15. August 2022
Salman Rushdie wurde bei einem Attentat schwer verletzt, Jahrzehnte nachdem Reaktionäre seinen Tod forderten. Er verdient die uneingeschränkte Unterstützung aller, die die Freiheit der Kunst verteidigen.
Salman Rushdie auf der Frankfurter Buchmesse 2017.
Der Romanautor Salman Rushdie wurde am vergangenen Freitag bei einer Veranstaltung in New York schwer verletzt, als ein Mann auf die Bühne stürmte und ihm mehrere Messerstiche in Hals und Brust versetzte. Henry Reese, der Mitbegründer einer Organisation zur Unterstützung von im Exil lebenden und bedrohten Schriftstellern, wurde ebenfalls verletzt, allerdings weniger schwer.
Am frühen Samstag wurde Rushdie nach einer Operation an ein Beatmungsgerät angeschlossen. Das volle Ausmaß seiner Verletzungen ist derzeit noch unklar, aber sein Agent gab eine Erklärung ab, in der es hieß, der Zustand des Schriftstellers sei »nicht gut«. Ein Arzt, der am Ort des Geschehens war, bezeichnete die Wunden als »ernst, aber etwas, was man überleben könnte«.
Die Ermittler haben noch kein offizielles Motiv für den Angriff bekannt gegeben, aber NBC News berichtet, dass der 24-jährige Verdächtige in den sozialen Medien Beiträge veröffentlicht habe, die Unterstützung für das iranische Militär und Geheimdienste bekundeten. Mit der iranischen Regierung verbundene Institutionen haben seit langem ein Kopfgeld auf Rushdie ausgesetzt, nachdem ein religiöses Urteil seinen Tod gefordert hatte.
Als langjährigem Kritiker von Politikern in Pakistan und seinem Heimatland Indien sind Rushdie Gewaltandrohungen nicht fremd. Sein 1988 erschienener Roman Die satanischen Verse sorgte in weiten Teilen der muslimischen Welt für Aufruhr.
Der Roman, in dem Ausschnitte aus dem Leben des Propheten Mohammed nacherzählt werden, wurde in Dutzenden von Ländern verboten – die meisten, wenn auch nicht alle, mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit. In den folgenden Jahren kam es in Großbritannien und in der gesamten muslimischen Welt zu größeren Protesten und Bücherverbrennungen. Es folgten eine Hetzkampagne samt Drohungen und mittelschwerer Gewalttaten, einschließlich mehrerer erfolgreicher oder versuchter Bombenanschläge auf Buchhandlungen. Ein Trend, der in geringerem Ausmaß auch auf die USA übergriff.
Die folgenreichste Reaktion auf das Buch war jedoch die 1989 von Ayatollah Ruhollah Khomeini, dem damaligen religiösen Führer und Staatsoberhaupt des Iran, gegen Rushdie erlassene religiöse Verfügung (Fatwa). Khomeini forderte die Ermordung Rushdies, und die iranische Regierung unterstützte den Erlass, indem sie öffentlich ein Kopfgeld von mehreren Millionen Dollar auf ihn aussetzte. Einige andere islamische Gelehrte hielten es für falsch, Rushdie wegen der Veröffentlichung des Romans zu töten – oder waren zumindest dafür, dass er einen Prozess verdiene, bevor er hingerichtet werde –, doch der Autor war gezwungen, fast ein Jahrzehnt unterzutauchen, stets begleitet von bewaffneten Personenschützern.
Die Fatwa war keine leere Drohung. Während Rushdie nach ihrer Veröffentlichung zunächst körperlich unversehrt blieb, wurde Hitoshi Igarashi, der die Satanischen Verse ins Japanische übersetzt hatte, 1991 ermordet. Ettore Capriolo, der das Buch ins italienische übersetzt hatte, wurde im selben Jahr in seiner Wohnung erstochen. William Nygaard, der norwegische Verleger des Buchs, wurde 1993 erschossen. Alle drei Verbrechen wurden bis heute nicht aufgeklärt. Ebenfalls 1993 war Aziz Nesin, der türkische Übersetzer des Buchs, das Hauptziel eines Brandanschlags, bei dem 37 Menschen getötet wurden.
1998 erklärte die iranische Regierung in einem Versuch, die Beziehungen zu Großbritannien zu verbessern, dass sie die Ermordung von Rushdie nicht mehr unterstütze. Sie fügte jedoch hinzu, dass die Fatwa formal gesehen in Kraft bleibe, da nur der Religionsgelehrte, der ein solches Urteil erlasse, auch die Möglichkeit habe, es zu widerrufen – Khomeini war zu diesem Zeitpunkt aber längst tot. Organisationen, die der iranischen Regierung nahe stehen, zahlten jedoch noch bis 2016 in den Fonds für das Kopfgeld auf Rushdie ein.
Vor Freitag hatte Rushdie mehr als ein Jahrzehnt lang ein weitgehend normales Leben geführt, offenbar in dem Glauben, die Lage habe sich beruhigt. Doch schon vor der Messerattacke war er mit weitaus härteren Konsequenzen für seine Arbeit konfrontiert, als sie die meisten Künstlerinnen und Künstler je erfahren werden – vor allem mit den psychologischen Folgen der erzwungenen Isolation und der ständigen Bedrohung, aber auch mit den starken Einschränkungen, was Reisen in sein Heimatland betraf und nicht zuletzt mit dem Umstand, dass eine ganze Reihe seiner literarischen Kollegen ermordet oder schwer verletzt wurden.
Das Attentat vom Freitag ist eine Mahnung an uns alle, die Bestreben von Regierungen und Geistlichen abzulehnen, die diktieren wollen, was akzeptable Kunst darstellt und was nicht, insbesondere unter Androhung von Gewalt. Auch wenn der Fall Rushdie im Westen vielleicht am bekanntesten ist, sind die Inhaftierung, Schikanierung, Verbannung und sogar Ermordung von Schriftstellerinnen und Journalisten auf der ganzen Welt nach wie vor erschreckend verbreitet.
Wir sollten uns mit allen von ihnen solidarisch zeigen, genauso wie mit Salman Rushdie.
Ben Beckett ist Autor und lebt in Wien.
Ben Beckett ist Autor und lebt in Wien.