01. März 2022
Viele Linke sehen Impfgegner und Querdenkerinnen als Hauptverursacher der Corona-Krise. Das lenkt von der Verantwortung der Politik ab.
Protest gegen die Einführung einer Impfpflicht und die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung, Düsseldorf, 19.02.2022.
Mit Abstand, Maske und Anstand« titelte ein Aufruf zu Gegenprotesten gegen eine Querdenken-Demonstration in Hamburg Anfang des Jahres. Die Autonome Antifa Vernetzung Hamburg skandierte: »Pandemie stoppen bedeutet Verschwörungsideolog*innen stoppen!«
Gegen diejenigen, die gegen die Coronamaßnahmen auf die Straße gehen, hat sich eine breite gesellschaftliche Opposition formiert, welche von antifaschistischen Gruppen bis zu Regierungsparteien reicht. Ein hoher Anteil der politischen Mobilisierung der Linken richtet sich dieser Tage gegen die Querdenkerinnen und Impfgegner. Ungeimpfte oder Leute, die die Maßnahmen kritisieren oder missachten, werden dabei schnell dem Querdenken-Lager zugeordnet und mit moralischer Verachtung gestraft. Sie sollen die Hauptschuld an der Entwicklung der Pandemie tragen, da ihr unsolidarisches Verhalten die effektive Bekämpfung von Covid verhindere. Im Netz reichen die Reaktionen von hämischen Kommentaren über den Jobverlust von Ungeimpften bis hin zu der Forderung, den Impfstatus bei einer Triage zu berücksichtigen. Ein paar Nazis auf den Corona-Demos reichen aus, um den »Protest für die Corona-Politik« zur antifaschistischen Notwendigkeit zu verklären.
Die Bereitwilligkeit, mit der sich weite Teile der Linken dem Narrativ anschließen, einzelne starrsinnige Bürgerinnen und Bürger trügen die Verantwortung für den Pandemieverlauf, zeugt von der gegenwärtigen ideologischen und organisatorischen Schwäche der Linken. Der Begriff der Solidarität, der die längste Zeit mit der Bewegung der Arbeitenden und dem Sozialismus assoziiert wurde, wird nun angesichts der Krise allerorten aus den Schubladen geholt: Olaf Scholz appelliert an die Solidarität der deutschen Bevölkerung, die Universität Hildesheim forscht im Rahmen des Projekts SAFE-19 zu »Solidarität in der Covid-19 Krise« und das Hamburger Bündnis gegen Rechts ruft zu »Solidarität statt Verschwörungsideologien« auf. Solidarität meint hier aber nicht mehr als Abstand halten, Maske tragen, sich impfen lassen. Der Begriff verkommt zu einer individuellen Handlung, unabhängig von der eigenen Klassenlage. Der Ruf nach Solidarität dient nicht mehr dazu, ein gemeinsames Interesse mit anderen zu verfolgen, sondern seine eigenen Interessen der Pandemiebekämpfung hintanzustellen. Die Botschaft ist: Dem Kampf gegen das Virus müssen sich alle unterordnen. Wer nicht mitmacht, ist unsolidarisch.
Der Fokus auf die zahlenmäßig kleine, aber laute Querdenken-Szene lenkt den Blick zuverlässig von der Politik ab, deren Umgang mit der Pandemie dazu führte, dass zahlreiche Menschen schwer oder sogar tödlich erkrankten, in Armut gerieten oder an ihren Arbeitsplätzen völlig überlastet wurden. Statt diese Politik zu kritisieren, erschöpft sich ein Großteil der Reaktionen der deutschen Linken auf Forderungen nach noch strengeren, staatlich verordneten Verhaltensregeln und -richtlinien.
Dadurch wird der Umgang mit Corona zu einer Frage der persönlichen Verantwortung. Dies wird vor allem von denjenigen begrüßt, die durch die Maßnahmen kaum beeinträchtigt werden und die aus dem strikten Befolgen der staatlichen Handlungsanweisungen gleichzeitig ein Gefühl moralischer Überlegenheit ziehen. Der seit zwei Jahren währende Rückzug ins Private und die damit einhergehende Hinwendung auf sich selbst scheinen vom Home-Office-Milieu manchmal sogar begrüßt zu werden.
Der Kulturtheoretiker Mark Fisher beschrieb in seinem Aufsatz »Raus aus dem Vampirschloss« von 2013 das Strebertum und den Moralismus als prototypische Charakteristika des Kleinbürgertums: Man verhält sich selbst tadellos und kann aus der eigenen überlegenen Position das Fehlverhalten der anderen erkennen und verurteilen. Fisher bezeichnete dies als das Verlangen des pedantischen Akademikers, als Erster einen Fehler zu entdecken. Hinzu gesellen sich ihm zufolge das Verlangen des Priesters, zu verdammen und das Verlangen des Hipsters, zu den Coolen zu gehören. In der Zurschaustellung der eigenen Rücksichtnahme in den sozialen Medien oder in den alltäglichen Schmähreden gegen Ungeimpfte und Maßnahmengegnerinnen treten alle drei dieser Verlangen auf – und lassen selbst berechtigte Kritik furchtbar überheblich klingen.
Es ist unbenommen, dass die Corona-Demos und -Spaziergänge falsche Antworten liefern. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass nicht alle Einwände gegen die Corona-Maßnahmen als Verschwörungsideologien oder Schwurbelei abzutun sind. Die politischen Maßnahmen haben eine deutlich direktere Auswirkung auf das Leben der meisten Menschen als das Virus. Sie zwingen viele, in Kurzarbeit zu gehen oder ihre Geschäfte zu schließen, verschlechtern ohnehin schlechte Arbeitsbedingungen oder führten in den vorübergehenden (Teil-)Lockdowns zum Jobverlust. Die unmittelbare emotionale oder materielle Benachteiligung ist für viele wesentlich konkreter als die potenzielle Ansteckung mit einer gefährlichen Lungenkrankheit.
Auch in nicht-pandemischen Zeiten steht der Schutz der eigenen Gesundheit für viele in unmittelbarem Widerspruch zur Notwendigkeit, Geld verdienen zu müssen. Millionen von Menschen, die durch ihre Arbeitsbedingungen schwer erkrankt oder gestorben sind, zeugen davon. Für viele Menschen ist daher auch in der Pandemie der (Selbst-)schutz vor dem Virus eine Kalkulationsfrage, bei der sie die Ansteckungsgefahr ins Verhältnis zu ihren materiellen, aber auch psychosozialen Bedürfnissen setzen. Es gibt guten Grund, mit Wut auf Maßnahmen zu reagieren, die die materielle Existenz und die psychische Gesundheit gefährden. Doch diese Wut sollte sich nicht primär gegen die Ungeimpften und Corona-Demos richten, sondern gegen eine Politik, in der Tod und schwere Krankheitsverläufe zur normalen Kalkulation gehören. Hier setzt ein widerständiges Verständnis der Solidarität an, dass sich der Bewegung der Arbeitenden verpflichtet fühlt und auf geteilten Interessen basiert. Solidarisch sein kann man nicht allein, solidarisch sein kann man nur gemeinsam.
Miriam Bähr arbeitet als politische Sekretärin bei der SJD – die Falken Bremen.
David Pape wohnt und arbeitet in Hamburg und ist Referent für Kinder-, Jugend- und Bildungspolitik im Bundesvorstand der SJD – Die Falken.
Miriam Bähr arbeitet als politische Sekretärin bei der SJD – die Falken Bremen.
David Pape wohnt und arbeitet in Hamburg und ist Referent für Kinder-, Jugend- und Bildungspolitik im Bundesvorstand der SJD – Die Falken.