14. September 2021
Zwei Studien aus Island belegen: Die 4-Tage-Woche macht uns produktiver und zufriedener. Für die isländischen Beschäftigten ist eine verkürzte Arbeitswoche nun Realität geworden. Andere Länder sollten nachziehen.
Mehr freie Zeit: Menschen beim Entspannen im Thermalbad auf der Halbinsel Reykjanesskagi.
Es ist zu einem großen Teil gewerkschaftlicher Organisierung zu verdanken, dass Island in zwei umfangreichen Versuchen die Idee einer kürzeren Arbeitswoche erprobte. Die Testläufe begannen 2015 und 2017 und sollten ermitteln, welche Folgen eine kürzere Arbeitszeit ohne Lohnkürzungen nach sich ziehen würde. Das Ergebnis war ein in jeder Hinsicht überwältigender Erfolg. Seither gilt dieses Modell für fast 90 Prozent der isländischen Arbeitenden.
Im Juni veröffentlichten die in Großbritannien ansässige Denkfabrik Autonomy und die isländische Organisation Alda einen Bericht, der die Ergebnisse sowie die Auswirkungen des Experiments präsentiert. JACOBIN hat mit Guðmundur D. Haraldsson, einem der Autoren, darüber gesprochen, welche Erkenntnisse die Versuche nahelegen und wie das Modell auch in anderen Ländern etabliert werden könnte.
Worum ging es bei diesen Versuchen und wie entstand die Idee, eine kürzere Arbeitswoche zu erproben?
Es gab zwei Versuche – einen in Reykjavík, der größten Stadt Islands, und einen weiteren bei der isländischen Regierung. Viele der Teilnehmerinnen und Teilnehmer arbeiteten statt 40 Stunden pro Woche nur noch 35 oder 36 Stunden.
Der erste Versuch wurde 2015 in Reykjavík gestartet. Die Stadt führte das Experiment in Zusammenarbeit mit dem Gewerkschaftsbund BSRB durch und der Stadtrat von Reykjavík beschloss die Durchführung einstimmig.
In den Jahren zuvor hatte es in Island immer wieder Diskussionen über die Verkürzung der Arbeitszeit gegeben, an denen auch Alda beteiligt war. Der BSRB, andere Gewerkschaftsbünde und Gewerkschaften haben diese Debatten ebenfalls vorangetrieben. Zudem befürworteten die Mitglieder des Stadtrates die Idee, einen Versuch durchzuführen, um zu analysieren, welche positiven Auswirkungen eine Arbeitszeitverkürzung für die Beschäftigten, die Arbeitsumgebung und die bereitgestellten Dienstleistungen haben könnte.
Wie umfangreich waren diese Versuche und welche Arbeitsumgebungen wurden einbezogen?
Der Umfang war ziemlich groß. An den Versuchen nahmen schließlich über 2.500 Arbeitende teil, also mehr als 1 Prozent der gesamten isländischen Erwerbsbevölkerung. Der Versuch in Reykjavík war zu Beginn klein, weitete sich dann aber aus.
Letztendlich wurde die Arbeitszeitverkürzung nicht nur in Büros, sondern auch in Kindergärten, städtischen Einrichtungen, Pflegeheimen für Menschen mit Behinderungen und vielen weiteren Orten erprobt. Auch das Bürgermeisterbüro der Stadt Reykjavík wurde mit einbezogen.
Der Bericht, den Du mitverfasst hast, beschreibt die bemerkenswerten Auswirkungen dieser Versuche. Welche Effekte hatten diese auf die Produktivität und Qualität der betroffenen Dienstleistungen? Und welche Erfahrungen haben die Arbeitenden gemacht?
Die Untersuchungen kommen zu dem Ergebnis, dass die Qualität der Dienstleistungen durch die Versuche unverändert blieb. Es mussten jedoch neue Strategien entwickelt werden, um dies zu erreichen. Das ist gelungen.
Die Versuche hatten außerdem eine positive Wirkung für die Arbeitenden: Ihr Wohlbefinden stieg bei einer Reihe von Indikatoren, von ihrem empfundenen Stress bis hin zur Gesundheit und Work-Life-Balance. Sie gaben an, sowohl bei der Arbeit als auch zu Hause zufriedener zu sein, weniger Stress und Spannungen im Haushalt zu haben und mehr Zeit mit ihren Familien verbringen zu können. Täglich mehr Zeit zu haben, war für viele von besonderer Bedeutung.
Der politische und wirtschaftliche Kontext in Island könnte ein Grund dafür sein, dass das Land in der Lage war, diese Versuche zu unternehmen und für die Mehrheit der Beschäftigten eine kürzere Arbeitswoche einzuführen: 2019 lag der gewerkschaftliche Organisationsgrad bei 90 Prozent, und die Bevölkerung ist klein. Würdest Du dennoch sagen, dass das isländische Beispiel einer kürzeren Arbeitswoche in anderen Ländern nachgeahmt werden könnte?
Ich glaube, dass Versuche mit kürzeren Arbeitszeiten überall dort initiiert werden können, wo ein erhebliches Interesse daran besteht, sei es auf lokaler oder nationaler Ebene, bei Unternehmen, Körperschaften oder gemeinnützigen Organisationen. Private Unternehmen haben beispielsweise hier in Island andere, kleinere Versuche durchgeführt, aus reinem Interesse. Auch diese Versuche waren ein Erfolg. Erforderlich sind also das Interesse und Engagement. Außerdem müssen die Beteiligten – also Arbeitende, Managerinnen usw. – einbezogen werden, um die Arbeitsprozesse weiterzuentwickeln.
Erforderlich ist zudem ein gemeinsames Verständnis dafür, dass eine erfolgreiche Erprobung kürzerer Arbeitszeiten allen zugutekommen kann – den Arbeitenden, den Managerinnen, der Arbeitsumgebung und so weiter.
Guðmundur D. Haraldsson ist Ko-Autor des Berichts »Going Public: Iceland’s Journey to a Shorter Working Week«, der in diesem Sommer von Alda und Autonomy veröffentlicht wurde.
Guðmundur D. Haraldsson ist Ko-Autor des Berichts »Going Public: Iceland’s Journey to a Shorter Working Week«, der in diesem Sommer von Alda und Autonomy veröffentlicht wurde.