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30. September 2025

Bei DHL fliegt, wer keine Waffen liefern will

Ein DHL-Mitarbeiter und Verdi-Vertrauensmann am Hub Leipzig/Halle kritisiert die Lieferung von Rüstungsgütern an Israel und wird daraufhin fristlos entlassen. Im Angesicht eines Völkermords zu schweigen, ist offenbar Teil der gewünschten Firmenkultur.

Eine Frachtmaschine von DHL – was sie wohl wo hin befördert?

Eine Frachtmaschine von DHL – was sie wohl wo hin befördert?

IMAGO / Marc Schüler

Der DHL-Hub in Leipzig/Halle ist einer der wichtigsten Logistikflughäfen der Welt. Nach Warenumschlag gerechnet, ist er der fünftgrößte Frachtflughafen Europas. 1,4 Millionen Tonnen Fracht wurden allein 2024 umgeschlagen. Der Umschlagplatz ist auch einer der wichtigsten Arbeitgeber der Region, fast 6.000 Menschen beschäftigt der Konzern am Hub. Viele dieser Mitarbeitenden sind stolz auf ihre harte körperliche Arbeit, von der ein Großteil in der Nachtschicht erledigt wird.

Ein – ehemaliger – Mitarbeiter des Hubs ist Christopher. Als Nebenjob zu seinem Studium der Germanistik und Kunstgeschichte stieg er 2017 bei DHL im sogenannten Coy ein. Das ist kurz für conveying belt (Englisch für Lieferband). Seine Aufgabe war es, Pakete aus Containern für den weiteren Transport auf das Band zu hieven. Als Teil seines Jobs musste Christopher auch die Inhalte der Pakete checken – um sicherzugehen, dass die Pakete richtig behandelt werden. Später wechselte er zur Tätigkeit als sogenannter Deckzieher, die Luftfrachtcontainer entladen. Früh fällt ihm bei seiner Arbeit auf: Neben zivilen Gütern transportiert DHL am Hub in Leipzig/Halle auch Rüstungsgüter.

»Es ist uns als Flughafenarbeitern ein wichtiges Anliegen, dass unsere Arbeit, auf die wir so stolz sind – wir betreiben Welthandel, wir verbinden die Welt – dass diese Arbeit nicht dem Krieg dient.«

Um diesen Umstand hüllte DHL lange den Mantel des Schweigens. In internen Schulungen vermittelt der Konzern den Eindruck, dass man überhaupt kein Kriegsmaterial verschicke. Eine Anfrage des Linke-Bundestagsabgeordneten Sören Pellmann brachte jedoch 2022 zum Vorschein, dass Waffenlieferungen für den Russland-Ukraine-Krieg über den Hub abgewickelt wurden.

Dass die DHL Group sich nicht nur in diesem Fall für den Transport von Waffen verantwortlich zeigt, wurde Anfang August unverhofft höchst offiziell bestätigt. Ein ehemaliger Mitarbeiter des AfD-Abgeordneten Maximilian Krah musste sich wegen Vorwürfen von Bestechlichkeit und Geldwäsche vor dem Oberlandesgericht Dresden verantworten. In der Anklageschrift schrieb die Bundesanwaltschaft, der Hub sei »ein wichtiges Drehkreuz zur Verbringung von Militärgütern in die ganze Welt«.

Wer arbeiten will, muss schweigen

Das ist den Beschäftigten klar. Diese kriegen schließlich – wie Christopher – mit, was in den oft unscheinbar wirkenden Paketen steckt. Unmut gibt es deswegen schon lange. Mehrere Mitarbeiter berichten von langjährigen Diskussionen dazu im Betrieb. Bereits vor einigen Jahren wurde von Menschen aus dem Umfeld der Gewerkschaft Verdi ein Flugblatt mit entsprechenden Informationen verteilt. Klar sei man stolz auf die Arbeit – aber Zeug zu verladen, mit dem woanders Menschen umgebracht würden – darauf habe niemand Bock.

Dieser Stimmung unter den Kolleginnen und Kollegen machte Christopher in einem Redebeitrag im Rahmen einer Kundgebung am 23. August Luft: »Es ist uns als Flughafenarbeitern ein wichtiges Anliegen, dass unsere Arbeit, auf die wir so stolz sind – wir betreiben Welthandel, wir verbinden die Welt – dass diese Arbeit nicht dem Krieg dient.« Dann übermittelte er Grüße von Kollegen, die aufgrund des Schichtdienstes nicht anwesend sein können.

Ein Bündnis palästinasolidarischer Gruppen hatte für diesen Tag zum March to Airport Leipzig/Halle aufgerufen, um gegen die Unterstützung des in Gaza durch Israel verübten Genozides durch deutsche Waffenlieferungen zu protestieren. Geschätzte 1.000 Menschen waren dem Aufruf gefolgt. Im Fokus stand der DHL-Hub in Leipzig/Halle, der als logistischer Knotenpunkt der Komplizenschaft dient.

In seinem Redebeitrag auf der Kundgebung erklärt Christopher, dass er im Rahmen seiner Tätigkeit mitbekommt, was versendet wird und er bereits Pakete von Rheinmetall in den Händen gehalten habe. Christopher erwähnt auch, dass Beschäftigte in anderen Ländern bereits Waffenlieferungen nach Israel blockiert haben. Er schließt mit der Parole »Kein Transport für Völkermord«.

Er scheint einen wunden Punkt getroffen zu haben. Wenig später flattert Christopher eine Vorladung zu einem Personalgespräch für den 11. September ins Haus. Ablehnen kann er die Einladung nicht. Im Gespräch wurde ihm seine sofortige Freistellung eröffnet. Begründet wurde diese mit einer angeblichen Verletzung der Verschwiegenheitspflicht. Keine zwei Wochen später legt die Konzernleitung nach: Christopher erhält zum 23. September seine fristlose Kündigung. Ein Konzernsprecher behauptet auf Nachfrage, Christopher sei gekündigt worden, weil er gegen mehrere Auflagen seines Arbeitsvertrages verstoßen hätte.

Unionbusting und Genozidsupport

Wesentlich wahrscheinlicher scheint es, dass DHL gezielt gegen den unbequemen Vertrauensleutekörper vorgeht und im Namen der Staatsräson politisch unliebsame Mitarbeiter kaltstellt. Die Geschäftsführung des DHL-Hubs in Leipzig/Halle steht sowohl aufgrund einer gut organisierten Belegschaft als auch wegen ihrer Komplizenschaft im Völkermord unter Druck von Seiten der Belegschaft sowie der Öffentlichkeit.

Seit März dieses Jahres gab es im Hub eine umfassende Kündigungswelle. Schätzungen zufolge wurden mindestens 1.000 Personen entlassen, zuerst die prekär beschäftigten Leiharbeitskräfte. Für die verbliebenen Beschäftigten führte dies zu einer drastischen Verdichtung von Arbeit, bei gleichbleibend mieser Bezahlung. In Vollzeit – inklusive Nachtzulage – landeten viele Kolleginnen und Kollegen bei maximal 2.200 Euro Monatsnetto.

Dagegen organisierten sie sich und forderten gemeinsam mit Verdi 12 Prozent mehr Lohn. Zunächst kam von der Arbeitgeberseite gar kein Verhandlungsangebot. Erst nach mehreren Warnstreiks im Mai und Juni begaben sich die feinen Herren der Geschäftsführung überhaupt an den Verhandlungstisch.

Die Angebote der Arbeitgeberseite waren jedoch weit entfernt von den Forderungen der Gewerkschaft. Ein Mitarbeiter berichtet vom Arbeitskampf: »Die Geschäftsführung hat während der Tarifverhandlung enorm viel Druck auf die Kollegen ausgeübt.« Trotzdem lehnten über 60 Prozent der Verdi-Mitglieder in einer Rückkopplung das erste Angebot der Arbeitgeberseite ab, woraufhin die Vertrauensleute eine Urabstimmung zu einem unbefristeten Streik organisierten.

»Dass DHL nun die erstbeste Möglichkeit im Nachgang der Tarifauseinandersetzung nutzt, um die unliebsame Vertrauensleutestruktur anzugreifen, ist sicher kein Zufall.«

»Während der Urabstimmung hat der Ton sich krass verschärft. In allen Teamsitzungen waren Manager unterwegs und haben Druck ausgeübt auf die Kollegen, damit sie gegen den Streik stimmen«, erklärt ein Mitarbeiter. Mehrfach sei betont worden, dass der Standort durch einen Streik gefährdet sei. Trotzdem stimmten satte 78 Prozent der Verdi-Mitglieder für den unbefristeten Streik.

Das klare Ergebnis dieser Befragung war die Folge weitreichender gewerkschaftlicher Basisarbeit im Betrieb. Diese führte dazu, dass die DHL Group schließlich einknickte und sich bereiterklärte, insgesamt 11 Prozent mehr Lohn zu zahlen. Keine drei Wochen nach dem Abschluss verlegte DHL die Firmenzentrale von Bonn in den Hub – so gefährdet war der Standort also doch nicht.

Zentral für dieses für die Arbeiterinnen und Arbeiter gute Ergebnis war der im Prozess neu aufgebaute Vertrauensleutekörper – unter ihnen Christopher. Dass DHL nun die erstbeste Möglichkeit im Nachgang der Tarifauseinandersetzung nutzt, um die unliebsame Vertrauensleutestruktur anzugreifen, ist sicher kein Zufall. Auf Nachfrage, ob es hier einen Zusammenhang gibt, antwortet der Konzernsprecher nicht mehr.

Zeitgleich führt die im Arbeitskampf aufgebaute Vernetzung unter den Beschäftigten auch zu Diskussionen über Waffenlieferungen. Die Demonstration zum Flughafen hat das noch verstärkt. Lina Awad von der AG Solidarität mit Christopher vom Palästina Aktionsbündnis Leipzig kommentiert dazu: »Es gibt viel Unmut unter den Arbeitern über die Lieferung militärisch verwendbarer Güter an den Staat Israel. Unser Marsch zum Flughafen und vor die Hallen von DHL, unsere Flugblätter mit Informationen zu den Lieferungen nach Israel, haben diesen Unmut verstärkt. Nun steht die Frage auf der Tagesordnung, wie die Arbeiter sich dagegen wehren könnten, diese Lieferungen abfertigen zu müssen.«

Das will DHL mit aller Kraft verhindern. Awad weiter: »Die Kündigung Christophers sehen wir als Versuch der Einschüchterung der Belegschaft. DHL versucht, mit der Kündigung Diskussionen über Aktionen der Arbeiter gegen die Lieferungen in Angst zu ersticken.«

Christopher ist nicht allein

Ob das gelingt? In Reaktion auf seine Freistellung und Kündigung erfährt Christopher viel Zuspruch von seinen Kolleginnen und Kollegen. Viele empfanden bereits die Einladung zum Personalgespräch in Folge des Redebeitrags als Zumutung. Die nun ausgesprochene Kündigung macht viele stinksauer.

Am Samstag, dem 27. September wurde ein Protestbrief aus dem gewerkschaftlichen Kontext veröffentlicht. Unter der von Christopher geprägten Parole »Kein Transport für Völkermord« fordern die über 70 erstunterzeichnenden Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter die sofortige Rücknahme von Christophers Kündigung. Der Brief wird unterstützt von der Linke-Bundestagsabgeordneten Mirze Edis, dem sächsischen Linke-Landtagsabgeordneten Nam Duy Nguyen sowie dem Stadtverband der Linkspartei Leipzig.

Die Repression gegen Christopher scheint daher eher das Gegenteil der von DHL erhofften Wirkung zu entfalten: Die Unterstützung des Genozids in Gaza durch DHL erfährt nun noch mehr Öffentlichkeit und die Beschäftigten solidarisieren sich.

Robin Jaspert ist Politökonom und promoviert an der Goethe-Universität in Frankfurt. Er forscht zu Staatsfinanzen, Süd-Nord-Beziehungen, Fiskal- und Geldpolitik.