10. Oktober 2022
Die Privathaushalte werden bei der Gaspreisbremse nicht ausreichend entlastet. Das ist kein Zufall, sondern politisch gewollt.
Die Expertenkommission für Gas und Wärme übergibt ihren Vorschlag der Regierung, Berlin, 10. Oktober 2022.
IMAGO / Chris Emil JanßenDer Gaspreisdeckel – oder die Gaspreisbremse, wie sie mittlerweile genannt wird – soll Privathaushalte ab März oder April 2023 entlasten. So jedenfalls die Empfehlung der Expertenkommission für Gas und Wärme. Bis dahin soll es im Dezember dieses Jahres zur Überbrückung zunächst eine Einmalzahlung geben, die sich an den Abschlägen des Vorjahres orientiert. Die Industrie wird ab dem 1. Januar mit 70 Prozent des Grundverbrauchs entlastet, die Haushalte erst im Frühjahr, dann aber mit 80 Prozent. Für die soziale Infrastruktur soll es Ausnahmen geben, ebenso ist ein Härtefallfonds geplant.
Kurz: Der Deckel kommt, aber er kommt zu spät und ist zu schwach. Dabei ist der Gaspreisdeckel das zentrale Instrument, um die Krise abzudämpfen. Anders sind Ausgaben in der Zukunft nicht planbar. Das ist zum einen für die Bevölkerung wichtig, aber auch für die Unternehmen, die ansonsten einen Einbruch der Nachfrage befürchten müssen. An dieser grundlegenden Absicht des Gaspreisdeckels wird weiterhin festgehalten – aber erst ab dem Frühjahr. Für die entscheidenden Monate des Winters hingegen wird keine Planungssicherheit gewährleistet.
Schlimmer noch: Die Einmalzahlungen gibt es nur im Dezember, die anderen Monate sollen teilsubventioniert werden. Was das konkret bedeuten soll, ließ die Kommission offen. Im Zweifel müssen die Verbraucherinnen und Verbraucher sich das Geld für die restlichen Monate selbst einteilen. Dabei steigen ja nicht nur die Energiepreise, sondern auch die für alle anderen Waren. Die Kaufkraft wird dadurch nicht angekurbelt, da das Geld mit der Begleichung der Gasrechnung aufgebraucht sein wird. Klar ist: In den nächsten Monaten werden die Preise nicht sinken und die Inflationsrate wird weiterhin auf hohem Niveau verharren.
Fahrlässig ist das vor allem deshalb, weil die 200 Milliarden »Doppel-Wumms« nicht einmal ganz ausgeschöpft werden. Veronika Grimm sagte in der Pressekonferenz deshalb vollmundig: »Der Auftrag war ja nicht, das ganze Geld auszugeben«. Dass man mit der Gesamtsumme zwei Jahre überbrücken soll und davon auch Unternehmenshilfen finanziert werden sollen, war von Anfang an klar. Warum die Kommission aber nur etwa 90 Milliarden für die Entlastungen veranschlagt und dafür wesentliche Versorgungslücken zur Überbrückung der Krise in Kauf nimmt, bleibt ihr Geheimnis.
»Dass die Regierung so lange an der Gasumlage festhielt und nun im Eiltempo halbherzig die Bremse zieht, ist ein politisches Versagen.«
Am schwersten wiegt jedoch, dass für die ab April geplante Preisbremse keine konkrete Untergrenze für den Grundverbrauch angesetzt ist. Ebenso ist keine konkrete Obergrenze ausdefiniert, was praktisch bedeutet, dass Villen- und Poolbesitzer, die auf die Preisbremse gar nicht angewiesen wären, mitentlastet werden. Wirklich sozial gerecht wäre nur ein Gaspreisdeckel mit Unter- und Obergrenze, was auch der Verdi-Vorsitzende Frank Werneke in einem Sondervotum einfordert.
Es ist richtig, dass es für Privathaushalte einen Gaspreisdeckel geben wird. Doch er kommt zu spät und weist noch Mängel auf, die dringend behoben werden müssen: Eine Ober- und Untergrenze könnte problemlos eingezogen werden, der Preis für den Grundverbrauch sollte niedriger angesetzt werden und im besten Fall sollte die Preisbremse ab Januar (mit späterer Auszahlung) gelten. Gleichzeitig muss die Einmalzahlung im Dezember massiv aufgestockt werden.
Klar ist, dass die Kommission politisch so eingesetzt ist, um in kürzester Zeit eine Entscheidung zu treffen, die die Bundesregierung nicht treffen konnte – oder wollte. Am Ende ist es immer leichter einem Expertengremium zu folgen, das eigens dafür einberufen wurde, ein Ergebnis einzufahren, das einem sehr gelegen kommt. Natürlich hätte man früher mit der Berechnung beginnen können, in anderen europäischen Ländern gibt es bereits seit Monaten einen Preisdeckel. Dass die Regierung so lange an der Gasumlage festhielt und nun im Eiltempo halbherzig die Bremse zieht, ist ein politisches Versagen. Dass die Haushalte und arme Menschen offensichtlich keine starke Lobby in der Kommission hatten, wird an der Auswahl der Experten – Ökonomen, Energieunternehmen und Verbände – deutlich. Auch vermeintlich neutrale Expertenmeinungen haben einen politischen Kern.
Nach der Vorlage der Kommission ist es nun Aufgabe der Bundesregierung, daraus Politik und ein Gesetz zu machen. Richtet sich die Ampelregierung nach diesem Vorschlag, riskiert sie hohe Inflationsraten und eine massive Verarmung. Es kommt nun auf die Bundesregierung an, ob sie dieser politischen Richtschnur folgen wird. Und darauf, ob es noch ausreichend Protest gibt für jede Kilowattstunde, die gerechter verteilt wird.
Ines Schwerdtner ist seit Oktober 2024 Bundesvorsitzende der Linkspartei. Von 2020 bis 2023 war sie Editor-in-Chief von JACOBIN und Host des Podcasts »Hyperpolitik«. Zusammen mit Lukas Scholle gab sie 2023 im Brumaire Verlag den Sammelband »Genug! Warum wir einen politischen Kurswechsel brauchen« heraus.
Lukas Scholle ist Ökonom und Kolumnist bei JACOBIN.