30. April 2021
Gegner der Vergesellschaftung großer Immobilienkonzerne behaupten, diese sei zu teuer, und verweisen auf den Marktwert der Wohnungsbestände. Als Berechnungsmaßstab taugt dieser jedoch gar nicht.
Demo für die Unterstützung der Kampagne Deutsche Wohnen & Co Enteignen am 27.03.2021 in Berlin.
Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zum Mietendeckel ist höchst kritikwürdig. Angesichts dessen ist damit zu rechnen, dass die Initiative Deutsche Wohnen & Co. Enteignen in den kommenden Wochen nochmals stark wachsen wird. Umso wichtiger ist es, das zentrale Argument der Gegenseite, die Entschädigung sei zu teuer sei, unter die Lupe zu nehmen. Gegnerinnen und Gegner der Initiative behaupten nämlich, dass eine Einmalzahlung als Entschädigung zwingend sei und dass diese Einmalzahlung in Höhe des Marktwertes geleistet werden müsse. Tatsächlich stimmt beides nicht.
Im Gesetzestext heißt es ausdrücklich, dass die Art der Entschädigung durch das Gesetz zu regeln sei. Es kommen also verschiedene Arten der Entschädigung in Betracht. Im Falle einer Vergesellschaftung ist eine gerechte Abwägung zwischen den Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten durchzuführen. Längerfristige Schuldtitel, Grundstücke, Wertpapiere oder Ersatzland wären als Entschädigung denkbar.
Zu nennen ist hierbei insbesondere der Vorschlag der Initiative Deutsche Wohnen & Co. Enteignen, den Entschädigungsbetrag bei einer sozialen Bewirtschaftung aus den Mieterträgen zu refinanzieren. Hier sind verschiedene Finanzierungskonditionen kalkulierbar, etwa eine Mietabsenkung auf leistbare Miethöhe (Nettokaltmiete von 4,00 Euro pro Quadratmeter) oder eine Orientierungsmiete auf dem Niveau des niedrigsten preisgedeckelten Werts (Nettokaltmiete von 5,95 Euro pro Quadratmeter). Jedenfalls dürfte eine verfassungs- und auch wertermittlungsrechtliche Ausgestaltung zweifelsohne möglich sein.
Auch die Höhe der Entschädigung ist keineswegs vordefiniert. Es gibt einen politischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, der in letzter Konsequenz auch die Preisfestsetzung für die betroffenen Grundstücke miteinbezieht. Die Mehrheit der Fachliteratur ist sich einig, dass eine Entschädigung auch unterhalb des Verkehrswertes möglich ist.
Das Bundesverfassungsgericht hat selbst in einer Entscheidung vom 18. Februar 1968 zu Artikel 14 des Grundgesetzes, der in seinem ersten Absatz das Eigentum schützt, in seinem zweiten Absatz die Sozialpflichtigkeit des Eigentums normiert und im dritten Absatz die Enteignung regelt, festgehalten, dass dem Gesetzgeber keine starre und lediglich am Marktwert orientierte Entscheidung auferlegt sei.
Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat sich in verschiedenen Entscheidungen mit einer Entschädigung von Vergesellschaftungen auseinandergesetzt und dabei auch mehrmals festgehalten, dass es auf ein ausgewogenes Verhältnis ankomme. Bei einem Urteil vom 12. Februar 1986 führte er aus, dass das öffentliche Interesse beziehungsweise ökonomische Reformen oder Maßnahmen im Sinne der sozialen Gerechtigkeit eine Entschädigung unterhalb des vollen Marktwerts legitimieren können.
Artikel 15 des Grundgesetzes, nach dem die Überführung von Grund und Boden zum Zweck der Vergesellschaftung in Gemeineigentum zulässig ist, ist ein Instrument, um einen Wirtschaftsbereich dem freien Markt zu entziehen. Ordnet man die Entschädigung Marktmechanismen unter, konterkariert dies das im Grundgesetz vorgesehene Instrument der Sozialisierung. Im Rahmen des Artikels 15 sollten vielmehr eigene Maßstäbe zur Entschädigung entwickelt werden.
Auf der Basis von Angaben in Unternehmensberichten der Immobilienkonzerne, die zur Vergesellschaftung vorgesehen sind, wurde in der Erläuterung zur amtlichen Kostenschätzung des Senats von Berlin eine überschlägige Immobilienbewertung zum Stichtag 01. Januar 2019 unter Berücksichtigung des Baualters, des Zustands und der Lage vorgenommen. Dieser Schätzwert betrug insgesamt 36 Milliarden Euro bei einem durchschnittlichen Marktwert von 2.600 Euro pro Quadratmeter für die Teilmärkte »reine Mietwohnhäuser«, »Mietwohnhäuser mit gewerblicher Nutzung« sowie »umgewandelte Eigentumswohnungen«. Hierbei wurden Daten aus der Kaufpreissammlung zusammengeführt und die Marktwerte der zu vergesellschaftenden Unternehmen fortgeschrieben. Die Entschädigungshöhe schließt die in den durchschnittlichen Marktwerten enthaltenen Gewerbeflächen mit ein. Beim Ertragswertverfahren ist aber strikt zwischen Wohn- und Geschäftsgebäuden sowie den »nackten« Bodenwerten und Bodenwertanteilen bei übergroßen Grundstücken zu unterscheiden.
Auch das Rückrechnen von einer angenommenen Soll-Miete ist nicht der einzige Weg der Wertermittlung. Weder zur Grundstücksbewertung des Gemeineigentums noch zur Gemeinwirtschaft liegen bislang in der Fachliteratur Parameter, Koeffizienten oder gar Ertrags- und Vergleichsfaktoren vor. Verwunderlich ist das nicht, denn schließlich entstünde nach der Vergesellschaftung ein Bereich mit eigener, nicht verkehrswertnaher Kalkulation. Um es in den Worten der Grundstückswertermittlung zu sagen: Es entstehen Wertermittlungsobjekte, für die kein Markt (mehr) besteht.
So könnte haushalts- und stadtpolitisch im Gesetz vielmehr ein Potenzialwert – kein Marktwert – definiert werden. Das Potenzial dieses Wertes – und damit die Entschädigungssumme – ergäbe sich dann nicht aus der (Aus-)Nutzung der betroffenen Grundstücke, die am ertragreichsten ist und die höchste Rendite verspricht. Stattdessen würden Nutzungen berücksichtigt, die einen stadt- und kulturpolitischen Mehrwert aus der spezifisch sozialpflichtigen Verwendung der vergesellschafteten Wohnungen und Mehrfamilienhäuser sowie ihrer Infrastruktur und ihrer Nebenanlagen liefern.
Artikel 28 der Berliner Verfassung sowie auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Artikel 14 des Grundgesetzes und des Europäischen Gerichtshofs zu Entschädigungen zeigen: Der Gesetzgeber hat sowohl hinsichtlich des Ausmaßes als auch der Art der Entschädigung einen erheblichen Spielraum. Die ursprüngliche Kostenschätzung des Berliner Senats aus dem Jahr 2019 unterstellt für die Vergesellschaftung von Wohnungsbeständen einen Verkehrswert, den es ökonomisch und rechtlich bislang gar nicht gibt.
Für diese Wertermittlungsobjekte ist ein Wert auf der Grundlage marktkonformer Modelle zu entwickeln, wie etwa das bereits erwähnte Faire-Mieten-Modell der Initiative Deutsche Wohnen & Co. enteignen. Denkbar wäre auch, die rechtlich definierten Wertgrenzen, Sozialbindungen und die Bodenwertdämpfung in einem weiterentwickelten, marktangepassten Verfahren zu verarbeiten.
Vergesellschaftungen sollten am besten nicht nur als Ansätze einer »Re-Kommunalisierung«, sondern einer aktiven, politisch legitimierten und ökonomisch sinnvollen Publizisierung begriffen werden. Die Initiative könnte somit indirekt dazu beitragen, nicht nur Artikel 15 mit neuem liegenschaftspolitischem Leben zu füllen, sondern auch das Recht der Grundstückswertermittlung für Objekte, für die kein (Handels-)Markt mehr besteht, zu revolutionieren. Wohnungsbestände und unbebaute Grundstücke als »res extra commercium« zu behandeln – also als dem Geschäftsverkehr dauerhaft entzogene Sachen – böte eine vielversprechende bodenökonomische und verfassungsrechtliche Perspektive. Für den Aufbau einer auch haushaltsrechtlich sinnvollen Grundstücks- und Vermögensreserve – die unbedingt mit einer Re-Privatisierungssperre belegt werden muss – wäre dies gleichzeitig die vernünftigste Zukunftsinvestitionen für das Gemeinwesen, die sich denken lässt.
Franziska Drohsel ist promovierte Juristin und Rechtsanwältin.
Fabian Thiel ist promovierter und habilitierter Jurist und Professor für Immobilienbewertung an der Frankfurt University of Applied Sciences. Er forscht und lehrt in den Bereichen nationales und internationales Eigentums-, Bau- und Planungsrecht, Immobilienbewertung, Bodenpolitik und Rechtsgeographie.
Franziska Drohsel ist promovierte Juristin und Rechtsanwältin.
Fabian Thiel ist promovierter und habilitierter Jurist und Professor für Immobilienbewertung an der Frankfurt University of Applied Sciences. Er forscht und lehrt in den Bereichen nationales und internationales Eigentums-, Bau- und Planungsrecht, Immobilienbewertung, Bodenpolitik und Rechtsgeographie.