20. Januar 2023
Acht Milliarden für die Anteilseigner, kein Groschen für die Beschäftigten: Der Warnstreik der Post-Angestellten hat begonnen. Warum ihre Forderungen nicht nur notwendig, sondern ein gemeinsames Klasseninteresse von uns allen sind.
Am Paketzentrum in Berlin-Neukölln streiken die ersten Angestellten am Freitagmorgen.
IMAGO / Christian SpickerAm Donnerstagnachmittag ist die zweite Verhandlungsrunde zwischen ver.di und der Post zuende gegangen, Ergebnis: Die Deutsche Post DHL Group sieht sich nicht einmal bemüßigt, überhaupt ein Angebot vorzulegen.
Die Beschäftigten fordern inflationsbedingt 15 Prozent mehr Lohn bei einer Laufzeit von 12 Monaten, um die Jahre der Reallohnverluste wenigstens etwas auszugleichen. Das ist geradezu genügsam angesichts der gigantischen Profite, die sich im Unternehmen auftürmen: Der Weltkonzern erwartet für 2022 einen unfassbaren Gewinn von 8,4 Milliarden Euro. Ein krasser Widerspruch zur Realität vor Ort: »Bei den Postbeschäftigten geht’s nicht um die Frage, ob sie sich Kaviar oder Schampus nicht mehr leisten können, sondern um alltägliche Dinge wie Brot, Butter, Käse«, bringt Betriebsrätin Isabell Senff, Mitglied der Tarifkommission, die Auseinandersetzung zwischen Führungsetage und Angestellten auf den Punkt.
Die Wut bei der Post ist groß: »Seit Jahren steigt das Arbeitspensum an. Wir arbeiten uns buchstäblich kaputt, während das Geld hinten und vorne nicht mehr reicht. Der Lohn für unsere Arbeit muss deutlich steigen! Die in den Führungsetagen wissen das, aber denen sind die Menschen anscheinend total egal, da geht es nur um Profite«, fasst Jan-Noah Friedrichs, Vertrauensleutesprecher in der Post-Niederlassung Hannover, die Lage der Beschäftigten zusammen. »Wenn die Interessen der 99 Prozent keine Rolle mehr spielen, hilft nur noch flächendeckender Streik, bundesweit, so lange wie nötig!«
Genau dieser ist jetzt angelaufen: Bereits am Donnerstagabend starteten erste Warnstreiks, die am Freitag ausgeweitet wurden. Damit wird Druck aufgebaut für die dritte Verhandlungsrunde im Februar.
Romin Khan, ver.di-Referatsleiter für Migrationspolitik, sagt: »Die Erwartungen der Beschäftigten an die Tarifrunde sind groß. Gerade viele der migrantischen Beschäftigten sind in den untersten Lohngruppen angestellt und haben nur eine 27h-Woche. Zu wenig zum Leben, zu viel zum Sterben.« Außerdem »arbeitet ein großer Teil befristet, kann aber selbst nichts an den Gesetzen ändern, weil ihnen das Wahlrecht fehlt.« In der Tat sind Jobs bei der Post sehr unterdurchschnittlich bezahlt, oder anders gesagt: Die Branche ist hochprofitabel, die Aktionäre freut’s.
Mehr als eine halbe Million Beschäftigte weltweit erwirtschaften also mit harter Arbeit einen Milliardengewinn, von dem sie selbst nicht einmal die Krümel abbekommen sollen – während die Anteilseigner damit einfach zur Tür raus spazieren können. Das kann man jetzt wahlweise als Diebstahl, den normalen Lauf der Dinge im Kapitalismus oder beides betrachten, fest steht aber: So geht’s nicht weiter.
Der Post-Konflikt ist eine wichtige Weichenstellung für kommende Tarifverhandlungen vor allem im öffentlichen Dienst, wo ebenfalls die Tarifverträge auslaufen. Auch dort stehen die Zeichen auf Streik. Dafür gilt es jetzt, Maßstäbe zu setzen. Unterstützung für den Arbeitskampf der Postlerinnen und Postler hat dabei wenig mit Nächstenliebe und schon gar nichts mit Mitleid zu tun: Es ist unser gemeinsames Klasseninteresse, den Profitinteressen Grenzen zu setzen und uns selbst wieder ein größeres Stück des Kuchens zu holen.
Die Kampagne »Genug ist Genug« und ihre Ortsgruppen bieten jede Menge konkrete Möglichkeiten zur Streikunterstützung: Was in den mehr als 40 Post-Niederlassungen gebraucht wird, ist vor Ort sehr unterschiedlich: Die Unterstützung reicht von Stickern an Haustüren und Briefkästen über Solidaritätskundgebungen bis zu sehr praktischer Hilfe bei Streikposten. Was jeder und jede von uns tun kann: Ein schneller Schokoriegel an der Haustür oder Snacks am Eingang zum Verteilzentrum wirken Wunder für Körper und Kopf, denn Arbeitskampf ist ein ungemütliches Geschäft. Und auch, wenn man gerade gar nichts zur Hand hat: Briefträgerinnen und Paketboten auf den Streik ansprechen und die eigene Unterstützung erklären geht immer. Postbeschäftigte, die noch zögern, sich am Streik zu beteiligen, werden damit bestärkt – und wenn sie schon entschieden sind, freuen sie sich umso mehr! Nicht zuletzt entscheidet auch die öffentliche Stimmung über Erfolg oder Niederlage einer Auseinandersetzung: Reden wir in unserem Umfeld über die guten Argumente der Angestellten, nutzen wir unsere Familienchats und Instagram-Accounts.
Für die tatsächliche Unterstützung von Arbeitskämpfen gibt es in Deutschland bisher wenig politische Praxis. Nicht zuletzt der Blick auf die aktuelle Lage und die Streikwelle in Großbritannien oder die Proteste in Frankreich gegen die Rentenreform zeigen aber: Wenn es gelingt, Tarifauseinandersetzungen wieder stärker zu politisieren und breit zu verankern, wenn Gewerkschaften wieder zu Protesten aufrufen, dann wird es ungemütlich in den Chefetagen. Wenn wir hier erfolgreich sind, können auch zukünftige Kämpfe darauf aufbauen.
Georg Kurz organisiert Krisenproteste bei Genug ist Genug. Zuvor war er Bundessprecher der Grünen Jugend.