02. August 2022
Während der Gaskrise zeigt sich deutlich, welche Prioritäten die Koalition verfolgt.
Olaf Scholz 2020 in Hamm
In Sachen soziale Kälte setzt die Ampel neue Maßstäbe: Die Regierung schützt unverblümt die Reichen und belehrt die Armen gleichzeitig auf maximal herablassende Art und Weise. »Respekt für dich« – war das wirklich so gemeint? Es ist bemerkenswert, wie lautlos die SPD unter Scholz nach einem Wahlkampf voller Anerkennungsrhetorik zu knallharter Umverteilung von unten nach oben übergegangen ist. Was wir derzeit erleben, ist das Gegenteil von Respekt vor der großen Mehrheit im Land.
Dass mit Lindner der Bodyguard der Superreichen ins Finanzministerium einzieht, war von Anfang an klar. Substanzsteuern wie die Vermögensteuer oder Steuererhöhungen bei der Einkommen- und Unternehmensteuer wurden bereits im Sondierungspapier vor den Koalitionsverhandlungen ausgeschlossen. Es überrascht aber trotzdem, dass sich die Verschonung der Reichen um jeden Preis als roter Faden durch praktisch alle politischen Initiativen der Ampel zieht: Jeder Konflikt wird auf Kosten der großen Mehrheit gelöst anstatt zulasten der oberen ein Prozent – ob es nun um die Übergewinnsteuer, die Krankenkassenbeiträge oder die Gasumlage geht.
Gleichzeitig werden arme Menschen permanent belehrt. Die ständigen paternalistischen Spartipps der Ampel-Politiker wirken nur noch herablassend. Bitter ist, dass diese Belehrungen nicht nur von wirtschaftsliberaler Seite kommen. Ja, Lindner sprach von Jahren der Knappheit und dass der Krieg uns alle ärmer macht. Aber auch von Sozialdemokraten und Grünen gibt es abfällige Bemerkungen. So prahlte Vizekanzler Robert Habeck kürzlich damit, dass er seine Duschzeit halbiert habe. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach monierte, dass in der Gastronomie zu wenig Trinkgeld gezahlt werde, nicht aber, dass die Löhne viel zu niedrig sind. Der ehemalige SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel warb in bester Arbeitgebermanier für höhere Wochenarbeitszeiten. Die FDP hingegen schlägt einen Energiesparbonus für Hartz-IV-Empfänger vor – also bezahltes Frieren.
Auch Vertreter der Wirtschaft üben sich in Herablassung: Der Chef des zweitgrößten Immobilienkonzerns Deutschlands LEG Lars von Lackum verlangte, der Bevölkerung müsse klargemacht werden, dass jetzt Verzicht angesagt sei. Dafür schlägt er wie die FDP einen Sparbonus für Empfängerinnen von Hartz-IV-Leistungen vor. Der Präsident des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall Stefan Wolf nahm Gabriels Vorlage dankbar an und forderte neben der Verlängerung der Wochenarbeitszeit gleich auch noch eine Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 70 Jahre. All das ist nichts anderes als – momentan noch rhetorischer – Klassenkampf von oben.
Schon zum Start der Entlastungspakete wurde deutlich, dass sie nicht ausreichen würden, um soziale Härten abzufangen. Menschen in Armut war dies von Anfang an klar. Trotzdem blockiert Lindner weitere Entlastungen und vertröstet die Menschen aufs nächste Jahr – obwohl offensichtlich ist, dass die Schuldenbremse hierfür dann keinen Spielraum mehr bieten wird. Dass Haushalte mit niedrigem Einkommen stattdessen nun zusätzlich belastet werden sollen, ist unfassbar. Die Erhöhung der Krankenkassenbeiträge wird sie hart treffen. Eine Alternative läge auf der Hand: Statt die Beitragssätze anzuheben, hätte man die Bemessungsgrenzen höher ansetzen können. So würden Spitzenverdienerinnen mehr zahlen und nicht die große Mehrheit, die ohnehin schon unter der Inflation leidet.
Dazu kommt nun die Gasumlage, die Anbietern erlaubt, die gestiegenen Einkaufspreise auf die Kunden umzuwälzen. Dass Unternehmen nicht allein auf steigenden Kosten sitzen bleiben, ist aus Gründen der wirtschaftlichen Stabilität zwar nachvollziehbar, doch es ist keinesfalls alternativlos, dass die Verbraucher für diese Stabilität bezahlen. Die gleichen Energiekonzerne, wie etwa RWE, erhöhen ihre Gewinnprognosen gerade drastisch. Andere Unternehmen der Branche haben ihre Profite bereits vervielfacht. Auch hier ist der Respekt für arbeitende Menschen schwierig zu erkennen. Darüber können selbst Erfolge der Koalition wie die Erhöhung des Mindestlohns nicht hinwegtäuschen.
Auch wenn Grüne und Sozialdemokraten nun einen neuen Anlauf für die Einführung einer Übergewinnsteuer starten, ist es äußerst unwahrscheinlich, dass sie damit Erfolg haben werden. Im Juni lehnten beide Parteien im Finanzausschuss des Bundestags noch einen Antrag ab, der die Bundesregierung zur Vorlage eines entsprechenden Gesetzentwurfs aufforderte. Denn nicht nur die FDP blockiert: Nachdem die Grüne Ricarda Lang und die SPD-Vorsitzende Saskia Esken die Steuer erneut eingefordert hatten, winkte Scholz direkt ab.
Möglich erscheint jedoch, dass sich die Koalition unter großem öffentlichem Druck auf weitere Entlastungsmaßnahmen einigt. Auch diese müssten erst einmal gegen Lindner durchgesetzt werden, doch der Widerstand des Finanzministers und einer zunehmend unbeliebten FDP dürfte nicht ganz so vehement ausfallen wie bei der Einführung einer neuen Steuer. Juristische Hürden sind nicht zu befürchten, da die Schuldenbremse dieses Jahr immer noch ausgesetzt ist. Solange die »außergewöhnliche Notsituation« fortbesteht, ließe sich diese Aussetzung auch problemlos fortführen. In der Krise zur Sparsamkeit zurückzukehren empfiehlt hingegen nicht einmal der wirtschaftswissenschaftliche Mainstream.
Sollen lediglich die Spielräume genutzt werden, die das laufende Jahr noch bietet, kommt nur ein Entlastungspaket mit Einmal-Maßnahmen in Frage. Um trotzdem die gewünschte Wirkung zu erzielen, müsste es die derzeitige Inflationsrate mehr als ausgleichen, sodass kommende Kostensteigerungen bereits vorweggenommen werden. Dieser Ansatz wäre absolut angebracht, da nur so spürbare und angemessene Erleichterungen zustande kämen. Mehr als die Linderung der größten Not würde hiermit aber wohl nicht erreicht werden.
Wirkliche Verbesserungen für arbeitende Menschen werden durch Lindners falsche Sparsamkeit und sein Kuschen vor den Reichen blockiert. Bestenfalls wird die Ampel den ärmsten der Armen etwas aushelfen. An ernsthafter Umverteilung von oben nach unten hat sie nicht das geringste Interesse. Scholz ließ erst kürzlich durch einen Regierungssprecher verlauten, die Übergewinnsteuer sei für ihn derzeit kein Thema. Was noch alles passieren muss, bis eine Steuer auf Krisenprofiteure erhoben wird, ließ der Kanzler offen.
Lukas Scholle ist Volkswirt, Wissenschaftlicher Mitarbeiter für Finanzpolitik im Deutschen Bundestag und Kolumnist bei JACOBIN.