14. August 2023
Um Lindners Schuldengrenze einzuhalten, wollen einige Grüne und Sozialdemokraten die Gastro-Mehrwertsteuer wieder anheben. Im Klartext: Weil die Politik sich nicht traut, gezielt die Reichen zur Kasse zu bitten, sollen wir alle beim Essengehen draufzahlen.
So verdutzt wie hier Christian Lindner und Olaf Scholz könnten bald Millionen von Menschen in die Speisekarten blicken.
IMAGO / Emmanuele ContiniDie Politik diskutiert wieder über Steuererhöhungen. Aber nicht für das reichste Prozent der Gesellschaft, bei dem es so viel zu holen gäbe. Sowohl die Fraktionen der Ampel als auch die Opposition denken nach über Steuererhöhungen für die große Mehrheit: Für die rund 8 Millionen Kinder, die ein Mittagessen in der Schule essen, für Bauarbeiter, die sich in der Mittagspause einen Döner holen und für Rentnerinnen, die ein Stück Kuchen im Café genießen.
Denn zum Jahreswechsel soll nach derzeitiger Gesetzeslage die Mehrwertsteuer auf Speisen und Verpflegungsdienstleistungen in Restaurants wieder angehoben werden – darunter fallen auch Cafés, Biergärten und so weiter. Dieser Steuersatz wurde im Zuge der Corona-Pandemie temporär von 19 auf 7 Prozent abgesenkt, um die Geschäfte anzukurbeln, und wurde dann bis Ende 2023 verlängert. Doch wie das nunmal so ist bei temporären Senkungen, steht irgendwann dann auch wieder die Erhöhung an – zumindest solange sich die Politik nicht zu einer dauerhaften Senkung durchraufen kann.
Bemerkenswert ist, dass die Lagerbildung in der politischen Debatte zu dieser Frage vollkommen durchmischt ist. Während wirtschaftsliberale Politiker aus FDP, AfD und Union offensiv fordern, die Senkung beizubehalten, poltern ihre ökonomischen Ratgeber, wie Lindners Chefökonom Lars Feld, dagegen. Unterstützung erhält dieser unerwarteterweise vom Quasi-Chefökonomen der SPD, Gustav Horn. Dieser spricht davon, dass diese Steuersenkung eine »auschließlich den Konsum fördernde Subventionierung der Gastronomie« sei. Dass er offenbar nicht sieht, wie eine Steuererhöhung hier alle Menschen belasten würde, die mal auswärts eine Pizza essen, sagt alles.
Wirtschaftsliberale Politikerinnen und Politiker sind im Prinzip zwar eher pro Verbrauchsteuern – etwa für eine höhere Mehrwertsteuer und weniger Ausnahmen von dieser –, jedoch knicken sie regelmäßig vor dem Unmut der Bevölkerung oder der Großkonzerne ein. So ist auch Christian Lindner entgegen der Meinung seines Chefberaters dafür, die Senkung beizubehalten. Genauso ist auch Kanzler Scholz entgegen der Meinung des SPD-Chefberaters gegen die Erhöhung.
»Das offenbart nur die Loser-Mentalität von SPD und Grünen, denn diese Steuererhöhung ist effektiv selbst schon eine absolut unsoziale Kürzung in den Portemonnaies der Mehrheit.«
Die Fachpolitiker der Fraktionen sehen das schon skeptischer. Katharina Beck, die finanzpolitische Sprecherin der Grünen, meint: »Die Haushaltssituation ist angespannt und jedwede Maßnahme, auch die befristete Senkung der Mehrwertsteuer auf Speisen in der Gastronomie, muss daher in besonderem Maße auf ihre Dringlichkeit geprüft werden.« Und auch ihr Kollege Michael Schrodi, der finanzpolitische Sprecher der SPD, würde das Thema lieber auf die lange Bank schieben: »Für eine Entscheidung, wie es ab nächstem Jahr damit weitergeht, ist es insbesondere mit Blick auf die laufenden Haushaltsberatungen derzeit noch zu früh.« Auch in der Debatte um die Streichung der Mehrwertsteuer bei Grundnahrungsmittel glänzte Schrodi schon mit den absurdesten Argumenten. So sagte er, dass eine Senkung den Steuerzahler Milliarden koste. Es ist genau andersherum: Durch eine Senkung werden die Menschen um Milliarden Euro entlastet.
Das dahinterliegende Motiv ist bezeichnend: Grüne und SPD sorgen sich vor allem um die Steuereinnahmen. Die Mehrwertsteuer auf Restaurantbesuche wieder anzuheben, brächte 3,3 Milliarden Euro jährlich. Würde diese Erhöhung ausbleiben, müsse das Geld woanders herkommen, da diese Summe im Bundeshaushalt für 2024 noch nicht eingeplant ist. Dabei schwingt die Angst mit, dass es noch weitere unsoziale Kürzungen geben könnte. Aber das offenbart nur die Loser-Mentalität von SPD und Grünen, denn diese Steuererhöhung ist effektiv selbst schon eine absolut unsoziale Kürzung in den Portemonnaies der Mehrheit. Das zeigt eigentlich nur, wie weit diese Politikerinnen und Politiker von der Lebensrealität der Menschen sowie von ökonomischem Sachverstand entfernt sind.
Sowohl Empirie als auch Theorie zeigen, dass in aller Regel Senkungen der Mehrwertsteuer größtenteils weitergegeben werden. Das heißt, die betroffenen Produkte werden auch tatsächlich für die Menschen billiger. Wenn man die Mehrwertsteuer wieder erhöht, wird das aller Wahrscheinlichkeit nach sogar komplett auf die Konsumentinnen und Konsumenten abgewälzt werden, wenn die Unternehmen nicht sogar noch etwas draufschlagen. Denn gerade bei Lebensmitteln wird mit psychologischen Preisgrenzen gearbeitet – etwa in 10-Cent-Schritten. Eine Erhöhung dürfte also in vielen Fällen einen Aufschlag bis zur nächsten Preisgrenze bedeuten. Gleichzeitig wird im gegenwärtigen Preisumfeld immer deutlicher, dass einige Unternehmen ihre Preise zusätzlich erhöhen, um ihre Gewinne zu erhöhen, weil es gerade durchsetzbar scheint – Stichwort Excuseflation.
Die geplante Anhebung wird also das Leben der Menschen ganz unmittelbar verteuern. Das linksliberale Geschwafel, wie es auch Schrodi gern verbreitet, dass Mehrwertsteuersenkungen vor allem die Reichen entlasten würde, ist vollkommener Unsinn. Denn ob Reiche beim Konsum ein paar Euro mehr oder weniger zahlen, ist für die großen Verteilungs- oder Haushaltsfragen vollkommen irrelevant. Ironischerweise sind es genau jene Linksliberale, die Lindners Steuerpolitik zum Schutz der Konzerne und Reichen im Bundestag fast wöchentlich abnicken.
»Soziale Räume vom Café bis zum Biergarten werden strukturell geschwächt. Gleichzeitig geht es den Menschen, die weiterhin dort hingehen, mehr an den Geldbeutel.«
Nicht egal ist hingegen, ob das Schulmittagessen, der Döner oder der Kuchen 1-2 Euro mehr kosten. Denn steigende Preise belasten immer Menschen mit kleinen Einkommen am meisten, da sie den Großteil ihres Geldes direkt wieder für die Lebenshaltung ausgeben müssen. Die Reichen hingegen kümmert eine solche Erhöhung am wenigsten. Wenn man das reichste Prozent der Gesellschaft über den Verbrauch belangen will, was bei Privatjets oder Golfanlagen sinnvoll sein mag, muss man es gezielt machen – und nicht die 99 Prozent in Mitleidenschaft ziehen.
Ob die Mehrwertsteuer auf Restaurantbesuche erhöht wird oder nicht, ist gleichwohl für die Gastro entscheidend. Im Falle einer Erhöhung wird die Nachfrage unweigerlich zurückgehen, was vor allem den kleinen Betrieben schadet. Die Reichen gönnen sich nämlich weiterhin ihr Luxusessen, auch wenn es etwas teurer ist. Das bedeutet: Soziale Räume vom Café bis zum Biergarten werden strukturell geschwächt. Gleichzeitig geht es den Menschen, die weiterhin dort hingehen, mehr an den Geldbeutel. Und jene, die dann seltener essen gehen, ärgern sich über die hohen Preise. Damit ist all das auch ein Konjunkturprogramm für die AfD.
Die Strategie von Grünen und SPD ist in zweifacher Hinsicht verheerend. Erstens werden damit hohe Mehrwertsteuern legitimiert. Dabei sind Verbrauchsteuern per se schlecht für die große Mehrheit, wie schon Karl Marx und die Vorgängerparteien der SPD wussten, bei denen »Arbeiterpartei« noch groß geschrieben wurde. Einer der größten Nachteile der Mehrwertsteuer ist bei der Gastronomie besonders deutlich: Die Steuer kommt auf den Preis oben drauf – zukünftig vielleicht nicht mehr 7, sondern 19 Prozent. Wenn man nun in der Gastro richtigerweise für ordentlich Löhne sorgen würde, hätte das Folgen. Denn die Gaststätten, insbesondere die kleinen Betriebe, werden die höheren Kosten komplett abwälzen (müssen). Und dazu kommt dann nochmal die höhere Mehrwertsteuer – zu Lasten der Menschen und der Nachfrage.
Und zweitens ist die Debatte auch hinsichtlich der politischen Strategie mal wieder komplett irrsinnig. Sie zeigt, dass SPD und Grüne nicht viel aus der Elterngelddebatte gelernt haben. Offensichtlich glauben sie fester an Lindners Sparhaushalt als er selbst. Denn sie verteidigen die von Lindner verursachten Kürzungen, während er sie infrage stellt. Man könnte ja auch woanders kürzen, so Lindners Erzählung. Das wäre natürlich genauso fatal, aber anstatt die Kürzungen zu akzeptieren, müssten sich alle Progressiven gegen die Sparpolitik stellen, die sie verursacht. Solange das nicht der Fall ist, tragen SPD und Grüne Lindners Klassenkampf durch Austerität mit.
Lukas Scholle ist Volkswirt, Wissenschaftlicher Mitarbeiter für Finanzpolitik im Deutschen Bundestag und Kolumnist bei JACOBIN.