18. Mai 2022
Die brutale Rekordhitze in Indien und Pakistan lässt Vögel tot vom Himmel stürzen und bringt Millionen in Lebensgefahr – ein deutliches Warnsignal, dass wir den katastrophalen Verlauf des Klimawandels jetzt aufhalten müssen.
Verheerende Hitzewellen wie die diesjährige könnten zur neuen Normalität werden.
Während der anhaltenden extremen Hitzewelle in Indien fallen Vögel vor Erschöpfung vom Himmel. Solche Nachrichten lösen die Art von apokalyptischen und dystopischen Assoziationen hervor, an die sich viele von uns inmitten der Klimakrise schon gewöhnt haben. Aufgrund der sengenden Hitze trocknen Wasserquellen aus, weshalb die Vögel dehydriert sind – und mitten im Flug sterben.
Diese Nachricht erinnert uns wieder einmal daran, dass die Klimakatastrophe alles andere als eine ferne Bedrohung darstellt. Sie entfaltet sich schon jetzt und bringt in weiten Teilen der Erde nicht nur für Tiere, sondern auch Menschen Tod und Leid. In Indien, Pakistan und Sri Lanka sind den aktuellen Reorkdtemperaturen rund 1,5 Milliarden Menschen ausgesetzt.
In Indien ist dieser April der heißeste seit 122 Jahren und in Pakistan der heißeste seit 61 Jahren. In der pakistanischen Stadt Jacobabad erreichte die Hitze fast 50 Grad und selbst nachts lagen die Temperaturen oft über 30 Grad. Dutzende Menschen sind aufgrund der hohen Temperaturen bereits gestorben. Es wird wahrscheinlich noch weitere Tote geben und es ist anzunehmen, dass die Dunkelziffer die offiziellen Zahlen deutlich übersteigt.
Die tragischen Todesfälle sind nicht die einzigen verheerenden Auswirkungen dieser extremem Hitze. 40 Prozent der pakistanischen und 60 Prozent der indischen Bevölkerung arbeiten in der Landwirtschaft. Klimatische Schocks treffen diese Arbeiterinnen und Arbeiter unverhältnismäßig hart. Wie der Guardian berichtete, haben die Erträge der Weizenernte in den am stärksten betroffenen Regionen um bis zu 50 Prozent abgenommen. Gleichzeitig verschlechtern sich die Arbeitsbedingungen, während die Lebensmittelpreise immer weiter in die Höhe getrieben werden.
Das sind alles keine Neuigkeiten, sondern Symptome des Klimawandels, der sich zunehmend intensiviert. Hitzewellen haben seit 2010 in Indien mindestens 6.500 Menschen das Leben gekostet. Auch in Zukunft wird der Subkontinent zu den am stärksten betroffenen Regionen zählen. Vor diesem Hintergrund hat sich die indische Regierung auf der letzten Weltklimakonferenz in Glasgow dazu verpflichtet, bis 2070 klimaneutral zu werden. Dieses Ziel liegt beinahe fünfzig Jahre in der Zukunft. Für ein Land, das schon jetzt die verheerenden Auswirkungen des Klimawandels erlebt, klingt das nach einer verdammt langen Zeit. Und das ist es auch. Damit bezeugt die globale politische Klasse ein weiteres Mal, dass sie nicht dazu in der Lage ist, angemessen auf die Klimakrise zu reagieren.
Wenn Länder wie Großbritannien sich das wenig ambitionierte Ziel setzen, bis 2050 Netto-Null-Emissionen zu erreichen, schreiben sie dadurch das Schneckentempo beim globalen Klimaschutz weiter fest. Im Vergleich dazu ist Indiens Versprechen, bis 2030 die Energieversorgung zur Hälfte aus Erneuerbaren zu gewährleisten, schon beeindruckender. Jegliche mittelfristigen Klimaziele werden jedoch durch kurzfristige Zwänge zur Steigerung des Verbrauchs fossiler Brennstoffe untergraben.
Da immer mehr Menschen auf Klimaanlagen und Ventilatoren angewiesen sind, ist der Strombedarf explodiert. Momentan stammen etwa drei Viertel der indischen Energieversorgung aus Öl, Gas und Kohle. Um Engpässe zu überbrücken und mehr Kohle zu transportieren, wurden Personen- und Postzüge gestrichen. Indien hat zudem die Möglichkeit genutzt, billiges Flüssigerdgas aus Russland zu beziehen, das als kriegsführende Nation wenig Abnehmer für seine Exporte findet.
Das hat in Indien zu der verqueren Situation geführt, dass in Reaktion auf die brutale Hitze, die durch den Klimawandel verursacht wird, mehr fossile Energieträger beschafft werden müssen. Diese verschärfen die Klimakrise natürlich weiter, was in Zukunft noch katastrophalere Wetterereignisse verursachen wird – ein Teufelskreis.
Die globale Ungleichheit, durch die sich die Klimakrise auszeichnet, tritt hier deutlich zutage. Die kapitalistische Klasse im Globalen Norden hat die Verhältnisse weltweit in ihrem Interesse organisiert, um ein ökologisch unfassbar zerstörerisches Wirtschaftssystem zu etablieren, an dem sie profitiert. Die Mehrheit der Weltbevölkerung sieht sich hingegen beim Versuch auf die Klimakrise zu reagieren, mit einem Dilemma konfrontiert.
Die aktuelle Hitzewelle in Indien verdeutlicht, wie unterschiedlich die Betroffenheiten der Klimakrise innerhalb einer Nation verteilt sind. Die schlecht bezahlten Landarbeiterinnen und Landarbeiter trifft es am härtesten, genauso wie die Ärmsten, die sich weder Strom noch andere Möglichkeiten zur Abkühlung leisten können. Der Einsatz von Klimaanlagen (die zur Krise beitragen und sie weiter verschlimmern) unterstreicht diese Ungleichheit ebenso: Für die Reichen machen sie die Hitze erträglicher, den Armen bleibt nichts anderes übrig, als sie einfach zu erdulden.
Die Energieknappheit verschärft die Situation zusätzlich. Sie führt zu täglichen Stromausfällen, die in Indien bis zu acht Stunden und in Pakistan bis zu zwölf Stunden andauern. Gerade in den unerträglichsten Momenten war dadurch kein Entfliehen vor der Hitze möglich und auch die Versorgung mit lebensnotwendigen Grundlagen – unter anderem auch mit Wasser – ist infolgedessen unterbrochen.
Diese brutale und tödliche Hitzewelle ist das jüngste Beispiel der Folgen des Klimawandels. Sie zeigt einmal mehr, warum ein wirtschaftlicher Wandel so dringend erfolgen muss. Die Notwendigkeit einer rapiden und globalen Dekarbonisierung – und damit auch einer Klimawende, die globale Ungleichheiten adressiert, anstatt sie zu verschärfen – wird sich immer deutlicher zeigen. Denn die Dekarbonisierung muss – ob auf lokaler, nationaler oder internationaler Ebene – diejenigen schützen, die die globale Erhitzung am heftigsten zu spüren bekommen.
Selbiges gilt für die Maßnahmen einer gerechten, globalen Klimaanpassung, die als Antwort auf die bereits eingetretenen Folgen des Klimawandels ergriffen werden müssen. Aufgrund der hohen Emissionen der Vergangenheit müssen wir davon ausgehen, dass wir deren Auswirkungen auch in den kommenden Jahren durchleben werden, selbst wenn wir die Förderung fossiler Energieträger sofort beenden würden. Für Menschen, die tödlichen Hitzewellen ausgesetzt sind, sollte ein Anrecht auf nachhaltige Klimatisierung bestehen, wie mancherorts bereits gefordert wird. Für den Zugang zu Nahrungsmitteln, einem existenzsichernden Einkommen, Wohnraum, Gesundheitsversorgung und andere Grundbedürfnisse muss dasselbe gelten. Klimaanpassung muss den Interessen der Mehrheit dienen, nicht den Profitinteressen der Wenigen.
Eine gerechte Energiewende und globaler Klimaschutz wird nur möglich sein, wenn wir die Voraussetzungen für eine globale politische Ökonomie schaffen, die Staaten wie Indien nicht dazu verleitet, mehr fossile Brennstoffe zu erwerben. Mit Moralpredigten westlicher Eliten wird das kaum zu erreichen sein. Gelingen kann das nur, wenn wir die Kräfteverhältnisse innerhalb internationaler Institutionen so gestalten, dass das Kapital entmachtet und die arbeitende Klasse weltweit ermächtigt wird. Ebenfalls notwendig wären massive Investitionen in neue Infrastruktur und Technologien sowie ein Abkommen, der die Förderung fossiler Brennstoffe unterbindet. Anders werden wir der Todesspirale des Kapitalismus nicht entkommen können.
Chris Saltmarsh hat die Kampagne Labour for a Green New Deal mitbegründet. Er ist Autor des Buches »Burnt: Fighting for Climate Justice« (Pluto Press, September 2021).
Chris Saltmarsh ist Mitbegründer der Kampagne Labour for a Green New Deal, die sich im letzten Jahr erfolgreich dafür einsetzte, einen radikalen Green New Deal zum Ziel der Labour-Partei zu erklären.