeichnet hat.
Es hätte schließlich Vieles gegeben, auf dass man bei diesem Gesetzesentwurf als Journalistin hätte hinweisen können. Einerseits hat die Finanzierung über die Krankenkassen zur Folge, dass vor allem Kinderlose belastet werden. Eine progressive Finanzierung ist wegen der Beitragsbemessungsgrenzen für Spitzenverdienende so gar nicht möglich. Eine bessere Alternative wäre die Finanzierung über den Bundeshaushalt: Der könnte entweder Schulden machen oder progressive Steuern erheben. Die Belastung ließe sich also deutlich gerechter verteilen, als es über die Krankenkassenbeiträge möglich ist.
Man hätte auch erwähnen können, dass die Ampel mit dem Entwurf bloß eine EU-Richtlinie umsetzt, die eigentlich schon seit August 2022 verbindlich ist. Die EU-Kommission hat bereits ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik eingeleitet, weil sich zunächst die Große Koalition und dann die Ampelregierung geweigert haben, die Richtlinie umzusetzen. Familienministerin Lisa Paus begründete das vor einem Jahr mit der schwierigen wirtschaftlichen Lage von kleinen und mittleren Unternehmen. In seiner jetzigen Form hat das Gesetz aber gar keinen nennenswerten Einfluss auf diese Unternehmen – denn finanziert wird die arbeitsfreie Zeit schließlich über die Krankenkasse der Beschäftigten. Man könnte also sagen: Die Familienministerin hat gelogen.
Dass es der Ampel nicht um ein fortschrittliches Gesetz geht, dass den Menschen mehr Zeit für ihre Kinder und die Möglichkeit gibt, Sorgearbeit gerechter zwischen den Elternteilen zu verteilen, zeigt auch ein Blick nach Spanien. Seit zwei Jahren haben Väter dort genauso wie Mütter Anspruch darauf, unmittelbar nach der Geburt für 16 Wochen von der Arbeit freigestellt zu werden. Die ersten sechs Wochen nach der Geburt sind für die Väter sogar obligatorisch – und das bei vollem Lohnausgleich für beide Eltern.
Es ist begrüßenswert, wenn man anerkennt, dass Menschen in unterschiedlichen Konstellationen zu Eltern werden und man dafür eine Sprache finden will, die das berücksichtigt. Nur sollte man – wenn einem die Belange dieser Menschen am Herzen liegen – sich auch die Mühe machen, nicht nur lose über die Sprache auf diese Realität hinzuweisen. Statt also stolz einen »exklusiven Gesetzesentwurf« zu präsentieren, sollte man sich die Arbeit machen, die Auswirkungen eines solchen Entwurfs zu analysieren und die politischen Hintergründe zu benennen.
Tut man das nicht, verlässt man sich darauf, dass die Sprache schon alles richten wird – und liefert den Konservativen eine Steilvorlage für die Art von Offensive, die seit Jahren zu ihrem politischen Rüstzeug gehört: Sie trivialisieren das dahinterstehende politische Anliegen, blasen kleine Vorfälle zu Skandalen auf und lenken so von der politischen Verantwortlichkeit ab.
Mehr zum Thema gibt es in der neuen Folge von »Hyperpolitik«.
Nils Schniederjann ist Journalist in Berlin.