21. März 2023
Rechte spielen sich gerne als »Beschützer« von Frauen und Kindern auf. Die Reaktion auf die erschütternde Tötung einer 12-Jährigen in Freudenberg hat einmal wieder gezeigt, dass es ihnen vor allem darum geht, Gewalttaten für ihre Zwecke auszuschlachten.
Polizeieinsatz in Freudenberg, 12. März 2023.
IMAGO / Rene TrautIm siegerländischen Freudenberg wurde am 12. März die Leiche einer kurz zuvor verschwunden gemeldeten Zwölfjährigen gefunden. Das Mädchen war Opfer einer Gewalttat geworden. Im Zuge der polizeilichen Verhöre stellte sich schnell heraus, dass die Tat von zwei Mitschülerinnen im Alter von zwölf und dreizehn Jahren begangen worden ist.
Die Meldung dieser schrecklichen Gewalttat würde in einer vernünftigen Gesellschaft, in der Maßstäbe des Anstands und der Mitmenschlichkeit gelten, nicht politisch sein. Die Trauer um die Getötete, das Mitleid mit den Eltern, Geschwistern, Verwandten sowie Freundinnen und Freunden der Toten, ihre psychosoziale Betreuung, aber auch die psychologische Betreuung der Täterinnen und die Ergründung, wie es zu dieser fürchterlichen Tragödie kommen konnte, würden im Fokus stehen. Das wäre auch deshalb entscheidend, damit die Familie und das Umfeld des Opfers nicht mit zermarternden Fragen zurückgelassen werden, auf die es keine befriedigenden Antworten gibt, die aber Trauerarbeit überhaupt erst ermöglichen.
Doch wir leben längst in keiner normalen Gesellschaft mehr. Unmenschliches ist zur Normalität geworden. Es gibt politische Kräfte, die Gewalttaten wie diese für die Verbreitung ihrer Kernbotschaften instrumentalisieren. Es geht am Ende des Tages um das Phänomen des rechten Autoritarismus und wie er funktioniert. Und weil es dieses politische Phänomen gibt, muss man sich neben der gebotenen, im Stillen empfundenen Empathie für die Angehörigen und das Opfer auch damit auseinandersetzen.
Die Flexibilität von rechtem Autoritarismus und Ressentiment zeigt sich daran, wie das AfD-Milieu auf Twitter bei der fürchterlichen Meldung der Tötung eines zwölfjährigen Mädchens aus Freudenberg ohne Migrationshintergrund zunächst auf einen Sexualstraftäter mit Migrationshintergrund hoffte, um mit der Geschichte das eigene rassistisch motivierte, einwanderungsfeindliche Süppchen kochen zu können. Nachdem bekannt wurde, dass es sich um »biodeutsche« Täterinnen handelte, wurde dann im maskulinistischen Gestus, der patriarchale Unterdrückung, sexualisierte Gewalt und Femizide relativiert, sichtlich darüber frohlockt, dass es ja nicht nur Mörder, sondern eben auch »Mörderinnen« gibt. Und weil die schreckliche Tat von in etwa gleichaltrigen Mitschülerinnen begangen worden ist, wurden dann autoritäre Bestrafungssehnsüchte beschworen und das vermeintlich zu liberale Strafrecht gegeißelt, das für Kinder unter 14 noch keine »Strafmündigkeit« vorsieht.
Diese systematische Instrumentalisierung von grausamen Mordfällen, die mithilfe einschlägiger, von zumeist männlichen rechten Aktivisten in die Twitter-Trends gehievten Hashtags (»Täterinnen«, »Mörderinnen«, »Strafmündigkeit«, Namen der Opfer, Tatorte usw.) funktioniert, ist natürlich sehr leicht zu durchschauen. Rechte suchen sich aus den vielen gleichzeitigen Lokalmeldungen selbstredend immer ausschließlich diejenigen Straftaten heraus, die sich für rechte Demagogie und die Mobilisierung von rassistischen, sexistischen oder klassistischen Ressentiments eignen. Nur sie werden entsprechend skandalisiert, bis dann – viel zu oft – die großen öffentlich-rechtlichen und privaten Medien glauben, mit eigener Berichterstattung auf die Vorwürfe der »verheimlichten Wahrheit« reagieren zu müssen und damit der rechten Strategie auf den Leim gehen und ihre Propaganda letztlich weiterverbreiten.
Die rechten Aktivisten täuschen dabei stets Empathie und Betroffenheit vor. Aber die reflexhaften Reaktionen auf gemeldete Straftaten offenbaren, dass dahinter rein instrumentelle Berechnung und emotionale Eiseskälte stecken. Es geht ihnen ja gerade nicht um die Opfer. Die sind austauschbar. Es geht vielmehr um die auf ihre Herkunftsmerkmale reduzierten Täter, gegen deren gesamte rassistisch stereotypisierte Herkunftsgruppen die rechten Aktivisten eine Pogromstimmung vorzubereiten trachten.
Zugleich offenbart die Reaktion auf Gewalttaten, die sich gegen Frauen, Kinder und vor allem Mädchen richtet, die patriarchale Gesinnung der rechten Aktivisten. Der Gestus ritterlichen Beschützertums verhehlt kaum die innere Haltung, dass hier Männer »ihr Eigentum« an Frauen und Kinder gegen die »Invasoren« verteidigen.
Das Alles ist so durchschaubar wie menschlich widerlich. Bedrückend ist, dass rechte Aktivisten mit diesen Meldungen zwischenmenschlicher Tragödien und Kriminalfälle zugleich Millionen Menschen beeinflussen, die aus ehrlicher Erschütterung über diese Gewalttaten, Voyeurismus oder der Verarbeitung eigener Ängste den Nachrichten, einschlägigen Internetforen und Twitter-Debatten darüber folgen. Denn da Linke jenseits von politisch motivierten Gewalttaten und rechtem Terrorismus gemeinhin den Anstand haben, menschliche Tragödien und Gewalttaten nicht politisch zu instrumentalisieren, überlässt man Menschen ohne geschlossen rechtes Weltbild letztendlich den rechten Menschenfängern.
Ingar Solty ist Referent für Außen-, Friedens- und Sicherheitspolitik am Institut für Gesellschaftsanalyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung.