05. Oktober 2022
Die KPRF unterstützt gleichzeitig Putins Machtapparat als auch den regierungskritischen Protest dagegen. Seit Putins Krieg kann sie diesen Drahtseilakt kaum mehr aufrechterhalten.
Der KPRF-Vorsitzende Gennadi Sjuganow bei einer Gedenkveranstaltung anlässlich der Russischen Revolution, Moskau, 7. November 2021.
IMAGO / SNAMit dem Tod des rechtsextremen Scharlatans Wladimir Schirinowski im April 2022 ist der 78-jährige Gennadi Sjuganow zum dienstältesten – und auch ältesten – Parteivorsitzenden Russlands geworden. Sjuganow hat die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) seit ihrer Gründung im Jahr 1993 fest im Griff. Sie ist auf unvorhergesehene Weise zu einer tragenden Säule der postsowjetischen russischen Politik geworden: Seit 1995 hat sie bei jeder Duma-Wahl den ersten oder zweiten Platz belegt und seit der ersten Präsidentschaftswahl im Jahr 1996 erreichte sie stets den zweiten Platz.
Ihren Zenit hat die Partei aber schon lange hinter sich. Von 1995 bis 1999 hatte die KPRF (zusammen mit ihren Verbündeten) nahezu eine Mehrheit im Parlament, stellte die Hälfte der 89 Gouverneure in Russland (heute sind es nur noch drei) und war kurzzeitig an einer linken Regierung beteiligt, die versuchte, den damaligen Präsidenten Boris Jelzin zu entmachten. Besonders bemerkenswert ist, dass Sjuganow Jelzin bei der (in erheblichem Maße von Fälschung betroffenen) Präsidentschaftswahl von 1996 in den zweiten Wahlgang zwang – das einzige Mal, dass der Amtsinhaber nicht schon im ersten Wahlgang den Sieg sichern konnte. Seit 1999 ist die KPRF jedoch immer weiter von Wladimir Putin und seiner »Partei der Macht« Einiges Russland abgehängt worden.
Dennoch ist die KPRF keineswegs irrelevant. Bei der letzten Duma-Wahl im September 2021 erhielt sie 18,9 Prozent der Stimmen und damit 57 von 450 Sitzen. Die Partei Einiges Russland konnte ihre »Supermehrheit« (über 300 Sitze, genug, um Verfassungsänderungen vorzunehmen) zwar aufrechterhalten, sodass die Wahl de facto wenig änderte, jedoch lag das »wirkliche« Ergebnis der KPRF bei vielleicht 30 Prozent. Was ist der Grund für die Langlebigkeit von Sjuganow und der KPRF? Könnte die Partei eine echte Herausforderung für den Kreml darstellen?
Die kurze Antwort auf die letztere Frage lautet: nein. Die Stabilität der KPRF beruht auf ihrer Fähigkeit, immer wiederkehrende außerparlamentarische Proteste in einer ambivalenten Art und Weise für sich auszunutzen, die die Machtstrukturen des Kremls nicht grundlegend bedroht. Seit ihrer Gründung hat sie sich aus einer systemfeindlichen, »unversöhnlichen« Opposition zu einer »systemischen« Kraft entwickelt, die aber nichtsdestoweniger bestrebt ist, das Image des außerparlamentarischen Radikalismus zu wahren. Sie ist mit einigem Recht als Zentaur bezeichnet worden – halb eine Kreatur des Kremls und halb ein Geschöpf der Straße. Das macht sie zu einer höchst widersprüchlichen politischen Kraft.
Die KPRF ist die Erbin der einst herrschenden Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU), vermittelt durch die kurzlebige Kommunistische Partei der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik (KP RSFSR), die 1990 im Zuge des Strebens nach nationaler Souveränität gegründet wurde, das schließlich zum Zerfall der Sowjetunion führte. Die Konservativen innerhalb der KPdSU schufen eine (bis dahin fehlende) Partei für die russische Teilrepublik der UdSSR, um Michail Gorbatschows Perestroika entgegenzutreten. Jedoch lähmten interne Spaltungen und der allgemeine Autoritätsverlust der Parteistrukturen die KP RSFSR. Nach dem Scheitern des Anti-Gorbatschow-Putsches im August 1991 wurde sie schließlich von Jelzin verboten. Die Partei unterstützte diese dreitägige Machtübernahme zwar stillschweigend, hatte aber – symptomatisch für ihren schwindenden Einfluss – keine Vertreter in dem von acht führenden sowjetischen Funktionären gebildeten Staatskomitee für den Ausnahmezustand, das vorübergehend die Macht übernahm.
»Sjuganow nannte den verstorbenen Gorbatschow den größten Verräter in Russlands tausendjähriger Geschichte.«
Die KPRF wurde im Februar 1993 (wieder)gegründet, nachdem ihre Führung das Parteiverbot erfolgreich vor dem Verfassungsgericht angefochten hatte. Ihr neuer Vorsitzender war Sjuganow, der frühere stellvertretende Leiter der Abteilung für ideologische Fragen der KPdSU, der vor allem dafür bekannt war, Parteibeziehungen zu prosowjetischen Nationalisten zu kultivieren. Das Gesamtprofil der KPRF ist seither dasselbe geblieben: Sie wendet sich gegen Verwestlichung und Liberalismus und verteidigt das sowjetische Erbe – nach ihrem Dafürhalten müsse die Sowjetunion »auf freiwilliger Basis« neu aufgebaut werden. Dieses »Anti-Reform«-Image spiegelt sich heute etwa darin wider, wenn Sjuganow den verstorbenen Gorbatschow als den größten »Verräter« in Russlands tausendjähriger Geschichte geißelt. Sjuganow hat erfolgreich eine Reihe »nationalistischer« Ideen popularisiert, etwa die Vorstellung, die Sowjetunion sei ein Ausdruck russischer Staatlichkeit, der nicht durch interne Probleme, sondern die Machenschaften einer prowestlichen »fünften Kolonne« zerstört wurde.
Hinter diesem Image verbergen sich jedoch einige andere Facetten der KPRF, die für ihr langfristiges Überleben entscheidend waren. Erstens setzt sie auf Inkrementalismus und Institutionalismus, was der Herkunft ihrer Anführer aus der Nomenklatura, der sowjetischen bürokratischen Elite entspricht: Sie sind keine leninistischen Revolutionäre. Die KPRF hielt sich raus, als es im Oktober 1993 zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Präsident und Parlament kam und prangerte zwar die Unrechtmäßigkeit der neuen Verfassung an, nahm aber im Gegensatz zu vielen anderen oppositionellen Kräften dennoch an den Wahlen im Dezember 1993 teil, die auf deren Grundlage abgehalten wurde.
Zweitens fasste die KPRF unter ihrem »Anti-Reform«-Schirm ein breites Spektrum ideologischer Tendenzen zusammen – von späteren Sozialdemokraten und Breschnew-Konservativen bis hin zu ausgesprochenen Stalinisten und »Nationalbolschewiken«, die die Sowjetmacht nicht von einem marxistisch-leninistischen, sondern von einem nationalistischen Standpunkt aus rechtfertigen.
Noch bemerkenswerter war die innerparteiliche Kluft bezüglich der Haltung zum postsowjetischen Machtsystem zwischen einer gemäßigten Führung, die zu Kompromissen mit den Behörden neigte, und radikaleren regionalen Kadern, die eine »unversöhnliche« außerparlamentarische Opposition bevorzugten und ihrer eigenen Führung zutiefst misstrauten. Die meisten Entwicklungen innerhalb der Partei waren jedoch zutiefst sozialkonservativ – so lehnt die KPRF den Zweite-Welle-Feminismus und LGBTQ-Rechte ab.
Drittens befestigte Sjuganow die Vorherrschaft der nationalbolschewistischen Strömung, indem er den Kommunismus und die KPRF mit dem Argument zu rehabilitieren versuchte, dass es sich dabei um einen authentischen Ausdruck der nationalen Traditionen Russlands und nicht um ein fremdes ideologisches Implantat handle. In der Folge näherte sich die Partei dem nationalen russischen Kapital, den staatlichen Institutionen und der Russisch-Orthodoxen Kirche an. Sjuganows häufig wiederholte Behauptungen wie »Russland hat genug von Revolutionen« und »Jesus war der erste Kommunist« sind ein Abbild dieser Entwicklung. Seine spätere Beteuerung, die Wiedergeburt der Kirche habe Stalin persönlich viel zu verdanken, machten diese Argumentation noch kontroverser.
Die Marxistinnen und Marxisten innerhalb und außerhalb der KPRF sahen es als besonders verwerflich an, dass sich deren Führungsriege den Strukturen des kapitalistischen Staates annäherte. Viele von ihnen warfen der Parteiführung vor, sie würde parlamentarischen Kretinismus betreiben, habe den Klassenkampf und den Internationalismus aufgegeben, es versäumt, die Verbindungen zu den Gewerkschaften und der Arbeiterklasse auszubauen, und sich letztlich eher der nationalistischen Rechten als der leninistischen Linken anverwandelt.
Aktivistinnen und Aktivisten neuerer Gruppierungen wie der Russischen Sozialistischen Bewegung betrachten die Ideologie der KPRF tatsächlich als eine »gemäßigte Version« des »populären Stalinismus«, gepaart mit einem »orthodoxen imperialen Nationalismus«. Aufgrund des hierarchischen demokratischen Zentralismus und der bürokratischen Intrigen Sjuganows konnte sich jedoch nur selten eine wirksame innerparteiliche Opposition formieren. Allerdings schien die KPRF nach der Wahlniederlage von 1996 auf eine stabile Position in der russischen politischen Elite als Teil eines formalen Zweiparteiensystems aus zu sein und dachte zögerlich über eine gewisse Sozialdemokratisierung nach.
Nachdem Wladimir Putin im Jahr 2000 Präsident wurde, blieben diese Bemühungen aber auf der Strecke. Mit seinem Illiberalismus, seinem orthodoxen Imperialismus und seiner Anziehungskraft quer durch das gesamte politische Spektrum stahl Putin der KPRF ihre Argumente und ihre Basis. Mehr noch: Wie zunehmend deutlich wurde, brachte der Putinismus mit sich, was der Politologe Wladimir Gelman als »aufgezwungenen Konsens« bezeichnet hat – die zwangsweise Kooptierung oder Ausschaltung aller unabhängigen Machtzentren.
Im Gegensatz zu Jelzin, der sich kaum um den Parteiaufbau kümmerte, entwickelte Putin Einiges Russland zu seiner Partei der Macht und marginalisierte sämtliche Gegenspieler. In den späten 2000er Jahren wurde das Parteiensystem direkt von »Aufsehern« der Präsidialverwaltung (derzeit unter der Leitung von Sergej Kirijenko) verwaltet, die die Kandidierenden und das Verhalten der Parteien kontrollierten. Die Oppositionskräfte mussten informelle »Spielregeln« einhalten (zum Beispiel die russische Außenpolitik lautstark unterstützen, direkte Kritik an Putin vermeiden und Verbindungen zur außerparlamentarischen Opposition unterlassen).
Was vom »Anti-System«-Impetus der KPRF noch übrig war, wurde 2004 effektiv zerschlagen, als der Kreml eine große Spaltung herbeiführte, die die Mitgliederzahl der Partei von einer halben Million auf 160.000 schrumpfen ließ. Tatsächlich hat der Kreml mehrfach angedeutet, die KPRF durch eine modernere Linke ersetzen zu wollen. Letztlich hat er dem jedoch keine Taten folgen lassen, da eine dynamischere Linke aufgrund der weit verbreiteten Sympathien für sozialstaatliche und paternalistische Politik in der russischen Bevölkerung eine größere Herausforderung dargestellt hätte. Daher weigerte sich der Kreml bezeichnenderweise, die Splitterpartei von 2004 offiziell zu registrieren, was die KPRF weitgehend marginalisiert hätte. Stattdessen gelang es der KPRF, einen dauerhaften zweiten Platz im Parteiensystem zu erobern.
Sjuganows Führung hat seither sowohl die KPRF als auch den Kreml stabilisiert, indem sie sich an die »Spielregeln« hielt und rivalisierende Führungsfiguren sowie allzu radikale Genossinnen und Genossen aus der Partei ausschloss. Der KPRF wird es im Vergleich zu anderen Parteien eher gestattet, das Regime zu kritisieren, insbesondere auf lokaler Ebene. Diesem Spielraum sind jedoch klare Grenzen gesetzt, die immer wieder verengt werden. Insbesondere nutzt der Kreml eine Reihe kleiner Parteien links und rechts der KPRF (zum Beispiel die Kommunisten Russlands, die von Zeit zu Zeit Doppelgänger-Kandidaten gegen die KPRF aufstellen), um ihren Stimmenanteil bei Bedarf zu schmälern.
Darüber hinaus ist die Partei seit Putins Amtsantritt von stalinoiden Positionen (den Staatssozialismus zu befürworten, ohne aber direktes Lob des »großen Führers« auszusprechen), zu offen stalinistischen Positionen (ihn als »unsterblich« zu glorifizieren und sogar die Re-Stalinisierung Russlands zu fordern) übergegangen, während sie ihre proto-sozialdemokratischen Elemente heruntergeregelt hat. Damit konnte sie sich besser von Putin abgrenzen. Denn Putin ist zwar ein Produkt des poststalinistischen Sicherheitsstaates und dem Kult des Großen Vaterländischen Krieges verpflichtet, im Grunde ist er aber eher »weiß« als »rot«, also mehr ein Anhänger des orthodoxen Imperialismus als der sowjetischen Ideologie. Diese Re-Stalinisierung half der KPRF, den Kern ihrer Basis zu bewahren, hindert sie jedoch daran, neue Gruppen anzusprechen und begrenzt damit die Unterstützung der Partei auf 10 bis 15 Prozent der russischen Wählerschaft.
Das Manifest der KPRF von 2021 verdeutlichte das. Linkspopulisistische Wohlfahrtsversprechen stehen hier zwar im Zentrum – so soll etwa Putins Rentenreform von 2018 zurückgenommen, der Mindestlohn angehoben und der Zugang zum kostenlosen Bildungs- und Gesundheitswesens verbessert werden–, ansonsten werden vor allem aber Slogans aus den 1990er Jahren wiederholt und selbst noch die Privatisierungen dieser Zeit angeprangert. Der Fokus auf Sozialstaat und faire Wahlen mag Protestwählerinnen und -wähler ansprechen, das Übergewicht an alten Slogans und Gesichtern signalisiert jedoch, dass die Partei obsolet geworden ist. Nicht umsonst gilt die KPRF als die langweiligste Partei Russlands.
Die KPRF ist nach wie vor funktionell in drei Hauptgruppen geteilt, auch wenn diese Spaltungen insgesamt weniger heftig sind als in den 1990er Jahren: einen Kern aus roten Patrioten, die die Partei mit ihrer sowjetischen Symbolik als lebendiges Bruchstück der verlorenen Sowjetunion aus Nostalgie unterstützen; die bürokratischen Pragmatiker, die die Führungskader stellen und sich in den Kreisen der politischen Elite bewegen; und die radikalen Oppositionellen. Der letztgenannte Teil umfasst ein breites Spektrum von Linken – etwa den populistischen Aktivisten Sergej Udalzow, den Moskauer demokratischen Sozialisten Michail Lobanow (der 2021 sowohl von der KPRF als auch von der Russischen Sozialistischen Bewegung unterstützt wurde) und Nikolai Bondarenko, einen populären Video-Blogger und Mitglied der Regionalversammlung von Saratow, die alle eine konfrontativere Linie vertreten als die Parteiführung.
»Die KPRF konnte aufgrund ihres Status als wichtigste Oppositionskraft eine jüngere und radikalere Wähler- und Mitgliedschaft anziehen.«
Trotz der alternden Stammwählerschaft der KPRF kann man eine gewisse Verjüngung ihrer Basis beobachten. Diese ist seit Anfang der 2000er Jahre urbaner und gebildeter geworden, zumal Einiges Russland viele ländliche Wahlkreise erobert hat. Die KPRF konnte aufgrund ihres Status als wichtigste Oppositionskraft und ihrer (relativ) radikalen Rhetorik eine jüngere und radikalere oppositionell eingestellte Wähler- und Mitgliedschaft anziehen. Die offener oppositionelle Basis setzte wiederum die Parteiführung unter Druck, ihren Kurs zu dementsprechend anzupassen. Diese radikaleren Unterstützerinnen und Unterstützer kehren der Partei jedoch oft nach einer Zeit wieder den Rücken, weil sie von der hierarchischen Struktur und dem Konformismus der Partei enttäuscht sind. Diese periodische Radikalisierung (insbesondere vor Wahlen) und anschließende Mäßigung ist eine zentrale Dynamik der Partei.
Gleichzeitig wurde ein Generationswechsel auf der Führungsebene immer drängender. Bei den Präsidentschaftswahlen 2018 trat Sjuganow zugunsten von Pawel Grudinin, dem Direktor der »Lenin-Sowchose« zurück. Obwohl Grudinins Ergebnis von 11,8 Prozent das bisher schlechteste der KPRF bei einer Präsidentschaftswahl war, belegte er dennoch den zweiten Platz, was Sjuganows sinkende persönliche Zustimmungswerte möglicherweise nicht gewährleistet hätten. Die KPRF hat eine kollektive Führung, sodass sie einen Wechsel des Vorsitzenden besser verkraften kann als die meisten anderen russischen Parteien. Wahrscheinlicher Nachfolger ist der stellvertretende Parteivorsitzende Juri Afonin, der allerdings als Konservativer gilt und es schwer haben dürfte, ein nationales Profil ähnlich dem von Sjuganow auszubilden, welches in pluralistischeren Zeiten entstand.
Die jüngsten Wahlen sahen erneut eine Dynamik von Radikalisierung und Mäßigung bei der KPRF. So sprach sich die Partei im Wahlkampf gegen Putins Verfassungsreform von 2020 sowie obligatorische Covid-19-Impfungen aus. Einige regionale Parteiführer (vor allem der Vorsitzende der Moskauer Parteisektion Waleri Raschkin, seit langem ein scharfer Kritiker der Korruption in der Regierung) äußerten Sympathien für die oppositionellen Proteste und für den inhaftierten Alexej Nawalny. Offiziell verunglimpft die Partei Nawalny, übt aber keine Kritik an seiner Smart-Vote-Initiative, die den Wählerinnen und Wählern hilft, diejenigen Kandidierenden zu ermitteln, die in ihrem Wahlkreis die besten Chancen haben, Einiges Russland zu schlagen. Als zweitstärkste Partei in vielen Bezirken war die KPRF die Hauptprofiteurin der Initiative. Im Jahr 2022 weigerte sich Smart Vote jedoch, Kandidierende zu unterstützen, die den Krieg befürworteten, darunter auch die der KPRF.
Die KPRF geriet kurzzeitig in Konflikt mit dem Kreml, denn aus nicht näher bekannten Gründen wurde Grudinin für die Regierung zur Persona non grata. Womöglich machte ihn sein – wenn auch enttäuschendes – Abschneiden als Präsidentschaftskandidat im Jahr 2018 zu einem zu aussichtsreichen Kandidaten für die nächste Wahl 2024. Sein Unternehmen wurde infolgedessen unter Druck gesetzt, Grudinin selbst wurde seines Stadtratssitzes beraubt und 2019 weigerte sich die zentrale Wahlkommission, ihm einen freigewordenen Duma-Sitz zu übertragen.
Sjuganows Entscheidung, Grudinin auf Platz drei der Kandidatenliste der KPRF für 2021 zu setzen, wurde vom Kreml daher als Provokation gedeutet. Grudinin wurde umgehend durch die zentrale Wahlkommission von der Teilnahme an der Wahl ausgeschlossen, offiziell weil er Eigentum im Ausland habe (eine anscheinend haltlose Unterstellung). Sjuganow nahm wohl an, dass er nun protestieren musste, um nicht schwach zu erscheinen, und wetterte gegen die »Faschisierung« Russlands.
Dass Grudinin schikaniert wurde, erhöhte jedoch die Glaubwürdigkeit der KPRF als Opposition, was sie im Wahlkampf intensiv ausnutzte. Zugleich beugte sie sich den Weisungen der Aufsicht, indem sie eine Kreml-freundliche Wahlliste aufsetzte, unter anderem indem sie prominente Unruhestifter wie Raschkin in Moskau und den ehemaligen Gouverneur von Irkutsk, Sergej Lewtschenko, von der zentralen auf die regionale Liste setzte. Nach der Wahl protestierte die Führung kurzzeitig gegen die Wahlfälschung, ließ es sich aber gefallen, als Raschkin aufgrund einer anderen erfundenen Anklage (wegen illegaler Wilderei) aus dem Parlament und der Parteiführung entfernt wurde.
Der Ausbruch des Russisch-Ukrainischen Krieges stellte die Partei vor ein neues Dilemma. Die KPRF widerspricht dem außenpolitischen Konsens des Kremls nicht – im Gegenteil: Seit 2014 gehört sie zu den eifrigsten Unterstützern der russischen Stellvertreterstaaten im Donbass und hat das Duma-Gesetz zu deren Anerkennung im Februar 2022 sogar initiiert. Dennoch zeigten einige Duma-Abgeordnete, regionale Führungspersönlichkeiten und Jugendaktivistinnen deutliche Besorgnis über den Krieg: Es war eine Sache, den Donbass zu »beschützen«, eine ganz andere, Kiew zu bombardieren.
Doch wie üblich untermauerte die KPRF schon bald ihren »patriotischen« Ruf, indem sie die Dissidentinnen und Dissidenten zum Schweigen brachte oder ausschloss, die »Spezialoperation« lautstark unterstützte und im September 2022 sogar zu einer Generalmobilmachung aufrief. Die Partei versuchte, aus den patriotischen Gefühlen Kapital zu schlagen, indem sie ihre humanitäre Unterstützung für den Donbass hervorhob und den Nutzen staatlicher Wirtschaftsplanung bei der Bewältigung der Sanktionen betonte. Damit hatte sie jedoch nur begrenzten Erfolg, da Putin durch einen »Rally-round-the-flag«-Effekt wieder neuen Rückhalt gewann und der Spielraum für eine substanzielle Opposition auf ein Minimum schrumpfte. Bei den Gouverneurs-, Regional- und Kommunalwahlen im September 2022 verlor die KPRF entsprechend an Boden.
Die Langlebigkeit der KPRF beruht auf ihrer Fähigkeit, wachsende Protesttendenzen auszunutzen. Gleichzeitig beschränkt eine zutiefst konformistische Führung, Struktur und Ideologie ihre Möglichkeiten. Außerdem verfügt der Kreml über alle nötigen formellen und informellen Hebel, um die Partei bei nationalen Wahlen auf einen abgeschlagenen zweiten Platz (oder noch darunter) zu verbannen.
Es ist unwahrscheinlich, dass sich das in nächster Zeit dramatisch verändern wird. Schon seit mehr als zwei Jahrzehnten ist klar, dass sich die Führung und die Plattform der KPRF grundsätzlich wandeln müssen, um für den Kreml eine ernstzunehmende linke Opposition darzustellen. Ihre Moskauer Führung ist jedoch so stark in das von Putin gesteuerte Parteiensystem integriert, dass sie und der Kreml ein gemeinsames Interesse daran haben, sich einem grundlegenden Wandel zu widersetzen.
Dennoch werden die Folgen des Kriegs in der Ukraine die Zukunft der Partei stark beeinflussen. Solange der Kreml die Kontrolle über die innenpolitische Agenda behält, werden die Möglichkeiten der KPRF, Oppositionspolitik zu betreiben, stark eingeschränkt sein. Sollten die Folgen des Kriegs schließlich die poststalinistischen Polizeistaatsmechanismen untergraben, von denen der Putinismus lebt, wird auch der davon abhängige Sjuganowismus mit dem Tod ringen. Ob aus den Überresten der KPRF dann eine wirklich fortschrittliche und oppositionelle Partei hervorgehen kann, ist zweifelhaft, bleibt aber abzuwarten.
Luke March ist Politologe und hat einen Lehrstuhl für post-sowjetische und vergleichende Politik an der University of Edinburgh.