09. August 2023
Donald Trump muss sich vor Gericht für seine Versuche verantworten, sich über die Wahl von 2020 hinwegzusetzen. Doch seine Wählerschaft hält eisern zu ihm und der von Rechten dominierte Supreme Court könnte ihn in letzter Instanz freisprechen.
Ex-Präsident Donald Trump hat die Republikanische Partei weiterhin fest im Griff.
IMAGO / ZUMA WireSelbst wer nicht zu denen gehört, die sich nach Joe Bidens Wahlsieg wieder seelenruhig dem »Brunchen« hingegeben haben, mag Donald Trumps politische Eskapaden zum Ende seiner Amtszeit inzwischen als weniger wichtig abgespeichert haben. Denn Trumps Behauptungen, es hätte Wahlbetrug gegeben, und sein Versuch, trotz seiner Niederlage an der Macht zu bleiben, mögen zwar gefährlich gewesen sein, aber sie wirkten andererseits auch einfach lächerlich – und blieben letztlich erfolglos.
Seitdem hat sich in den USA einiges getan und es scheint drängendere Fragen zu geben. Zum Beispiel, wie viel des ohnehin spärlichen sozialen Sicherheitsnetzes Biden bei den Verhandlungen über die Schuldenobergrenze aufzugeben bereit ist, oder ob er die zwischenzeitliche finanzielle Stabilität zerstören wird, die Millionen Studierende während der kurzen Periode genießen konnten, als die Rückzahlung der Studienkredite ausgesetzt wurde. Doch einige neue Entwicklungen haben Trump zurück ins Rampenlicht katapultiert. Diese drohen nun, die ohnehin schon geschwächte US-Demokratie an die Grenzen ihrer Belastungsfähigkeit zu bringen.
Die erste dieser Entwicklungen ist die Anklage des Sonderstaatsanwalts Jack Smith gegen Trump im Zusammenhang mit dessen (mutmaßlichen) Versuchen, nach seiner Niederlage gegen Biden an der Macht zu bleiben. Trump sieht sich aktuell drei separaten Strafverfahren gegenüber; ein viertes wird wahrscheinlich sehr bald folgen. Die Vorwürfe von Smith sind jedoch die schwerwiegendsten (zusammen mit der noch ausstehenden und vermutlich bald erfolgenden Anklage in Georgia, wo es um mutmaßlich versuchten Wahlbetrug geht). Trump plädiert auf nicht schuldig.
Smiths Anklageschrift enthält die Anschuldigungen, Trump habe versucht, die Ergebnisse der Wahl von 2020 zu revidieren und, als dies nicht gelang, »falsche« Wahlmänner zu ernennen, die im Electoral College für ihn stimmen würden, obwohl Biden die jeweiligen Staaten gewonnen hatte. Smith beschuldigt Trump außerdem, die Unruhen am und im Kapitol am 6. Januar 2021 ausgenutzt und instrumentalisiert zu haben, um die offizielle Bestätigung der Wahl zu verzögern.
Die Anschuldigungen selbst sind keine große Überraschung. Sie stützen sich weitgehend (wenn auch nicht vollständig) auf Fakten, die bereits durch die Untersuchungen des Kongresses zum Sturm auf das Kapitol öffentlich gemacht wurden. Nichtsdestotrotz stellen sie einen Wendepunkt dar: Noch nie zuvor ist ein US-Präsident wegen eines Verbrechens angeklagt worden, das mit seiner Weigerung zusammenhängt, nach der Wahl die Macht abzugeben. Obwohl es in den meisten Demokratien durchaus üblich ist, dass Staatsoberhäupter und Ex-Regierungschefs juristisch verfolgt werden, ist dies das erste Mal überhaupt, dass ein ehemaliger US-Präsident strafrechtlich angeklagt wird.
Das US-Justizsystem ist nicht daran gewöhnt, die politische Elite zur Rechenschaft zu ziehen. Erschwerend kommt hinzu, dass Trump der bei weitem beliebteste Politiker auf der Rechten ist, und dass die Justiz des Landes in den vergangenen Jahrzehnten immer reaktionärer geworden ist.
Nur einen Tag bevor Smith seine Anklage bekanntgab, veröffentlichte die New York Times eine Umfrage unter republikanischen Wählerinnen und Wählern. Trump hat als potenzieller Präsidentschaftskandidat nicht nur die Unterstützung der Mehrheit der Befragten, er liegt mit fast 40 Prozentpunkten auch deutlich vor dem Zweitplatzierten Ron DeSantis. Darüber hinaus sind nur 9 Prozent selbst der »gemäßigten« Anhängerinnen und Anhänger von Trump der Meinung, der Grund für die Anklage in mehreren Gerichtsbarkeiten bestehe darin, dass Trump ein Verbrechen begangen haben könnte. Unter den überzeugten Hardcore-Trump-Fans sehen 0 Prozent ein gesetzeswidriges Verhalten Trumps. Richtig gelesen: Von den mehr als 300 Befragten in dieser Gruppe kann sich keine einzige Person vorstellen, dass Trump möglicherweise ein Verbrechen (oder mehrere) begangen haben könnte.
Das bedeutet, dass selbst bei einer vorsichtigen Schätzung Dutzende Millionen Amerikanerinnen und Amerikaner der Meinung sind, die Anklagen gegen Trump seien politisch und nicht juristisch motiviert. Tatsächlich scheinen die Prozesse die Unterstützung für Trump noch zu verstärken, statt sie zu verringern. Trump selbst bestärkt die Sichtweise seiner Fans, indem er wiederholt betont, die Verfahren gegen ihn seien nicht mehr als die »Verfolgung eines politischen Gegners«.
»Die aktuelle Mehrheit im Supreme Court ist nichts anderes als eine Gruppe stramm rechter Aktivisten in Roben, die buchstäblich niemandem Rechenschaft schulden.«
In den USA trifft also eine schwache Kultur politischer Rechenschaft auf einen milliardenschweren Angeklagten, der über die Loyalität von Millionen von Menschen verfügt, die glauben, dass er politisch verfolgt wird, und eine konservative Bewegung, die während Trumps Amtszeit wiederholt ihre Bereitschaft gezeigt hat, Straßengewalt, Staatsgewalt, Betrug und politische Repression einzusetzen, um ihre Ziele zu erreichen. Selbst im besten Fall – wenn also Trump dafür bestraft wird, einen Staatsstreich versucht zu haben – bleibt noch eine große und gefährliche Bewegung, die ihren Anführer als »Märtyrer« feiern wird. Schließlich hat er selbst seine Anhängerschaft seit Jahren darauf eingestimmt, dass das Establishment, der Washingtoner »Sumpf«, ihn in einer Art »Hexenjagd« verfolgen und abstrafen würde.
Man kann nicht vorhersehen, wie diese hochgradig mobilisierte Gruppe auf eine Verurteilung reagieren würde. So gerechtfertigt die Anschuldigungen gegen Trump auch sein mögen – keiner der möglichen Ausgänge dieser Strafverfahren würde die US-amerikanische Demokratie stärken.
Das ist aber nur der erste Punkt. Angesichts der Streitlust des Angeklagten und der Außergewöhnlichkeit des Falls scheint es sehr wahrscheinlich, dass Trump eines oder mehrere der Verfahren bis zum Obersten Gerichtshof durchkämpfen wird. Der Supreme Court war schon immer eine politische Institution, aber seit Bidens Amtsantritt hat das Gericht den letzten Schein richterlicher Unparteilichkeit abgeworfen. Die konservativen Richterinnen und Richter nutzen die fadenscheinigsten juristischen Argumente, um die von ihnen gewünschten politischen Ergebnisse zu begründen.
Die aktuelle Mehrheit im Supreme Court ist nichts anderes als eine Gruppe stramm rechter Aktivistinnen und Aktivisten in Roben, die buchstäblich niemandem Rechenschaft schulden. Die Ehefrau eines der Richter, Virginia »Ginni« Thomas, nahm übrigens selbst daran Teil, in republikanischen Kreisen Überzeugungsarbeit dafür zu leisten, dass das Ergebnis der Präsidentschaftswahl von 2020 gekippt werden müsste. Wie kann man sich da ein anderes Szenario als einen Trump-Freispruch des Supreme Courts vorstellen?
Dass die Biden-Regierung nach und nach die temporären und ohnehin schwachen Sozialmaßnahmen, die während der Corona-Pandemie eingeführt wurden, wieder rückgängig macht und so den neoliberalen Status quo ante wiederherstellt, könnte sehr bald in eine Phase des politischen Chaos münden. Das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Institutionen des Landes dürfte noch weiter sinken – und zwar ziemlich schnell.
Die beste Option, die Trump-Republikaner zu stoppen, besteht wahrscheinlich darin, eine breite Koalition – einschließlich der zunehmend unzufriedenen Wählerinnen und Wähler aus der Arbeiterklasse – für ein populistisches Programm zu mobilisieren, das die wirtschaftlichen Bedürfnisse der Menschen anspricht und gleichzeitig die Demokratie verteidigt und vertieft. Es liegt an der Linken, dieses Programm gegen das Establishment der Demokratischen Partei durchzusetzen, das einem wirklich transformativen Wandel ablehnend und einer Stärkung der Arbeiterbewegung bestenfalls ambivalent gegenübersteht.
Wie es weitergeht, ist unklar. Eine Sache ist aber sicher: Wenn die Linke nicht die Initiative ergreift, wird es die Rechte sicher tun.
Ben Beckett ist Autor und lebt in Wien.