02. Juni 2021
Mehrere Unionspolitiker stehen unter Verdacht, in korrupte Geschäfte mit dem Alijew-Regime in Aserbaidschan verwickelt zu sein. Die Zusammenarbeit mit autoritären Regierungen ist in der CDU/CSU schon lange Tradition.
Ilham Alijew regiert Aserbaidschan seit 2003. Das Amt hat er von seinem Vater »geerbt«.
Nach Artikel 38 des Grundgesetzes sind Bundestagsabgeordnete weder an Aufträge noch an Weisungen gebunden und nur ihrem Gewissen verpflichtet. Die Aserbaidschan-Affäre, in der gleich mehrere CDU/CSU-Politiker unter Verdacht stehen, für das Regime in Baku lobbyiert zu haben, zeigt jedoch, dass dieses Gewissen durchaus käuflich ist – die Frage ist eher, wie viel eine ausländische Regierung hinblättern muss, um einen Abgeordneten an ihre Weisungen und Aufträge zu binden. Es ist unstrittig, dass mehrere zehntausend Euro an Politikerinnen und Politiker wie Karin Strenz, Axel Fischer oder Eduard Lintner flossen. Bis heute wurde keine einzige Anklage erhoben. Derzeit laufen gegen mehrere Unionspolitiker Ermittlungsverfahren seitens der Staatsanwaltschaft aufgrund des Verdachts der Bestechlichkeit und Bestechung von Mandatsträgern sowie der Geldwäsche.
Ein weiterer mutmaßlicher Skandal, der mit der aserbaidschanischen Regierung in Verbindung steht, ereignete sich kürzlich in Istanbul. Dort wurde am 4. Mai der aserbaidschanische Anarchist und Oppositionelle Bayram Mammadow tot aus dem Meer geborgen. Mammadow war einer der bekanntesten Kritiker des Alijew-Regimes, weshalb er nach Istanbul auswanderte. Zwei Tage nach seinem Tod hatte er eigentlich geplant, zu seiner Familie nach Baku zu reisen. Mammadow erlangte im Jahr 2016 Berühmtheit, als er und ein weiterer Genosse am Vorabend des Geburtstages von Heydar Alijew, dem Vater des heutigen Präsidenten, eine Statue von ihm mit einem Graffiti beschmierten: »Glückwunsch zum Sklaventag«. Für Mammadow folgte darauf eine Gefängnisstrafe. Man muss dazu wissen, dass die Alijews das Land wie eine Dynastie regieren und etliche Parks, Straßen und Gebäude nach ihnen benannt sind. Vermutungen, dass Mammadow aus politischen Gründen durch den Geheimdienst ermordet wurde, sind also durchaus angebracht. Dieser Fall und etliche weitere dieser Art lassen erahnen, wie das Regime in Baku mit der Opposition umgeht. Aber wie konnte es soweit kommen?
Nach turbulenten Jahren infolge der Unabhängigkeit von der Sowjetunion, die zwischen Armenien und Aserbaidschan zum Wiederaufflammen des Konfliktes um die nicht anerkannte Republik Arzach in der Region Bergkarabach führte, konnte sich der ehemalige hochrangige KP-Funktionär Heydar Alijew 1993 durchsetzen und das Land bis 2003 in eine Diktatur verwandeln. Das Präsidentenamt »vererbte« er seinem Sohn Ilham, der seither mit harter Hand regiert.
Ähnlich wie andere Länder mit großen Rohstoffvorkommen ist Aserbaidschan ein »Rentierstaat«: Die Wirtschaft basiert fast vollkommen auf dem Export der Rohstoffe und ist damit enorm vom Weltmarkt abhängig. Der staatliche Energiekonzern Socar wird selbstredend von den Alijews kontrolliert. Heydar Alijew baute den Konzern während seiner Zeit als Vizepräsident von 1994 bis 2003 auf und war einer der zentralen Akteure, die mit internationalen Konzernen wie British Petroleum (BP) lukrative Geschäfte abschlossen.
Ilham Alijew hat seit dem Tod seines Vaters 2003 alle Wahlen in den Jahren 2008, 2013 und 2018 mit um die 85 Prozent »gewonnen« – wobei die letzte »Wahl« dermaßen vorentschieden war, dass alle Oppositionsparteien die Wahlen boykottieren. Formell gibt es zwar ein Parlament und regelmäßige Wahlen, allerdings sind diese durch den Staatsapparat kontrolliert, sodass Alijews Partei »Neues Aserbaidschan« immer stärkste Kraft wird.
Das Land ist verfassungsrechtlich gesehen eine Präsidialdemokratie mit einer starken Machtkonzentration in der Exekutive: Der Präsident ist Staatsoberhaupt und Regierungschef zugleich und besitzt weitreichende Entscheidungskompetenzen in der Gesetzgebung. Das Parlament, das de iure für die Gesetzgebung zuständig ist, wird ebenfalls von Alijews Partei kontrolliert. Ferner sind im Parlament mit mehr als 30 Prozent »unabhängige« Abgeordnete zahlenstark vertreten – sie alle unterstützen Alijews Partei. Die kleineren, formell der Opposition angehörenden Parteien mögen mit Alijew kleine Meinungsverschiedenheiten haben. Doch während des letzten Krieges unterstützen auch sie ihn geradezu frenetisch. Aserbaidschan erinnert eher an eine Monarchie denn an eine Demokratie: 2017 übernahm seine Ehefrau Mehriban Alijewa das eigens für sie geschaffene Amt der Vizepräsidentin. Seine Kinder Leyla, Arzu und Heydar werden bereits als Nachfolger gehandelt.
Alijew selbst diente zwar nie beim Militär und verbrachte den ersten Arzach-Krieg im sicheren Moskau, doch er baute in Aserbaidschan ein System auf, dass auf einem tiefen anti-armenischen Rassismus fußt. In der Vergangenheit erhob er immer wieder Anspruch auf armenisches Territorium und bezeichnete die armenische Hauptstadt Jerewan als »historisches aserbaidschanisches Land, in das man zurückkehren« müsse. Es sollte nicht bei einer Drohung bleiben. Am 27. September 2020 startete er gemeinsam mit dem türkischen Präsidenten Reçep Tayyip Erdogan einen Angriff auf Arzach.
Über 15.000 getötete oder vermisste Soldatinnen und Soldaten auf beiden Seiten sind nicht das einzige Ergebnis dieses Krieges. Auch eine ethnische Säuberung und Vertreibung von 40.000 Armenierinnen und Armeniern aus ihrem historischen Heimatland war die Folge. Während sein Vater die Rivalität zu Armenien noch auf das Motiv der Rache stützte, konnte sich nun der Sohn in militärischer Uniform als Sieger des Konfliktes präsentieren. Die Kriegsverbrechen seiner Soldaten – dazu zählen auch öffentlich gefilmte Enthauptungen von selbst alten und wehrlosen Zivilisten – schrecken ihn nicht ab. Vielmehr hat Alijew diese Verbrechen selbst angestachelt. Schon in der Vergangenheit feierte er verurteilte Mörder als Helden.
Trotz dieser öffentlich zur Schau gestellten Brutalität blieb es während des Krieges auf der politischen Bühne merkwürdig still: Selbst als Erdogan öffentlich auf den Genozid von vor 106 Jahren anspielte und damit drohte, die »Mission der Großväter im Kaukasus fortzusetzen«, verurteilte kaum einer den panturkistischen Feldzug gegen die Armenierinnen und Armenier. Besonders in Deutschland herrschte seitens der Regierung während des Krieges ein ohrenbetäubendes Schweigen.
Über die enge deutsche-türkische Waffenbrüderschaft ist hierzulande viel geschrieben worden, aber über die Beziehungen zum Land am Kaspischen Meer finden sich bislang wenig Analysen. Aserbaidschan ist der wichtigste Handelspartner für Deutschland im Südkaukasus, weil es über enorme Öl- und Gasreserven verfügt. Über die Baku-Ceyhan-Pipeline kommen diese Rohstoffe über Georgien und die Türkei auf den europäischen Markt. Deutschland will sich dadurch eine von Russland unabhängige Energieversorgung sichern. Aserbaidschan ist damit zwischen Russland und dem Iran für Deutschland das »Filetstück«, wie es der ehemalige Bundestagsabgeordnete und Kohl-Vertraute Otto Hauser einmal formulierte.
Hauser, der Alijew nach dem Krieg einen »großen Führer« nannte, ist zweifellos einer der prominentesten Akteure der sogenannten Aserbaidschan-Connection. Er gehört noch zur alten Garde um die mittlerweile unter mysteriösen Umständen verstorbene Karin Strenz, die derart offen für Baku lobbyierte, dass sie beim Europarat sogar Hausverbot bekam. Strenz sorgte im Hintergrund dafür, dass keine Resolutionen gegen Aserbaidschan verabschiedet wurden, die den Mangel an Demokratie und Rechtsstaatlichkeit im Land belangt hätten. Auch wenn ihr, wie bereits erwähnt, im Jahr 2018 für den Europarat ein lebenslanges Hausverbot erteilt wurde, blieb sie bis zu ihrem Tod Abgeordnete des deutschen Bundestages. Dieser verhängte lediglich eine Geldbuße von 20.000 Euro.
Zur neuen Generationen korrupter Abgeordneter der CDU gehören Axel Fischer, Thomas Bareiß, Mark Hauptmann und Olav Gutting. Von diesen vier Politikern ist nur Mark Hauptmann zurückgetreten – und das eher aufgrund seiner gleichzeitigen Verwicklungen in die Masken-Affäre. Alle anderen sind weiterhin Mitglieder des Bundestages und es sieht bislang nicht danach aus, als würden in Zukunft Konsequenzen drohen. Im Falle Axel Fischers hob der Bundestag lediglich seine Immunität aufgrund des Verdachts der Bestechlichkeit auf, da Fischer schon 2013 vorgeworfen wurde, gemeinsam mit dem mittlerweile verurteilten und inhaftierten EVP-Politiker Luca Volonté Anträge zugunsten Aserbaidschans durchzubringen.
Axel Fischer gehört auch zu denjenigen Unionspolitikern, die Aserbaidschan als »lupenreine« Demokratie darstellen. So beschrieb Fischer die manipulierten Wahlen etwa als »frei, fair und transparent«. Auch sein Parteikollege Olav Gutting, der für die CDU im Bundestag sitzt, spricht von einer »langen demokratischen Historie«. Er lobt das Land dafür, dass es »seit über 100 Jahren Demokratie und Parlament« habe und preist ferner die Religionsfreiheit an. Zur Erinnerung: Aserbaidschan war von 1918 bis 1920 unabhängig und dann über 70 Jahre lang eine Sowjetrepublik. Seit der zweiten Unabhängigkeit wird es vom Alijew-Clan beherrscht.
Doch CDU-Politiker erzählen bei dubiosen Fernsehsendern nicht ohne Grund derartigen geschichtsvergessenen Unsinn. Zum einen lassen sie sich bestechen, um sich persönlich zu bereichern. Das Geschäft lohnt sich und Aserbaidschan ist ein fernes Land, für das sich die deutsche Öffentlichkeit kaum interessiert. Zum anderen sind diese Verwicklungen für jene Abgeordnete lohnend, die bei außenpolitischen Fragestellungen Einfluss ausüben wollen, etwa wenn es darum geht, sich in der Energieversorgung unabhängiger von Russland zu machen.
Für die Staatspropaganda ist das Thema der Religionsfreiheit zentral, damit sich Aserbaidschan als offenes und tolerantes Land darstellen kann. Der Realität entspricht das jedoch kaum. Sämtliche armenische Kirchen wurden entweder zerstört oder verfälscht, indem die armenischen Inschriften der Kirchen beseitigt wurden. Auch das jüdische Leben steht in Aserbaidschan unter Beschuss. Zwar präsentiert sich das Regime diesbezüglich gerne als besonders tolerant, weil es sehr enge wirtschaftliche und militärische Beziehungen zu Israel aufrechterhält. Doch seit der Unabhängigkeit verließen fast 70 Prozent der ehemals rund 30.000 Jüdinnen und Juden das Land, weil dort – analog zur panturkistisch angelehnten Doktrin des »Bruderstaates« Türkei – alle Staatsbürger per se als aserbaidschanisch gelten. Aufgrund dieser Praxis wurde dem Staat wiederholt Ethnozentrismus vorgeworfen. Auch die nationale Minderheit der Talyschen ist aufgrund dessen Repressionen ausgesetzt, obwohl auch sie wie die Mehrheit der aserbaidschanischen Bevölkerung (über 95 Prozent) schiitisch ist.
Aserbaidschan ist besonders seit dem letzten Besatzungskrieg um die von Armenierinnen und Armeniern bewohnte Region Arzach sehr eng mit der Türkei verbündet. Auch türkische Soldaten und Anhänger der faschistischen Grauen Wölfe kämpften in diesem Krieg auf der Seite Aserbaidschans. Als am 10. Dezember 2020 aufgrund des Sieges im Arzach-Krieg eine Militärparade veranstaltet wurde, liefen dort nicht nur türkische Soldaten mit – Reçep Tayyip Erdogan höchstpersönlich stand neben Alijew auf der Bühne und hielt eine Rede, in der er den Völkermörder Enver Pascha selig pries. Mit dem Sieg, der aus dieser Allianz hervorging, ist die historische Schmach des Landes – die Niederlage im ersten Krieg – getilgt. Alijew ist seitdem äußerst populär.
Die Aserbaidschan-Affäre zeigt vor allem eins: Abgeordnete der CDU/CSU lassen sich von einer Diktatur kaufen und fernsteuern. Die Unverfrorenheit, mit der die deutschen Unionspolitiker agierten und weiterhin agieren, zeigt, dass sie wenig bis gar keine Konsequenzen zu fürchten haben. Obwohl unter ihnen auch mehrere Juristen sind und sich die Union gerne als Partei von »Recht und Ordnung« inszeniert, interessieren sich diese Politikerinnen weder für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit noch für Menschenrechte. Alle genannten Politiker verfügen weder über relevantes Wissen über die Region, noch glauben sie wirklich an das, was sie sagen (und wenn sie das doch tun sollten, entblößt das eine besorgniserregende Naivität). Aserbaidschan ist eine Diktatur und der Diktator Alijew hat Blut an den Händen: Nicht nur das Blut der Armenierinnen und Armenier, sondern auch der eigenen Oppositionellen, wie das traurige Beispiel Mammadow zeigt.
Es ist nicht das erste Mal, dass Politiker der Union für ein solches Regime arbeiten. Vielmehr reiht sich dieses jüngste Beispiel ein in eine lange Geschichte der Unterstützung reaktionärer Regime durch die CDU von Pinochet bis Alijew. Es ist einmal mehr der Beweis, dass der deutsche Imperialismus bereit ist, mit jedem rechtsextremen Regime der Welt zusammenzuarbeiten, solange die Geschäfte laufen. Denn unabhängig davon, wie die aktuellen Ermittlungenen im Zuge der Aserbaidschan-Affäre ausgehen werden, zeigen auch die noch tiefer gehenden Beziehungen zum Erdogan-Regime, dass die deutsche Bundesregierung keinerlei Probleme darin sieht, mit Diktaturen zusammenzuarbeiten.
Hovhannes Gevorkian ist Jurist und lebt in Berlin. Er ist aktiv im Bündnis United Against Turkish Fascism.
Hovhannes Gevorkian ist Jurist und lebt in Berlin. Er ist aktiv im Bündnis United Against Turkish Fascism.