21. September 2021
Mit Anfragen und Anzeigen sabotiert die AfD Engagement gegen rechts. Auch Thomas Mampel, Leiter eines Berliner Stadtteilzentrums, geriet ins Visier der AfD. JACOBIN hat mit ihm über die Methoden der Partei gesprochen und warum sie so gefährlich sind.
Kann weg: »Das vorrangige Ziel muss sein, die AfD unter 5 Prozent zu kriegen«, meint Thomas Mampel.
Im Sommer 2018 haben 180 soziale Einrichtungen und Projekte in Berlin eine Erklärung »Für Menschenrechte und eine demokratische Kultur« unterzeichnet, darunter Jugend- und Nachbarschaftszentren, Bildungs- und Integrationsprojekte. In ihrer Stellungnahme kritisieren sie die AfD für ihr Vorgehen gegen zivilgesellschaftliches Engagement, das sich für Toleranz und Vielfalt einsetzt. Die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner werfen der AfD vor, ihre parlamentarischen Sonderrechte zu nutzen, um Organisationen zu delegitimieren, deren Arbeit sich gegen rechts positioniert.
Die Strategie der AfD begrenzt sich nicht nur auf Berlin. Landesweit nutzt die Partei parlamentarische Mittel wie Anfragen und Anträge, greift aber auch auf Anzeigen gegen Einzelpersonen zurück, um mediale Skandalisierung und Hetze im Internet zu befeuern. Meist geht es dabei weniger darum, die in der Regel haltlosen Vorwürfe juristisch feststellen zu lassen, als die Engagierten zu zermürben oder den Ruf ihrer Einrichtungen zu schädigen.
Thomas Mampel ist Geschäftsführer des Stadtteilzentrums Steglitz und Unterzeichner der Erklärung. Seit Frühjahr 2021 führt die AfD eine Schmutzkampagne gegen ihn und seine Einrichtung – vorgeworfen wird, wie so oft, Subventionsbetrug. Joshua Schultheis hat für JACOBIN mit Thomas über die Angriffe der AfD gesprochen und wie man sich dagegen wehren kann.
Thomas Mampel
Thomas Mampel, Geschäftsführer des Stadtteilzentrums Steglitz
Björn Höcke hat 2020 auf einer Pegida-Kundgebung gesagt: »Wir werden die sogenannte Zivilgesellschaft, die sich aus Steuergeldern speist, leider trockenlegen müssen.« Wie war das gemeint?
Das ist im Prinzip eine sehr gute Zusammenfassung der Strategie der AfD. Nicht nur Höcke hat sich in der Vergangenheit so geäußert. Die AfD in Brandenburg sieht etwa in der »Wohlfahrtsindustrie«, wie sie es gerne nennt, einen großen »Tanker«, den man nicht mit einem Mal zum Sinken bringe, sondern mit gezielten Schüssen so oft angreifen müsse, bis das Boot schließlich untergehe.
Es geht der AfD also darum, ausgewählte zivilgesellschaftliche Organisationen mit wiederholten Nadelstichen zu diskreditieren, ihre Förderungswürdigkeit infrage zu stellen und ein Exempel zu statuieren, das auch für andere Einrichtungen, Organisationen und Projekte eine Signalwirkung haben soll.
Welche Formen von Engagement nimmt die AfD dabei ins Visier?
Im Prinzip alles, was nicht in ihr Weltbild passt. Das sind in erster Linie Organisationen, die sich für eine vielfältige Gesellschaft einsetzen, für Demokratie, Toleranz, Respekt und Weltoffenheit – und besonders solche, die auch nach außen hin sehr sichtbar sind und lautstark Position gegen Ausgrenzung beziehen. Dazu zählen Geflüchtetenprojekte oder Organisationen, die sich mit sexueller oder geschlechtlicher Vielfalt beschäftigen. Als 2018 in einer Stellungnahme 180 soziale Träger die Methoden der AfD kritisierten, waren diese in der Folge besonders von der Schikane der Partei betroffen.
Mit ihrem Einzug in die Parlamente hat die AfD auch besondere administrative Rechte erhalten. Wie genau geht die Partei mithilfe dieser Mittel gegen zivilgesellschaftliches Engagement vor?
Die AfD nutzt vor allem die »kleine Anfrage«, mit der Abgeordnete Informationen zu bestimmten Themen bei der Exekutive anfordern können. In einem meist mehrstufigen Verfahren versucht die AfD zunächst eher grundlegende Eckdaten zu den von ihnen anvisierten Projekten zu erhalten, etwa wie viel Geld in das Projekt fließt und welche Aufgaben und Ziele es hat.
Die verantwortliche Verwaltung muss diese Informationen zusammentragen und übermittelt dann ein Antwortschreiben, auf dessen Grundlage die AfD dann weitere, präzisere Anfragen stellen kann, zum Beispiel zu Belegen über die korrekte Verwendung der öffentlichen Gelder, zu Nachweisen über die erfolgreiche Arbeit des Projekts oder den Bezügen der daran Beteiligten. Sobald der Informationsfluss der Verwaltungen ins Stocken gerät oder nach Meinung der AfD nicht zufriedenstellend ist, greift dann die Öffentlichkeitsarbeit der AfD. Die behauptet dann nämlich, dass ihrem Versuch, der möglichen Veruntreuung von öffentlichen Geldern auf den Grund zu gehen, von Verwaltung und Regierung Steine in den Weg gelegt werden, man sich aber trotz der Widerstände für eine Aufklärung einsetze.
So wird ein Skandal heraufbeschworen, obwohl es ganz zu Anfang überhaupt keinen Anlass gegeben hat, ausgerechnet dieses oder jenes soziale Projekt infrage zu stellen.
Was macht die AfD, wenn sie diese Mittel ausgeschöpft hat?
Wenn sie mit parlamentarischen Mitteln nicht mehr weiterkommt, wird dazu übergegangen, Einzelpersonen mit Anzeigen zu überziehen. Die Vorwürfe, die dann in der Öffentlichkeit geäußert werden, sind immer dieselben: Verstoß gegen das Neutralitätsverbot, Verschwendung öffentlicher Gelder oder die Behauptung, es handle sich um eine »linke Vorfeldorganisation«.
Viele Projekte sehen sich dann gezwungen, ihre Arbeit einzustellen. Nicht deshalb, weil sie der Mut verlässt, sondern weil sie die horrenden Anwaltskosten nicht mehr tragen können. Wenn das zum Beispiel ein Jugendzentrum trifft, versucht die AfD in der Folge manchmal, eigene Angebote zu machen, aber nur für »normale« Jugendliche.
Außerdem nimmt die AfD auch immer wieder Einfluss auf Vereine und Organisationen, indem sie diese durch Mitgliedschaften unterwandert.
Sind die Klagen der AfD vor Gericht häufig erfolgreich?
In der Regel sind sie nicht erfolgreich. Darum geht es aber auch nicht. Die Strategie dahinter verfolgt ein anderes Ziel: Wenn man nur lange genug mit Dreck wirft, wird irgendwann auch mal in der öffentlichen Wahrnehmung etwas hängenbleiben. Die AfD interessiert sich nicht wirklich dafür, den Organisationen, die sie angreift, auf juristischem Wege echtes Fehlverhalten nachzuweisen. Ihr geht es um die öffentliche Skandalisierung auf Grundlage bloßer Behauptungen.
Die AfD wirft den sozialen Trägern vor, öffentliche Gelder zu verschwenden oder zu zweckentfremden, etwa für die Indoktrination von Kindern und Jugendlichen oder zu »staatszersetzenden« Zwecken. In der Presse gibt es immer jemanden, der das dann aufgreift. Das allein kann den Ruf einer Institution ruinieren, auch wenn an den Vorwürfen gar nichts dran ist. Über die Einstellung der Verfahren berichtet dann in der Regel keine Zeitung mehr.
Wie groß ist der Schaden, den die AfD mit ihrem Vorgehen anrichtet?
In erster Linie trifft es natürlich diejenigen, denen die Angebote und Projekte gelten, die die AfD sabotiert. Das sind in der Regel die Schwächsten unserer Gesellschaft, denen da, wo die Strategie der AfD aufgeht, auch noch das Bisschen Unterstützung entzogen wird, das erst durch zivilgesellschaftliches Engagement entstehen konnte.
Darüber hinaus schaffen die permanenten Verleumdungen und Anzeigen bei allen Beteiligten eine große Verunsicherung. Engagierte fragen sich, ob sie in der Öffentlichkeit noch politisch Position beziehen können und Kommunalpolitikerinnen und -politiker, ob es klug ist, die in Verruf gebrachten Projekte noch zu fördern. Die AfD zögert nicht, jede Kleinigkeit gegen einen zu verwenden. So verändert man das gesellschaftliche Klima.
Durch die Instrumentalisierung parlamentarischer Sonderrechte und etablierter Medien zielt die AfD auch auf das Meinungsbild im bürgerlichen Spektrum. Wie mobilisiert die Partei ihre radikaleren Anhängerinnen und Anhänger?
Die AfD hat eine große Basis in den sozialen Netzwerken. Wenn auf den parteinahen Kanälen über die vermeintlichen Machenschaften der »Wohlfahrtsindustrie« berichtet wird, dann äußern sich die Nutzerinnen und Nutzer in den Kommentaren teilweise grenzwertig, zum Teil aber auch eindeutig grenzüberschreitend. Seitens der AfD wird hier nicht widersprochen oder moderiert. Die Diskussionen, die dann entstehen, schaukeln sich schnell hoch und werden bisweilen auch strafrechtlich relevant. Da wird dann darüber gesprochen, ob man den betreffenden Institutionen nicht einmal einen Besuch abstatten solle.
In diesen Blasen entwickelt sich eine ganz eigene Dynamik, die dafür sorgt, dass die Vorwürfe sich immer weiter verbreiten und gleichzeitig immer abstruser werden. Das muss man nur lange genug machen und irgendwann zieht jemand daraus tatsächlich Konsequenzen und greift zu Gewalt. In Neukölln erleben wir ja schon, dass dort auf Jugendzentren Brandanschläge verübt werden.
Das ergibt das Gesamtbild einer mehrgleisigen, wohl durchdachten Strategie. Aber wie neu sind die Methoden der AfD und worin unterscheidet sie sich in dieser Hinsicht von älteren rechtsradikalen Parteien?
In dieser Qualität und Stringenz habe ich das tatsächlich vorher noch nicht erlebt. Man muss leider anerkennen, dass die AfD hier sehr professionell vorgeht. Ich habe in der Vergangenheit im Parlament auch andere rechte Parteien, etwa die Republikaner, erlebt, aber das waren Dilettanten. In den Reihen der AfD sind viele Leute, die zwar ein furchtbares Weltbild haben, aber gleichzeitig auch sehr fähig sind. Die wissen sehr gut, wie sie die Kompetenzen, die sie als Parlamentarierinnen und Parlamentarier haben, für ihre Zwecke missbrauchen können.
Um mal ein Beispiel zu nennen: Während die etablierten Parteien etwa das Mittel der kleinen Anfrage überwiegend nutzen, um tatsächlich an für sie relevante Informationen zu kommen, verfolgt die AfD ganz andere Ziele damit, die letztlich auf Desinformation hinauslaufen. Es ist vor allem die Skrupellosigkeit und die Konsequenz, mit der sie das macht, die wirklich neu sind.
Welche Gegenstrategien und Hilfsangebote gibt es für betroffene Projekte und Institutionen?
Wichtig ist es, eine eigene starke Außenkommunikation zu haben, um eine Gegenöffentlichkeit zu den Anschuldigungen der AfD zu schaffen. Zusätzlich sollte man gegenüber allen anderen Akteuren, gegenüber den Medien und auch der Verwaltung, absolut transparent bleibt.
Man sollte sich nicht wie das Kaninchen vor der Schlange verhalten und aus Furcht vor möglichen Folgen tatenlos bleiben. Stattdessen muss man dagegenhalten und darauf vertrauen, dass die Kooperationspartnerschaften und Netzwerke, in denen man sich bewegt, halten werden. Auch unsere eigene Erfahrung war, dass die Angriffe auf uns große Solidarität ausgelöst haben.
Mittlerweile gibt es auch Hilfsangebote für Betroffene. Der Paritätische Gesamtverband hat eine Beratungsstelle eingerichtet und eine ausführliche Broschüre zu dem Thema herausgegeben, die online abrufbar ist.
Aber solange diese Partei in Parlamenten vertreten ist, solange wird sie auch über besondere Möglichkeiten verfügen, um soziales Engagement zu sabotieren. Das vorrangige Ziel muss daher sein, die AfD überall unter 5 Prozent zu kriegen.