08. Oktober 2022
Unter #Tradwife inszenieren sich junge Frauen auf TikTok als hörige Hausfrauen. Warum der Trend ein Symptom eines sinnentleerten Karrierismus ist.
Backen, Kochen, Putzen: Unter #Tradwife propagieren Influencerinnen ein verstörend rückständiges Frauenbild (Symbolbild).
Reklame aus dem »Ladies Home Journal«, rechtefrei»Du darfst den ganzen Tag in einem Großraumbüro hocken, auf einen Bildschirm starren und Kaffee in dich reinkippen – total befreiend, oder?«, verkündet eine selbsterklärte Feministin aus dem Jahr 2022 einer Hausfrau aus den 1950ern in einem Zeitreise-Sketch auf TikTok. Ob das bedeuten würde, dass eine automatisierte Haushaltshilfe jetzt die ganze Heimarbeit erledige, will die Hausfrau wissen. Selbstverständlich nicht, entgegnet ihr die Feministin. Fürs Putzen seien schließlich die Wochenenden da. Frauen könnten jetzt eben »alles haben« – Küche und Karriere. Das Video wurde 2 Millionen Mal geklickt.
Unter dem Hashtag #Tradwife findet sich auf TikTok eine ganze Flut an Videos, in denen sich junge Frauen als ergebene Mütter und hörige Hausfrauen inszenieren und einem erklären, warum sie den Feminismus für einen Schwindel halten: Letztlich sei der daran schuld, dass dem Mann die Rolle des Alleinverdieners streitig gemacht wurde, bloß um Frauen in stumpfsinnige Bürojobs zu drängen.
Am Ende sei man nicht erfüllt, sondern nur erschöpft. Und wem nütze das? Nicht den Frauen, nur den Konzernen. Der Fluchtpunkt dieser Influencerinnen: Der Rückzug in die Hausfrauen-Tristesse der 1950er Jahre.
Man könnte jetzt viele Worte darüber verlieren, dass an dieser Verkitschung der Vergangenheit mehr Nostalgie als Wahrheit ist; dass es diese Hausfrauen-Fantasie auch in der Nachkriegszeit so nicht gab; dass viele Frauen aus der Arbeiterklasse auch damals einer Erwerbsarbeit nachgingen und dass andererseits Frauen aus der Mittelklasse, die in relativem Wohlstand lebten und sich nur um den Haushalt kümmerten, psychisch am Ende waren, weil sie die Isolation und die geistige Unterforderung eines Lebens für Heim und Herd buchstäblich in den Wahnsinn trieb, wie etwa die Publizistin Betty Friedan in ihrem Klassiker The Feminine Mystique dargelegt hat. Das alles stimmt, nur erklärt es am Ende nicht, warum ein Internet-Trend, der jungen Frauen eben dieses Dasein wieder schmackhaft machen will, gerade jetzt so dankbar aufgenommen wird.
Es dürfte niemanden überraschen, dass sich viele Rechtskonservative und Anhängerinnen der Alt-Right-Bewegung in diesem Dunstkreis tummeln. Zurück-an-den-Herd-Parolen gehören zum Standardrepertoire rechter Kulturkämpfe. Die Idee der Frau als Gebärmaschine, die praktischerweise auch noch alle Sorge- und Erziehungsarbeiten erledigt, damit sich der Staat so weit wie möglich aus der Gewährleistung dieser Aufgaben herausziehen kann, kommt um einiges verträglicher daher, wenn diese Botschaft in Clips von Bananenbrot backenden Frauen im Retro-Blümchenkleid verpackt wird. Der Tradwife-Trend ist ein trojanisches Pferd für rechte Ideologie, weil er der Normalisierung dieser Ideen einen beträchtlichen Dienst erweist. Gleichzeitig wäre es übertrieben zu behaupten, dass sämtliche Frauen, die ihrem Ehemann auf TikTok ein selbstgekochtes Abendessen servieren, schon bei Blut und Boden angekommen sind.
»Gleichberechtigung ist in letzter Konsequenz keine Frage der Einstellung, sondern der Arbeitsteilung – deswegen realisiert sich diese Forderung auch nicht, bloß weil sie mittlerweile Konsens geworden ist.«
Auch wenn der hier propagierte Lebensentwurf auffällig viele Überschneidungen mit der muffigen Familienvision der AfD hat, macht man es sich zu einfach, wenn man darin nicht mehr als eine rechte Kulturoffensive vermutet. Denn der Boden, der diese rückwärtsgewandte Sehnsucht nach einem einfachen Leben als Hausfrau und Mutter nährt, sind Beschäftigungsunsicherheit und Überlastung.
Frauen verdienen weniger, übernehmen gleichzeitig den Großteil unbezahlter Sorgearbeit, sind im unteren Lohnsegment überrepräsentiert und geraten in Zeiten wirtschaftlicher Krisen – und von denen gab es in den letzten Jahren einige – härter unter die Räder. Das Armutsrisiko unter Frauen ist höher, unter anderem auch weil sie öfter in Teilzeit gehen, um sich um Kinder und pflegebedürftige Angehörige zu kümmern. So arbeiten in Deutschland etwa 66 Prozent aller erwerbstätigen Mütter in Teilzeit, unter erwerbstätigen Vätern sind es gerade einmal 6,4 Prozent. Unter Alleinerziehenden ist das Armutsrisiko besonders hoch – und die sind mit 87 Prozent überwiegend Frauen. Hier hat sich über die Jahre hinweg weniger getan, als vollmundige Bekenntnisse zum Ideal der Gleichberechtigung glauben machen wollen. Vielen muss man das alles nicht erzählen, weil sie es in ihrem Alltag spüren. Nur kann man sich eben nicht aussuchen, welche politischen Schlussfolgerungen Frauen aus dieser geteilten Erfahrung ziehen. Für manche gewinnt das reaktionäre Ideal von Heim und Herd dann neuen Glanz.
Gegen einen politisch entleerten Girlboss-Feminismus muss heute niemand mehr anschreiben. Dieses Ideal ist inzwischen abgegriffen und hinkt dem Zeitgeist hinterher. Die Kritik an dieser Sorte feministischem Karrierismus, der sich nie an alle Frauen, sondern nur an wenige richtete, ist mit dem ironischen Slogan »Gaslight, Gatekeep, Girlboss« – Manipulieren, Ausschließen, Rumkommandieren – selbst zum Meme geworden. Viele wissen genau, dass die meisten Frauen nichts davon haben, wenn sich ein paar wenige in die Chefetage boxen, um endlich auch mal abzukassieren.
Die Art von kapitalistischem Karriere-Erfolg, die dadurch glorifiziert wurde, ist für viele ohnehin nicht erreichbar. Sie wissen selbst oder haben schon bei ihren eigenen Müttern miterlebt, dass einen der Ratschlag, sich einfach mehr reinzuhängen, noch eher ins Burnout als auf den Chefsessel katapultiert. Man muss keine Expertin für Beschäftigungsentwicklung sein, um zu verstehen, dass die Mehrheit der arbeitenden Frauen aller Wahrscheinlichkeit nach nicht im Unternehmensvorstand landen wird und ihnen das »Lean In«-Mantra ein Angebot macht, bei dem sie wenig zu gewinnen haben. Das haben auch die Tradwives verstanden, nur hat sie das nicht gegen den Kapitalismus aufgebracht, sondern reaktionär werden lassen.
Die Hausfrau-Dystopie auf TikTok wirkt daher wie eine pervertierte Abrechnung mit dem Postulat, sich im Sinne des gesamtgesellschaftlichen Fortschritts gleichberechtigt durch die Arbeitswelt zu bewegen, während man die Mehrheit der Frauen mit der Realisierung der dafür notwendigen Voraussetzungen alleine gelassen hat. Die unausgesprochene Bedingung für die »Vereinbarkeit von Beruf und Familie« ist in unserer Gesellschaft nach wie vor die Doppelbelastung von Frauen – und man lügt sich selbst in die Tasche, wenn man die steigende Erwerbstätigkeit unter Müttern in den letzten Jahrzehnten in erster Linie als emanzipativen Fortschritt denn als ökonomische Notwendigkeit deutet. Was sich am Ende in vielen dieser Videos zeigt, ist eine grundlegende Skepsis gegenüber einem Empowerment-Narrativ, das Frauen nicht selbstbestimmt und befreit, sondern unterbezahlt und überarbeitet zurückgelassen hat.
Wer glaubt, man könnte diese rückwärtsgewandten Hausfrauen-Fantasien abfangen, indem man andere »Rollenbilder« idealisiert, theoretisiert am Problem vorbei. Gleichberechtigung ist in letzter Konsequenz keine Frage der Einstellung, sondern der Arbeitsteilung – deswegen realisiert sich diese Forderung auch nicht, bloß weil sie mittlerweile Konsens geworden ist. Wenn wir dem 50er-Jahre-Idyll seine Anziehungskraft nehmen wollen, dann müssen wir die gesellschaftlichen Voraussetzungen dafür schaffen, dass Gleichstellung zu einer greifbaren Option wird, und kein leeres Versprechen bleibt.
Menschen, die Kinder zu versorgen haben, werden es auf einem wenig regulierten Arbeitsmarkt, der maximale Flexibilität und Erreichbarkeit verlangt, offensichtlich schwerer haben. Und es ist auch keine Neuigkeit, dass der Kapitalismus auf die Verrichtung dieser Sorgearbeit angewiesen ist, damit sich die Gesellschaft reproduzieren kann. Um Mittel und Ressourcen einzusparen, werden die Kosten und die Arbeit, die dafür notwendig sind, so weit es geht in die Privatsphäre verlagert – wo sie in der Regel von Frauen getragen werden. Das ist alles nichts Neues.
Um das zu verändern, braucht es nicht nur Sensibilisierung, sondern staatliche Eingriffe. Aus diesem Grund haben Sozialistinnen schon vor über hundert Jahren dafür plädiert, Kinderbetreuung und Haushaltstätigkeiten zu sozialisieren. Gleichberechtigung wird sich erst dann einstellen, wenn Frauen so weit von reproduktiven Tätigkeiten entlastet werden, dass sie tatsächlich frei und autonom handeln können. Die russische Revolutionärin Alexandra Kollontai sprach sich deswegen etwa für die Einrichtung von Kinderkrippen und Kindergärten, öffentliche Kantinen und Wäschereien sowie Flick-Genossenschaften aus, und setzte als erste Ministerin der Sowjetunion nicht nur das Recht auf Abtreibung durch, sondern sorgte auch dafür, dass Frauen, die schwanger werden wollten und in dieser Zeit keiner Erwerbsarbeit nachgehen konnten, eine Ausgleichszahlung in voller Lohnhöhe erhielten, um ihre ökonomische Unabhängigkeit zu sichern. Wenn wir die Lebensumstände von Frauen verbessern wollen, sollten wir an diese feministische Tradition anknüpfen – etwa durch einen Ausbau der staatlichen Kinderbetreuung, Alten- und Krankenpflege sowie einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen in Pflege- und Erziehungsberufen, Elternzeit bei vollem Gehalt, und eine grundsätzliche Verringerung der Arbeitszeit.
Die Vorstellung, dass es vor allem überkommene Rollenbilder sind, die dem Hausfrauen-Fetisch auf TikTok seinen Appeal verleihen, führt einen letztlich zu der etwas tautologischen Feststellung, dass reaktionäre Frauen für ein reaktionäres Frauenbild empfänglich sind, weil sie reaktionäre Frauen sind. Das ist zum einen nicht sonderlich aufschlussreich, lässt aber zum anderen auch wenige Handlungsoptionen. Denn was soll man dagegen schon tun? Wenn wir hingegen anerkennen, dass diese als »Kulturkampf« verbuchten Auseinandersetzungen einen materiellen Kern haben, müssen wir das nicht paralysiert hinnehmen.
Es sind nicht in erster Linie rückständige Geschlechternormen, sondern vor allem ökonomische Zwänge, die Frauen ihre Freiheit nehmen. Wirkliche Gleichberechtigung würde bedeuten, Entscheidungen über Familienplanung und Beziehungsmodelle unabhängig von finanziellen Erwägungen treffen zu können. Wenn diese Fragen aber durch finanzielle Umstände vorbestimmt sind, können wir nicht von Entscheidungsfreiheit sprechen. Die Grundlagen für die Abhängigkeiten, die sich daraus ergeben, können wir nur als Gesellschaft beseitigen. Wenn wir der Dystopie vom Heimchen am Herd etwas entgegensetzen wollen, dann brauchen wir also nicht nur andere Bilder und Ideale, sondern gesellschaftliche Verhältnisse, die Frauen wirklich eine Wahl lassen.
Astrid Zimmermann ist Managing Editor bei JACOBIN.