23. Juni 2021
Sie war eine unerschrockene Widerstandskämpferin und eine Genossin Antonio Gramscis: Camilla Ravera führte die Kommunistische Partei Italiens durch die dunkelsten Jahre unter der faschistischen Tyrannei.
Gramsci setzte sich dafür ein, dass Ravera eine führende Rolle in der neu gegründeten Kommunistischen Partei einnehmen würde.
Es ist der Mittag des 10. Juli 1930 am Lago Maggiore an der Grenze zwischen der Schweiz und dem faschistischen Italien. Zwei Frauen steigen aus einem Ruderboot und werden am Ufer von einem Mann in Empfang genommen. Die drei sind unterwegs zu einem geheimen und monatelang geplanten Treffen mit anderen Widerstandskämpferinnen und -kämpfern. Das Treffen wird nie stattfinden, denn ein Spion hat Mussolinis Polizei benachrichtigt. Die drei werden verhaftet und in Zellen gesperrt.
»Mein Name ist Camilla Ravera«, erklärt eine der beiden Frauen dem Polizisten. Nach einer achtjährigen Jahren Suche nimmt das Regime Ravera, die Generalsekretärin der Kommunistischen Partei Italiens (Partito Comunista d’Italia, kurz: PCd’I), fest. Acht Jahre lang hatte sie unter falschen Namen gelebt. Sie war untergetaucht, nachdem die Faschisten ihr ein Lehrverbot erteilt hatten. In diesen Jahren war sie mal »Silvia«, mal »Micheli« und wurde zu einem Geist ihrer selbst. Sie verschleierte ihre Identität so effektiv, dass die Polizei sich sicher war, der berühmte »Micheli« müsse ein Mann sein.
Wegen ihrer strengen Gesichtszüge und ihrer zierlichen Erscheinung wurde die 40-jährige Ravera oft maestrina (»die kleine Lehrerin«) genannt. Dieser verniedlichende Spitzname wird ihrer Person jedoch nicht gerecht, denn hinter dem harmlosen Äußeren und der schwachen Stimme verbarg sich ein unbeugsamer Charakter. Diese Frau hatte es sich zur Aufgabe gemacht, die Kommunistische Partei im Angesicht ständiger Attacken der faschistischen Polizei zusammenzuhalten. Die Partei wäre untergegangen, hätte ihre Führung nicht solch außerordentliche Hartnäckigkeit an den Tag gelegt: Palmiro Togliatti, Umberto Terracini, Alfonso Leonetti, Felice Platone und Camilla Ravera, die 1927 zur segretaria, der höchsten Position in der PCd’I, ernannt wurde.
Ravera hatte bereits im Jahr zuvor ihr Organisationstalent unter Beweis stellen können, als die Partei verboten und Antonio Gramsci verhaftet worden war. In dieser Zeit schien die PCd’I in einer verzweifelten Lage zu sein – so verzweifelt, dass der rechte Flügel der Partei unter der Führung von Angelo Tasca sogar vorschlug, die Partei aufzulösen und den im Untergrund Kämpfenden zu raten, sich in ihr Privatleben zurückzuziehen. Diese »liquidationistische« Tendenz traf jedoch auf den sofortigen Widerstand Raveras.
Statt dem Vorschlag zu folgen, begann sie, den Kontakt zwischen der Führung und den Parteimitgliedern, den das faschistische Regime unterbunden hatte, wiederherzustellen. Für dieses Unterfangen nutzte sie ihre »Flamingos«. Das waren unbekannte Kämpferinnen und Kämpfer, die von der Polizei nicht verdächtigt wurden und die Dokumente und Nachrichten durch die verschiedenen Regionen Italiens transportierten. Zur gleichen Zeit verlegte Ravera den Hauptsitz der Partei in ein kleines Landhaus außerhalb Genuas, wo sie die verschiedenen Parteiabteilungen und Arbeitsgruppen um das Sekretariat wiederaufbaute. In diesem Haus gingen untergetauchte Kommunistinnen und Kommunisten ein und aus. Der Schriftsteller Ignazio Silone nannte es später »das Hotel der Armen«.
Dies war eine entscheidende Phase in der Geschichte der Kommunistischen Partei. Dank Raveras Einsatz im Untergrund überlebte die PCd’I die harten Repressionen gegen die Bewegung der Arbeitenden in der Konsolidierungsphase von Mussolinis Regime. Erst später, als die Partei eine führende Rolle im Aufbau des antifaschistischen Widerstands von 1943 bis 1945 übernahm, wurde der Wert der organisatorischen Kontinuität sowie der Hartnäckigkeit der Parteiführung erkannt.
Diese Arbeit war zweifelsohne sehr kräftezehrend. Ravera war ständig auf Reisen, um das enge Beziehungsnetz, welches die Partei zusammenhielt, aufzubauen. Dazu musste sie die Verbreitung der geheimen Presse sichern, geheime Versammlungen in ganz Italien besuchen und nach Paris reisen, um dort Führungspersonen im Exil zu treffen. Sie nahm 1928 sogar am 6. Kongress der Komintern in Moskau teil. Dort wurden ihr der Umzug in die sowjetische Hauptstadt und eine Stelle im Sekretariat der Sozialistischen Internationale der Frauen (SIW) angeboten. Doch Ravera schlug dieses Angebot, aus, um dem faschistischen Regime Widerstand zu leisten.
Nach ihrer Rückkehr aus der Sowjetunion wurde deutlich, wie gefährlich es war, im Untergrund zu wirken: Nachdem ein Informant der Polizei den Standort der geheimen Basis der PCd’I verraten hatte, war Ravera dazu gezwungen, den Stützpunkt hinter die Grenze in die Schweiz zu verlegen. Der Aufenthalt in der Schweiz sollte jedoch nur von kurzer Dauer sein, da Ravera überzeugt war, dass die Partei alle Gelegenheiten nutzen müsse, um in Italien selbst zu agieren. Sie kehrte deshalb bereits im Mai 1930 nach Italien zurück. Zwei Monate später wurde sie am Lago Maggiore verhaftet.
Die nächsten fünfzehn Jahre verbrachte sie in Gefangenschaft. Bis zum Ende des Faschismus in Italien wurde sie von Gefängnis zu Gefängnis verlegt und lebte unter entwürdigenden Bedingungen. Der Tiefpunkt in dieser ohnehin schrecklichen Zeit war ein tragischer Bruch mit ihren Genossinnen und Genossen im August 1939. Sie wurde aus der Partei ausgeschlossen und in Ventotene in confino (das innere Exil) geschickt, weil sie sich mit anderen inhaftierten Kommunistinnen und Kommunisten über den Deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt überworfen hatte. Dieser Ausschluss war der schwerste Schlag für Ravera. Von dieser Erniedrigung erholte sie sich erst, als sie 1945 wieder in die Reihen der Partei aufgenommen wurde.
Ihre Rückkehr in die Partei wurde von der Journalistin Miriam Mafai dokumentiert. Mafai beschreibt, wie Togliatti – zu dieser Zeit der Generalsekretär der Partei und ihr unumstrittener Anführer – in der Parteizentrale in Turin eintraf. Umgeben von Genossinnen und Partisanen, die den Untergang des Faschismus feierten, soll er sich umgesehen und gefragt haben: »Und wo ist Ravera?« Peinlich berührt habe ihm jemand geantwortet, dass sie nicht da sei und auch nicht da sein könne, weil sie kein Parteimitglied mehr sei. »Das muss ein Scherz sein … Bringt Ravera sofort hierher und lasst uns diese Torheit vergessen«, soll Togliatti daraufhin geantwortet haben.
»Für uns war es ein berührendes Wiedersehen. Wir umarmten uns schweigend. Wir hatten uns über dreizehn Jahre nicht mehr gesehen«, erinnerte sich Ravera. Sie wurde ohne große Diskussionen sofort rehabilitiert und aufgefordert, in das Zentralkomitee der Partei zurückzukehren. Im Jahr 1948 wurde sie ins Parlament gewählt.
Blicken wir noch einmal zurück. Die revolutionäre Haltung von Camilla Ravera gründete auf einer Gesinnung, die ihre ganze Familie prägte. Wie viele aus ihrer Generation wurde sie durch die tragischen Auswirkungen des Ersten Weltkrieges politisiert. Einer ihrer Brüder, Giuseppe, fiel an der Front und ein zweiter, Francesco, starb an einer Gasvergiftung. 1918 wurde dann ein weiterer Bruder, Cesare, eingezogen und in die Schützengräben geschickt. Er war Mitglied in der Sozialistischen Partei Italiens und bat Camilla, seine monatlichen Mitgliedsbeiträge zur Unterstützung der Partei in das Turiner Büro zu bringen. Durch diese Botendienste kam sie in Kontakt mit Sozialistinnen und Sozialisten. Bald trat sie selbst der Partei bei und begann, ihrem sozialistischen Aktivismus immer mehr Zeit zu widmen.
In einer Ära, in der es für Frauen beinahe unmöglich war, sich aktiv am politischen und sozialen Leben zu beteiligen, schaffte Ravera ihren Durchbruch trotz dieser Hindernisse. Sie wurde bald zu einer wichtigen Figur in Turin, welches zu Zeiten von L’Ordine Nuovo – der Wochenzeitung, die vom jungen Antonio Gramsci während der Fabrikbesetzungen nach dem Ersten Weltkrieg und dem Aufstieg des Faschismus gegründet worden war – eine Keimzelle der theoretischen und praktischen politischen Arbeit war. Aufgrund ihrer schüchternen Art fiel Camilla der Aufstieg nicht leicht. Sie erinnerte sich, dass sie sich lange nicht traute, vor Menschen zu reden. So sprach sie das erste Mal bei einer Demonstration, weil ein Genosse gelogen und der Menge verkündet hatte: »Genossin Ravera bittet um das Wort.«
Raveras politischer Weg hatte seinen Ursprung in ihrem Familienleben. In mehreren späteren Schriften beschreibt Ravera ein Ereignis in ihrer Kindheit als ihre politische »Taufe«. Im Alter von acht Jahren spazierte sie mit ihrer Mutter durch die Straßen einer Stadt im Piemont, als vor ihnen plötzlich eine beeindruckende Menge von Frauen erschien, die hinter einem Mann mit einer großen roten Fahne marschierte. Es war ein Protestmarsch von streikenden Arbeiterinnen und die lauten Rufe und Parolen verängstigten die kleine Camilla:
»Als meine Mutter merkte, dass ich Angst hatte, erzählte sie mir, dass diese Frauen Gold-Poliererinnen seien, die protestierten weil sie selbst bei einem Zwölf-Stunden-Arbeitstag nicht genug Geld zum Überleben verdienten und weil ihre Hände von der Säure verätzt wurden, mit der sie das Gold polierten. Sie sagte mir, dass ich mich vor Streikenden nicht fürchten müsse, und dass ich ihnen noch häufig begegnen würde. Ich fragte, wohin sie denn gingen und warum dieser Mann sie anführte. Sie antwortete, dass sie zwar nicht wisse, wohin sie gingen, aber dass der Mann mit der roten Fahne Filippo Turati, Gründer der Sozialistischen Partei Italiens, sei.«
Diese »messianische« Begegnung mit Turati und den Streikenden war in Raveras Erinnerung der Beginn ihrer politischen Laufbahn. Ihr Leben war für sie geprägt durch den starken Wunsch »immer inmitten der Arbeiterklasse zu sein« und niemals den direkten Draht zu politischen Bewegungen zu verlieren. Ravera bestand darauf, dass es genau dieser Herzenswunsch gewesen sei, der sie in den folgenden Jahrzehnten auf ihren ersten Berufsweg, den der Lehrerin, brachte.
Bald schon nachdem sie zum Unterrichten nach Turin gezogen war, erregten Camillas Schriften die Aufmerksamkeit von Antonio Gramsci, der entscheidend dazu beitrug, sie in eine Führungsposition in der neugegründeten Kommunistischen Partei zu bringen. Er gab ihr zuerst die Verantwortung für La Tribuna delle donne (einer Sparte in L’Ordine Nuovo von und für Frauen). Danach wurde sie im Juli 1921 von ihm gebeten, Teil der Redaktion der Zeitung zu werden. Dieser Moment taucht in Raveras Schriften immer wieder auf, wie ein Orden, der an ihre stolze Brust geheftet wurde:
»Gramsci und ich unterhielten uns eine Weile und gegen Ende unseres Gespräches, während dem er mich mit lei [›Sie‹, statt tu, ›Du‹] angesprochen hatte, teilte er mir seinen Wunsch mit, dass ich mich an der Arbeit der Redaktion beteiligen solle. Schüchtern wie ich war, brachte ich triviale Gründe auf, wegen derer ich das Angebot nicht annehmen könne. Familie, Schule und meine Unerfahrenheit waren meine Ausreden; aber nachdem er sich meinen Unsinn geduldig angehört hatte, sagte er nur: ›Ich bitte Sie hiermit offiziell, Teil der Redaktion von l’Ordine Nuovo zu werden.‹«
Eine solche Bitte von Antonio Gramsci konnte man nicht ablehnen. Als Ravera seiner Bitte nachkam, wusste sie, dass die Redaktionsarbeit sie vom Unterrichten abbringen würde, und dass dies eine allumfassende Lebensentscheidung war, die sie zu einer Widerstandskämpferin machen würde.
Gramsci hatte sie nicht nur wegen ihrer »Hingabe« ausgewählt, sondern vor allem wegen ihres Temperaments, ihrer Organisationsfähigkeit und wegen ihrer Kompetenz – Charakterzüge, die sie beide teilten. Ravera und Gramsci besaßen die seltene Gabe des Zuhörens. Und beide hatten den aufrichtigen Wunsch, die Stimmungen und Wünsche der arbeitenden Klasse zu verstehen. Sie waren entschlossen, den Arbeitskämpfen einen organisierten Rahmen zu geben – einen Rahmen, der nicht auf den persönlichen Prioritäten Intellektueller basierte, sondern auf dem Willen und den Fähigkeiten der Arbeitenden, sich selbst zu befreien.
Von diesem Moment an nahm Ravera immer wichtiger werdender Positionen ein, teils mit internationaler Verantwortung, wie etwa ihre Entsendung zum Vierten Kongress der Kommunistischen Internationale 1922 als Delegierte der PCd’I. Während dieser vielen Reisen ins Ausland lernte Ravera einige der wichtigsten Figuren in der internationalen Arbeiterbewegung kennen.
Sie traf die frühe Feministin Clara Zetkin, den Bulgarischen Abgeordneten der Komintern Christo Kabaktschiew, der nach Gründung der PCd’I eine Tischrede auf die »Italienischen Bolschewiken« gehalten hatte, den »stets ruhigen und höflichen« Stalin sowie Lenin. Ravera erinnerte sich nicht nur an die Vorlesungen, die letzterer an der Parteischule gehalten hatte, sondern auch an seine bissigen Kommentare zur Emanzipation der Frauen: »›Was die Frauen-Frage betrifft‹, sagte mir Lenin, ›müssen Sie einen Kommunisten nur mal kratzen, um auch dort einen Reaktionär zu finden.‹«
Eine Anekdote aus ihrer Zeit als Redaktionsmitglied bei der der legendären L’Ordine Nuovo ist sehr aufschlussreich in Bezug auf den Umgang mit Geschlechterfragen in dieser Zeit. Kurz bevor Mussolinis Faschisten die Regierung übernahmen, verstärkten die Schwarzhemden ihre Attacken auf Gewerkschaftshäuser und die Arbeiterparteien. Auch bei L’Ordine Nuovo fürchtete man einen bewaffneten Überfall. Eines Tages kam ein Kollege auf Ravera zu und sagte:
»›Gramsci denkt, es wäre vielleicht am besten, wenn du nach Hause gehst.‹
›Warum‹, erwiderte ich, ›ist meinen Eltern etwas zugestoßen?‹
›Nein, aber es heißt, die Faschisten seien schon im Anmarsch. Es ist besser, wenn wir dich in sicherer Entfernung unterbringen. Wer weiß was hier noch passiert.‹
›Du gehst also auch?‹, fragte ich.
›Nein, ich muss bleiben.‹
›Entschuldige, aber warum sollte ich dann gehen? Ich fürchte, ich kann dir nicht folgen. Geh zu Gramsci und sag ihm, dass du eine Erklärung brauchst.‹
Nach einer Weile erschien Gramsci, sichtlich verlegen, und sagte: ›Ich verstehe dich. Bleib hier. Wir haben uns geirrt.‹«
Ravera übernahm als Kommunistin in einer von Männern dominierten Partei nicht nur eine Vorbildfunktion, auch in ihrer politischen Arbeit fokussierte sie sich auf Geschlechterfragen. Sie sah sich nicht als »Feministin«, sondern als »aufmerksame Beobachterin der Lebensbedingungen von Frauen«. Da sie mit aller Kraft gegen Diskriminierung in der Gesellschaft kämpfte, war es unvermeidlich, dass ihr Weg sie auch zur besonderen Lage der Frauen führen würde. Den Kampf für Frauenrechte führte sie in La Tribuna delle donne, wo sie versuchte, den Anliegen der Frauen eine Stimme zu geben.
Trotz großer Entschlossenheit hatte Ravera Schwierigkeiten dabei, ihre Genossinnen zum Schreiben zu bewegen. Diese sprachen zwar gerne über politische Themen, fühlten sich aber von der Publikation und der Presse eingeschüchtert – diese Sphäre schien für sie außerhalb ihres Erfahrungshorizontes zu liegen. Angesichts dieser Hindernisse stellten sich Ravera und Gramsci die Frage, wie man eine Frauenbewegung auf die Beine stellen könnte, die zwar eng an Arbeitskämpfe gekoppelt sein würde, aber nicht nur aus Kommunistinnen bestünde, »sondern aus Frauen, die nicht gefragt werden, welcher Partei oder Religion sie sich zugehörig fühlen und sogar aus Frauen ohne Intentionen, sich in einer Partei zu organisieren – also aus Frauen mit Problemen, die über Partei- und Klassengrenzen hinweg geteilten werden.«
Die Versuche, eine Frauenbewegung zu organisieren, wurden sogar in den frühen Jahren von Mussolinis Herrschaft fortgesetzt. 1924 wurde Ravera die Leitung der zweiwöchentlich erscheinenden La compagna (»Die Genossin«) anvertraut. Teil der Wahrheit ist aber auch, dass die Priorität in der Kommunistischen Partei nach dem Marsch der Faschisten auf Rom Ende 1922 nicht der offene Kampf, sondern das Überleben war. In einer politischen Situation, die sich rasend schnell in Richtung einer Diktatur bewegte, verengten sich die Möglichkeiten für die Forderungen der Frauen bis sie schließlich gar keinen Raum mehr in der Politik fanden.
Erst nach dem Zweiten Weltkrieg konnte Ravera ihre Arbeit zur Frauenfrage fortsetzen. Als Abgeordnete im italienischen Parlament setzte sie ihre Unterschrift unter unzählige Gesetze, häufig mit Fokus auf den Mutterschutz und die gleiche Bezahlung von Frauen und Männern. Die frühen Nachkriegsjahre sollten Raveras letzte Zeit als politisch aktive Figur werden, bevor sie sich 1958 in ihr Privatleben zurückzog. Allerdings kehrte sie später noch einmal auf die nationale politische Bühne zurück, als sie der frühere Widerstandskämpfer Sandro Pertini – nun Italiens erster sozialistischer Präsident – im Jahr 1982 als erste Frau zur Senatorin auf Lebenszeit ernannte. Dies war jedoch keine wirklich überraschende Wahl. Der Christdemokrat Giulio Andreotti kommentierte diese Entscheidung im Parlament mit folgenden Worten:
»Der ausschlaggebende Faktor in Pertinis Wahl war die unnachgiebige Opposition gegen die Diktatur. Denen, die einen berühmten Bankier als Senator auf Lebenszeit vorschlugen, antwortete Pertini: ›Er war nicht bei mir, als wir gegen den Faschismus kämpften.‹ Also wählte er Camilla Ravera.«
Und in der Tat war Ravera immer eine Kämpferin gegen den Faschismus. Sie war die Frau, die die Kommunistische Partei durch ihre dunkelste Stunde brachte.
Lorenzo Alfano ist Historiker und forscht über Antonio Gramsci.
Lorenzo Alfano ist Historiker und forscht über Antonio Gramsci.